T 2653/16 11-01-2021
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VERFAHREN FÜR EINSTELLUNG EINER BANKNOTENBEARBEITUNGSMASCHINE
Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 03763797 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückzuweisen.
II. Es wird auf die folgenden Dokumente verwiesen:
D1: US 6,012,565 A
D2: EP 0779604 A1
III. Die Beschwerdeführerin beantragte zunächst, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein europäisches Patent auf Basis der mit Schreiben vom 14. März 2016 eingereichten Unterlagen zu erteilen (Beschwerdebegründung, Seite 1, zweiter Absatz und Seite 2, letzter Absatz). Dies entsprach den Anmeldeunterlagen, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen.
IV. In Antwort auf eine die mündliche Verhandlung vorbereitende Mitteilung der Kammer reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. September 2020 geänderte Anmeldeunterlagen ein und beantragte die Erteilung eines Patents sowie die Absage der mündlichen Verhandlung (Schreiben vom 28. September 2020, Seite 2, letzter Absatz).
V. Die Anmeldeunterlagen, auf Basis derer die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Patents beantragt, sind die folgenden:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 9, eingereicht mit Schreiben vom 28. September 2020
Beschreibung:
Seiten 1 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 28. September 2020
Figur:
Blatt 1 von 1 wie ursprünglich eingereicht
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des vorliegenden Antrags hat den folgenden Wortlaut:
Verfahren für die Einstellung einer Banknotenbearbeitungsmaschine (1), bei dem Schwellenwerte von Sensoren (41) für die Erkennung von aufgrund von Verschmutzung und/oder Beschädigung nicht umlauffähiger Banknoten durch eine Steuereinrichtung (40) festgelegt werden, mit den Schritten:
- Auswählen von mindestens einer umlauffähigen Banknote,
- Auswählen von mindestens einer nicht umlauffähigen Banknote,
- gemeinsames Bearbeiten der ausgewählten Banknoten mittels der Banknotenbearbeitungsmaschine,
gekennzeichnet durch die Schritte:
- Vorgeben einer Rate für nicht umlauffähige Banknoten mittels einer Ein/ Ausgabeeinrichtung (45),
- Speichern der bei der Bearbeitung der Banknoten erzeugten Daten mindestens eines der Sensoren (41),
- Festlegen mindestens eines Schwellenwerts für den mindestens einen Sensor (41), durch Auswerten der gespeicherten Daten des mindestens einen Sensors (41) durch die Steuereinrichtung (40),
wobei die Steuereinrichtung (40) analysiert, wie stark die Verschmutzung und/oder die Beschädigung der einzelnen ausgewählten Banknoten ist, und anhand dieser Analyse die Daten einer der vorgegebenen Rate entsprechenden Anzahl von ausgewählten Banknoten für die Festlegung des mindestens einen Schwellenwerts verwendet, welche die stärkste Verschmutzung und/oder Beschädigung aufweisen.
VII. Anspruch 9 bezieht sich auf eine Banknotenbearbeitungsmaschine für die Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 8.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 123(2) EPÜ
Eine Basis für den vorliegenden Anspruch 1 findet sich in den ursprünglichen Ansprüchen 1, 6 und 7 sowie auf Seite 8, Zeile 22 bis Seite 9, Zeile 6 der ursprünglichen Beschreibung.
Die abhängigen Verfahrensansprüche 2 bis 8 und der Geräteanspruch 9 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 2, 3 und 7 bis 12.
3. Artikel 84 EPÜ 1973
Da eine Banknote nur entweder umlauffähig sein kann oder nicht, ist die Rate für nicht umlauffähige Banknoten immer eindeutig durch die Beziehung (1 minus die Rate für umlauffähige Banknoten) mit der Rate für umlauffähige Banknoten verknüpft.
Die Vorgabe einer Rate für nicht umlauffähige Banknoten kann daher sowohl direkt als auch indirekt (d.h., durch die Vorgabe einer Rate für umlauffähige Banknoten) erfolgen. Anspruch 4 entspricht daher auch in Verbindung mit Anspruch 1 den Anforderungen des Artikels 84 EPÜ 1973 in Bezug auf Deutlichkeit.
Die Ausführungsbeispiele der ursprünglichen Beschreibung, die sich auf eine getrennte Bearbeitung der umlauffähigen und nicht umlauffähigen Banknoten beziehen, wurden gestrichen. Die vorliegenden Ansprüche sind daher nach Artikel 84 EPÜ 1973 durch die vorliegende Beschreibung gestützt.
4. Stand der Technik, D1 und D2
D1 und D2 betreffen wie die vorliegende Anmeldung ein Verfahren zur Einstellung einer Banknotenbearbeitungsmaschine, bei dem Schwellenwerte auf Basis einer Menge von Banknoten festgelegt werden, die zu diesem Zweck in einem Trainingsschritt bearbeitet werden. Dabei soll die Maschine zwischen echten und gefälschten Banknoten unterscheiden (siehe zum Beispiel Spalte 3, Zeilen 6 bis 10 der D1 und Spalte 10, Zeilen 12 bis 18 der D2). Die Echtheit von Banknoten kann als ein Kriterium für deren Umlauffähigkeit angesehen werden.
D1 beschäftigt sich zwar mit Veränderungen der Banknotenbearbeitungsmaschine durch Verschmutzung (dust accumulation, siehe Spalte 11, Zeilen 46 bis 51), erwähnt jedoch keine verschmutzten oder beschädigten Banknoten.
In Bezug auf D2 ist die Kammer jedoch wie die Prüfungsabteilung (Punkt 29.1 der angefochtenen Entscheidung) der Ansicht, dass Spalte 1, Zeilen 19 bis 22 darauf hinweisen, dass Banknoten verschmutzt oder beschädigt sein können.
D2 befasst sich sogar ausdrücklich damit, auf welche Weise Beschädigungen von Banknoten zu berücksichtigen sind. Dies geschieht durch die Verwendung relativ grober Einstellungen (coarse tests), so dass Banknoten mit kleinen beschädigten Stellen trotz ihrer Beschädigungen akzeptiert werden (siehe Spalte 13, Zeilen 47 bis 58). In diesem Sinne werden in D2 die Schwellenwerte Q von Sensoren zumindest indirekt auch für die Erkennung von aufgrund von Verschmutzung und/oder Beschädigung nicht umlauffähiger Banknoten festgelegt.
Im Dokument D2 wird der Zweck der vorliegenden Anmeldung also eher verfolgt als im Dokument D1. D2 offenbart auch einen Grossteil der Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1. D2 kann daher als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden, wie von der Prüfungsabteilung argumentiert (Punkt 14 der angefochtenen Entscheidung).
5. In D2 offenbarte Merkmale des Anspruchs 1
Im Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 1 offenbart D2 ein:
Verfahren für die Einstellung einer Banknotenbearbeitungsmaschine, bei dem Schwellenwerte von Sensoren für die Erkennung von aufgrund von Verschmutzung und/oder Beschädigung (siehe Punkt 4. oben) nicht umlauffähiger Banknoten durch eine Steuereinrichtung festgelegt werden (Spalte 13, Zeilen 11 bis 16), mit den Schritten:
- Auswählen von mindestens einer umlauffähigen Banknote (Spalte 12, Zeilen 15 bis 18, "The training set comprises subsets of each banknote in each orientation, ..."),
- Auswählen von mindestens einer nicht umlauffähigen Banknote (Spalte 12, Zeilen 15 bis 18, "... and of all known forgeries (if any) for each note/orienation"),
- gemeinsames Bearbeiten der ausgewählten Banknoten mittels der Banknotenbearbeitungsmaschine (Spalte 12, Zeile 19 bis Spalte 13, Zeile 10),
gekennzeichnet durch die Schritte:
- Speichern der bei der Bearbeitung der Banknoten erzeugten Daten mindestens eines der Sensoren (Spalte 12, Zeilen 49 bis 54; da alle Messwerte aller Banknoten jedes "subsets" für die Bestimmung der Mittelwerte und Standardabweichungen verwendet werden, müssen die Daten gespeichert sein),
- Festlegen mindestens eines Schwellenwerts für den mindestens einen Sensor, durch Auswerten der gespeicherten Daten des mindestens einen Sensors durch die Steuereinrichtung (Spalte 12, Zeile 55 bis Spalte 13, Zeile 16).
Darüber hinaus wird in dem in D2 offenbarten Verfahren durch das Verwenden von sowohl echten als auch gefälschten Banknoten zum Trainieren des neuronalen Netzes (Spalte 1, Zeilen 42 bis 46) zwar implizit eine Rate von umlauffähigen Banknoten "vorgegeben", wie von der Prüfungsabteilung argumentiert (Punkt 15 der angefochtenen Entscheidung). Jedoch wird diese Rate der Banknotenbearbeitungsmaschine nicht mittels einer Ein-/Ausgabeeinrichtung vorgegeben, wie dies nach der im Beschwerdeverfahren erfolgten Änderung der Anmeldeunterlagen im nunmehr vorliegenden Anspruch 1 der Fall ist.
6. Unterscheidende Merkmale
Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unterscheidet sich daher von dem in D2 offenbarten Verfahren dadurch, dass
1) eine Rate für nicht umlauffähige Banknoten mittels einer Ein-/Ausgabeeinrichtung vorgegeben wird,
und dass
2) die Steuereinrichtung analysiert, wie stark die Verschmutzung und/oder die Beschädigung der einzelnen ausgewählten Banknoten ist, und anhand dieser Analyse die Daten einer der vorgegebenen Rate entsprechenden Anzahl von ausgewählten Banknoten für die Festlegung des mindestens einen Schwellenwerts verwendet, welche die stärkste Verschmutzung und/oder Beschädigung aufweisen.
Er ist daher gegenüber D2 neu nach Artikel 54 EPÜ 1973.
7. Technischer Effekt
Diese unterscheidenden Merkmale 1) und 2) haben in ihrer Kombination den technischen Effekt, dass der Banknotenbearbeitungsmaschine nicht für jede einzelne Banknote des Trainingssets bekannt sein muss, ob sie umlauffähig ist oder nicht, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht (Beschwerdebegründung, Seite 2, erster Absatz).
Diese Information muss der Maschine daher auch nicht vom Bediener, zum Beispiel durch Vorsortierung der Banknoten und Verwendung von Trennkarten oder durch eine direkte Eingabe der Information für jede einzelne Banknote des Trainingssets über eine Ein-/Ausgabeeinrichtung, übermittelt werden.
Da das im Vergleich zur angefochtenen Entscheidung geänderte unterscheidende Merkmal 1) zu diesem technischen Effekt beiträgt, kann es nicht als administrative oder geschäftliche Vorgabe angesehen werden.
Es ist daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen und kann nicht ohne rückschauende Betrachtungsweise in die Formulierung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe aufgenommen werden (vergleiche die Punkte 17 und 18 der angefochtenen Entscheidung).
8. Objektives technisches Problem
Das zu lösende objektive technische Problem kann dann so formuliert werden, dass die Bedienung der Banknotenbearbeitungsmaschine vereinfacht werden soll (siehe auch Seite 3, erster Absatz der ursprünglichen Beschreibung).
9. Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von D2 würde der Fachmann zwar jederzeit die Bedienung der Banknotenbearbeitungsmaschine vereinfachen wollen. Allerdings ist der primäre Zweck des in D2 offenbarten Verfahrens, festzustellen, ob eine Banknote echt oder gefälscht ist.
In diesem Zusammenhang sind die Anforderungen an die Genauigkeit der späteren Erkennung sehr hoch (siehe D2, Spalte 12, Zeile 36 bis Spalte 13, Zeile 2). Daher würde der Fachmann in diesem Rahmen nicht darauf verzichten, dass der Banknotenbearbeitungsmaschine für jede einzelne Banknote der zum Training des neuronalen Netzes und der Feststellung der Schwellwerte verwendeten Banknotenmenge bekannt ist, ob es sich um eine echte Banknote oder eine bekannte Fälschung handelt, wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht (Beschwerdebegründung, Seite 1, letzter Absatz).
Der Fachmann würde ausgehend von der D2 daher unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens nicht in Betracht ziehen, lediglich allgemein eine Rate der nicht umlauffähigen Banknoten nach Merkmal 1) mittels einer Ein-/Ausgabeeinrichtung vorzugeben und darauf basierend eine automatische Festlegung der Schwellenwerte nach Merkmal 2) vorzunehmen.
Die unterscheidenden Merkmale 1) und 2) werden in D1 ebenfalls nicht offenbart. Selbst durch eine Kombination der beiden Druckschriften D2 und D1 würde der Fachmann daher nicht zum Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 gelangen.
10. In Anbetracht des verfügbaren Standes der Technik beruht der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 daher auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ 1973.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche:
Nr. 1 bis 9, eingereicht mit Schreiben vom 28. September 2020
Beschreibung:
Seiten 1 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 28. September 2020
Figur:
Blatt 1 von 1 wie ursprünglich eingereicht