T 2619/17 21-10-2021
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DREHSCHWINGUNGSDÄMPFER
Neuheit - (nein)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
II. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
III. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und damit die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachteten Hilfsantrags, eingereicht mit Schreiben vom 5. April 2017 (Hauptantrag). Sie beantragte ferner, die Entgegenhaltungen D21 und D22 nicht in das Verfahren zuzulassen.
IV. Der Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[a] Drehschwingungsdämpfer, insbesondere geteiltes Schwungrad,
[b] mit wenigstens zwei entgegen dem Widerstand einer Energiespeichereinrichtung relativ zueinander verdrehbaren Schwungmassen (4,5),
[c] zwischen denen eine elastische Dichtmembraneinrichtung (20) angeordnet ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
[d] zwischen der Dichtmembraneinrichtung (20) und der einen Schwungmasse (4)
[e] ein Reibring (18) eingespannt ist,
[f] der durch mindestens ein Schnappverbindungselement (26)
[g] an der einen Schwungmasse (4)
[i] verlier- und
[h] verdrehgesichert befestigt ist.
V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Entgegenhaltung Bezug genommen:
D21: US 5,878,856
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung der D21 in das Verfahren
Der Antrag auf Nichtzulassung der Entgegenhaltung D21 sei verspätet und daher unter Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Neuheit
Die D21 offenbare sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags. Eine gewisse Elastizität der Dichtmembran ergebe sich insbesondere aus Spalte 6, Zeilen 31 bis 34, und Spalte 8, Zeilen 16 bis 26, der D21. Deshalb sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Zulassung der D21 in das Verfahren
Die Entgegenhaltung D21 sei nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätte eingereicht werden können. Zudem sei die D21 nicht prima facie relevant.
Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei neu gegenüber der Offenbarung der D21, da diese zum einen das Merkmal [i] nicht offenbare, wonach der Reibring an der einen Schwungmasse verliergesichert befestigt ist. Zum anderen offenbare die D21 keine Dichtmembran, die elastisch ist, wie in Merkmal [c] gefordert.
1. Zulassung der D21 in das Verfahren
1.1 Die Entgegenhaltung D21 wurde mit der Beschwerde-begründung eingereicht, um die fehlende Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit zu begründen. Im schriftlichen Verfahren wurde kein Antrag auf Nicht-Zulassung dieser Entgegenhaltung in das Beschwerdeverfahren gestellt. Am Tag der mündlichen Verhandlung stellte die Beschwerdegegnerin dann einen solchen Antrag. Die Beschwerdeführerin beantragte, diesen Antrag in Anwendung des Artikels 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Verfahren zuzulassen.
1.2 Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Beschwerdeerwiderung zu dem auf D21 basierenden Angriff in knapper Form Stellung genommen. Allerdings hat sie es unterlassen, die Zulassung der Entgegenhaltung in das Verfahren in Frage zu stellen. Auch sah die Kammer keinen Grund, dies ex officio zu tun, und hat in ihrem Ladungsbescheid vom 22. Juni 2021 die vorläufige Meinung geäußert, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des einzigen Antrags in Hinblick auf D21 nicht neu sei. Der Antrag auf Nicht-Zulassung der D21 am Tag der mündlichen Verhandlung, die am 21. Oktober 2021 stattfand, stellt vor diesem Hintergrund eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar. Die Beschwerdegegnerin konnte keinerlei Gründe aufzeigen, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen, die einen solch verspäteten Antrag rechtfertigen könnten. Das Fehlen von außergewöhnlichen Umständen wurde im Übrigen von der Beschwerdegegnerin explizit bestätigt. Die Kammer hat daher entschieden, den Antrag auf Nichtzulassung der D21 nicht zu berücksichtigen (Artikel 13 (2) VOBK 2020).
1.3 Die Beschwerdegegnerin führte an, dass die D21 prima facie nicht relevant sei. Dies ist allerdings für die Prüfung nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht ausschlaggebend. Im übrigen geht aus der Entscheidung der Kammer zur Neuheit hervor, dass die Kammer die D21 als durchaus prima facie relevant ansieht.
2. Neuheit
2.1 Die D21 offenbart unstreitig einen (Bezugnahmen in runden Klammern beziehen sich auf D21)
[a] Drehschwingungsdämpfer, insbesondere geteiltes Schwungrad ("inertial mass device"; siehe Spalte 5, Zeile 53 bis Spalte 6, Zeile 4; Figur 1),
[b] mit wenigstens zwei entgegen dem Widerstand einer Energiespeichereinrichtung ("elastic element" 7 of "damping device" 8, Spalte 5, Zeilen 61 bis 65) relativ zueinander verdrehbaren Schwungmassen ("input-side inertial mass" 1, "output-side inertial mass" 26 mit "hub disc" 12; siehe Spalte 5, Zeile 53 bis Spalte 6, Zeile 4; Spalte 6, Zeilen 26 bis 27; Figur 1),
[c-1] zwischen denen eine Dichtmembraneinrichtung angeordnet ist ("seal" 50; siehe Spalte 6, Zeilen 31 bis 34; Figur 1), wobei
[d] zwischen der Dichtmembraneinrichtung (50) und der einen Schwungmasse (26 mit 12; siehe Spalte 6, Zeilen 41 bis 43; Figur 1)
[e] ein Reibring eingespannt ist ("axial friction bearing" bzw. "axial plain bearing" 61; siehe Spalte 3, Zeile 44; Spalte 6, Zeilen 41 bis 43; Spalte 8, Zeilen 46 bis 47),
[f] der durch mindestens ein Schnappverbindungselement ("clips" 86; siehe Spalte 3, Zeile 65 bis Spalte 4, Zeile 7; Figur 7; Spalte 8, Zeilen 39 bis 50)
[g] an der einen Schwungmasse (26 mit 12)
[h] verdrehgesichert befestigt ist ("rotation lock"; siehe Spalte 3, Zeilen 39 bis 43 und Zeilen 65 bis 67; Spalte 4, Zeilen 4 bis 7; Spalte 8, Zeilen 39 bis 50; Anspruch 16).
2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte im schriftlichen Verfahren, dass die Entgegenhaltung D21 zwar eine Verdrehsicherung, jedoch keine Verliersicherung im Sinne des Streitpatents offenbare. Letztere bezöge sich auch auf den Zustand, in dem das Zweimassenschwungrad noch nicht komplett montiert ist, sodass eine Kontrolle beispielsweise über eine Kamera möglich ist, ob der Reibring verbaut ist oder nicht. Bei dem Merkmal [i] handle es sich folglich um ein Unterscheidungsmerkmal.
Die Möglichkeit der Kontrolle im nicht komplett montierten Zustand ist in Absatz [0008] der Beschreibung des Streitpatents beschrieben und bezieht sich auf eine Ausgestaltung, wonach das Schnappverbindungselement einen Schnapphaken umfasst, der in ein Durchgangsloch eingreift, das in der einen Schwungmasse ausgespart ist.Für Anspruch 1 bedeutet dieser Aspekt jedoch keine Einschränkung, da er sich nicht im Anspruchswortlaut niederschlägt.
Im Übrigen offenbart auch die D21, dass das Schnappverbindungselement einen Schnapphaken umfasst, der in ein Durchgangsloch eingreift, das in der einen Schwungmasse ausgespart ist (D21, Spalte 3, Zeile 65 bis Spalte 4, Zeile 7; Spalte 8, Zeilen 39 bis 50; Figur 7).
Die D21 offenbart folglich auch das Merkmal [i], wonach der Reibring an der einen Schwungmasse verliergesichert befestigt ist.
2.3 In der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdegegnerin ferner, dass in der D21 die Dichtung 50 nicht als "elastisch" beschrieben sei. Der allgemeine Begriff "Dichtung" ("seal") impliziere nicht das Vorliegen von Elastizität, vor allem da es auch Dichtungen gebe, die berührungsfrei arbeiten, wie beispielsweise Labyrinthdichtungen. Demgegenüber verbinde der Anspruch 1 des Streitpatents mit dem Begriff "elastisch" eine Funktion, nämlich, dass eine gewisse Federkraft in axialer Richtung anliegt. Daher sei das Merkmal [c] ein Unterscheidungsmerkmal.
Das Anspruchsmerkmal [c] spricht allgemein von einer elastischen Dichtmembraneinrichtung. Eine darüber hinaus gehende Definition des Begriffs "elastisch" findet sich im Anspruch nicht. Dies gilt auch für die von der Beschwerdegegnerin angeführte Funktion. Aus dem Anspruchswortlaut geht nicht hervor, dass die Dichtmembraneinrichtung eine gewisse Federkraft in axialer Richtung bewirkt. Bei dem Begriff "elastisch" handelt es sich folglich um ein breites Merkmal.
Die Dichtung 50 in der D21 wird derart beschrieben, dass sie einerseits eine Abdichtung gegen Schmiermittel bewirkt (D21, Spalte 6, Zeilen 31 bis 34) und andererseits Taumelbewegungen ausgesetzt ist (D21, Spalte 8, Zeilen 16 bis 26). Dies impliziert, dass die Dichtung 50 zumindest eine gewisse Elastizität aufweisen muss.
Die D21 offenbart folglich auch das Merkmal [c-2], wonach die Dichtmembraneinrichtung elastisch ist.
2.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher nicht neu (Artikel 54 EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.