T 0019/18 28-06-2022
Download und weitere Informationen:
BESCHICHTETES BESCHICHTUNGSANLAGENBAUTEIL, INSBESONDERE GLOCKENTELLER, UND ENTSPRECHENDES HERSTELLUNGSVERFAHREN
Mündliche Verhandlung - Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung
Parteifähigkeit - (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde - (ja)
Neuheit - Hauptantrag
Neuheit - Hilfsanträge 1 und 2
Neuheit - (nein)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Die Patentinhaberin legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 2 349 582 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde. Diese Fassung wurde im Einspruchsverfahren und im Beschwerdeverfahren als Hilfsantrag 3 bezeichnet.
Soweit auch die Einsprechende zunächst Beschwerde eingelegt hatte, nahm sie diese im Verlauf des Beschwerdeverfahrens zurück und hatte fortan die Parteistellung als Beschwerdegegnerin zur Beschwerde der Patentinhaberin inne.
II. Der Einspruch richtete sich gegen das Patent im gesamten Umfang und stützte sich auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit).
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit in Anbetracht der Offenbarung des Dokuments D1 (DE 10 2006 005 765 A1) der Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung entgegenstand und der jeweilige Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 nicht neu gegenüber der Offenbarung von D1 war.
Gegen diese Feststellungen der Einspruchsabteilung wandte sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
IV. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 8. Dezember 2020 teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerden zurückzuweisen wären.
V. Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2020 nahm die Einsprechende ihre Beschwerde zurück und teilte mit Schriftsatz vom 1. Juni 2022 mit, nicht an der anberaumten mündlichen Verhandlung teilzunehmen, ohne sich dabei weiter zur Sache zu äußern.
VI. Die Patentinhaberin bestritt mit Schriftsatz vom 28. Januar 2021 die Parteifähigkeit der Einsprechenden. Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2021 nahm die Patentinhaberin zur Kammermitteilung unter Formulierung einer Vorlagefrage an die Große Beschwerdekammer inhaltlich Stellung.
VII. Am 28. Juni 2022 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer unter Anwendung von Artikel 15 (3) VOBK 2020 und Regel 115 (2) EPÜ in Abwesenheit der Einsprechenden statt, in der die Sach- und Rechtslage mit der Patentinhaberin erörtert wurde. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VIII. Angesichts dessen, dass die Patentinhaberin nach der Rücknahme der Beschwerde der Einsprechenden im Verfahren alleinige Beschwerdeführerin war und insoweit alle ihre ursprünglich in Erwiderung auf die vormalige Beschwerde der Einsprechenden gestellten Hilfsanträge 3 bis 10 wegen des Verschlechterungsverbotes (reformatio in peius) verfahrensrechtlich obsolet wurden, stellte sich die insoweit bereinigte Antragslage der Patentinhaberin wie folgt dar:
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung als Hauptantrag,
und hilfsweise, bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis eines der Anspruchssätze gemäß Hilfsanträgen 1 und 2, die bereits Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren,
weiter hilfsweise
die Vorlage einer Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer.
IX. Die Einsprechende beantragte im schriftlichen Verfahren sinngemäß
die Zurückweisung der Beschwerde.
X. Anspruch 1 des Patents in erteilter Fassung gemäß Hauptantrag lautet:
"Beschichtungsanlagenbauteil (1), insbesondere Glockenteller (1) für einen Rotationszerstäuber (2), mit
a) einem formgebenden Grundkörper (4; 7) und
b) einem Funktionselement (5, 6; 8) zur mechanischen Versteifung des Beschichtungsanlagenbauteils (1), wobei das Funktionselement (5, 6; 8) aus einem Material mit einer größeren Massendichte besteht als der Grundkörper (4; 7), dadurch gekennzeichnet, dass
c) das Funktionselement (5, 6; 8) eine Beschichtung (5, 6; 8) ist, die mindestens teilweise auf den Grundkörper (4; 7) aufgebracht ist."
XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet (Änderungen gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hervorgehoben):
"Glockenteller[deleted: Beschichtungsanlagenbauteil] (1)[deleted: , insbesondere Glockenteller (1)] für einen Rotationszerstäuber (2), mit
a) einem formgebenden Grundkörper (4; 7) und
b) einem Funktionselement (5, 6; 8) zur mechanischen Versteifung des Glockentellers [deleted: Beschichtungsanlagenbauteils] (1), wobei das Funktionselement (5, 6; 8) aus einem Material mit einer größeren Massendichte besteht als der Grundkörper (4; 7),
dadurch gekennzeichnet, dass
c) das Funktionselement (5, 6; 8) eine Beschichtung (5, 6; 8) ist, die mindestens teilweise auf den Grundkörper (4; 7) aufgebracht ist."
XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 lautet (Änderungen gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hervorgehoben):
"Glockenteller[deleted: Beschichtungsanlagenbauteil] (1)[deleted: , insbesondere Glockenteller (1)] für einen Rotationszerstäuber (2), mit
a) einem formgebenden Grundkörper (4; 7) und
b) einem Funktionselement (5, 6; 8) zur mechanischen Versteifung des Glockentellers [deleted: Beschichtungsanlagenbauteils] (1), wobei das Funktionselement (5, 6; 8) aus einem Material mit einer größeren Massendichte und einer größere Zugfestigkeit besteht als der Grundkörper (4; 7),d
dadurch gekennzeichnet, dass
c) das Funktionselement (5, 6; 8) eine Beschichtung (5, 6; 8) ist, die mindestens teilweise auf den Grundkörper (4; 7) aufgebracht ist."
XIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Rechtliches Gehör
Die ordnungsgemäß geladene Einsprechende nahm, wie schriftsätzlich angekündigt, nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Ihr schriftsätzliches Vorbringen wurde berücksichtigt (Artikel 15 (3) VOBK 2020).
2. Parteifähigkeit der Einsprechenden
2.1 Die Patentinhaberin bestritt unter Verweis auf eine dem diesbezüglichen Schriftsatz vom 28. Januar 2021 beigefügte Pressemitteilung die Berechtigung der Einsprechenden, weiterhin im Beschwerdeverfahren als Partei aufzutreten.
Wie der Pressemitteilung zu entnehmen sei, habe die Einsprechende ihre Lackieranlagensparte verkauft. Das Streitpatent und damit auch der Einspruch beträfen offensichtlich den verkauften Geschäftsbereich. Es stelle sich daher die Frage, ob die Einsprechendenstellung mit dem verkauften Geschäftsbereich übergegangen sei. Die Einsprechendenstellung sei von Amts wegen zu überprüfen.
2.2 Der Patentinhaberin ist zwar zuzustimmen, dass die Kammer insbesondere bei Vorliegen von konkretisierten Anhaltspunkten eines möglichen Wegfalls der Parteifähigkeit die Einsprechendenstellung prüfen muss.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Kammer aber nicht zu eigenen Ermittlungen verpflichtet, insbesondere wenn die maßgeblichen Tatsachen ohne Mitwirkung einer Beteiligten schwer zu ermitteln sind (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammer [RdB], 10. Auflage 2022, V.A.3.3).
2.3 Die Einsprechende nahm zu der mit Schriftsatz vom 28. Januar 2021 aufgeworfenen Frage ihres derzeitigen Rechtstatus und dem diesbezüglichen Einwand der Patentinhaberin nicht Stellung.
2.4 Da die Kammer mangels Stellungnahme seitens der Einsprechenden keine Kenntnis über deren derzeitigen Rechtsstatus hat, die eine Beurteilung der Parteifähigkeit der Einsprechenden erlaubte, und diesen auch nicht selbst ermittelt, legt die Kammer ihrer Überprüfung den Tatsachenvortrag der Patentinhaberin mit der Pressemitteilung zugrunde.
Selbst wenn man den Tatsachenvortrag der Patentinhaberin als richtig ansähe, ist auf dessen Grundlage festzustellen, dass lediglich ein Geschäftsteil der Eisenmann SE übertragen wurde. Die Kammer erkennt hingegen nicht, dass der Einspruch mit dem Geschäftsteil übergegangen wäre.
Allein die Übertragung eines Geschäftsteils genügt jedoch nicht für eine rechtswirksame Übertragung der Parteistellung (siehe RdB, a.a.O., III.O.2).
Die von der Patentinhaberin vorgetragenen und der Kammer bekannten Tatsachen rechtfertigen daher nicht die Verneinung der zu Beginn des Verfahrens unstreitig ursprünglich vorhandenen Parteifähigkeit der Einsprechenden. Der Einsprechenden wird daher die Parteifähigkeit als Einsprechende und Beschwerdegegnerin nicht abgesprochen.
3. Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin
3.1 Die Kammer wies in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 unter Punkt 5.2 auf die folgende Sach- und Rechtslage zur Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin hin, die von keiner der Beteiligten in Frage gestellt oder kommentiert wurde. Die Kammer sieht keinen Grund, von ihrer diesbezüglichen vorläufigen Meinung abzurücken und bestätigt diese wie folgt.
3.2 Die Einsprechende brachte mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020 unter Punkt D einen Einwand der Unzulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin vor und begründete diesen damit, dass das Beschwerdevorbringen der Patentinhaberin zum Hauptantrag bezogen auf die Frage der Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung gegenüber der Offenbarung von Dokument D1 nicht substantiiert sei.
3.3 Die Einsprechende verkennt insoweit, dass, selbst wenn die Kammer ihrem Argument der mangelnden Substantiierung des Hauptantrages folgte, sich dies nicht auf die Zulässigkeit der Beschwerde auswirkte. Angesichts dessen, dass das Beschwerdebegehren der Patentinhaberin sich auch auf die Hilfsanträge 1 und 2 stützt, die ebenso wie der Hauptantrag von der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung mangels Neuheit für nicht patentfähig erachtet wurden, bezüglich derer die Einsprechende nicht die Unzulässigkeit der Beschwerde rügte, genügte dies für sich genommen, um die ansonsten nicht in Frage gestellte Zulässigkeit der Beschwerde zu bejahen. Soweit die Einsprechende in der Sache geltend machte, dass (auch) die Hilfsanträge nicht patentfähig wären, betrifft dies die Frage der Begründetheit, nicht aber die der Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin.
3.4 Unabhängig davon erachtet die Kammer das Beschwerdevorbringen der Patentinhaberin zum Hauptantrag wie auch zu den Hilfsanträgen 1 und 2 als substantiiert. Die Beschwerdebegründung gibt die rechtlichen und tatsächlichen Gründe an, aus denen sich eine angebliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu diesen Anträgen ergeben soll. Es besteht ein Bezug zwischen den Argumenten in der Beschwerdebegründung, Punkte D und K, aus welchen Gründen der jeweilige Anspruchsgegenstand entgegen den diesbezüglichen negativen Feststellungen der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung insbesondere neu sein soll.
Die Beschwerde ist daher zulässig.
4. Hauptantrag - Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)
4.1 Die Patentinhaberin wandte sich gegen die Feststellung unter Punkt II.3.1.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, dass die Offenbarung von Dokument D1 den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neuheitsschädlich vorwegnehme.
4.2 Dabei argumentierte die Patentinhaberin, dass D1 das Merkmal "zur mechanischen Versteifung" von Anspruch 1 nicht zeige. Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung sei das streitige Merkmal unter Rückgriff auf die Beschreibung, insbesondere Absatz [0013], des Streitpatents auszulegen. Bei der erforderlichen Auslegung des streitigen Merkmals unter Heranziehung der Beschreibung ergebe sich sowohl eine quantitative als auch qualitative Definition des streitigen Merkmals, die bei der Beurteilung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von D1 zu berücksichtigen sei und einen Unterschied zu D1 bilde (siehe Beschwerdebegründung Punkte D.2 bis D.7; Schriftsatz vom 8. Juni 2021, Punkt 3).
4.3 Die Argumentation der Patentinhaberin baute auf einem bestimmten engen Verständnis des Merkmals "zur mechanischen Versteifung" auf, das sich nur bei Rückgriff auf die Beschreibung zeige. Die Neuheitsargumente der Patentinhaberin basierten somit darauf, dass der Gegenstand von Anspruch 1 eng auszulegen sei und sich in dieser engen Auslegung der Unterschied zur Offenbarung von D1 ergebe. Die Unterscheidungsfähigkeit des streitigen Merkmals erwachse dann aus der engen Anspruchsauslegung.
4.4 Die Kammer ist von der Argumentation der Pateninhaberin nicht überzeugt. Denn das streitige Merkmal "zur mechanischen Versteifung" ist ein funktionelles Merkmal bzw. eine Zweckangabe, das als Unterscheidungsmerkmal im beanspruchten Produkt gegenüber der Offenbarung von D1 nur Relevanz erlangte, wenn es durch entsprechende Strukturmerkmale im Anspruch untermauert wäre. Entsprechende Strukturmerkmale, aus denen eine Unterscheidungsfähigkeit des Anspruchsgegenstands gegenüber D1 erwüchse, sind im Anspruch 1 jedoch nicht angegeben.
Im Gegensatz zur Patentinhaberin versteht die Kammer den Wortlaut von Anspruch 1 daher weit. Bei einem weiten Verständnis von Anspruch 1 ist jedoch kein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der Offenbarung von D1 zu erkennen.
Dadurch, dass das streitige Merkmal nicht strukturell formuliert ist, ist der Wortlaut von Anspruch 1 zwar weit gefasst, aber dennoch klar. Somit ergibt sich die Bedeutung und Reichweite des streitigen Merkmals aus sich selbst heraus. Folglich besteht entsprechend den Feststellungen der Einspruchsabteilung für die Fachperson keine Veranlassung, die Beschreibung zur Auslegung des Anspruchs 1 heranzuziehen.
4.5 Die Patentinhaberin räumte während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer selbst ein, dass, sollte die Kammer ihrer Argumentation zu einer engen Auslegung des Anspruchsgegenstands nicht folgen, der Gegenstand von Anspruch 1 keine Neuheit gegenüber der Offenbarung von D1 aufweise.
4.6 Da die Kammer von der Unrichtigkeit der Feststellungen der Einspruchsabteilung zur Anspruchsauslegung aus den oben unter Punkt 4.4 angegebenen Gründen nicht überzeugt ist, ist der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neu gegenüber der Offenbarung von D1.
5. Hilfsanträge 1 und 2 - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
5.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass das Beschichtungsanlagenbauteil ein Glockenteller ist.
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 definiert gegenüber dem Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 zusätzlich, dass das Funktionselement aus einem Material mit einer größeren Zugfestigkeit als der Grundkörper besteht.
5.2 Die Einspruchsabteilung stellte unter den Punkten II.4.1.2 und II.5.1.2 der angefochtenen Entscheidung fest, dass der jeweilige Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 nicht neu gegenüber der Offenbarung von D1 sei.
5.3 Die Patentinhaberin trug vor, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung zu den Hilfsanträgen 1 und 2 auf einer falschen Auslegung des Merkmals "zur mechanischen Versteifung" beruhe und verwies zur Vermeidung von Wiederholungen auf ihre Argumentation zum Hauptantrag.
5.4 Die Kammer folgt der Auffassung der Patentinhaberin aus den oben unter Punkt 4.4 zum Hauptantrag angegebenen Gründen nicht.
Der jeweilige Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 ist daher nicht neu gegenüber der Offenbarung von D1.
5.5 Da die Hilfsanträge 1 und 2 in der Sache nicht gewährbar sind, erübrigt sich eine Stellungnahme der Kammer zu der von der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 4. Juni 2020, Punkt F. Antrag 4, gerügten angeblichen Unzulässigkeit der Hilfsanträge 1 und 2.
6. Vorlage an die Große Beschwerdekammer
6.1 Die Patentinhaberin beantragte, falls die Kammer ihren Argumenten zur Anspruchsauslegung nicht folgen sollte, der Großen Beschwerdekammer folgende Frage vorzulegen:
"Kann bei der Anspruchsauslegung im Rahmen der Prüfung auf Patentfähigkeit auf die Auslegungsregeln gemäß Artikel 69 EPÜ und des zugehörigen Auslegungsprotokolls zurückgegriffen werden?"
6.2 Nach Artikel 112 (1) a) EPÜ kann eine Beschwerdekammer auf Antrag einer am Beschwerdeverfahren Beteiligten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt eine Frage an die Große Beschwerdekammer verweisen, wenn die Beschwerdekammer eine Entscheidung hierzu für erforderlich hält.
6.3 Die Kammer sieht jedoch im Hinblick auf eine fehlende Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung in der vorliegenden Sache keine Grundlage für die Vorlage der von der Patentinhaberin formulierten Rechtsfrage an die Große Beschwerdekammer (siehe RdB, a.a.O., V.B.2.3.3).
Denn die von der Patentinhaberin auf eine Anspruchsauslegung gerichtete Frage ist für die Entscheidung in der Sache nicht relevant. Vielmehr kommt es in der vorliegenden Sache darauf an, wie das Merkmal "zur mechanischen Versteifung" zu verstehen ist. Wie oben unter Punkt 4.4 ausgeführt, ist das streitige Merkmal eine Zweckangabe, die ohne Untermauerung durch strukturelle Merkmale keine Unterscheidungsfähigkeit zur Offenbarung von D1 entwickelt. Der beanspruchte Gegenstand ist in sich klar formuliert und bedarf daher entgegen der Ansicht der Patentinhaberin keiner Auslegung.
Damit ist die von der Patentinhaberin formulierte Voraussetzung "bei der Anspruchsauslegung im Rahmen der Prüfung auf Patentfähigkeit" nicht gegeben, so dass die formulierte Frage nicht streitentscheidend ist.
Eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist somit für die Entscheidung des Falles im Sinne von Artikel 112 (1) a) EPÜ nicht erforderlich.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.