T 0085/18 10-06-2021
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Induktives Bauelement mit verbesserten Kerneigenschaften
Nichtberücksichtigung im Beschwerdeverfahren eines Beweismittels, welches die Einspruchsabteilung zugelassen hat - (nein) - keine fehlerhafte Ermessensausübung
Neuheit - (nein)
Neuheit - Hauptantrag
Zulassung eines neuen Hilfsantrags im Beschwerdeverfahren - (nein) - neuer Hilfsantrag ist Kombination von Hilfsanträgen, die schon im Einspruchsverfahren gestellt wurden, Vorlage war schon im Einspruchsverfahren geboten
Zulassung neuer Beweismittel im Beschwerdeverfahren - (nein) - Dokumente hätten im Einspruchsverfahren vorgelegt werden können und sollen
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1a
I. Die vorliegenden Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 6. November 2017 über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 2 463 869 in Umfang des damaligen Hilfsantrages 2.
Dabei hatte die Einspruchsabteilung auf die folgenden Dokumente Bezug genommen, welche auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren entscheidungserheblich sind:
E4|DE 10 2006 026 466 B3 |
E5|Van den Bossche, A. and Valchev, V.C.: Inductors and Transformers for Power Electronics, Seite 318f., CRC Press Taylor & FrancisGroup, 2005, ISBN: 1-57444-679-7|
E7|EP 2 561 520 B1 |
Aus Gründen der Lesbarkeit werden im Folgenden die Verfahrensbeteiligten nur als Patentinhaberin oder Einsprechende bezeichnet, obwohl ihre Stellung im Beschwerdeverfahren die einer Beschwerdeführerin ist.
II. Die Einsprechende hatte mit ihrer Beschwerdebegründung die Dokumente E8 bis E19 zum ersten Mal im Verfahren vorgelegt. In Anbetracht der Entscheidungsgründe ist es nicht nötig, die Dokumente im Einzelnen zu identifizieren.
III. Die Kammer lud die Beteiligten am 8. Dezember 2020 zur mündlichen Verhandlung und teilte ihnen in einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1)VOBK ihre vorläufige Meinung mit.
IV. Am 10. Juni 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Schlussanträge der Verfahrensbeteiligten waren wie folgt:
Die Patentinhaberin beantragt
als Hauptantrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten,
hilfsweise, das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1, 1a, 2, 3, 3a, 4, 4a, 5, 5a, 6, 7 und 7a, in dieser Reihenfolge, aufrechtzuerhalten, wobei die Hilfsanträge 1 bis 7 mit ihrer Beschwerdeerwiderung und die Hilfsanträge 1a, 3a, 4a, 5a und 7a mit Schreiben vom 7. Mai 2021 eingereicht wurden.
Die Einsprechende beantragt,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (also wie erteilt) lautet wie folgt:
"Induktives Bauelement
mit einem Kern, umfassend einen Mittelbutzen (2) und endseitig an den Mittelbutzen (2) angrenzende äußere Kernteile (la,1b), und einer Wicklung (5), die zwischen dem Mittelbutzen (2) und den äußeren Kernteilen (la,1b) angeordnet ist,
wobei der Kern eine Mehrzahl von Kernbereichen (1,2) umfasst, die unterschiedliche magnetische Materialien enthalten, und der Mittelbutzen (2) Bereiche mit unterschiedlichen Materialien enthält."
VI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 weist zusätzlich zu den Merkmalen gemäß Hauptantrag das Merkmal
"bei dem beim Mittelbutzen (2) eine Schichtenfolge unterschiedlicher Materialien aufeinander geklebt ist oder verschraubt ist."
am Ende des Anspruchs auf.
Hilfsantrag 1 umfasst weiterhin einen zweiten unabhängigen Anspruch 13, dessen Wortlaut für die vorliegende Entscheidung aber nicht relevant ist und daher hier nicht wiedergegeben wird.
VII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1a enthält zusätzlich zu den Merkmalen gemäß Hauptantrag das Merkmal
"bei dem beim Mittelbutzen (2) eine Schichtenfolge unterschiedlicher Materialien verschraubt ist."
Dieser Anspruch ist der einzige unabhängige Anspruch von Hilfsantrag 1a. Dieser Antrag ist identisch zu dem damaligen Hilfsantrag 2, auf Grundlage dessen die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Streitpatents beschlossen hatte.
In Anbetracht des Tenors dieser Entscheidung wird der Wortlaut der Ansprüche gemäß der weiteren Hilfsanträge hier nicht wiedergegeben.
VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Dokument E7 sollte vom Beschwerdeverfahren ausgeschlossen werden. Es sei zu unrecht von der Einspruchsabteilung in das Einspruchsverfahren zugelassen worden. Dokument E7 sei nach Ablauf der Einspruchsfrist erst circa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt worden. Dies stelle einen Verfahrensmissbrauch dar. Dies sei von der Vertreterin der Patentinhaberin ihren persönlichen Notizen zufolge auch in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung so vorgetragen worden. Die Einspruchsabteilung habe daher nicht alle relevanten Umstände für ihre Ermessensausübung berücksichtigt, sondern einzig die Relevanz des Dokuments. Der Zeitraum zwischen Zustellung von DokumentE7 und mündlicher Verhandlung sei zu kurz gewesen, um aufE7 angemessen zu reagieren. Die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung habe die Patentinhaberin daher einseitig benachteiligt.
Zur Frage der Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag im Hinblick auf E7 machte die Patentinhaberin keine Ausführungen.
Hilfsantrag 1 sollte zugelassen werden. Dokument E7 sei erst circa einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt worden. Dies habe der Patentinhaberin nur drei Wochen Zeit gelassen, Hilfsanträge einzureichen. Ein so kurzer Zeitraum sei nicht ausreichend, um abschließend alle Möglichkeiten zur Abgrenzung des Streitpatents gegenüber diesem Dokument zu prüfen. Des Weiteren habe der Aspekt flanschförmiger Enden des Mittelbutzens, welcher nun als weiterer unabhängiger Anspruch in den Hilfsantrag 1 aufgenommen worden sei, bereits im Einspruchsverfahren als Hilfsantrag 4 vorgelegen und stelle damit kein völlig neues Vorbringen dar.
Die Dokumente E8 bis E19 sollten nicht zugelassen werden. Verbindungen per Verschraubung im Allgemeinen mögen bekannt sein. Anspruch 1 hingegen sei viel spezifischer. Die Patentinhaberin habe mehrfach im Einspruchsverfahren Nachweise für die Behauptung der Einsprechenden gefordert, dass eine Verschraubung des Mittelbutzens dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen sei. Ebenso habe eine Diskussion der Verschraubung des Mittelbutzens während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren stattgefunden. Die Dokumente E8 bis E19 hätten daher im Einspruchsverfahren vorgelegt werden müssen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1a beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dokument E5 offenbare nicht die Kombination aus unterschiedlichen magnetischen Materialien im Kern und Schichten unterschiedlicher Materialien im Mittelbutzen. Ebenso wenig sei E5 eine Verschraubung der Schichten des Mittelbutzens zu entnehmen. Die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften der Materialien im Mittelbutzen und den äußeren Kernteilen senke die Permeabilität und damit die elektrischen Verluste. Die Schichten unterschiedlicher Materialien im Kern erlaubten es, gewünschte Kerneigenschaften durch die gezielte Verwendung dieser Schichten einzustellen, auch wenn kein Material gefunden werden könne, dass diese gewünschten Materialeigenschaften als Vollmaterial bereitstellen würde. Damit sei durch die Schichtfolge eine größere Flexibilität im Design des induktiven Bauteils möglich. Die Verschraubung bewirke eine feste jedoch lösbare Verbindung des Kerns und die Anwendung einer einstellbaren Kraft auf die Schichten des Mittelbutzens. Dies werde in E5 nicht nahegelegt. Dort werde ein Mittelbutzen aus zum Rest des Kerns unterschiedlichem Material als streufeldarme Alternative zu einem Luftspalt offenbart. E4 offenbare zwar eine Schichtfolge im Mittelbutzen aber auch diese Schichtfolge sei eine weitere streufeldarmen Alternative zum Luftspalt. Eine Kombination aus unterschiedlichen Kernmaterialien und unterschiedlichen Schichten im Mittelbutzen werde hingegen durch die Kombination aus E4 und E5 nicht nahegelegt.
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Einsprechenden lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Dokument E7 sollte im Verfahren berücksichtigt werden. Es könne vorkommen, dass Dokumente bei einer Recherche nicht gefunden würden, wie auch dadurch belegt werde, dass Einsprüche trotz sorgfältiger Recherche des Europäischen Patentamts erfolgreich seien. Des Weiteren seien die drei Wochen, die der Patentinhaberin zur Verfügung gestanden haben, nicht so unangemessen kurz, dass eine Reaktion unmöglich war.
Zur Frage der Neuheit des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag im Hinblick auf E7 machte die Einsprechende keine weiteren Ausführungen.
Hilfsantrag 1 sei nicht zulässig, denn er hätte bereits im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren gestellt werden können. Die Tatsache, dass die unabhängigen Ansprüche 1 und 13 des Hilfsantrages 1 bereits als unabhängige Ansprüche von zwei separaten Hilfsanträgen 2 und 4 im Einspruchsverfahren eingereicht worden seien, zeige, dass die Patentinhaberin auch einen auf beide Ansprüche gerichteten Hilfsantrag hätte vorlegen können.
Die Dokumente E8 bis E19 sollten im Verfahren berücksichtigt werden. Zur vorläufigen Meinung der Kammer in Bezug auf die Zulässigkeit der Dokumente E8 und E9, wolle die Einsprechende nicht weiter vortragen. Bezüglich der Dokumente E10 bis E19 werde die Kammer gebeten zu bedenken, dass mit ihnen nachgewiesen werden solle, dass eine Verschraubung der Schichten des Mittelbutzens lediglich eine fachübliche Maßnahme sei. Oftmals werde ein einzelnes Patentdokument nicht als ausreichender Nachweis von allgemeinen Fachkenntnissen angesehen, daher sei die Einsprechende bemüht gewesen, durch eine größere Anzahl von Patentdokumenten diesen Nachweis zur Zufriedenheit der Kammer zu führen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1a beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend vom Ausführungsbeispiel gemäß Figur 8.17 des Dokuments E5 als nächstliegendem Stand der Technik unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrages 1a dadurch, dass einerseits der Mittelbutzen keine Materialien mit unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften aufweise und andererseits, dass diese Schichten verschraubt seien. Die technischen Wirkungen seien einerseits eine verbesserte thermische Ankopplung, da die Schichten durch die Verschraubung in gutem mechanischem Kontakt gehalten würden, andererseits die Optimierung der magnetischen Eigenschaften des Mittelkerns. Es bestünde also keine Synergie. Dokument E4 lehre einerseits, dass Verklebung lediglich eine beispielhafte Art der Befestigung sei und dass eine gute thermische Kopplung wünschenswert sei. Andererseits lehre E4 auch, dass durch Schichten mit unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften im Mittelbutzen die magnetischen Eigenschaften optimiert werden könnten. Daher würde der Fachmann durch E4 und sein Fachwissen angeregt, die anspruchsgemäße Lösung zu implementieren.
1. Zulässigkeit der Beschwerden
Beide Beschwerden wurden frist- und formgerecht eingereicht und erfüllen die Erfordernisse der Artikel 106 und 108 EPÜ, sowie der Regel 99 EPÜ. Sie sind daher zulässig.
2. Hauptantrag - Ausschluss von Dokument E7
2.1 Die Kammer berücksichtigt Dokument E7 im Beschwerdeverfahren.
2.2 Die Patentinhaberin vertritt die Ansicht, Dokument E7 hätte nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen werden dürfen. Es sei nämlich erst gut einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung und ohne Gründe für die Verspätung eingereicht worden. Dies sei verfahrensmissbräuchlich. Daher sollte E7 vom Beschwerdeverfahren ausgeschlossen werden.
2.3 Der Patentinhaberin ist insofern zuzustimmen, als dass Dokument E7 verspätet vorgelegt wurde, denn es wurde zumindest nach Ende der Neunmonatsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ eingereicht. Daher hatte die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 114 (2) EPÜ einen Ermessensspielraum bezüglich der Zulässigkeit dieses Dokuments. Eine Beschwerdekammer setzt sich in der Regel bei der Überprüfung der Ermessensausübung eines Organs der Vorinstanz nur über dessen Ermessensausübung hinweg, falls diese rechtsfehlerhaft war. Dies ist daher hier zu prüfen.
2.4 Die Einspruchsabteilung entschied, das Beweismittel E7 zuzulassen, da es auf den ersten Blick hochrelevanten Stand der Technik beinhaltete. Sie hat mit der prima facie Relevanz eines Beweismittels ein richtiges und wesentliches Kriterium bei der Prüfung der Zulässigkeit angewandt.
Der Patentinhaberin ist zwar zuzustimmen, dass die Relevanz nicht das einzige Kriterium darstellt, allerdings konnte sie ihren Einwand des Verfahrensmissbrauchs nicht weiter durch objektive Gründe untermauern und zwar weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren.
Ein Verfahrensmissbrauch impliziert ein bewusstes Fehlverhalten eines Verfahrensbeteiligten und nicht nur mangelnde Sorgfältigkeit. Ob die Einsprechende bewusst das Dokument E7 erst spät vorgelegt hat, geht aus dem Vortrag der Patentinhaberin nicht objektiv hervor. Es bleibt vielmehr bei einer Vermutung. Die Kammer bemerkt, dass das verspätete Auffinden eines relevanten Dokumentes - so wenig wünschenswert dies sein mag - vorkommen kann. Daher scheint es nicht gerechtfertigt aus der späten Vorlage eines Dokuments auf ein bewusstes Zurückhalten zu schließen. Der Niederschrift, welche die einzige offizielle Aufzeichnung der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung darstellt, ist nicht zu entnehmen, dass die Patentinhaberin überhaupt einen Verfahrensmissbrauch geltend gemacht hat. Die Behauptung der Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren, ihren persönlichen Notizen zufolge habe sie einen Verfahrensmissbrauch bemängelt, kann die Kammer nicht mehr überprüfen. Hier hätte ein Antrag auf Korrektur der Niederschrift durch die Patentinhaberin erfolgen müssen. Dies kann aber dahinstehen, denn die Patentinhaberin hat auch im Beschwerdeverfahren keine objektiv nachvollziehbaren Gründe genannt, die ihre Vermutung eines Verfahrensmissbrauchs untermauern könnten. Für die Einspruchsabteilung waren daher objektiv keine Umstände erkennbar, die auf einen Verfahrensmissbrauch hindeuteten. Sie hat damit also nicht rechtsfehlerhaft weitere Kriterien bei ihrer Ermessensausübung außer Acht gelassen.
Überdies wurde E7 zumindest einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt. Die Patentinhaberin hat vorgetragen, dieser Zeitraum sei zu kurz gewesen, um alle Möglichkeiten auszuschöpfen Hilfsanträge einzureichen. Die Kammer bemerkt hingegen, dass die Niederschrift, wie in der Frage des Vorbringens der Behauptung eines Verfahrensmissbrauchs, keinerlei Aufzeichnung darüber enthält, dass die Patentinhaberin dies gegenüber der Einspruchsabteilung überhaupt geäußert, geschweige denn substantiiert hätte. Die Kammer ist nicht der Auffassung, dass der Zeitraum eines Monats jedenfalls zu kurz sei, um auf ein neues Dokument wie die E7 zu reagieren. Besondere Umstände des Einzelfalles hat die Patentinhaberin weder im Einspruchs- noch im Beschwerdeverfahren vorgetragen. Die Kammer bemerkt auch, dass die Einspruchsabteilung ausweislich der Entscheidungsgründe 2.1 der angefochtenen Entscheidung in Betracht gezogen hat, dass E7 einfach auszuwerten sei. Ein weiterer Vortrag, der eine Benachteiligung der Patentinhaberin im konkreten Fall hätte plausibel machen können, lag der Einspruchsabteilung offenbar nicht vor. Zudem ist zu bemerken, dass auch die Relevanz des Dokuments E7 von der Patentinhaberin nicht bestritten wurde (siehe unten Punkt 3.)
Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung unter Berücksichtigung des Vortrages der Patentinhaberin ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat. Es bestehen daher keine Gründe die Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und E7 vom Verfahren auszuschließen.
3. Hauptantrag - Neuheit gegenüber E7
3.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages ist nicht neu gegenüber Dokument E7.
3.2 Die Patentinhaberin bestreitet nicht die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung, dass E7 neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (also wie erteilt) sei. Auch die Einsprechende hatte keine weiteren Bemerkungen.
Daher hat auch die Kammer keine Veranlassung, die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt in Frage zu stellen.
4. Hilfsantrag 1 - Zulässigkeit
4.1 Die Kammer übt ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007, anwendbar aufgrund von Artikel 25 (2) VOBK 2020, dahingehend aus, den Hilfsantrag 1 nicht in das Verfahren zuzulassen.
4.2 Gemäß Artikel 12 (4) VOBK hat die Kammer einen Ermessensspielraum, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten gestellt werden können. Beim Hilfsantrag 1 hat die Patentinhaberin den Anspruch 1 um die Alternative des Verklebens erweitert und einen zweiten abhängigen Anspruch hinzugefügt, der im Einspruchsverfahren als Hilfsantrag 4 vorgelegen hatte.
4.3 Die Kammer hat ein gewisses Verständnis dafür, dass die späte Vorlage des Dokumentes E7 der Patentinhaberin weniger Zeit als womöglich wünschenswert gelassen hat, alle Abgrenzungsmöglichkeiten gegenüber dem Dokument E7 auszuschöpfen. Allerdings bleibt die Tatsache, dass beide unabhängigen Ansprüche des Hilfsantrages 1 bereits als separate Hilfsanträge 2 und 4 im Einspruchsverfahren vorlagen. Die Entscheidung, beide zu einem Antrag zusammenzufassen, wäre sicherlich auch noch kurzfristig nach Zustellung von Dokument E7 nicht nur möglich, sondern auch geboten gewesen.
4.4 Die Patentinhaberin trug auch vor, sie habe durch die Einschränkung auf den Aspekt des Verklebens in Hilfsantrag 2 des Einspruchsverfahren ein Abgrenzung gegenüber einem Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber den Dokumenten E4 und E5 erreichen wollen, wohingegen im Beschwerdeverfahren eine Abgrenzung gegenüber einem Einwand mangelnder Neuheit gegenüber Dokument E7 bezweckt werde. Dies überzeugt die Kammer nicht, da beide Einwände auch schon im Einspruchsverfahren vorgetragen wurden. Die Patentinhaberin sah sich daher im Beschwerdeverfahren gegenüber dem Einspruchsverfahren keiner neuen Verfahrenssituation gegenübergestellt.
Aus dem Gesagten folgt, dass Hilfsantrag 1 bereits im Einspruchsverfahren hätte eingereicht werden können und sollen.
5. Hilfsantrag 1a - Zulässigkeit
Da der Hilfsantrag 1a identisch zum Hilfsantrag 2 des Einspruchverfahrens ist, auf Grundlage dessen die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung beschlossen hat, sieht die Kammer keinen Grund, ihn vom Verfahren auszuschließen. Die Kammer bemerkt weiterhin, dass die Einsprechende keinen Einwand gegen die Zulässigkeit des Hilfsantrags 1a erhoben hat.
6. Zulässigkeit der Dokumente E8 bis E19
6.1 Die Kammer lässt die Dokumente E8 bis E19 im Verfahren gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 unberücksichtigt.
6.2 Die Patentinhaberin hat die Dokumente E8 bis E19 zum ersten Mal mit ihrer Beschwerdebegründung vorgelegt. Die Beschwerdebegründung selbst enthielt keine Angaben zu der Frage, warum die Dokumente nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt wurden.
6.3 Der Aspekt der Verschraubung der Schichten des Mittelbutzens war bereits im erteilten abhängigen Anspruch 5 vorhanden. Zudem wurde in der Beschreibung des Streitpatents auch im Detail in Spalte 7, Zeilen 24 bis 55 seine technische Wirkung und mögliche Vorteile der Verschraubung spezifisch ausgeführt. Die Aufnahme dieses Aspekts konnte daher für die Einsprechende nicht so überraschend gewesen sein, dass die Vorlage weiterer Beweismittel erst im Beschwerdeverfahren geboten war. Hinzu kommt auch, dass die Einsprechende bereits im erstinstanzlichen Verfahren das hochrelevante Dokument E7 erst spät vorgelegt hat und auch dort eine stichhaltige Begründung schuldig geblieben ist. Des Weiteren lag der Hilfsantrag 2 zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vor, so dass auch in diesem Zeitraum die Einsprechende den Versuch hätte unternehmen können, Beweismittel für ihre Behauptung beizubringen.
6.4 Zu den Dokumenten E8 und E9 machte die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer keine weiteren Angaben. Zu den Dokumenten E10 bis E19 trug sie vor, sie versuche damit den Nachweis zu führen, dass die Verschraubung von Kernen induktiver Bauelemente lediglich allgemeines Fachwissen darstelle. Da einzelne Patentdokumente in der Regel nicht als Nachweise für allgemeines Fachwissen akzeptiert würden, lege sie eine große Zahl von Dokumenten vor, die überdies leicht auswertbar seien, da im Wesentlichen nur Figuren betrachtet werden müssen, um die Verschraubung zu erkennen.
Da aber eine Aufnahme des Aspektes des Verschraubens wie oben dargelegt von der Einsprechenden im Einspruchsverfahren zu erwarten war und ihr überdies zwei Monate zur Verfügung standen, um entsprechende Beweismittel vorzulegen, kann auch dieser Vortrag der Einsprechenden die Vorlage der Dokumente E10 bis E19 zum ersten Mal im Beschwerdeverfahren nicht rechtfertigen. Zumindest irgendein Beweismittel hätte bereits im Einspruchsverfahren angeboten werden können und sollen, auch auf die Gefahr hin, dass es nicht als ausreichend angesehen werden könnte.
7. Hilfsantrag 1a - Erfinderische Tätigkeit
7.1 Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1a beruht gegenüber den Dokumenten E5 und E4 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
7.2 Die Kammer hat keine Einwände gegen die Wahl von Dokument E5 als Ausgangspunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit durch die Einsprechende.
7.3 Dokument E5 offenbart, dass die Permeabilität des Mittelbutzens gesenkt werden sollte, um die Wechselstromverluste zu senken. Dies kann einerseits durch das Vorsehen eines Luftspaltes geschehen, wie in der Figur 8.18 gezeigt wird. Dies ist jedoch aufgrund der Streufelder eines solchen Luftspaltes nachteilig. Stattdessen schlägt E5 vor, einen "verteilten" Luftspalt vorzusehen, womit gemeint ist, dass der Mittelbutzen der E5 aus einem Material gefertigt ist, welches eine niedrigere Permeabilität ("low my") als das Material der übrigen Kernteile ("high my") aufweist.
Daher unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1a dadurch vom induktiven Bauelement gemäß Figur 8.17 von E5, dass
(a) der Mittelbutzen Bereiche mit unterschiedlichen Materialien enthält, und
(b) bei dem induktiven Element beim Mittelbutzen eine Schichtenfolge unterschiedlicher Materialien verschraubt ist.
Der technische Effekt, den Unterscheidungsmerkmal (a) bewirkt, besteht darin, eine größere Flexibilität in der Einstellung der magnetischen Eigenschaften des Kerns insgesamt zu erreichen. Es ist möglich, bei einem Mittelbutzen aus einheitlichem Material die Eigenschaften des Kerns in einem gewissen, durch die Erhältlichkeit geeigneter Materialien vorgegebenen Bereich einzustellen. Die Kammer findet das Argument der Patentinhaberin, durch eine Schichtstruktur könnten auch Materialien mit verschiedenen Eigenschaften gemischt werden, und dadurch die magnetischen Kerneigenschaften in einem demgegenüber erweiterten Bereich eingestellt werden, nachvollziehbar.
Die Einsprechende trug vor, die technische Wirkung der Schichtstruktur des Mittelbutzen sei es, die magnetischen Eigenschaften zu optimieren, was nach Auffassung der Kammer etwas unspezifischer als der eben genannte Effekt ist.
7.4 Die objektive technische Aufgabe, die durch das Unterscheidungsmerkmal (a) gelöst wird, ist daher ein induktives Bauelement bereitzustellen, bei dem die magnetischen Kerneigenschaften in einem weiteren Bereich einstellbar sind.
7.5 Die Lösung dieser Teilaufgabe wird nicht durch Dokument E4 nahegelegt. Dokument E4 lehrt nämlich, dass ein Luftspalt in einem Mittelbutzen eines induktiven Elementes Streufelder verursacht, welche in den angrenzenden Wicklungen durch den Skineffekt den Wechselstromwiderstand und damit die Verluste erhöhen. Als Lösung dieses Nachteils wird vorgeschlagen eine Schichtstruktur aus ferromagnetischen und nichtmagnetischen Schichten anstelle eines Luftspaltes vorzusehen, da eine solche Schichtstruktur zwar die Permeabilität des Mittelbutzens verringert, dabei aber geringere Streufelder als bei einem Luftspalt auftreten.
Diese Lehre stellt für den Fachmann keinen Anreiz zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe dar. Vielmehr wird in E4 eine weitere Alternative zu einem Luftspalt geboten, die denselben technischen Effekt hat, wie die Ausführungsform gemäß Figur 8.17 von E5. Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass der Fachmann in naheliegender Weise durch E4 einen Anreiz erhalten hätte, die Alternative zum Luftspalt mit unterschiedlichen Kernmaterialien gemäß nächstliegendem Stand der Technik und die Alternative einer Schichtfolge im Mittelbutzen gemäß E4 zu kombinieren, zumal der von der Patentinhaberin identifizierte technische Vorteil der größeren Flexibilität keiner der beiden Druckschriften zu entnehmen ist.
7.6 Da die Kammer zum Schluss kommt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 bereits aus diesem Grund gegenüber der Kombination der Dokumente E5 und E4 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, musste sie nicht mehr prüfen, ob eine Synergie zwischen den Unterscheidungsmerkmalen vorliegen könnte oder ob Verschraubung mehr als nur ein fachübliches Merkmal darstellt.
7.7 Die Einsprechende hat eine Anzahl weiterer Einwände wegen angeblich mangelnder erfinderischer Tätigkeit erhoben, die aber allesamt auf den nicht in das Verfahren zugelassenen Dokumenten E8 bis E19 beruhten. Ohne die zugrunde liegenden Beweismittel sind aber die Einwände nicht ausreichend substantiiert und überzeugen die Kammer nicht.
8. Schlussfolgerungen
Da Hilfsantrag 1a im Beschwerdeverfahren identisch zum aufrechterhaltenen Hilfsantrag 2 im Einspruchsverfahren ist, ist der Antrag der Patentinhaberin, das Streitpatent auf Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 1a aufrechtzuerhalten prozedural gleichbedeutend zu dem Antrag, die angefochtene Entscheidung zu bestätigen und die Beschwerden zurückzuweisen.
Die Kammer gibt diesem Antrag aus den oben genannten Gründen statt.
Der Antrag der Patentinhaberin auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung war nur für den Fall gestellt, dass Hilfsantrag 1a nicht patentfähig sei, was nicht der Fall ist. Die Kammer hatte daher hierüber nicht zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.