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T 3016/18 22-03-2022
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GLEITLAGERVERBUNDWERKSTOFF
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Erfinderische Tätigkeit - angemessene Erfolgserwartung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Änderung
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Das europäische Patent EP 2 545 200 B1 ("das Patent") betrifft einen Gleitlagerverbundwerkstoff und ein Gleitlagerelement aus diesem Verbundstoff.
II. Gegen das Patent hatte die Einsprechende Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgrund wurde mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ) geltend gemacht.
III. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, den Einspruch zurückzuweisen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende ("die Beschwerdeführerin") Beschwerde eingelegt. Sie beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin ("die Beschwerdegegnerin") beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geändertem Umfang auf Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 aufrechtzuerhalten.
V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit, dass der Einspruchsgrund der erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstehe.
VI. In Reaktion auf diese Mitteilung ergänzten die Beschwerdeführerin (Schreiben vom 4. Februar 2022) und die Beschwerdegegnerin (Schreiben vom 13. September 2021) jeweils ihre Argumente.
VII. Eine mündliche Verhandlung fand am 22. März 2022 als Videokonferenz statt. Im Rahmen dieser Verhandlung stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1)(a) EPÜ, welcher mit den Beteiligten diskutiert wurde.
VIII. Ansprüche
Anspruch 1 des Patents inklusive einer in der angefochtenen Entscheidung vorgeschlagenen Merkmalsgliederung lautet:
1.1 "Gleitlagerverbundwerkstoff (2) mit
1.2 einer Trägerschicht (4), insbesondere aus Stahl,
1.3 mit einer darauf aufgebrachten Schicht (6) aus
einem Lagermaterial, insbesondere auf Kupfer-
Basis oder Aluminium-Basis,
1.4 mit einer elektrisch oder chemisch
abgeschiedenen Zwischenschicht
1.5 und mit einer auf der Zwischenschicht elektrisch
oder chemisch abgeschiedenen Laufschicht (10),
dadurch gekennzeichnet,
1.6 dass die Zwischenschicht eine Nickeldispersions-
schicht (8) mit darin dispergierten
tribologisch wirksamen Bestandteilen (9) ist
und
1.7 dass die tribologisch wirksamen Bestandteile (9)
Graphit, Molybdändisulfid (MOS2), hexagonales
Bornitrid oder PTFE umfassen."
Der unabhängige Anspruch 7 lautet wie folgt:
"Gleitlagerelement für motorische oder motorennahe Anwendungen, insbesondere Gleitlagerschale oder -buchse oder Anlaufscheibe, hergestellt aus einem Gleitlagerverbundwerkstoff nach einem der vorstehenden Ansprüche."
Der Wortlaut der Ansprüche der weiteren Hilfsanträge 1 bis 5 spielt für diese Entscheidung keine Rolle.
IX. Stand der Technik
In der vorliegenden Entscheidung werden die folgenden Dokumente aus dem Einspruchsverfahren genannt:
E4: DE 10 2004 047 423 B3
E5: DE 35 03 859 A1
E6: DE 103 01 135 A1
E7: Hartung, Rüdiger et al.; "Tribologische
Nickel-Dispersionsschichten mit hexagonalem
Bornitrid", Galvanotechnik, Eugen G. Leuze
Verlag, Dezember 2008, Seiten 2931 bis 2939
E8: DE 103 37 030 A1
X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Ausgehend von E8 unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents dadurch, dass die Zwischenschicht in Form einer Nickeldispersionsschicht mit darin dispergierten tribologisch wirksamen Bestandteilen umfassend Graphit, Molybdändisulfid, hexagonales Bornitrid oder PTFE ausgebildet sei (Merkmale 1.6 und 1.7 des Anspruchs 1).
b) Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, das Notlaufverhalten der bereits vorhandenen Nickelschicht in dem gattungsgemäßen Gleitlagerverbundwerkstoff der E8 zu verbessern.
c) Die Dokumente E4 bis E7 belegten das Fachwissen zu den guten Gleit- und Verschleißeigenschaften von Nickeldispersionsschichten mit Festschmierstoffen.
Der Fachmann würde eine jeweils in E4 bis E7 beschriebene Nickeldispersionsschicht im Rahmen einer üblichen "Try and see" Situation als Zwischenschicht eines Gleitlagerverbundwerkstoffs ausprobieren. Es gebe keinerlei allgemeine technische Lehre und insbesondere auch kein Vorurteil, wonach zu erwarten wäre, dass die in E4 bis E7 beschriebenen Dispersionsschichten als Diffusionssperrschicht ungeeignet wären. Vielmehr lege insbesondere E7 durch den Hinweis auf den von Nickeldispersionsschichten erzielbaren guten Korrosionsschutz nahe, dass dementsprechend auch eine gute Diffusionssperrwirkung zu erwarten sei.
Daher sei es naheliegend, die aus E4 bis E7 jeweils bekannten Nickeldispersionsschichten als Nickelzwischenschicht in einem Verbundwerkstoff der E8 einzusetzen.
Sollte ein Vorurteil hinsichtlich der Eignung der Nickeldispersionsschichten als Diffusionssperre bestehen, müsse eine Beweislastumkehr erfolgen.
d) Die Angelegenheit sollte der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden, um Fragen zur Anwendung des Aufgabe-Lösungsansatzes zu klären.
XI. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Die Argumentation der Beschwerdeführerin lasse keine Zweifel daran aufkommen, dass die Begründung in der angefochtenen Entscheidung falsch sei. Die Beschwerdeführerin habe nicht gezeigt, dass es für einen Fachmann erkennbar gewesen sein soll, dass eine als Oberflächenschicht aufgebrachte Nickeldispersionsschicht als diffusionssperrende Zwischenschicht in einem Verbundwerkstoff gemäß E8 geeignet sei. Zumindest aufgrund des allgemeinen Fachwissens zu Diffusion in Metallgefügen sei dies nicht zu erwarten.
b) Die Argumentation der Beschwerdeführerin, insbesondere deren Formulierung der objektiven technischen Ausgabe, beruhe auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Ausgehend von E8 bestünde die objektive technische Aufgabe darin, ein Gleitlager mit geringerer Fressneigung und damit höherer Verschleißbeständigkeit bereitzustellen.
c) Ausgehend von E8 würde der Fachmann die Lehre von E4 bis E7 nicht in Erwägung ziehen, da diese Dokumente Nickelschichten für den Einsatz als Oberflächenschicht offenbarten. Ein Hinweis darauf, dass die in E4 bis E7 offenbarten Nickeldispersionsschichten auch die gemäß E8 für eine reine Nickelschicht beschriebene Funktionalität einer Diffusionssperre aufweisen könnten, sei in E4 bis E7 nicht enthalten.
d) Eine Vorlage der Angelegenheit an die Große Beschwerdekammer sei nicht erforderlich.
Hauptantrag - Artikel 100 a) EPÜ
1. Nächstliegender Stand der Technik
In Anlehnung an Absatz 13 der angefochtenen Entscheidung und das Vorbringen der Verfahrensbeteiligten bildet E8 den nächstliegenden Stand der Technik für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, da es ähnlich dem Patent einen Gleitlagerverbundwerkstoff betrifft.
Es ist unstreitig zwischen den Verfahrensbeteiligten, dass E8 in Anspruch 1 einen Gleitlagerverbundwerkstoff mit einer Trägerschicht, einer Lagermaterialschicht, einer Nickel-Zwischenschicht und einer Laufschicht offenbart.
Ebenfalls unbestritten ist die Funktion der Nickel-Zwischenschicht, die gemäß den Absätzen [0013] und [0025] von E8 als Diffusionssperre dient.
2. Unterscheidungsmerkmale
Es ist weiterhin unstreitig und in Übereinstimmung mit den Absätzen 15 und 16 der angefochtenen Entscheidung, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem in E8 offenbarten Verbundwerkstoff dadurch unterscheidet,
- dass die Zwischenschicht eine Nickeldispersions-
schicht mit darin dispergierten tribologisch
wirksamen Bestandteilen ist
- und dass die tribologisch wirksamen Bestandteile
Graphit, Molybdändisulfid (MoS2), hexagonales
Bornitrid oder PTFE umfassen
(Merkmale 1.6 und 1.7 gemäß Anspruch 1).
3. Zu erzielender Effekt
Der Einsatz der in Anspruch 1 definierten Nickeldispersionsschicht hat gemäß Absatz [0006] des Patents und wie von der Beschwerdeführerin ebenfalls zugestanden (siehe Beschwerdebegründung Seite 4, Abschnitt 1.3) den Effekt, dass die nickelbasierte Schicht nicht nur als Sperrschicht fungiert, sondern dass durch die in der Nickelschicht dispergierten tribologisch wirksamen Partikel (im folgenden: Festschmierstoffe) im Betrieb des Gleitlagerverbundwerkstoffs bzw. des daraus hergestellten Gleitlagers die Fressneigung bei lokalem Abtrag der Laufschicht reduziert wird.
4. Formulierung der objektiven technischen Aufgabe
4.1 Gemäß Absatz 24 der angefochtenen Entscheidung besteht das zu lösende technische Problem darin, den Verschleiß des Lagers zu reduzieren, die Notlaufeigenschaften zu verbessern und die Funktion der Diffusionssperre aufrecht zu erhalten.
4.2 Die Beschwerdeführerin formuliert die objektive Aufgabe dagegen enger. Für sie soll das Problem lediglich darin liegen, das Notlaufverhalten der bereits vorhandenen Nickelschicht in dem gattungsgemäßen Gleitlagerverbundwerkstoff zu verbessern.
Diese eng gefasste Aufgabenformulierung seitens der Beschwerdeführerin greift zwar einen Teilaspekt des in Absatz [0006] des Patents genannten Effets auf. Allerdings weist die von der Beschwerdeführerin gewählte Aufgabenformulierung dadurch bereits auf die Lösung der Aufgabe, da sie alleinig auf das Notlaufverhalten fokussiert und damit inhärent auf den vom Patent vorgeschlagenen Lösungsansatz (Einsatz tribologisch wirksamer Bestandteile) zur Reduzierung der Fressneigung weist. Eine derartige Formulierung der technischen Aufgabe ist gemäß ständiger Rechtsprechung zu vermeiden, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel I.D.4.3.1.
4.3 Die Kammer erachtet es daher unter Berücksichtigung der von ständiger Rechtsprechung entwickelten Vorgehensweise (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel I.D.4.1) als angebracht, die technische Aufgabe unter Berücksichtigung des in Absatz [0006] des Patents allgemein beschriebenen Effekts dahingehend zu formulieren, einen Gleitlagerverbundwerkstoff mit reduzierter Fressneigung bereitzustellen (siehe auch Absatz [0016] des Patents).
4.4 Ein weiterer Unterschied zwischen der Argumentation in Absatz 24 der angefochtenen Entscheidung und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin besteht darin, dass die Einspruchsabteilung in der Formulierung ihrer Problemstellung die Funktion der Nickelschicht als Diffusionssperre weiter berücksichtigt, während die Beschwerdeführerin dies als eine Selbstverständlichkeit ansieht, die der Fachmann bei der Modifikation des Verbundwerkstoff inhärent ohnehin berücksichtigt.
4.5 Unabhängig von der Frage, ob ein Fachmann die Beibehaltung der Funktion der Nickelschicht als Diffusionssperre als eine Selbstverständlichkeit bei der Lösung der objektiven Aufgabe berücksichtigt oder diese Selbstverständlichkeit als Teil der Aufgabenstellung formuliert, ist es somit unstreitig zwischen den Verfahrensbeteiligten, dass ein Fachmann eine Modifikation des Gleitlagerverbundwerkstoffes nur dann in naheliegender Art und Weise in Erwägung zieht, wenn dabei zu erwarten ist, dass die Diffusionssperrfunktion der Nickelschicht gemäß der Lehre in den Absätzen [0013] und [0025] der E8 gewährleistet bleibt.
5. Naheliegen der von Anspruch 1 vorgeschlagenen Lösung
5.1 Die Dokumente E4 bis E7 beschreiben Verbundwerkstoffe, die auf ihrer Oberfläche eine Nickeldispersionsschicht mit Festschmierstoffen wie Teflon (PTFE), Graphit, Molybdändisulfid (MoS2) und hexagonalen Bornitrid aufweisen, siehe
E4 (Ansprüche 1 und 8, Beispiele),
E5 (Anspruch 1),
E6 (Anspruch 11) und
E7 (Kapitel 3).
Die in diesen Dokumenten beschriebenen Nickelüberzüge aus einer Nickeldispersionsschicht sollen verbesserte Gleit- und Reibungseigenschaften aufweisen, siehe
E4, Absatz [0040],
E5, Seite 3, 1. Absatz,
E6, Anspruch 1 und
E7, Seite 2937, 4. Absatz.
Die Dokumente E4 bis E7 zeigen daher, dass eine oberflächlich aufgebrachte Nickeldispersionsschicht mit Festschmierstoffen gute Verschleißeigenschaften aufweist.
5.2 Weder Dokument E8 noch Dokumente E4 bis E7 liefern jedoch einen Anreiz für den Fachmann, die Nickelschicht in E8 durch die in E4 bis E7 beschriebenen Nickeldispersionsschichten zu ersetzen.
5.3 E8 zielt gemäß Absatz [0013] darauf ab, eine Nickelschicht einzusetzen, die dick genug ist, um ein Eindiffundieren von Nickel in die Zinn-Gleitschicht-Legierung zur Ausbildung einer Zinn-Nickelschicht bei gleichzeitiger Beibehaltung der Diffusionssperrwirkung der verbleibenden reinen Nickelschicht zu ermöglichen.
Eine Modifikation der verbleibenden reinen Nickelschicht, die als Diffusionssperrschicht fungiert, ist in E8 nicht vorgesehen. In E8 wird in Absatz [0013] vielmehr die übliche Vorgehensweise beschrieben, wonach eine Nickeldiffusionssperrschicht dünn ausgelegt ist, um notfalls schnell den Verschleiß in das darunterliegende Lagermetall zuzulassen.
5.4 Ausgehend von der technischen Lehre zu dieser üblichen Vorgangsweise würde ein Fachmann die tribologischen Eigenschaften der Nickelschicht nicht verbessern wollen, da diese Schicht ganz im Gegenteil notfalls schnell den Verschleiß in das darunterliegende Lagermetall zulassen soll.
5.5 Zudem offenbart keines der Dokumente E4 bis E7 die Eignung der dort genannten Nickeldispersionsschichten als Diffusionssperre in Gleitlagerverbundwerkstoffen. Da es unstreitig ist, dass der Fachmann die Funktionalität der Nickelschicht des Gleitlagers gemäß E8 als Diffusionssperrschicht bei jeder Modifikation beibehalten wollen würde, würde der Fachmann die Nickelschicht in E8 auch aus diesem Grund nicht durch eine Nickeldispersionsschicht aus E4 bis E7 ersetzen.
5.6 Gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin stellt E7 das am relevantesten sekundäre Dokument dar. Da E4 bis E6 keine weitergehenden Informationen im Vergleich zu E7 liefern, wird im Folgenden im Einklang mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Detail insbesondere auf E7 Bezug genommen.
5.7 E7 offenbart in Abschnitt "2 Festschmierstoffe allgemein" auf Seite 2931 die Bereiche, in denen Festschmierstoffe eingesetzt werden können. Diese können gemäß E7 "in allen Bereichen der Technik eingesetzt werden, wo übliche Schmierstoffe und Fette infolge der herrschenden extremen Temperaturen, Vakuum- und Strahlungsbedingungen sowie des Vorliegens von Mangel- oder Grenzreibungsbedingungen versagen", also gemäß diesen Ausführungen auf bzw. in Oberflächenschichten. Im Weiteren zählt E7 zwar in der rechten Spalte auf Seite 2931 einige der wichtigsten Anwendungsfälle für Festschmierstoffe im Maschinenbau auf und nennt dabei insbesondere auch Gleitlager und Buchsen. Diese beispielhaft aufgezählten Einsatzorte sind allerdings im Zusammenhang mit den zuvor genannten einleitenden Ausführungen in Abschnitt 2 zu lesen. E7 offenbart daher in Abschnitt 2 den üblichen Einsatzort von Festschmierstoffen auf Oberflächen von Gleitlagern, auf denen üblicherweise Schmierstoffe und Fette eingesetzt werden, nicht aber den Einsatz von Festschmierstoffen in Zwischenschichten mehrlagiger Verbundstrukturen derartiger Gleitlager.
Im weiteren offenbart E7 im Detail tribologische Nickel-Dispersionsschichten mit hexagonalem Bornitrid als Festschmierstoff, siehe Titel und Abschnitt 3. Auch in Abschnitt 3 werden zwar unter anderem die guten Verschleißeigenschaften derartiger Schichten offenbart. Die Eignung derartiger Schichten als eine Zwischenschicht eines Verbundwerkstoffes, insbesondere als Diffusionssperrschicht wird darin jedoch nicht offenbart.
Dazu gibt auch der Abschnitt "5 Zusammenfassung" keine unmittelbare technische Lehre. Dort wird lediglich offenbart, dass bisherige Triboschichten vorteilhaft ersetzt werden können, da die Nickel-Dispersionsschichten mit hexagonalem Bornitrid einen niedrigen Reibungskoeffizienten, eine hohe Härte, eine sehr gute Korrosionsbeständigkeit und hohe Temperaturbeständigkeit aufweisen, sowie in der Lage sind, direkt Lasten aufzunehmen.
5.8 Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin liefert die Nennung der Korrosionsbeständigkeit der Nickeldispersionsschicht in E7 keinen unmittelbaren Hinweis darauf, dass diese auch als Diffusionssperre eingesetzt werden kann. Der von Nickelschichten erzielbare Korrosionsschutz beruht auf der Ausbildung einer Passivierungsschicht aus Nickeloxid an der Oberfläche der Nickelschicht. Eine derartige Nickelschicht mit einer passivierten Oberfläche ist als Zwischenschicht in einem Gleitlagerverbundwerkstoff völlig ungeeignet, da die Oxidschicht eine Haftung der weiteren Schichten verhindert. Daher kann der durch die Passivierung hervorgerufene Korrosionsschutz für eine Nickeloberflächenschicht keine technische Lehre zu einer Diffusionssperrwirkung einer Nickelzwischenschicht eines Verbundwerkstoffs liefern. Zudem sind die chemischen bzw. physikalischen Mechanismen einer Korrosion einerseits und einer Diffusion andererseits unterschiedlich.
E7 gibt daher wie auch E4 bis E6 keinen konkreten Hinweis, dass die darin beschriebenen Nickeldispersionsschichten die für Gleitlagerverbundwerkstoffe erforderliche Diffusionssperrwirkung einer üblicherweise eingesetzten reinen Nickelschicht aufweisen und damit einen funktionierenden Schichtenverbund zu der darunter liegenden Lagermetallschicht und zu der darüber abgeschiedenen Laufschicht herzustellen vermögen, wenn sie als Zwischenschicht in einem Gleitlagerverbundwerkstoff gemäß E8 eingesetzt werden.
5.9 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass kein vermeintliches Vorurteil belegt worden sei, wonach der Fachmann von den in den Nickelschichten von E4 bis E7 dispergierten Bestandteilen eine Verschlechterung der Diffusionssperrwirkung erwarten konnte, scheint an der Sache vorbeizugehen. Aus dem Fehlen eines Belegs für ein vermeintliches Vorurteil kann jedenfalls nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass der Fachmann inhärent erkennen hätte können, dass die in den Dokumenten E4 bis E7 beschriebenen, oberflächlich aufgebrachten Nickeldispersionsschichten ebenfalls die für den Schichtaufbau gemäß E8 erforderliche Diffusionssperrwirkung aufweisen. Im Stand der Technik gibt es hierfür kein Anzeichen.
5.10 Auch das Argument der Beschwerdeführerin, wonach es eine Umkehr der Beweislast darstelle, wenn gezeigt werden müsste, dass eine aus E4 bis E7 bekannte Nickeldispersionsschicht auch für den in E8 beschriebenen Einsatzzweck als Diffusionssperre geeignet sei, ist nicht überzeugend.
Um das Naheliegen einer Modifikation einer Ausführungsform im Stand der Technik zu belegen, sind übliche, von einem Fachmann selbstverständlich in Betracht kommende technische Fragen und Einschränkungen zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall ist folglich zu berücksichtigen, ob bei einer Modifikation eines bekannten Schichtaufbaus eines Gleitlagerverbundwerkstoffs zu erwarten ist, dass die entsprechenden, essentiellen Funktionen der einzelnen Schichten erhalten bleiben.
Das erforderliche Aufzeigen der Eignung einer alternativen Ausführungsform für einen im nächstliegenden Stand der Technik beschriebenen Einsatzzweck durch die Partei, die das Naheliegen belegen möchte, stellt daher keine Umkehr der Beweislast dar.
5.11 Ferner könnte ein Fachmann zwar eine gegebene Schicht eines Schichtverbundes theoretisch durch jede willkürlich gewählte alternative Schicht ersetzten.
Ein Fachmann würde dies im Rahmen von "Try and see"-Situationen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel I.D.7.2) allerdings nur dann innerhalb seines üblichen, routinemäßigen Vorgehens in Erwägung ziehen, wenn es sich bei den möglichen Alternativen um Schichten handelt, die bekanntermaßen die gewünschte Funktionalität der zu ersetzenden Schicht aufweisen.
Gerade diese Ausgangsbedingung ist aber im vorliegenden Fall für die in E4 bis E7 beschriebenen Nickeldispersionsschichten nicht gegeben.
Daher würde ein Fachmann die Lehre der Dokumente E4 bis E7 hinsichtlich einer oberflächlich aufgebrachten, verschleißresistenten Nickeldispersionsschicht für einen Einsatz als diffusionssperrende Zwischenschicht gemäß der Lehre in E8 im Rahmen einer "Try and see"-Situation nicht in Betracht ziehen.
6. In Abwesenheit einer erkennbaren Eignung der oberflächlich aufgebrachten Nickeldispersionsschicht gemäß E4 bis E7 als diffusionssperrende Zwischenschicht ist es daher in Unkenntnis der Erfindung nicht naheliegend, diese in E8 als Alternative zu der darin beschriebenen Diffusionssperrschicht aus reinem Nickel einzusetzen.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents mithin nicht entgegen.
Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer
7. Die Beschwerdeführerin stellte den Antrag, folgende Fragen bzw. Fragestellungen der Großen Beschwerdekammer vorzulegen:
"1. Die Beschwerdekammer hat in Ihrer vorläufigen Stellungnahme den Standpunkt geäußert,, dass [von der Einsprechenden] zu zeigen sei, dass bei einer vermeintlich naheliegenden Modifikation eines bekannten Schichtaufbaus eines Gleitlagerverbundwerkstoffes zu erwarten ist, dass die entsprechenden, essentiellen Funktionen der einzelnen Schichten erhalten bleiben."
Die Funktionen sind im nächstliegenden Stand der Technik zweifelsfrei dieselben. Es gibt darüber hinaus keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Funktionen durch die Modifikation verloren gehen. Die Annahme, dass dies passieren könnte stellt nach Auffassung der Einsprechenden und Beschwerdeführerin ein nicht bewiesenes Vorurteil dar. Die Rechtsprechung hat hierzu den Grundsatz aufgestellt, dass in solchen Fällen die Beweislast beim Patentinhaber liegt und dass für den Beleg dieses Vorurteils ein hoher Maßstab an die Beweisführung anzulegen ist, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern I.D.-10.2.
Es wird in der Auffassung der Beschwerdekammer im vorliegenden Fall ein Abweichen von diesem Grundsatz gesehen, der den Antrag begründet.
2. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass nach korrekter Anwendung des Problem-Lösungsansatzes die Aufgabe ausgehend von E8 nur sein kann, die Notlaufeigenschaften des Nickel-Sperrschicht zu verbessern. Ansonsten gibt es keine erkennbare Wirkung der Modifikation, die unmittelbar und kausal mit den technischen Merkmalen der beanspruchten Erfindung zusammenhängen. Eine hiervon abweichende Auffassung wäre mit der geltenden Rechtsprechung nicht vereinbar, vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern I.D-4.1.
Auch hierin würde ein Abweichen von in der Rechtsprechung etablierten Grundsätzen erkannt, was den Antrag begründet."
7.1 Nach Artikel 112 (1)(a) EPÜ befasst eine Beschwerdekammer die Große Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung oder wenn sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten, wenn die Beschwerdekammer hierzu eine Entscheidung für erforderlich hält.
7.2 Ob eine Beschwerdekammer die Große Beschwerdekammer nach Artikel 112 (1) a) EPÜ befasst, liegt im Ermessen der Beschwerdekammer (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel V.B.2.3.2).
7.3 Die von der Beschwerdeführerin angesprochenen Fragestellungen beziehen sich stark auf die technischen Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles. Einerseits werden dadurch technische Fragen in die Fragestellung mitaufgenommen, obwohl nur Rechtsfragen an die Große Beschwerdekammer vorgelegt werden können (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel V.B.2.3.4). Insbesondere die Frage, ob bei der Modifikation des bekannten Schichtaufbaus eines Gleitlagerverbundwerkstoffes zu erwarten ist, dass die entsprechenden, essentiellen Funktionen der einzelnen Schichten erhalten bleiben, ist primär technischer Natur. Andererseits kommt den Fragestellungen aufgrund der Bezugnahme auf die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles auch keine grundsätzliche Bedeutung zu, da hierfür die Relevanz für eine beträchtliche Zahl vergleichbarer Fälle erforderlich wäre (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel V.B.2.3.7). Dies betrifft insbesondere die Frage, wie die objektive Aufgabe im vorliegenden Einzelfall ausgehend von Dokument E8 zu formulieren ist.
7.4 Soweit die von der Beschwerdeführerin angeführten Fragestellungen eine allgemeine Rechtsfrage zur Beweislast für den Beleg eines Vorurteils betreffen, besteht entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kein Widerspruch zwischen der Auffassung der Beschwerdekammer und jener Auffassung, die in Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel I.D.10.2, wiedergegeben wird.
7.5 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit manchmal durch den Nachweis erreicht werden, dass ein bekanntes Vorurteil, d. h. eine weit verbreitete, aber falsche Vorstellung von einem technischen Sachverhalt, überwunden werden musste. In solchen Fällen liegt die Beweislast bei der Patentinhaberin (oder Anmelderin), die belegen muss, dass das geltend gemachte und zu überwindende Vorurteil tatsächlich bestand (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel I.D.10.2). Das Bestehen eines technischen Vorurteils kann in Zweifelsfällen als Hilfserwägung für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit herangezogen werden. Dies stellt jedoch keinen Ersatz für die technisch-fachmännische Bewertung der Erfindung gegenüber dem Stand der Technik dar (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, Kapitel I.D.10.1).
7.6 Im gegenständlichen Fall hat sich die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin nicht auf das Bestehen und die Überwindung eines Vorurteils in der Fachwelt berufen. Die Bezugnahme auf ein solches angebliches Vorurteil erfolgte ausschließlich von der beschwerdeführenden Einsprechenden. Nach Ansicht der Kammer liegt auch kein Vorurteil im Sinne der genannten Rechtsprechung vor.
7.7 Grundsätzlich wenden die Beschwerdekammern bei der Beurteilung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre, den "could-would approach" an. Die technische Möglichkeit und das Fehlen von Hindernissen ("could") sind dabei nur notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzungen dafür, dass der Fachmann ein bekanntes technisches Mittel mit einer zu modifizierenden Vorrichtung kombiniert. Darüber hinaus muss gezeigt werden, dass im Stand der Technik ein Anhaltspunkt bzw. eine Veranlassung dafür erkennbar war, das bekannte Mittel und die zu modifizierende Vorrichtung zur Erreichung des angestrebten technischen Ziels miteinander zu kombinieren. Es muss also gezeigt werden, dass der Fachmann eine solche Kombination auch tatsächlich vorgenommen hätte ("would"). Was der mit der objektiven technischen Aufgabe betraute Fachmann ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik tun oder nicht tun würde, hängt dabei nicht nur von der Offenbarung im nächstliegenden Stand der Technik ab, sondern auch vom Stand der Technik auf dem betreffenden technischen Gebiet (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage, 2019, Kapitel I.D.5).
7.8 Wie vorhin ausgeführt, fehlt es an einer konkreten Veranlassung im Stand der Technik, die den Fachmann dazu bewogen hätte, die Nickelschicht in E8 durch die in E4 bis E7 beschriebenen Nickeldispersionsschichten zu ersetzen. Dass das Bestehen einer solchen Veranlassung von der beschwerdeführenden Einsprechenden zu zeigen ist, hat nichts mit der Beweislastumkehr bei Heranziehen von Beweisanzeichen ("secondary indicia") durch eine Patentinhaberin zu tun, zumal die Beschwerdegegnerin solche Beweisanzeichen auch gar nicht herangezogen hat. Ebenso wenig stellt das erforderliche Aufzeigen der Eignung einer alternativen Ausführungsform für einen im nächstliegenden Stand der Technik beschriebenen Einsatzzweck eine solche Umkehr der Beweislast dar.
7.9 Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer ist daher zurückzuweisen.
8. Die Beschwerde der Einsprechenden hat daher keinen Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.