T 1459/20 (Blechformteil/BMW) 09-11-2022
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VERFAHREN UND FERTIGUNGSANLAGE ZUM HERSTELLEN EINES WARMUMGEFORMTEN ODER PRESSGEHÄRTETEN BLECHFORMTEILS MIT EINER METALLISCHEN KORROSIONSSCHUTZBESCHICHTUNG, SOWIE HIERMIT HERGESTELLTES BLECHFORMTEIL UND FAHRZEUGKAROSSERIE MIT SOLCHEM BLECHFORMTEIL
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Kombinationserfindung (ja)
Weitere Einwände wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP-B-2 890 821 in geänderter Form auf Basis des damaligen vierten Hilfsantrages aufrechtzuerhalten.
II. Unter anderem waren die folgenden für diese Entscheidung relevanten Dokumente Gegenstand im Einspruchsverfahren:
D2 |DE 10 2006 006 910 B3 |
D6 |H.W. Belz, "DELTA-TONE, eine anorganische Beschichtung mit hohen Korrosionsschutzeigenschaften", Sonderdruck aus Heft Nr. 6, Band 83 der Fachzeitschrift "Galvanotechnik", 1992, Eugen G. Leuze Verlag, Saulgau, Seiten 1 und 3 bis 8|
D22|DE 10 2009 053 368 A1 |
III. Die Einspruchsabteilung war unter anderem zum Schluss gekommen, dass der damalige vierte Hilfsantrag die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ erfüllt.
IV. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin zusätzlich das folgenden Dokument eingereicht:
D27|DE 10 2009 034 869 A1|
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents lautet wie folgt:
"1. Verfahren zum Herstellen eines mit einer metallischen Korrosionsschutzbeschichtung versehenen und aus einem höherfesten Stahlblechmaterial mit einer Blechstärke von maximal 3 mm und einer Zugfestigkeit von mindestens 1400 MPa gebildeten Blechformteils (P), umfassend die folgenden Schritte:
- Presshärten eines bereitgestellten blanken Ausgangsblechmaterials zu einem pressgehärteten Blechformteil;
- Reinigen des pressgehärteten Blechformteils; und
- Beschichten des pressgehärteten Blechformteils durch Eintauchen in ein Tauchbad mit einer mehrere Einzelschichten umfassenden Zinklamellenbeschichtung (C), die in mehreren Aufbringschritten und Einbrennschritten aufgebracht worden ist."
Die abhängigen Ansprüche 2 und 3 betreffen bevorzugte Ausführungsformen.
VII. Die entscheidungswesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin werden wie folgt zusammengefasst:
Das mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D27 sei zuzulassen.
Das Streitpatent verletze die Erfordernisse von Artikel
56 EPÜ insbesondere gegenüber den Kombinationen von
- D22 mit D6 und, insofern zugelassen, D27.
- D22 mit D2 und, insofern zugelassen, D27.
Dabei stellten die unterscheidenden Merkmale Zinklamellenbeschichtung und mehrlagige mittels mehrerer Aufbring- und Einbrennschritte erzeugte Beschichtung lediglich eine Merkmalsaggregation dar. Eine Kombination von D22 mit mehreren anderen Dokumenten und dem allgemeinen Fachwissen sei daher zulässig, um die entsprechenden Teilaufgaben zu lösen. Diese wären:
- Vermeiden der Gefahr der Wasserstoffversprödung
- Beschichtung auch von schwer zugänglichen Stellen
- Erzielen eines hohen Korrosionsschutzes
Das Streitpatent enthalte auch keine Beispiele, die das erfolgreiche Lösen der Aufgabe belegen würden.
Da die Beschreibung des Streitpatents darauf abzielt, auch schlecht zugängliche Stellen am Blechformteil zu beschichten, würde der Fachmann in D6 die Alternative des Tauchzentrierverfahrens auswählen.
Die Alternative des Einbrennens in D27 sei die Regel, während die Aushärtung bei Normalbedingungen nur die Ausnahme sei.
Der Fachmann würde lediglich das Aufbringen einer einzelnen Schicht vorsehen, wenn dies die Anforderungen des "Salzsprühtests" bzgl. der Korrosion erfüllen würde. Weitere Schichten stellten dagegen eine verschlechterte Ausführungsform dar, die mit erhöhter Verfahrensdauer und erhöhten Kosten einhergehen würde.
Das Streitpatent verletze die Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ aber auch gegenüber zahlreichen anderen Dokumentenkombinationen, die von anderen Dokumenten als nächstliegendem Stand der Technik ausgehen. Diese Kombinationen seien jedoch weiter von der Erfindung entfernt als die Kombinationen ausgehend von D22.
VIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) spiegeln sich in den folgenden Entscheidungsgründen wider.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
Vierter Hilfsantrag (von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltene Ansprüche)
1. Neuheit
In ihrem Schreiben vom 9. September 2022 hat die Beschwerdeführerin bestätigt, dass sie keine Neuheitseinwände hat.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Blechformteils.
2.2 Die Beschwerdeführerin sieht D22 als nächstliegenden Stand der Technik an und verweist insbesondere auf die Abschnitte [0005], [0006], [0011], [0012] und [0021].
D22 offenbart ebenfalls ein Verfahren zum Herstellen eines Blechformteils mit einer metallischen Korrosionsschutzbeschichtung (Absätze [0001] und [0005]; Anspruch 1).
Die Blechstärke beträgt maximal 3 mm (Abschnitt [0006]). Ein blankes Ausgangsblechmaterial wird pressgehärtet und optional gereinigt (Abschnitte [0011], [0012] und [0021]).
Das Blechmaterial wird anschließend elektrolytisch/galvanisch beschichtet (Abschnitt [0005]).
Nach Abschnitt [0006] beträgt die Zugfestigkeit explizit zwar nur mindestens 1100 MPa, aber da im Streitpatent und in D22 die gleichen Rohmaterialien vom Typ 16MnB5, 19MnB5 oder 22MnB5 verwendet (D22:, Abschnitt [0021]; Streitpatent: Abschnitt [0006], vorletzte Zeile von Spalte 3) und pressgehärtet werden beträgt die Zugfestigkeit implizit mindestens 1400 MPa, was nicht bestritten worden ist.
Da das Dokument D22 das gleiche technische Gebiet betrifft, eine sehr ähnliche Aufgabenstellung hat und mehrere übereinstimmende Merkmale mit dem Gegenstand von Anspruch 1 aufweist, ist es ein geeigneter Startpunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit.
2.3 Laut Streitpatent ist die zu lösende Aufgabe das Bereitstellen eines Beschichtungsverfahrens mit verbessertem Korrosionsverhalten und verbesserter Oberflächenqualität (Abschnitt [0006], insbesondere Spalte 3, Zeilen 38 bis 44).
2.4 Es wird vorgeschlagen, diese Aufgabe durch das Verfahren nach Anspruch 1 zu lösen, welches dadurch charakterisiert ist:
- dass es sich bei der Beschichtung um eine Zinklamellenbeschichtung handelt und
- dass das Verfahren mehrere Aufbring- und Einbrennschritte umfasst.
2.5 Die Beschwerdeführerin erkennt an, dass mit Anspruch 1 des vierten Hilfsantrags ein Verfahren bereitgestellt wird, welches vor Korrosion schützt und durch die Verwendung der Zinklamellenbeschichtung die Gefahr der "Wasserstoffversprödung" umgeht.
Auch wenn das Streitpatent keine Beispiele diesbezüglich enthält, ist es glaubhaft, dass aus der Anwendung von mehreren Aufbring- und Einbrennschritten ein verbesserter Korrosionsschutz nach einem Steinschlag resultiert. Dadurch kann eine der oberen Schichten beschädigt werden, während die darunterliegenden Schichten immer noch intakt sind und vor Korrosion schützen.
Das Streitpatent enthält zwar keine Beispiele, die diesen Effekt belegen, aber die Beschwerdeführerin hat auch keinen Gegenbeweis beigebracht.
Die zu lösende Aufgabe ist daher das Bereitstellen einer Beschichtung mit verbessertem Korrosionsschutz, die insbesondere gegen durch Wasserstoffversprödung verursachte Korrosion schützt.
2.6 Bei der technischen Aufgabe und der vorgeschlagenen Lösung handelt es sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht lediglich um unterschiedliche Teilaufgaben und -lösungen.
Die Zinklamellenbeschichtung und das mehrmalige Aufbringen und Einbrennen zu mehreren Schichten sind keine bloße Aneinanderreihung von Merkmalen. Diese Merkmale sind vielmehr miteinander verknüpft und resultieren in Kombination in einer Beschichtung mit verbessertem Korrosionsschutz. So wird beispielsweise dann, wenn eine obere Schicht durch Steinschlag beschädigt wird, in den darunterliegenden Schichten trotzdem eine durch Wasserstoffversprödung begünstigte Korrosion vermieden. Die Merkmale unterstützen sich daher gegenseitig, und somit liegt eine funktionelle Wechselwirkung zwischen diesen Merkmalen vor (s.a. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, I.D.9.3.1).
2.7 Aus den folgenden Gründen liegt eine erfinderische Tätigkeit vor.
Die Beschwerdeführerin führt D6 und nun zusätzlich auch D27 an, um zu belegen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 naheliegend sei.
D6 betrifft ebenfalls Korrosionsschutzbeschichtungen mittels Zinklamellenbeschichtung, welche im Gegensatz zu einer galvanischen Beschichtung die Wasserstoffversprödung vermeiden (Seite 3, linke Spalte, "Allgemeines").
Eine Kombination von D22 mit D6 führt jedoch nicht zum Ziel, da selbst im Falle einer Mehrfachauswahl nicht alle Merkmale von Anspruch 1 des vierten Hilfsantrages offenbart sind:
- D6 offenbart auf den Seiten 5 bis 7 vier alternative Verfahren, die zur Zinklamellenbeschichtung führen: das Tauchzentrifugierverfahren, das Tauchverfahren, das Spincoating und das elektrostatische Spritzverfahren.
Zumindest beim Spincoating und beim elektrostatischen Spritzverfahren geschieht jedoch kein anspruchsgemäßes "Eintauchen in ein Tauchbad", da bei diesen Verfahren das Werkstück lediglich "benetzt" bzw. die Beschichtung durch "Verspritzen" aufgetragen wird.
- Lediglich das Tauchzentrifugierverfahren (nicht aber das Tauchverfahren und die beiden anderen in D6 genannten Aufbringverfahren) sieht "mehrere Einzelschichten" und "mehrere Aufbringschritte" (der die beiden Spalten der Seite 6 überbrückende Abschnitt), allerdings mit nur einem einzigen Einbrennschritt (Abb.6).
- Auch die drei anderen Verfahren zum Aufbringen der Zinklamellenschicht werden nur mit einem einzigen Einbrennschritt offenbart (Seite 3, erster Absatz der rechten Spalte).
Selbst die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass der Fachmann nur eine einzige Schicht auftragen und einbrennen würde, insofern bereits dies die Norm des Salzsprühtests bzgl. der Korrosion erfülle. Das Auftragen weiterer Schichten würde nur durchgeführt, wenn mit einer Schicht die Norm nicht erfüllt werden würde, und hätte verfahrenstechnisch große Nachteile, insbesondere bzgl. Kosten und Dauer. Daher stelle dies eine verschlechterte Ausführungsform dar.
Dieses Argument überzeugt jedoch nicht. Ein mehrmaliges Auftragen/Einbrennen geht möglicherweise tatsächlich über die Anforderungen des Salzsprühtests hinaus, hat aber die obengenannten Vorteile bei Steinschlag.
Die Beschwerdeführerin räumt zudem ein, dass eine Kombination von D22 mit D6 im Vergleich zum vierten Hauptantrag lediglich zu einer "naheliegenden Variation" führt, die "geringfügig weiterzuentwickeln" sei, um zum Gegenstand von Anspruch 1 zu gelangen (vorletzter vollständiger Absatz auf Seite 32 der Beschwerdebegründung).
Die Beschwerdeführerin führt bzgl. des mehrfachen Einbrennschrittes zusätzlich noch das Dokument D27 an, welches in Abschnitt [0012] in Hinblick auf den Stand der Technik ein mehrfaches Aushärten offenbart.
Laut Abschnitt [0011] von D27 kann das Aushärten jedoch je nach Umständen unter Normalbedingungen stattfinden, während es unter anderen Umständen bei hohen Temperaturen zwischen 120°C und 350°C stattfinden kann oder sogar muss.
Abgesehen von der bereits zuvor erwähnten Frage der Zulässigkeit dieses Dokuments, die in Anbetracht der in der Folge gezogenen Schlussfolgerungen keiner Diskussion bedarf, deutet bereits die Verwendung des weiteren Kombinationsdokuments D27 (zusätzlich zu D6) auf einen weiteren notwendigen Schritt und auf eine rückschauende Betrachtungsweise hin. Zudem ist innerhalb dieses zusätzlichen Dokuments D27 noch eine weitere Auswahl nötig, um zum beanspruchten Einbrennen zu gelangen, nämlich dass das mehrfache Aushärten in Abschnitt [0013] jeweils unter hohen Temperaturen geschieht und somit "Einbrennschritte" darstellt.
Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach die Fachperson aus diesen beiden Alternativen fast zwangsläufig das Einbrennen wählen würde, überzeugt nicht. Auch wenn das Einbrennen einen breiteren Anwendungsbereich hat, würde der Fachmann es nicht zwangsläufig anwenden.
Da sich der Gegenstand von Anspruch 1 wie gezeigt lediglich durch eine mosaikartige Zusammenschau der Dokumente D22, D6 und D27 ergibt, ist der Gegenstand von Anspruch 1 des vierten Hilfsantrages im Sinne von Artikel 56 EPÜ erfinderisch.
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob D27 im Beschwerdeverfahren berücksichtigt wird (Artikel 12 (4) VOBK 2020).
2.8 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin führt auch die Kombination von D22 mit D2 und D27 zum Gegenstand von Anspruch 1.
Der Offenbarungsgehalt von D2 ist dem von D6 jedoch sehr ähnlich. So spricht auch D2 das Problem der Wasserstoffversprödung an und nennt als eine Alternative die Korrosionsschutzbeschichtung mittels Zinklamellenbeschichtung (Abschnitte [0007], [0008] und [0013]). D2 offenbart ebenfalls die Möglichkeit einer Mehrfachbeschichtung, allerdings ebenfalls nur in Kombination mit einem einfachen Einbrennen (Abschnitt [0034] "vor dem Einbrennen" (Hervorhebung durch die Kammer); das mehrfache Trocknen, welches ebenfalls in Abschnitt [0034] genannt wird, kann nicht mit einem mehrfachen Einbrennen gleichgesetzt werden.
Da der Offenbarungsgehalt von D2 dem von D6 entspricht, kann auch die Kombination von D22 mit D2 und D27 nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 führen.
2.9 Die Beschwerdeführerin führte noch zahlreiche weitere Einwände in Hinsicht auf die erfinderische Tätigkeit an, welche von anderen Dokumenten als D22 ausgehen.
Die Beschwerdeführerin hatte aber in der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren erklärt, dass diese Dokumentenkombinationen, welche in Hinsicht auf Artikel 56 EPÜ für die höherrangigen Anträge vorgebracht worden waren, weiter von der Erfindung des vierten Hilfsantrages entfernt seien, als die Kombination von D22 mit D6 (siehe den vorletzten vollständigen Absatz auf Seite 11 der angefochtenen Entscheidung).
Da, wie zuvor ausgeführt, die Einwände im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit ausgehend vom (von der Beschwerdeführerin zugestandenen) nächstliegenden Stand der Technik nicht erfolgreich sind, kann die Diskussion weiter entfernt liegender Dokumente nur zu demselben Resultat führen.
Folgerichtig bestätigte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass ihre Einwände nur auf D22 in Kombination mit D6 und D27, bzw. in Kombination mit D2 und D27 basierten (siehe Protokoll der mündlichen Verhandlung).
Somit muss auch die Frage der Zulässigkeit der weiteren Einwände unter Artikel 56 EPÜ nicht abgehandelt werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.