T 1288/21 27-01-2023
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WINDKRAFTGETRIEBE
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderung des Vorbringens - Gründe warum Änderung im Beschwerdeverfahren erfolgt (nein)
Änderung des Vorbringens - Änderung zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 464 894 nach Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass keiner der erhobenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen zitiert:
D1 CN 201358892 Y
D2 US 2008 0202269 A1
Das folgende weitere, in Absatz 0005 der Patentschrift genannte Beweismittel wird in der vorliegenden Entscheidung behandelt:
D5 KR 2011 128054 A
III. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
IV. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde oder die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 oder 2, beide eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung am 7. Januar 2022. Außerdem beantragt sie, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen oder sie als unbegründet zurückzuweisen. Sie beantragt die Nicht-Zulassung des Dokuments D5 sowie der von D5 und von D1 ausgehenden Argumentationslinien gegen die erfinderische Tätigkeit und der Argumentationslinie gegen die ausreichende Offenbarung der Erfindung.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 27. Januar 2023 in Anwesenheit aller Parteien statt.
VI. Die unabhängige Ansprüche des für diese Entscheidung relevanten Hauptantrags (erteilte Fassung) haben den folgenden Wortlaut:
"1. Windkraftgetriebe mit einer schnelllaufenden Stirnradstufe (23, 29), aufweisend ein HSS-Stirnrad (23) mit einer Nabe und einem Zahnkranz und ein damit kämmendes HSS-Ritzel auf einer HSS-Ritzelwelle (29), wobei das HSS-Stirnrad (23) direkt in einem Getriebegehäuse (22) des Windkraftgetriebes gelagert ist und eine Sonnenradwelle (20) einer der schnelllaufenden Stirnradstufe (23, 29) vorgeschalteten Getriebestufe (11, 19, 20) direkt mit dem HSS-Stirnrad (23) gekoppelt (15) ist, wobei das HSS-Stirnrad (23) zwischen der Nabe und dem Zahnkranz einen außermittigen Steg aufweist und zwischen der Nabe und dem Zahnkranz ein Raum für eine Lageranordnung (24) des HSS-Stirnrades (23) ausgebildet ist, wo die Lageranordnung (24) radial zwischen dem Zahnkranz und der Nabe angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Lageranordnung (24) ein Lager (24) umfasst, das zwischen einem Trägerelement (25), das mit dem Getriebegehäuse (22) verbunden ist, und einem radial
weiter außen verlaufenden Innenumfang des HSS- Stirnrads (23) angeordnet ist."
"2. Windkraftgetriebe mit einer schnelllaufenden Stirnradstufe (23, 29), aufweisend ein HSS-Stirnrad (23) mit einer Nabe und einem Zahnkranz und ein damit kämmendes HSS-Ritzel auf einer HSS-Ritzelwelle (29), wobei das HSS-Stirnrad (23) direkt in einem Getriebegehäuse (22) des Windkraftgetriebes gelagert ist und eine Sonnenradwelle (20) einer der schnelllaufenden Stirnradstufe (23, 29) vorgeschalteten Getriebestufe (11, 19, 20) direkt mit dem HSS-Stirnrad (23) gekoppelt (15) ist, wobei das HSS-Stirnrad (23) zwischen der Nabe und dem Zahnkranz einen außermittigen Steg aufweist und zwischen der Nabe und dem Zahnkranz ein Raum für eine Lageranordnung (24) des HSS-Stirnrades (23) ausgebildet ist, wo die Lageranordnung (24) radial zwischen dem Zahnkranz und der Nabe angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Lageranordnung (24) ein Lager (24) umfasst, das als Gleitlager (37) ausgebildet ist, und das zwischen einem Trägerelement (25), das mit dem Getriebegehäuse (22) verbunden ist, und einem radial weiter innen verlaufenden Außenumfang des HSS-Stirnrads (23) angeordnet ist."
VII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die Beschwerde sei zulässig. Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht ausreichend offenbart. Das Dokument D5 und der von D5 ausgehende Angriff gegen die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 2 seien zum Verfahren zuzulassen. Anspruch 1 beruhe ausgehend von D1 in Zusammenschau mit D2 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
VIII. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Die Beschwerde sei als unzulässig zu verwerfen, da die Beschwerdebegründung keinen zum Beschwerdeverfahren zuzulassenden Sachvortrag enthalte. Das Dokument D5 sowie die von D5 und von D1 ausgehenden Argumentations-linien gegen die erfinderische Tätigkeit und die Argumentationslinie gegen die ausreichende Offenbarung der Erfindung seien nicht zuzulassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe gegenüber dem angezogenen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin zweifelt die Zulässigkeit der Beschwerde an und verweist dazu auf ihren schriftlichen Vortrag. In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung hat die Patentinhaberin ausgeführt, dass die Beschwerdebegründung keinen zum Beschwerdeverfahren zuzulassenden Sachvortrag enthalte. Die ausgehend von D1 entwickelte objektive technische Aufgabe und der Vortrag zur mangelnden Ausführbarkeit des Merkmals Steg seien gegenüber dem Einspruchs-verfahren geändert worden. Der Vortrag zur Kombinierbarkeit von D1 mit D2, die Vorlage der Dokumente D5 und D6, sowie die auf einer Kombination von D5 mit dem Fachwissen, mit D4 oder mit D6 beruhenden Angriffe hätten bereits im Einspruchs-verfahren erfolgen müssen. All das sei nach Artikel 12(4) VOBK 2020 nicht zum Verfahren zuzulassen, so dass die Beschwerde in Ermangelung eines zulässigen Beschwerdegegenstands als Ganzes unzulässig sei, siehe den Absatz 2 der Erwiderung der Patentinhaberin auf die Beschwerde.
Die Kammer sieht das anders.
1.2 Laut der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die gesamte Beschwerde zulässig, sofern ein Einwand gegen die angefochtene Entscheidung in einer der
Regel 99 (2) EPÜ entsprechenden Weise vorgetragen wurde. Zudem sind Beschwerden von Einsprechenden bereits dann ausreichend begründet, wenn substanziiert dargelegt ist, dass die angefochtene Entscheidung bei einem einzigen der geltend gemachten Einspruchsgründe oder Einwände nicht zutreffend ist, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, V.A.2.6.3.d) und 2.8.
1.3 Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer stellte die Beschwerdegegnerin das Gedankenexperiment an, wonach nichts mehr von der Beschwerdebegründung übrig bliebe, falls man darin alle erstmals im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Angriffe nicht berücksichtige.
Die Kammer ist nicht von dieser Sichtweise überzeugt, da die Beschwerdebegründung dieselben rechtlichen Gründe angibt wie die angegriffene Entscheidung (Beschwerdebegründung, Absätze I und II: "Mangelnde erfinderische Tätigkeit", Absatz III: "Nicht ausführbare Offenbarung"). Zudem wird im Hinblick auf die faktischen Gründe, aus denen sich nach Ansicht der Beschwerdeführerin die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt, ausgeführt, weshalb der Begriff "Steg" in Anspruch 1 nicht ausreichend offenbart sei (Beschwerdebegründung, Seite 6, wonach eine Auslegung des Stegs als Verbindungsstruktur zwischen Nabe und Verzahnung nicht näher gestützt werde) und weshalb die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags gegen Artikel 56 EPÜ verstoßen (Beschwerdebegründung, Seite 3 oben, wonach D2 einen außermittigen Steg zwischen Nabe und Zahnkranz des HSS-Stirnrades sowie ein in diesem Bereich angeordnetes Lager nahelege; Seiten 4 und 5, wonach der Gegenstand von Anspruch 2 ausgehend von D5 nahegelegt werde). Außerdem wurde der von D1 ausgehende Angriff in Kombination mit D2 gegen die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 des Hauptantrags bereits in der angefochtenen Entscheidung behandelt, siehe Absatz 10.1 der Entscheidungsgründe.
1.4 Aus diesen Gründen setzt sich nach Auffassung der Kammer der Tatsachenvortrag der Beschwerdeführerin mit den Gründen der Entscheidung zur Auslegung eines Stegs und zur erfinderischen Tätigkeit von Anspruch 1 in Bezug auf D1 und D2 auseinander. Mithin kann die Kammer ohne großen Aufwand anhand der Beschwerdebegründung verstehen, warum die Entscheidung nach Auffassung der Beschwerdeführerin falsch war. Die Beschwerde erfüllt somit die Erfordernisse des Artikel 108 und der Regel 99 (2) EPÜ.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Windkraftgetriebe mit einer schnelllaufenden Stirnradstufe, die ein HSS-Stirnrad 23 und ein damit kämmendes HSS-Ritzel auf einer HSS-Stirnradwelle 29 aufweist, siehe die Figur 2 der Patentschrift. Ein solches Getriebe ist beispielsweise als zweistufiges Planetengetriebe ausgebildet. Darin erhöht eine auf die zweite Planetenstufe folgende schnelllaufende Stufe (HSS oder High Speed Stage) wegen der Übersetzung zwischen ihrem Ritzel und dem mit dem Planentengetriebe gekoppelten größeren HSS-Stirnrad 23 die relativ langsame Drehzahl des Rotors für den an die HSS-Stirnradwelle angeschlossenen Generator. Das HSS-Stirnrad weist zwischen seiner Nabe und seinem Zahnkranz einen außermittigen Steg auf, der z.B. an den in Figur 2 der Patentschrift dargestellten linken, rotorseitigen Rand von Nabe und Zahnkranz angrenzt.
Auf diese Weise wird zwischen Nabe und Zahnkranz ein Raum für die Lageranordnung 24 ausgebildet, so dass auf eine zusätzliche, mit der Sonnenradwelle 20 der letzten Planetenstufe gekoppelte und im Getriebegehäuse 22 gelagerte Hohlwelle 38 zur Aufnahme des HSS-Stirnrades 23 verzichtet werden kann, siehe den in Figur 1 der Patentschrift dargestellten Stand der Technik. Im Gegensatz zu diesem Stand der Technik umfasst die im Streitpatent beschriebene Lageranordnung ein Lager zwischen einem Trägerelement 25 des Getriebegehäuses 22
und einem radial weiter außen verlaufenden Innenumfang des HSS-Stirnrades laut Anspruch 1 (die zur Drehachse weisende Seite des Zahnkranzes, siehe die Figuren 2 und 5), oder zwischen dem Trägerelement 25 und einem radial weiter innen verlaufenden Innenumfang des HSS-Stirnrades laut Anspruch 2 (die zum Zahnkranz weisende Seite der Nabe, siehe die Figuren 6 und 7).
Durch diese Anordnungen können Kosten eingespart und die Servicefähigkeit erhöht werden, siehe Absatz 0014 der Patentschrift.
3. Hauptantrag - ausreichende Offenbarung
Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet den von der Patentinhaberin unterstützten Befund der angefochtenen Entscheidung, wonach das Patent die in den Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrags beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass eine Fachperson sie ausführen kann.
3.1 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wurde der in den Ansprüchen 1 und 2 genannte Steg von der Einspruchs-abteilung als eine Verbindungsstruktur zwischen Nabe und Verzahnung angesehen, was durch das Streitpatents nicht näher gestützt werde. Vielmehr widerspreche die wortsinngemäße Bedeutung des Begriffes "Steg" einer solchen Auslegung, da ein Steg eine Plattform entspreche, die sich von einem Ufer aus ins Wasser erstreckt und dort endet. Eine Plattform hingegen, die ein Ufer mit einem anderen Ufer verbindet, sei eine Brücke. Übertragen auf das Streitpatent hätte die Verbindungsstruktur zwischen Nabe und Verzahnung als Brücke oder Ufer bezeichnet werden müssen, während die (sich am HSS-Stirnrad ausgehend von der Verbindungs-struktur zwischen Nabe und Verzahnung erstreckende) Lageraufnahme einem Steg entspreche. Daher sei es nicht möglich, die Erfindung auszuführen.
Die Kammer sieht das anders.
3.2 Im Gegensatz zur Sichtweise der Beschwerdeführerin beanspruchen die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags einen Steg nicht per se, sondern in der konkreten Anordnung zwischen der Nabe und dem Zahnkranz des HSS-Stirnrades ("wobei das HSS-Stirnrad (23) zwischen der Nabe und dem Zahnkranz einen außermittigen Steg aufweist"). Es gehört zum allgemeinen Fachwissen auf dem Gebiet der Zahnräder, dass der radial außen angeordnete Zahnkranz und die radial innen angeordnete Nabe eines Zahnrades durch eine dazwischen liegende, weitere Struktur miteinander verbunden sind. Das wird von der Beschwerdeführerin auch so gesehen und zudem durch die Ausführungsbeispiele in den Figuren 2 bis 7 bestätigt, wo die Nabe und der Zahnkranz des HSS-Stirnrades 23 zusammen mit einer sich links oder rechts der Lageranordnung 24 befindenden senkrechten Verbindungsstruktur die Lageranordnung umschließen. Da der außermittige Steg laut den Ansprüchen 1 und 2 bereits zwischen der Nabe und dem Zahnkranz angeordnet sein muss, betrifft die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, ob eine Verbindungsstruktur zwischen Nabe und Zahnkranz als Steg anzusehen sei, die Klarheit der Ansprüche. Diese ist jedoch im vorliegenden Fall nach G3/14 für die erteilten Ansprüche 1 und 2 nicht zu prüfen.
3.3 Im Hinblick auf die Frage der ausreichenden Offenbarung muss nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerde-kammern die Patentschrift als Ganzes berücksichtigt werden, wobei die Zeichnungen einen gleichrangigen Bestandteil der Patentschrift bilden. Da die unbestritten unter die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags fallenden Figuren 2 bis 7 neben der oben genannten Verbindungsstruktur keine weitere Struktur zwischen Nabe und Zahnkranz zeigen, wird die Fachperson nach Überzeugung der Kammer diese Verbindungsstruktur auch ohne gesondertes Bezugszeichen in den Figuren oder eine diesbezügliche Definition in der Beschreibung als anspruchsgemäßen Steg ansehen. Das gilt umso mehr, da die Verbindungsstruktur in diesen Figuren gegenüber dem Zahnkranz des HSS-Stirnrades 23 außermittig angeordnet ist - in den Figuren 2, 3 und 5 bis 7 befindet sie sich am linken Rand, und in Figur 4 am rechten Rand des Zahnrades. Auch im Lichte der Beschreibung ergibt sich eine widerspruchsfreie Zuordnung der in den Figuren 2 bis 7 dargestellten außermittigen Verbindungsstruktur zum anspruchsgemäßen Steg, da laut Absatz 0015 der Patentschrift das Lager des HSS-Stirnrades "in das HSS-Stirnrad integriert [ist]". Diese Integration wird durch eine besondere Gestaltung des HSS-Stirnrades erreicht, nämlich indem "im Radkörper Bauraum für die Lageranordnung zur Verfügung steht", wobei dieser Raum durch die außermittigen Anordnung des Stegs geschaffen wird ("Steg ist zwischen der Nabe und dem Zahnkranz HSS-Stirnrads außermittig angeordnet, so dass zwischen der Nabe und dem Zahnkranz ein Raum für die Lageranordnung geschaffen ist"). Wenn die Fachperson im Lichte der Angaben in Absatz 0015 den Bauraum für die Lageranordnung 24 in den Figuren 2 bis 7 mit dem U-förmigen Radkörper des HSS-Stirnrades 23 vergleicht, wird sie nach Auffassung der Kammer unmittelbar und eindeutig die senkrechte Verbindungsstruktur zwischen Nabe und Zahnkranz, die den Boden des U-förmigen Radkörpers bildet, als Steg erkennen. Zumindest anhand der Figuren 2 bis 7 oder anhand der Angaben in Absatz 0015 der Beschreibung erkennt die Fachperson, wie ein Steg zwischen der Nabe und dem Zahnkranz des HSS-Stirnrades ausgestaltet werden kann. Daher ist es unerheblich, ob diese Verbindungsstruktur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch statt als Steg eher als Brücke hätte bezeichnet werden sollen.
3.4 Aus diesen Gründen offenbart die Patentschrift die in den Ansprüchen 1 und 2 des Hauptantrags definierte Erfindung so deutlich und vollständig, dass eine Fachperson sie ausführen kann, Artikel 100(b) i.V.m. Artikel 83 EPÜ. Die Frage der Zulassung des Vortrags zur ausreichenden Offenbarung kann daher dahingestellt bleiben.
4. Nicht-Zulassung des von D5 ausgehenden Angriffs gegen die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 2 zum Beschwerdeverfahren
4.1 Die von D5 ausgehenden Angriffe gegen die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 2 wurden nicht in der angegriffenen Entscheidung behandelt, siehe Punkt 10.2 der Entscheidungsgründe. Daher steht die Zulassung dieser Angriffe im Ermessen der Kammer, Artikel 12(4) VOBK 2020.
4.2 Die Kammer hat bereits in ihrer Mitteilung, siehe den Abschnitt 3.2, die Auffassung vertreten, dass diese Angriffe nicht zum Verfahren zuzulassen seien. Die Kammer hat dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"3.2 Die von D5 ausgehenden Angriffe gegen die erfinderische Tätigkeit wurden nicht in der angegriffenen Entscheidung behandelt (Entscheidungsgründe, Punkt 10.2). Auch sind keine besonderen Umstände geltend gemacht worden oder erkennbar, warum diese Angriffe nun zugelassen werden sollten. Zudem war die Druckschrift D5 der Beschwerdeführerin wegen ihrer Nennung in Absatz 0005 der Patentschrift bereits bei Einlegung des Einspruchs bekannt.Weiterhin scheinet D5 prima facie nicht relevant zu sein, weil das Dokument kein Gleitlager offenbart, und es nach Meinung der Kammer das normale fachmännische Handeln übersteigt, ausgehend von D5 die Nabe des HSS-Stirnrades 25 und/oder die generatorseitige Getriebeabdeckung rechts vom HSS-Stirnrad derart umzukonstruieren, dass mehrere Gleitlager zur Aufnahme von Axial- und Radialkräften dort Platz finden und gleichzeitig ihre Anordnung im Sinne der Merkmale 2.8 und 2.10 beibehalten. Daher ist die Kammer zurzeit geneigt, diesen neuen Vortrag nicht zuzulassen."
4.3 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Somit entschied die Kammer, dass die von D5 ausgehenden Angriffe gegen die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 2 des Hauptantrags nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen werden, da sie im Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären,
Artikel 12(4) und 12(6) VOBK 2020.
5. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
Die angefochtene Entscheidung bejahte die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 des Hauptantrags ausgehend vom Dokument D1, siehe Absatz 10 der Entscheidungsgründe. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet diesen von der Patentinhaberin unterstützten Befund der Entscheidung.
5.1 Das Dokument D1 betrifft ein Windkraftgetriebe mit einer schnelllaufenden Stirnradstufe 14, 18, wobei die Sonnenradwelle 11 der zweiten Getriebestufe 9, 10, 11 eines zweitstufigen Planetengetriebes direkt mit dem HSS-Stirnrad 18 gekoppelt ist, siehe die Figur 1. Zwischen der Nabe und dem Zahnkranz des Stirnrades 18 ist ein Raum für dessen Lager ausgebildet, wobei die Lager auf beiden Seiten des Stirnrades radial zwischen Zahnkranz und Nabe angeordnet sind, siehe die Lager zwischen der Nabe und dem Lagersitz 13 bzw. der generatorseitigen Abdeckung 15 in Figur 1.
Wegen der in horizontaler Richtung mittig angeordneten Verbindung von Nabe und Zahnkranz des Stirnrades 18 und wegen dessen unterhalb eines Vorsprungs der Getriebe-abdeckung 15 angeordneter Lagerung offenbart D1 unbestritten nicht die Merkmale 1.7 und 1.9 von Anspruch 1, also dass das HSS-Stirnrad zwischen Nabe und Zahnkranz einen außermittigen Steg aufweist, und dass sein Lager zwischen einem Trägerelement des Getriebegehäuses und einem radial weiter außen verlaufenden Innenumfang des HSS-Stirnrades angeordnet ist.
5.2 Selbst wenn man die objektive technische Aufgabe in Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin darin sieht, eine kompaktere Lagerung für das HSS-Stirnrad zur Verfügung zu stellen, wird die Fachperson nach Auffassung der Kammer zur Lösung dieser Aufgabe das Dokument D2 nicht ohne eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise heranziehen:
5.2.1 Das Dokument D2 offenbart ein Spannungswellengetriebe für eine Automobillenkung mit variablem Übersetzungs-verhältnis, siehe Absatz 0002 des Dokuments. Dabei treibt ein Motor 25 über ein Stirnrad 24 mit einem außermittigen Steg zwischen dessen Nabe und Zahnkranz eine Zahnscheibe 35 an. Die elliptische Innenöffnung der Zahnscheibe 35 wirkt als Wellengenerator, indem sie einen flexiblen Ring 33 bzw. Büchse 100 des Getriebes verformt, so dass die zweite Lenkwelle 19 relativ zur ersten Lenkwelle 18 der Automobillenkung rotiert, siehe den Absatz 0042 und die Figuren 2-5 des Dokuments. Da das Stirnrad 24 nur an seiner zum Motor 25 weisenden Seite mit einem Kugellager im Motorgehäuse gelagert ist, weist das Stirnrad auch aus Sicht der Kammer eine kompakte Lagerung auf.
5.2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Beurteilung der Frage, ob der beanspruchte Gegenstand eine naheliegende Lösung für eine objektive technische Aufgabe darstellt, danach zu fragen, ob die Fachperson in der Erwartung, die Aufgabe zu lösen, die Lehre der nächstliegenden Entgegenhaltung angesichts anderer Lehren des Stands der Technik so abgewandelt hätte, dass sie zu der beanspruchten Erfindung gelangt wäre (RdBK, I.D.5 "Could-would approach"). Im vorliegenden Fall könnte die Fachperson durchaus anhand der in den Figuren 2 und 3 der D2 gezeigten, kompakten einseitigen Lagerung des Stirnrads 24 die aus D1 bekannte beidseitige Lagerung des HSS-Stirnrad 18 kompakter ausgestalten.
5.2.3 Die Kammer ist aber nicht davon überzeugt, dass die von D1 ausgehende Fachperson auch wirklich so verfahren würde. Nach ständiger Rechtsprechung wird sie zwar bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit außer dem Stand der Technik auf dem Gebiet, auf dem die Erfindung liegt ggf. auch den Stand der Technik auf Nachbargebieten und/oder auf einem übergeordneten allgemeinen technischen Gebiet heranziehen, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, I.D.8.2. Im vorliegenden Fall ist jedoch das Gebiet der Spannungswellengetriebe, selbst wenn die in D2 genannte Anwendung in einer Automobillenkung nur beispielhaft wäre, wegen des hohen Untersetzungs-verhältnisses solcher Getriebe, typischerweise 30:1 bis zu 300:1, kein Nachbargebiet oder ein übergeordnetes allgemeines Gebiet im Vergleich zu dem für D1 relevanten Gebiet der Windenergieanlagen. Auch die von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertretene Auffassung, dass das in D2 offenbarte Spannungswellengetriebe nicht für die hohen vom Rotor einer Windenergieanlage zum Generator übertragenen Kräfte und Momente geeignet ist, belegt nach Auffassung der Kammer die mangelnde Eignung des technischen Gebietes der Spannungswellengetriebe für die Weiterbildung einer Windenergieanlage. Daher wird die von D1 ausgehende Fachperson nur bei einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise die D2 berücksichtigen.
5.3 Aus diesen Gründen beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem angezogenen Stand der Technik, Artikel 100(a) i.V.m. 56 EPÜ.
6. Die Kammer bestätigt aus den obengenannten Gründen die Befunde der angegriffenen Entscheidung zur ausreichenden Offenbarung der Erfindung und zur erfinderischen Tätigkeit für den Hauptantrag. Die Beschwerde bleibt somit ohne Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.