European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1988:T031786.19880415 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 15 April 1988 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0317/86 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81305677.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B03C 3/68 | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Smidth | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | Ein Mangel im Sinne der Regel 56 (2) EPÜ liegt bei Fehlen der Bezeichnung des angegriffenen Patents in der Einspruchsschrift nicht vor, wenn die dem EPA vorliegenden Angaben insgesamt ausreichen, um das Patent mühelos und zweifelsfrei zu ermitteln. In der Regel genügt eine der Nummern (Veröffentlichungs- oder Anmeldenummer), sofern durch die übrigen Angaben nach Heranziehung der Einspruchsschrift und der Akte jeder Zweifel ausgeschlossen ist, daß das betreffende Patent gemeint ist. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Bezeichnung der Erfindung Einspruchsschrift - Erfordernisse - Angabe der Bezeichnung der Erfindung Angabe der Bezeichnung der Erfindung notwendig |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Am 20. Februar 1985 wurde im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung des Patents mit der Veröffentlichungsnummer 0 054 378 (Anmeldenummer 81 305 677.7) hingewiesen. Patentinhaberin war die Firma "F. L. Smidth & Co. A/S", Verfahrenssprache war Englisch, und die Bezeichnung (Titel) der Erfindung lautete "Method of controlling operation of an electrostatic precipitator (Regelungsverfahren für die Wirkung eines elektrostatischen Abscheiders)". Der Patentanspruch 1 beginnt in englischer Sprache mit den Worten "A method of controlling the operating parameters of an electrostatic precipitator" und in deutscher Sprache mit den Worten "Verfahren zur Regelung der Betriebsparameter eines elektrostatischen Abscheiders".
II. Am 21. November 1985 reichte die Einsprechende 01 eine Einspruchsschrift in deutscher Sprache ein. Diese enthielt die Veröffentlichungsnummer, die Anmeldenummer und den Namen des Inhabers des angegriffenen Patents. Die ebenfalls in deutscher Sprache abgefaßte Begründung des Einspruchs beginnt mit den Worten: "Das Patent bezieht sich auf ein Verfahren zur Regelung der Betriebsparameter eines elektrostatischen Abscheiders, der ...". In über 5 Schreibmaschinenseiten beschäftigt sich diese Einspruchsbegründung mit zitierten Einzelheiten des Patents.
III. Mit Bescheid (EPO Form 2302.9 04.81) vom 2. Dezember 1985 teilte der Formalsachbearbeiter der Einsprechenden 01 nach Regel 56 (2) EPÜ mit, daß die Einspruchsschrift die in Regel 55 b) EPÜ geforderte Bezeichnung nicht enthält, und forderte sie auf, diesen Mangel innerhalb von zwei Monaten zu beseitigen. Sofort ergänzte die Einsprechende ihre Einspruchsschrift durch Fernschreiben (eingegangen am 5. Dezember 1985) durch Nennung der Bezeichnung des Patents in englischer Sprache.
Eine Bestätigung des Fernschreibens reichte die Einsprechende nicht nach.
(...)
VI. Mit Entscheidung vom 16. Juli 1986 wies der Formalsachbearbeiter den Einspruch der Einsprechenden 01 unter Hinweis auf Regel 56 (2) EPÜ als unzulässig zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, daß ein gerügter Mangel nicht durch unbestätigtes Fernschreiben behoben werden könne. Das Erfordernis der "Bezeichnung" (des "Titels") des Patents in Regel 55 b) EPÜ sei ein formales Erfordernis, das nicht durch die Nennung des Gegenstandes des Patents irgendwo in der Einspruchsschrift ersetzt werden könne. Zu fordern sei vielmehr eine der Regel 26 (2) b) EPÜ entsprechende Bezeichnung im Sinne von "Titel" oder "Name" der Erfindung, wie sie entsprechend dem WIPO-Standard St. 9 unter dem INID-Code "54" auf der Patentschrift erscheine.
VII. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende 01 am 13. September 1986 unter Zahlung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein. (...)
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Der Formalsachbearbeiter war gemäß Nummer 6 der "Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 des EPA über die Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter" vom 15. Juni 1984 (ABl. EPA 1984, 319) zuständig, eine Entscheidung der hier vorliegenden Art zu treffen.
3. Das Vorgehen des Formalsachbearbeiters kann nicht kurzerhand als ungerechtfertigt formal bezeichnet werden. Schließlich hat er die Regeln 55 b), 56 (2) und 36 (5) EPÜ dem Buchstaben nach angewendet. Auch die Richtlinien Teil D-IV, 1.2.2.2 b), Abs. 2 ("Jede der ... Angaben ist ... beizubringen") verleiten zu einem solchen Vorgehen. Ferner ist zu bedenken, daß Patentinhaber aus ihrer Interessenlage - wie auch hier - die Auffassung vertreten können, daß selbst die nicht rechtzeitige Erfüllung eines rein formalen Erfordernisses einen Einspruch endgültig unzulässig macht. In entsprechender Weise hatte sich in den miteinander verbundenen Fällen T 114/82 und T 115/82 (ABl. EPA 1983, 323) ein Patentinhaber allein wegen einer dem Einsprechenden unterlaufenen Vertauschung der Veröffentlichungsnummern zweier demselben Patentinhaber gehörender Patente dagegen zur Wehr gesetzt, daß der Einspruch gegen das Patent für zulässig erachtet wurde, das der Einsprechende meinte. Nach Rückverweisung kam es dann zu der bereits erwähnten Entscheidung der Einspruchsabteilung 024 vom 15. Juni 1983 (ABl. EPA 1984, 118).
4. Allerdings ging es im vorgenannten Fall vor der Einspruchsabteilung darum, ob das Patent "hinreichend bezeichnet" war im Sinne der Regel 56 Absatz 1 EPÜ, und zwar "bis zum Ablauf der Einspruchsfrist". Es ging nicht - wie hier - darum, welche weiteren Bezeichnungen (d. h. bibliographischen Daten) nach Regel 56 Absatz 2 in Verbindung mit Regel 55 b) EPÜ noch nachzubringen sind - vorausgesetzt, daß die (hier nicht zweifelhafte) Identifizierbarkeit im Sinne der Regel 56 Absatz 1 EPÜ vorliegt. Es sind somit zwei Arten der Identifizierbarkeit des angegriffenen Patents zu unterscheiden. Dies wird besser deutlich, wenn man die Regeln 55 und 56 mit Blick auf Artikel 99 (1) EPÜ auslegt, zu deren Ausführung sie bestimmt sind.
5. In Artikel 99 (1) EPÜ wird unter anderem gesagt, dass "jedermann gegen das ... europäische Patent" Einspruch einlegen kann. Ein solcher Einspruch eröffnet ein neues Verfahren vor dem EPA. Der Gegenstand dieses Verfahrens, also das betroffene Patent, und die Beteiligten müssen in einer Art und Weise festliegen, daß sie nicht mehr ausgetauscht werden können.
6. Was die Person des Einsprechenden anbelangt - um die es hier nicht geht -, so würde es Artikel 99 (1) EPÜ widersprechen, die Regel 55 a) in Verbindung mit Regel 56 EPÜ allein von ihrem Wortlaut her so auszulegen, daß die Identität des Einsprechenden auf Mängelrüge hin erst nachträglich festgelegt zu werden braucht. Eine nur am Buchstaben von Regel 55 a) haftende und diese Regel von Artikel 99 (1) EPÜ loslösende Auslegung könnte zu einem solchen Ergebnis kommen. Es wurde jedoch bereits klargestellt, daß die Person des Einsprechenden - entgegen dem Buchstaben der Regeln 55 a) und 56 (2) EPÜ - nicht frei nachtragbar ist (siehe hierzu T 10/82, ABl. EPA 1983, 407 und in ihrer Folge die Entscheidung einer Einspruchsabteilung in ABl. EPA 1986, 56; ferner: T 25/85, ABl. EPA 1986, 81 und T 219/86, ABl. EPA 1988, 254. In all diesen Entscheidungen geht es - in bezug auf die Person des Einsprechenden - darum, den Wortlaut von Regel 55 a) im Sinnzusammenhang mit Artikel 99 (1) EPÜ auszulegen. Es geht also darum, welche Erfordernisse bis zum Ablauf der Einspruchsfrist unbedingt erfüllt sein müssen und welche erst später nachzubringen sind.
7. Artikel 99 (1) EPÜ stellt nur auf das angegriffene europäische Patent selbst ab, erwähnt also den in Regel 55 b) EPÜ ebenfalls genannten Patentinhaber überhaupt nicht. Dies zeigt, daß es jedenfalls auf eines der in Regel 55 b) EPÜ genannten Erfordernisse, nämlich auf die Person des Patentinhabers, so entscheidend gar nicht ankommt. Die Person des Patentinhabers ergibt sich nämlich zwangsläufig, wenn feststeht, welches Patent angegriffen worden ist. Sie könnte sich auch - durch zwischenzeitliche Umschreibung - geändert haben. Dann kann und braucht sie dem EPA vom Einsprechenden nicht nach Regel 55 b) EPÜ angegeben werden (vgl. Richtlinien Teil D-IV, 1.2.2.2 b) Abs. 2). Dies zeigt, daß es sich bei den nach Regel 55 b) EPÜ vom Einsprechenden geforderten Angaben nur um bibliographische Daten zur Ermittlung des angegriffenen Patents handelt, die ihren Sinn verlieren, wenn sie zu dem Zweck, dem sie dienen sollen, nicht mehr gebraucht werden.
8. Neben der unaustauschbaren Festlegung der Person des Einsprechenden (s. Nr. 5) kommt es innerhalb des Einspruchsverfahrens nur auf die unaustauschbare Festlegung des angegriffenen Patents an. Hierzu genügt in aller Regel allein schon der Inhalt der Einspruchsbegründung. Eine Artikel 100 und Regel 55 c) EPÜ entsprechende Einspruchsbegründung wird wohl immer nur für ein ganz bestimmtes - wenn auch erst zu ermittelndes - europäisches Patent gelten können. Dennoch verlangt Regel 56 (1) EPÜ zur Festlegung des Patents offenbar mehr als nur eine Einspruchsbegründung. Es wird dort nämlich verlangt, daß "das Patent hinreichend bezeichnet ist". Andererseits aber können die Regeln 55 b) und 56 (1) und (2) EPÜ auch nicht so verstanden werden, daß alle in Regel 55 b) EPÜ genannten Angaben vorliegen müssen, damit Identifizierbarkeit im Sinne der Regel 56 (1) EPÜ vorliegt. Aus der prinzipiellen Heilbarkeit einzelner solcher Mängel ergibt sich nämlich, daß gewisse Angaben nach Regel 56 (2) EPÜ nachgebracht werden können. Daher ist der genannten Entscheidung der Einspruchsabteilung 024 zuzustimmen, daß eine hinreichende Bezeichnung im Sinne der Regel 56 (1) EPÜ vorliegt, "wenn die Angaben der Einspruchsfrist es dem Amt ermöglichen, mit unzumutbarem Aufwand bis zum Ablauf der Einspruchsfrist das angegriffene Patent mit Sicherheit festzustellen". Solche Angaben können auch andere als die in Regel 55 b) EPÜ genannten sein, z. B. insbesondere der Tag des Hinweises auf die Patenterteilung im Europäischen Patentblatt und andere bibliographische Daten, die es dem EPA schon vor Ablauf der Einspruchsfrist ermöglichen, "mit zumutbarem Aufwand ... das angegriffene Patent mit Sicherheit festzustellen".
9. Wenn nun Regel 56 (2) EPÜ vorsieht, daß Mängel in den Angaben nach Regel 55 b) EPÜ zu rügen und die fehlenden Angaben nachzubringen sind, so kann es sich hier nicht mehr um die Identifizierbarkeit im Sinne der Regel 56 Absatz 1 EPÜ handeln. Der Sinn der Regel 56 Absatz 2 in Verbindung mit Regel 55 b) EPÜ kann daher nur darin bestehen, daß dem EPA die Ermittlung des angegriffenen Patents mühelos ermöglicht wird. Sobald daher die vorliegenden Angaben über das Patent insgesamt ausreichen, um dieses mühelos und zweifelsfrei zu ermitteln, kann nicht mehr von einer Situation gesprochen werden, in der noch ein "Mangel" im Sinne der Regel 56 (2) EPÜ vorliegt, der zu rügen und zu beseitigen ist.
10. In der Regel wird zur Heranziehung einer bestimmten Akte die Veröffentlichungs- oder die Anmeldenummer genügen. Unter Nummer des europäischen Patents im Sinne der bereits 1964 bzw. 1970 geschaffenen Regel 55 b) EPÜ sind beide Nummern gleichwertig zu verstehen, da die Unterscheidung der Nummern erst in späterer Verwaltungspraxis geschaffen wurde. Die zweite Nummer und weitere bibliographische Daten sind allerdings nicht nur nützlich, sondern notwendig, um Zweifel auszuschließen und etwaige Fehler berichtigen zu können (vgl. die genannte Entscheidung der Einspruchsabteilung 024 vom 15. Juni 1983).
11. Hinzuweisen ist noch darauf, daß die geforderte Angabe der "Bezeichnung der Erfindung" insbesondere dann zu einer Gefahr für den Einsprechenden werden kann, wenn sich dieser nach Regel 1 EPÜ einer anderen Amtssprache bedient als der Verfahrenssprache nach Artikel 14 (3) EPÜ. Unterscheidet sich nämlich die Sprache des Einspruchs von der Sprache des angegriffenen Patents, so ist für den Einsprechenden das Risiko groß, daß er die "Bezeichnung (Titel) der Erfindung" nicht so nennt, wie sie auf der Patentschrift aufgedruckt ist. Sinn der Regel 55 b) EPÜ ist es, vom Einsprechenden in der "Bezeichnung (Titel) der Erfindung" ein Identifikationsmerkmal für das angefochtene Patent zu fordern, nicht aber, ihm eine sprachliche Falle zu stellen. Da die Patentansprüche auch in den beiden anderen Amtssprachen vorliegen, kann die Funktion der "Bezeichnung (Titel) der Erfindung" als Identifikationsmerkmal in aller Regel auch in diesen Sprachen erfüllt werden. Daher ist es nicht richtig, die "Bezeichnung der Erfindung" im Sinne der Regel 55 b) EPÜ mit dem WIPO-Standard St. 9 und der Angabe nach dem INID-Code "54" gleichzustellen. Durch eine Abweichung hiervon - in Sprache oder Fassung - verliert die "Bezeichnung der Erfindung" nicht ihre Eignung als Identifikationsmerkmal im Sinne der Regel 55 b) EPÜ. An derartige Verknüpfungen und Konsequenzen haben die Verfasser der Ausführungsordnungen von 1964 (EWG-Dok. 4419/IV/63 vom 20. Januar 1964, dort Nr. 1 zu Art. 88) und von 1970 (Zweiter Vorentwurf zum EPÜ von 1971, dort Nr. 1 zu Art. 101) wohl kaum gedacht.
(...)
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen.