T 0288/91 02-03-1993
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A pulling device
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Inventive step (yes)
I. Auf die am 20. Januar 1983 in englischer Sprache angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 83 200 092.1 wurde am 6. April 1988 das europäische Patent Nr. 0 086 000 mit zwei Patentansprüchen erteilt.
II. Anspruch 1 erteilter Fassung hat folgenden Wortlaut:
"1. A pulling device for a material wound around a roll shaft, comprising a holder (1) having disposed therein a rotatably supported cord pulley (2) to be coupled to a roll shaft, around which pulley a cord (3) has been slung, the free ropes (3a, 3b) of which pass through an opening (4) in the holder, said pulling device comprising a loose clamp (7) accommodated within a confined space (6) between the pulley (2) and the boundary (5) of the opening (4) in the holder (1) and movable between a middle position and two sidewardly situated end positions, said clamp (7) having a central portion with an opening (8) for the two ropes (3a, 3b) of the cord (3), the clamp (7) further being provided with a laterally projecting part (9) on both sides of said central portion, each projecting part comprising a shoulder (10) facing the cord pulley (2), the periphery of the cord pulley (2) being composed of two spaced flanges facing each other characterized in that both faces of the flanges (2a, 2b) are provided with ribs or ridges (11), contacting the cord portion slung around the pulley, the shoulders (10) on the laterally projecting parts (9) of the clamp (7) being capable of pressing the cord (3) between the aforesaid ridges or ribs (11) in either one of both sidewardly situated end positions of the clamp."
III. Gegen das erteilte Patent hat H. Elmar Lausberg (Beschwerdegegner) Einspruch eingelegt, und zwar gestützt auf folgende Dokumente:
(E1) Beschluß des Bundespatentgerichts vom 10.12.87, Aktenzeichen 5 W (pat) 404/87,
(E2) NL-A-7 707 922,
(E3) AT-B-277 505,
(E4) "Die einrillige Seiltreibscheibe von Grünig", veröffentlicht in der Zeitschrift VDI, Nr. 65, 1921, Seite 25,
(E5) die "Karlik-Scheibe", Veröffentlichung in des Ingenieurs Taschenbuch "Hütte", 27. Auflage, Berlin, 1944, Seite 939,
(E6) Kozer, "Bauelemente der Feinmechanik", Berlin 1952, 5. Auflage, Seite 400,
(E7) "Die Uhrenmacher des hohen Schwarzwaldes und ihre Werke", Müller-Verlag, Villingen, 1975, Band I, Seite 183, 185, 188, 197, 205 und 217,
(E8) Telex vom 31.08.87 betreffend Endloszüge, Dolenz, Wien;
Brief der Firma Dolenz, Wien an Firma Müller, Nistertal vom 13.11.85;
Eidesstattliche Erklärung von Herrn Venhoda der Firma AVAK Venhoda G.m.b.H. vom 11.11.85;
Endloszug der Firma Dolenz, Wien mit Beschriftung SMS, Patent AVAK.
Unter Hinweis auf die Artikel 100 a) bzw. 100 c) EPÜ beantragte der Beschwerdegegner den Widerruf des Streitpatents, wobei insbesondere Dokument (E3) dem Gegenstand des Anspruchs 1 patenthindernd entgegenstehe, weil er aufgrund dieser Offenbarung nicht mehr erfinderisch sei.
IV. Mit Entscheidung vom 15. Februar 1991 hat die Einspruchsabteilung dem Antrag der Beteiligten entsprochen und die Abänderung der Verfahrenssprache von Englisch auf Deutsch akzeptiert, so daß die Entscheidung demzufolge in Deutsch gehalten ist. In der Sache selbst kam die Einspruchsabteilung zu dem Ergebnis, daß es keines erfinderischen Schrittes bedurfte, um zum Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 zu gelangen. Sie hat demzufolge das Streitpatent gemäß Artikel 102 (2) EPÜ widerrufen.
V. Gegen vorgenannte Entscheidung hat die Beschwerdeführerin unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr am 11. April 1991 Beschwerde eingelegt und dahingehend begründet, daß das Dokument (E3) dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht patenthindernd entgegenstehen könne, weil beim Bekannten die Schnur vom Klemmstück "7" nicht in die Flansche der Schnurrolle hineingedrückt werde, so daß dort ein verstärkter Reibschluß nicht erreicht werde. Das geringfügige Kippen des bekannten Klemmstückes nehme das Wesen der Erfindung nicht vorweg.
Sie beantragt somit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und das Streitpatent bestehen zu lassen.
VI. In einer die Verhandlung vor der Beschwerdekammer vorbereitenden Mitteilung gemäß Artikel 11 (2) VOBK vom 6. November 1992 hat die Kammer darauf verwiesen, daß das Dokument (E3) als Ausgangspunkt der Erfindung zu gelten habe und daß zu prüfen sei, ob die Druckschriften (E1) bis (E7) den beanspruchten "Formschluß" von Schnur und Schnurrolle patenthindernd nahelegen könnten oder nicht.
Das Dokument (E8) wurde schon von der ersten Instanz von allen weiteren Betrachtungen ausgeschlossen, was nach Ansicht der Kammer zurecht erfolgt ist, so daß dieses Dokument im Beschwerdeverfahren keine Rolle mehr gespielt hat.
VII. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 2. März 1993 beantragte die Beschwerdeführerin gemäß Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents in seiner erteilten Fassung bzw. als Hilfsantrag die Aufrechterhaltung u. a. auf der Basis eines Anspruchs 1 erteilter Fassung plus dem Sp. 3, Z. 16 mit 19 des Streitpatents entnehmbaren Merkmal bezüglich der Höhe der Schultern "10".
Die Beschwerdeführerin verwies zur Stützung ihres Hauptantrages auf das unterschiedliche Wirkprinzip zwischen Gegenstand des Dokuments (E3) und dem des erteilten Anspruchs 1 und darauf, daß auch die weiteren Dokumente das Beanspruchte gemäß Hauptantrag nicht nahelegen könnten.
Der Beschwerdegegner bemängelte zunächst, daß seiner Meinung nach die Erfindung in den Ursprungsunterlagen anders dargestellt sei als im Streitpatent, was auf eine Diskussion der Erfordernisse der Artikel 100 c) bzw. 123 (2) EPÜ hinauslief.
Der Einwand unter Artikel 100 a) bzw. 56 EPÜ wurde seitens des Beschwerdegegners vor allem mit Blick auf das Dokument (E3) geführt, wobei seiner Meinung nach die beanspruchte Wirkung der erteilten Zugvorrichtung nach Anspruch 1 dadurch gegeben sei, daß der bekannte Klemmschuh eine radiale Bewegung ausführen könne, die für den Fachmann gleichbedeutend sei mit dem Hineinpressen der Schnur in die Nut der Schnurrolle. Dieses Hineinpressen der Schnur in die Nut erhöhe die Klemmwirkung des Klemmschuhes, so daß seiner Meinung nach sogar auf Rippen oder dgl. an der Schnurrolle verzichtet werden könne, ohne die Klemmwirkung zu gefährden.
Auch wenn im Dokument (E3) Rippen oder dgl. nicht offenbart seien, kommt der Beschwerdegegner unter Hinweis auf das Dokument (E2) bzw. auf die Dokumente (E4) bis (E7) zu der Schlußfolgerung, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Im übrigen schreibe das Anspruchskennzeichen des erteilten Anspruchs 1 nur vor, daß die Schuhschultern "10" in der Lage sind ("being capable of") die Schnur in die Vorsprünge "11" hineinzudrücken.
Zusammenfassend beantragt der Beschwerdegegner, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer verkündete der Vorsitzende die das Verfahren abschließende Entscheidung der Kammer.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag:
2. Änderungen (Artikel 123 (2) bzw. (3) EPÜ)
2.1. Der erteilte Anspruch 1 setzt sich zusammen aus den Merkmalen der ursprünglichen Ansprüche 1, 2 (Klemmschuh mit seitlichen Vorsprüngen), 3 (Schultern an den Vorsprüngen), 4 (Rolle mit zwei Flanschen, Rippen an den Flanschen, Hineinpressen der Schnur zwischen die Rippen) bzw. der ursprünglichen S. 7, Abs. 1.
2.2. Der erteilte Anspruch 2 umfaßt die Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 7 und 8 sowie der ursprünglichen Fig. 1 (zylindrische Aufnahme der Rolle).
2.3. Das erteilte Schutzbegehren ist somit aus der Sicht des Artikels 123 (2) EPÜ nicht angreifbar.
2.4. Der Beschwerdegegner hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen, daß die Beschreibungseinleitung des Streitpatents eine unzulässige Abänderung gegenüber dem ursprünglich Offenbarten beinhalte, und zwar mit Blick auf die ursprüngliche S. 2, Z. 22 bis S. 3, Z. 3, wo ausgeführt sei, daß der "andere" Schnurteil das Drehen der Schnurrolle verhindere und daß die Schultern der Schnurrolle diesen Effekt nur verstärkten. Diese Aussage wurde mit der Passage von Sp. 2, Z. 16 mit 21 des Streitpatents verglichen, wonach das Sperren der Schnurrolle und der Schnur Sache der Rippen der Schnurrolle sei.
2.5. Die Kammer kann vorgenannten Einwand des Beschwerdeführers nicht akzeptieren, und zwar aus folgenden Gründen:
2.5.1. Grundsätzlich richtig ist die Feststellung des Beschwerdeführers, wonach eine unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ auch über die Abwandlung der Beschreibung erfolgen kann, da es Fälle geben mag, in denen ein Anspruch im Lichte (der Zeichnung und) der Beschreibung auszulegen ist, Artikel 69 EPÜ, so daß es in diesen Fällen entscheidungswesentlich darauf ankommt, was die abgeänderte Beschreibung hergibt.
2.5.2. Dieser Fall liegt aber hier nicht vor, weil die Beschreibung nicht in unzulässiger Weise abgeändert worden ist. Wie vorstehend schon ausgeführt wurde, ist vom Beschwerdegegner bestritten worden, daß die Ursprungsunterlagen eine Basis dafür bieten, daß die Rippen der Schnurrolle die Schnur und die Schnurrolle sperren.
Die Ursprungsunterlagen, vgl. S. 4, Z. 26 mit 28 bzw. S. 6, Z. 23 mit 26 ("... so that a further rotation of the cord pulley is rendered impossible") lassen eindeutig erkennen, daß das Hineinpressen der Schnur in die Rippenräume zum Blockieren der Schnurrolle (und der Schnur) führt, so daß keine Rede davon sein kann, daß die Beschreibung gemäß Streitpatent das Beanspruchte in einem Licht darstellt, das vom ursprünglich Offenbarten nicht gedeckt wäre.
2.5.3. Selbst wenn somit die im Laufe des Erteilungsverfahrens abgewandelte Beschreibung zur Auslegung des Schutzbegehrens erteilter Fassung heranzuziehen ist bzw. wäre, ergibt bzw. ergäbe sich keinerlei Diskrepanz zur Ursprungsoffenbarung.
2.5.4. Zusammenfassend verstößt somit auch die Beschreibung des Streitpatents nicht gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ. Was im Erteilungsverfahren letztlich getan wurde, ist ein Herausstellen des Anmeldungsgegenstandes mit Blick auf den nächstkommenden Stand der Technik, im vorliegendem Fall des Dokuments (E3), ohne aber in diesem Zusammenhang einen nicht ursprungsoffenbarten Vorteil bemühen zu müssen.
2.6. Da die erteilten Unterlagen (gemäß Hauptantrag) unverändert verteidigt werden, kann ein Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 123 (3) EPÜ nicht vorliegen.
2.7. Die Unterlagen gemäß Hauptantrag verstoßen somit nicht gegen Artikel 123 EPÜ, so daß auch keinerlei Verstoß gegen Artikel 100 c) EPÜ vorliegen kann.
3. Interpretation des erteilten Anspruchs 1
3.1. Der Beschwerdeführer hat zunächst die fehlende Abgrenzung des erteilten Anspruchs 1 gegenüber dem gattungsbildenden Dokument (E3) und sodann den Term im Kennzeichenteil des Anspruchs 1 "being capable of pressing ..." gerügt.
3.2. Die Beschwerdeführerin verteidigt das Patent gemäß Hauptantrag in seiner erteilten Fassung, so daß ein Abgrenzungseinwand von der Kammer von vornherein nicht zu prüfen ist, weil ein solcher Einwand nicht unter die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 EPÜ fällt. Die Kammer ist im übrigen auch davon überzeugt, daß der Einwand bezüglich fehlender Abgrenzung des erteilten Anspruchs 1 sachlich nicht gerechtfertigt ist.
3.3. Mit dem funktionellen Term "being capable of pressing the cord ... between ... the ... ridges or ribs ..." des erteilten Anspruchs 1 wird zum einen die freie Beweglichkeit des Klemmschuhes "7" bzw. seiner Schultern "10" und auch deren Wirkung angesprochen, indem daraus erhellt, daß die Schultern "10" radial in die Nut der Schnurrolle einzudringen vermögen, so daß sie die Schnur in die Freiräume der Rippen "11" hineinpressen, und zwar dann, wenn der Klemmschuh "7" in einer seiner beiden Auslenkpositionen ist.
3.4. Daß es sich mit dem Term "being capable of pressing ..." nicht um bloßes Wunschdenken handelt, belegt in Anwendung der Auslegungsgrundsätze des Artikels 69 (1) EPÜ das Streitpatent mit seinen Textstellen gemäß Sp. 1, Z. 37/38 (Diskussion des Dokuments (E3) als Ausgangspunkt der Erfindung) bzw. Z. 42/43 (Vorteil der Erfindung) sowie Z. 58 mit 60, Sp. 2, Z. 17 mit 21, Sp. 3, Z. 16 mit 19 und Sp. 4, Z. 19 mit 21, woraus eindeutig hervorgeht, wie die Schultern "10" die Schnur radial in die Nut der Schnurrolle hineinpressen, so daß sie mit den Rippen "11" in Kontakt kommmt und die Schnurrolle in beiden Endstellungen des Klemmschuhes "7" blockiert.
3.5. Vorstehende Ausführungen verdeutlichen, daß die Lehre des Anspruchs 1 nicht nur eine Zielvorstellung umfaßt, sondern in Abkehr vom gattungsnächsten Dokument (E3) darin zu sehen ist, daß eine Formschlußverbindung dann vorliegt, wenn der Klemmschuh mit seinen Vorsprüngen "10" seitlich ausgelenkt ist und die nachgiebige und verformbare Schnur gegen die Rippen "11" der Schnurrolle preßt, dergestalt, daß die Schnur in die Zwischenräume dieser Rippen "11" eindringt, sich dabei verformt und die Schnurrolle unmittelbar an einer weiteren Drehung hindert. Es wird somit nicht nur über Reibung, sondern durch direktes, formschlüssiges Einwirken eine Blockierung der Schnurrolle herbeigeführt.
3.6. Bei der nachfolgenden Beantwortung der Frage der Patentfähigkeit der Zugvorrichtung gemäß erteiltem Anspruch 1 wird diese Auslegung des Terms gemäß Abschnitt 3.3 somit, wie im Abschnitt 3.1 bis 3.5 insgesamt dargestellt, vorausgesetzt.
4. Die Frage der Neuheit ist zwischen den Beteiligten und auch nach Auffassung der Kammer unstrittig, so daß sich ins Einzelne gehende Erörterungen erübrigen.
5. Bei gegebener Neuheit der Zugvorrichtung gemäß erteiltem Anspruch 1 ist somit noch die Frage des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens erfinderischer Tätigkeit zu beantworten.
5.1. Der gattungsbestimmende Stand der Technik ist unstrittig mit dem Dokument (E3) gegeben. Der Offenbarungsgehalt dieses Dokuments war bis zuletzt zwischen den Beteiligten strittig, möglicherweise weil die vorbekannten Zugvorrichtung von einem Beteiligten in Kenntnis der Erfindung interpretiert wird.
5.2. Das Dokument (E3) zeigt alle Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1, wie genutete Schnurrolle, Drehwelle, beweglichen Klemmschuh mit zur Schnurrolle orientierten Vorsprüngen. Es zeigt hingegen nicht die Kennzeichenmerkmale des Anspruchs 1 erteilter Fassung, wie Rippen an den Flanschen "2a, 2b" der Schnurrolle, die in Kontakt mit der Schnur stehen und es zeigt nach Auffassung der Kammer auch nicht das andere Kennzeichenmerkmal des erteilten Anspruchs 1, nämlich daß die Vorsprünge des Klemmschuhes eine derartige radiale Beweglichkeit aufweisen, daß sie in ihren seitlichen Endlagen jeweils die Schnur gewollt in die Räume zwischen den Rippen "11" der Schnurrolle hineinpressen.
Der Fachmann erkennt aus Fig. 2 des Dokuments (E3), daß der Klemmschuh in Umfangsrichtung der Schnurrolle bewegbar ist, hingegen an der radialen Beweglichkeit gehindert ist, und zwar durch die Flansche der Schnurrolle. Der Vorsprung "11" des bekannten Klemmschuhs taucht zwar zwischen die Flansche der Schnurrolle hinein, hat aber nach Auffassung der Kammer keine mit dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 vergleichbare Wirkung, da die Umfangsflächen dieser Flansche erkennbar ein radiales Eindringen des Klemmschuhes und seiner Vorsprünge gerade verhindern. Wenn der Beschwerdegegner mithin auf ein stets vorhandenes Spiel baut, dann ist das ein typisches Indiz einer gewollten Interpretation einer Druckschrift, die dem Wesen der objektiven, fachmännischen Auslegung einer Druckschrift zuwiderläuft.
Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch noch auf den Beschreibungsteil des Dokuments (E3), nämlich S. 1, Z. 19 mit 21 bzw. S. 1, Z. 38 bis S. 3, Z. 2, wonach der mindestens eine Vorsprung "11" des bekannten Klemmschuhes bzw. Gleitschuhes die Aufgabe hat seine Verschiebung in Richtung der Achse der Schnurrolle zu verhindern, von einer gewollten oder auch nur implizit angesprochenen radialen Verschiebung ist mithin nicht die Rede.
Die Interpretation des Dokuments (E3) seitens des Beschwerdegegners ist somit sachlich nicht gerechtfertigt, was auch für die diesbezüglichen Ausführungen der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung gilt.
5.3. Die Aufgabe des Streitpatents, vgl. dessen Sp. 1, Z. 39 mit 43, ist darauf gerichtet, eine einfach aufgebaute und montierbare Zugvorrichtung anzugeben, deren Klemmwirkung direkt auf die Drehwelle ausgeübt wird.
5.4. Das Stellen dieser Aufgabe erfordert nach Auffassung der Kammer noch keinerlei erfinderisches Tätigwerden des Fachmannes, da sich diese Aufgabe schon aus dem Gebrauchsverhalten der gattungsnächsten Zugvorrichtung ergibt.
5.5. Die Lösung der gestellten Aufgabe beruht hingegen auf erfinderischer Tätigkeit, wie die nachfolgenden Ausführungen belegen:
5.5.1. Während beim gattungsbildenden Stand der Technik zwar die Enden der Schnur vom seitlich verlagerten Klemmschuh geklemmt werden können - wie beim Gegenstand des Anspruchs 1 erteilter Fassung - ist ein Klemmen der Schnurrolle nur auf indirektem Wege möglich, nämlich durch die Umschlingung der Schnurrolle durch die Schnur, derart, daß auf die Schnurrolle Reibungskräfte ausgeübt werden.
5.5.2. Der erteilte Anspruch 1 lehrt dagegen eine formschlüssige Klemmung der Schnurrolle, indem die vom Klemmschuh in die Zwischenräume der Rippen der Schnurrolle geklemmte Schnur die Schnurrolle direkt klemmt.
5.5.3. Erkennbar wird damit, vgl. Sp. 2, Z. 17 mit 21 der Streitpatentschrift, ein doppelter Effekt ausgenützt, nämlich einerseits werden die Schnurenden vom Klemmschuh - wie aus dem Dokument (E3) bekannt - reibungsschlüssig geklemmt und andererseits wird die Schnurrolle aber auch - wie nicht vorbekannt - formschlüssig von der Schnur geklemmt; dieser Wirkmechanismus ist im gesamten, hier zu berücksichtigenden Stand der Technik ohne Vorbild:
5.5.4. Dem Dokument (E3) mit seinem vom Beanspruchten wegweisenden Lösungsprinzip konnte der Fachmann keine verwertbare Lehre zur Lösung der gestellten Aufgabe entnehmen, auch nicht dem Dokument (E2), da diesem die Lehre wie eine Seilrolle zu klemmen ist, nicht entnehmbar ist. Die Vertiefungen dieses Gegenstands sollen die Greifbedingungen für die Kugelschnur erhöhen, vgl. in diesem Zusammenhang auch das Dokument (E1), den S. 24 und 25 übergreifenden Absatz, wo ebenfalls herausgestellt ist, daß beim Gegenstand des Dokuments (E2) nicht das "Klemmen", sondern das "Antreiben" verbessert werden soll. Hieraus erhellt, daß das Dokument (E2) bezüglich der hier vorliegenden Aufgabe irrelevant ist.
Es verbleibt somit noch, auf die Dokumente (E4) bis (E7) einzugehen, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer schon keine wesentliche Rolle mehr gespielt haben, vielmehr mit dem Hinweis auf die Reibungserhöhung global zitiert wurden.
Das Dokument (E4) lehrt eine Treibscheibe, d. h. es soll durch konstruktive Maßnahmen wie Klemmhebel "b, b" ein Seilrutsch vermieden werden, während der erteilte Anspruch 1 mit seinen Rippen eine Gesperre-Wirkung, d. h. Blockieren einer Scheibendrehung ergibt.
Bei der Druckschrift (E5) geht es wiederum um das "Treiben" bzw. die Erhöhung der Treibfähigkeit, was in direktem Gegensatz zur beanspruchten Gesperrewirkung steht.
Das Dokument (E6) ist in etwa vergleichbar mit den Dokumenten (E4) und (E5), d. h. das "Treiben" wird behandelt, ggf. unter Einsatz einer "gerändelten" Treibscheibe. Dies trifft auch für das Dokument (E7) zu, da auch bei diesem der Antrieb im Vordergrund steht, nämlich durch die Realisierung einer gekerbten Schnurrolle.
Von den hier vorliegenden Druckschriften (E2) bis (E7) betrifft somit nur das Dokument (E3) ein Gesperre (dort Rücklaufsperre genannt), während die restlichen Dokumente die nichtbeanspruchte Funktion beim Treiben einer Rolle betreffen.
Bei dieser Sachlage wird sich der Fachmann, nach Überzeugung der Kammer, aus den Dokumenten (E2) und (E4) bis (E7) keine Anregung holen, um bei einer Zugvorrichtung den Aspekt des direkten Blockierens einer Drehwelle gemäß geltender Aufgabe zu lösen.
5.5.5. Vorstehende Überlegungen zusammenfassend ergibt sich, daß der Fachmann der vom Dokument (E3) ausgeht, und nach einer Lösung der Aufgabe des Streitpatentes sucht, Neuland betreten mußte, weil er aus dem verfügbaren Stand der Technik keine unmittelbar aufgreifbare Anregung erhielt. Diese Konstellation ist aber ein klares Indiz dafür, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5.5.6. Die Kammer hat demzufolge mit der in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung den Rechtsbestand des erteilten Anspruchs 1 (und des gesamten Streitpatents) wiederhergestellt, indem sie dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin gefolgt ist.
Hilfsantrag
Da schon der Hauptantrag der Beschwerdeführerin gewährbar ist, erübrigt sich eine Erörterung des Hilfsantrages.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in seiner erteilten Fassung aufrechterhalten.