D 0006/82 (Wiedereinsetzung in Disziplinarangelegenheiten) 24-02-1983
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1. Im Rahmen von Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 23 der "Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter"(VEP) sind die Verfahrensvorschriften der "Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern" (VDV) anzuwenden, es sei denn, daß eine unmittelbare oder sinngemäße Anwendung nicht möglich ist.
2. Demnach findet auf einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung einer Beschwerde nach Artikel 23 VEP die Vorschrift des Artikels 24(2) VDV und nicht unmittelbar Artikel 122 EPÜ Anwendung. Dies bedeutet, daß die Frist zur Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung nur einen Monat nach Wegfall des Hindernisses beträgt und eine Gebühr nicht zu entrichten ist.
3. Wegfall des Hindernisses i.S.v. Artikel 24(2) VDV (bzw. Art. 122(2) EPÜ) bedeutet in der Regel die Kenntnis der Fristversäumnis.
4. Ein Rechtsirrtum, insbesondere ein solcher über die Vorschriften betreffend Zustellung und Fristberechnung, rechtfertigt in aller Regel die Wiedereinsetzung nicht.
Wiedereinsetzung in Disziplinar- und Prüfungsangelegenheiten
Wegfall des Hindernisses
Rechtsirrtum
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungskommission für die europäische Eignungsprüfung beim Europäischen Patentamt vom 10. März 1982, mit der nach Überprüfung erneut festgestellt wurde, daß der Beschwerdeführer die europäische Eignungsprüfung 1979 nicht bestanden hat. Die Entscheidung wurde am 10.März 1982 an die vom Beschwerdeführer angegebene Privatanschrift durch Einschreiben mit Rückschein abgesandt.Im Rückschein bestätigte die Mutter des Beschwerdeführers, daß sie die Sendung am 11. März 1982 erhalten hat.
II. Am 22. April 1982 ging beim EPA eine Beschwerdeschrift mit dem Datum 8. April ein. Durch Schreiben des EPA vom 26. April 1982 wurde der Beschwerdeführer auf die Fristversäumnis aufmerksam gemacht. Mit Schreiben vom 10. Mai 1982, eingegangen beim EPA noch am selben Tag, machte er daraufhin geltend, daß die Aushändigung der Entscheidung an seine Mutter keine wirksame Zustellung darstelle. Die Entscheidung sei ihm erst am 7. April 1982 von seiner Mutter ausgehändigt worden. Hilfsweise beantragte er unter Zahlung der Gebühr Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde.
Zur Begründung dieses Antrags führte er vor allem aus, daß er bereits am 8. April die Beschwerdeschrift gefertigt habe. Mit der Absendung habe er gewartet, weil er prüfen wollte, ob er eine Beschwerdebegründung auch ohne die in der Beschwerdeschrift beantragte Akteneinsicht abgeben könne. Am 16. April sei er zu dem Ergebnis gekommen, daß er die Beschwerdeschrift in unveränderter Form absenden wolle und habe sie in einem Briefumschlag absendebereit gemacht. Den Umschlag wollte er selbst in den Briefkasten werfen. Der Umschlag sei jedoch während des besonders anstrengenden Arbeitstages zwischen andere Arbeitsunterlagen gelangt und erst wieder am 21. April aufgefunden und abgesandt worden.
III. In der mündlichen Verhandlung am 24. Februar 1983 wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen und beantragte, seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist stattzugeben.
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde hängt davon ab, ob die Beschwerde rechtzeitig eingelegt worden ist. Dies wiederum ergibt sich daraus, wann eine rechtswirksame Zustellung der angefochtenen Entscheidung erfolgt ist, wann dementsprechend die Beschwerdefrist abgelaufen ist und ob ggf. - d.h. bei verspäteter Beschwerdeeinlegung - dem hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung entsprochen werden kann.
2. Die angefochtene Entscheidung wurde am 10. März 1982 an die Privatanschrift des Beschwerdeführers abgesandt. Grundsätzlich gilt die Entscheidung daher gemäß Artikel 23(1) VEP i.V.m. Regel 78(3) EPÜ am 20. März 1982 als zugestellt. Dies vorausgesetzt, lief die Beschwerdefrist mit dem 20. April 1982 ab, so daß die am 22. April 1982 eingegangene Beschwerde als verspätet anzusehen ist.
3. Diese Fristberechnung müßte nur dann zurücktreten, wenn der Beschwerdeführer gemäß Regel 78(3) EPÜ darlegen könnte, daß ihm "das zuzustellende Schriftstück nicht oder an einem späteren Tag zugegangen ist". Die Aushändigung an die Mutter des Beschwerdeführers ist aber gemäß Regel 78(5) EPÜ i.V.m. § 51 der Postordnung der Bundesrepublik Deutschland als ein Zugang i.S.v. Regel 78(3) anzusehen. Es ist daher unerheblich, ob der Beschwerdeführer das Schreiben des EPA persönlich erst am 7. April 1982 erhalten hat.
4. Es kommt somit auf die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung an. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, ob auf Beschwerden gemäß Artikel 23 der "Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter" (ABl. EPA 1978, S. 101; nachfolgend: VEP) unmittelbar und allgemein die Vorschriften des EPÜ über das Beschwerdeverfahren (Art. 106 bis Art. 112) nebst den "Allgemeinen Vorschriften für das Verfahren" (Artikel 113 bis 126) anwendbar sind oder vielmehr die Verfahrensvorschriften innerhalb der "Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern" (ABl. EPA 1978, S. 91; nachfolgend: VDV), zu denen die "Ergänzende Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des EPA" (ABl. EPA 1980, S. 188; nachfolgend: EVD3) hinzutreten und im Rahmen deren das Recht des EPÜ zur Anwendung kommt, soweit sich dies durch Verweisungen ergibt.
5. Von dieser Grundfrage ist abhängig, ob auf die beantragte Wiedereinsetzung Artikel 122 EPÜ oder Artikel 24(2) VDV anzuwenden ist. Diese Vorschriften weisen wesentliche Unterschiede auf: Nach Artikel 24(2) VDV ist die Frist zur Stellung des Antrags auf Wiedereinsetzung gegenüber Artikel 122 EPÜ von zwei Monaten auf einen Monat nach Wegfall des Hindernisses verkürzt. Ferner ist bei Anwendung von Artikel 24(2) VDV eine Gebühr für den Antrag auf Wiedereinsetzung nicht zu zahlen.
6. Artikel 23 VEP führt nicht besonders aus, welche Verfahrensvorschriften auf das Beschwerdeverfahren in Prüfungsangelegenheiten anwendbar sind, doch weist er die Zuständigkeit zur Entscheidung über diese Beschwerden der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten zu. Dies ist ein erster Anhaltspunkt dafür, daß die durch die VDV für die Verfahren vor den Disziplinarorganen geschaffenen Verfahrensvorschriften anzuwenden sind. Die Vorschriften der VDV sind nicht spezifisch für Beschwerden in Prüfungsangelegenheiten geschaffen und darauf teilweise nicht abgestimmt. Dies gilt noch in stärkerem Maße für die Vorschriften des EPÜ, die - beginnend mit Artikel 106(1) EPÜ - vornehmlich für Beschwerden in patentrechtlichen Angelegenheiten konzipiert sind. Die "Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern" (VDV) haben mit den "Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter" (VEP) jedenfalls gemeinsam, daß es sich in den Beschwerdeverfahren um berufsbezogene und höchst persönliche Angelegenheiten der Beschwerdeführer handelt. Die VDV sind in ihren Verfahrensvorschriften aber nicht nur auf die Beteiligten ausgerichtet, sondern auch auf die Disziplinarorgane, in Beschwerdesachen also auf die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten.
Dementsprechend hat diese Kammer bereits im Hinblick auf ihre besondere Zusammensetzung gemäß Artikel 10 VDV in der Beschwerdesache D 05/82 vom 15. Dezember 1982 (ABl. 5/1983, S. 175) entschieden, daß in Prüfungs- wie in Disziplinarangelegenheiten eine Befassung der Großen Beschwerdekammer des EPA nicht möglich ist.
7. Da somit auf den Wiedereinsetzungsantrag Artikel 24(2) VDV anzuwenden ist, ist nach dieser Vorschrift und nicht unmittelbar nach Artikel 122 EPÜ zu prüfen, ob dem Antrag stattgegeben werden kann. Diese Frage stellt sich zunächst im Hinblick darauf, ob der Antrag rechtzeitig gestellt ist. Nach Artikel 24(2) VDV hätte der Beschwerdeführer seinen Antrag "innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses" stellen müssen. Wegfall des Hindernisses i.S.v. Artikel 24(2) VDV (bzw. Artikel 122(2) EPÜ) bedeutet in der Regel die Kenntnis der Fristversäumnis als rechtlich relevantes Ereignis mit der möglichen Folge eines Rechtsverlustes. Dabei kommt es - für die Rechtzeitigkeit des zu stellenden Wiedereinsetzungsantrags - nicht darauf an, ob der Antragsteller bei richtiger Einschätzung der Rechtslage die Fristversäumnis schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte erkennen müssen.
Der Beschwerdeführer hätte bereits bei der Aushändigung der zugestellten Entscheidung durch seine Mutter an ihn am 7. April 1982 bei richtiger Einschätzung der sich aus den Regeln 78 und 83 EPÜ ergebenden Rechtslage erkennen müssen, daß die Beschwerdefrist mit dem 20. April 1982 abläuft. Damals hatte er aber die Vorstellung, daß die Zustellung an seine Mutter, die gemäß Regel 78(3) EPÜ als am 20. März 1982 bewirkt gilt, nicht rechtswirksam gewesen sei. Von dem Tatbestand einer rechtlich relevanten Fristversäumnis bekam er aber erst durch das Schreiben des EPA vom 26. April 1982 Kenntnis.
Da er bereits in seinem Schreiben vom 10. Mai 1982, das beim EPA noch am selben Tag eingegangen ist, hilfsweise den Antrag auf Wiedereinsetzung stellte, hat er die Frist von einem Monat zur Stellung dieses Antrags gemäß Artikel 24(2) VDV gewahrt.
8. Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht - wie in Artikel 24(2) Satz 1 VDV gefordert - alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet.
Die Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung enthielt nicht nur einen Hinweis auf Artikel 23 VEP, sondern auch einen solchen auf Regel 78(1) EPÜ. Aber auch ohne eine solche Belehrung (vgl. Regel 68(2) Satz 3 EPÜ) kann weder die Unkenntnis der anzuwendenden Vorschriften noch ein Irrtum über die sich daraus ergebende Rechtslage die Wiedereinsetzung rechtfertigen.
Die Beachtung "aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt" verlangt von Personen, die sich an Verfahren vor und bei dem Europäischen Patentamt beteiligen, daß sie die Kenntnis der geltenden Verfahrensregeln erwerben. Im übrigen wäre es dem Beschwerdeführer nach Aushändigung der angefochtenen Entscheidung an ihn (7. April 1982) noch möglich gewesen, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 20. April 1982 wenigstens vorsorglich und damit fristwahrend Beschwerde einzulegen. Davon hätte er sich auch deswegen nicht abhalten lassen dürfen, weil er erst noch prüfen wollte, ob er zur Begründung der Beschwerde auch Akteneinsicht nehmen muß. Dies ist eine Frage, die die Begründung der Beschwerde betrifft. Hierfür ist durch Artikel 23(2) Satz 2 VEP eine zusätzliche Frist von einem Monat eingeräumt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Beschwerdeeinlegung wird abgelehnt.
2. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
3. Die Rückzahlung der Wiedereinsetzungsgebühr wird angeordnet.