J 0011/03 (Wiedereinsetzung/VENTEC) 14-04-2005
Download und weitere Informationen:
Elektrostatische Vorrichtung zum Halten von Wafern und anderen Bauteilen
Beachtung der gebotenen Sorgfalt (ja)
Wiedereinsetzung (ja)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Eingangsstelle vom 19. August 2002, mit der der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Jahresgebühr für das dritte Jahr mit Zuschlagsgebühr für die am 6. März 1998 eingereichte europäische Patentanmeldung 98 104 034.8 zurückgewiesen wurde.
II. Die Jahresgebühr für das dritte Jahr wurde gemäß Artikel 86 (1) in Verbindung mit Regel 37 (1) EPÜ am 31. März 2000 fällig. Am 30. September 2000 lief die Frist gemäß Artikel 86 (2) EPÜ zur Zahlung dieser Gebühr einschließlich Zuschlagsgebühr ab, ohne daß die Beschwerdeführerin die Gebühr entrichtete. Die Eingangsstelle übersandte am 3. November 2000 eine Rechtsverlustmitteilung gemäß Regel 69 (1) EPÜ.
III. Am 11. Januar 2001 beantragte die Beschwerdeführerin, nachdem sie bereits am 15. November 2000 die Jahresgebühr für das dritte Jahr einschließlich Zuschlagsgebühr entrichtet hatte, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, entrichtete die Wiedereinsetzungsgebühr und begründete den Antrag wie folgt:
Sie sei ein kleines Unternehmen, in dem der technische Bereich (Patentanmeldungen) und der für alle Zahlungen zuständige kaufmännische Bereich getrennt seien. Mit der Patentanmeldung sei dem kaufmännischen Bereich eine Liste der zu leistenden Zahlungen übergeben und auf Termin genommen worden. Offenbar aufgrund von Arbeitsüberlastung und großer persönlicher Probleme sei jedoch der zuständigen Buchhalterin ein Fehler unterlaufen: Sie habe den Zahlungstermin übersehen bzw. als mit einer Zahlung über einen ähnlichen Betrag im Jahr 1998 (Nachentrichtung der Gebühr für zusätzliche Patentansprüche) als abgegolten betrachtet. Da die Buchhalterin normalerweise äußerst korrekt und gewissenhaft sei, sei eine Kontrolle, ob die Zahlung erfolgt sei, unterblieben.
Das Schreiben, in dem die Gründe für die beantragte Wiedereinsetzung dargestellt sind, wurde von dem Miterfinder Dr. A. und dem Leiter der kaufmännischen Verwaltung E. unterzeichnet.
IV. Die Eingangsstelle wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück.
V. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ergänzte die Beschwerdeführerin ihren erstinstanzlichen Vortrag wie folgt: Ihr Unternehmen sei sehr klein, es seien im Jahre 2001 lediglich zwei Personen angestellt gewesen, nämlich der kaufmännische Leiter Herr E. und die Buchhalterin Frau H.. Beide hätten das Unternehmen im Jahre 2002 verlassen. Die Beschwerdeführerin habe sich vergeblich bemüht, die Adresse von Frau H. zu ermitteln. Als Zeuge für die im Wiedereinsetzungsgesuch vom 11. Januar 2001 dargestellten Tatsachen werde Herr E. benannt. Darüber hinaus machte die Beschwerdeführerin geltend, daß sich der Miterfinder Dr. A., der in allen Firmen der ProTec-Gruppe einschließlich der Beschwerdeführerin zentral für das Patentwesen zuständig war, spätestens seit Beginn des Jahres 2001 illoyal verhalten und möglicherweise das Fristversäumnis absichtlich verschuldet habe.
1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. Die Beschwerdeführerin hat die am 30. September 2000 abgelaufene Frist zur Zahlung der Jahresgebühr für das dritte Jahr einschließlich Zuschlagsgebühr versäumt. Dies hat gemäß Artikel 86 (3) EPÜ die Rechtsfolge, daß die europäische Patentanmeldung als zurückgenommen gilt, sofern nicht die Beschwerdeführerin nach Artikel 122 (1) EPÜ wieder in den vorigen Stand einzusetzen ist.
3. Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags setzt nach Artikel 122 (2) Satz 1 EPÜ voraus, daß er innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des bezüglich der Einhaltung der Frist bestehenden Hindernisses gestellt wird. Vorliegend bestand das Hindernis in der Unkenntnis über die ablaufende Frist. Als Zeitpunkt für den Wegfall des Hindernisses kann in derartigen Fällen in der Regel der Erhalt einer entsprechenden Mitteilung des EPA über den eingetretenen Rechtsverlust nach Regel 69 (1) EPÜ angesehen werden (vgl. J 29/86, ABl. EPA 1988, 84, Nr. 2 der Entscheidungsgründe; J 27/90, ABl. EPA 1993, 422, Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe).
4. Im vorliegenden Fall wurde die Rechtsverlustmitteilung des EPA per Einschreiben am 3. November 2000 zur Post gegeben und gilt daher gemäß Regel 78 (2) EPÜ als am 13. November 2000 zugestellt. Zwar kommt es für die Bestimmung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung - und damit des Wegfalls des Hindernisses im Rahmen von Artikel 122 (2) Satz 1 - vorrangig auf den tatsächlichen Eingang beim Verfahrensbeteiligten an (vgl. J 7/82, ABl. EPA 1982, 391, Leitsatz I und Nr. 4 der Entscheidungsgründe). Es sind hier jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Rechtsverlustmitteilung bereits vor dem 13. November 2000 zugegangen ist. Es ist daher zugunsten der Beschwerdeführerin davon auszugehen, daß der Wegfall des Hindernisses nicht vor dem Eintritt der Zustellungsfiktion nach Regel 78 (2) EPÜ erfolgt ist (ebenso J 10/99 vom 20. Dezember 1999, Nr. 3.2.2 der Entscheidungsgründe). Der Wiedereinsetzungsantrag vom 11. Januar 2001 ist somit rechtzeitig gestellt worden.
5. Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des Wiedereinsetzungsantrags sind erfüllt. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Handlung (Zahlung der dritten Jahresgebühr mit Zuschlagsgebühr) nachgeholt, die Wiedereinsetzungsgebühr entrichtet und den Wiedereinsetzungsantrag begründet.
6. Wiedereinsetzung kann jedoch gemäß Artikel 122 (1) EPÜ nur dann gewährt werden, wenn der Patentanmelder trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt nicht in der Lage war, die maßgebliche Frist einzuhalten. Bei der Beurteilung sind die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit zu würdigen.
7. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA kann ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden System entschuldbar sein. Hierzu muß glaubhaft gemacht werden, daß zum fraglichen Zeitpunkt ein in der Regel effizientes System zur Fristüberwachung bestand. Die Organisationsanforderungen an ein solches System können allerdings unterschiedlich sein, da Größe und Art des Unternehmens sowie die Zahl der zu überwachenden Fristen berücksichtigt werden müssen. So kann im Unterschied zur Situation bei einem Großunternehmen mit eigener Patentabteilung ein Kontrollmechanismus in einem kleinen Unternehmen, in der in der Regel zuverlässiges Personal effizient und auf persönliche Weise arbeitet, unter Umständen als entbehrlich angesehen werden (vgl. T 166/87 vom 16. Mai 1988, Nr. 2 der Entscheidungsgründe).
8. Die Beschwerdeführerin hat die relevanten Fakten, die im vorliegenden Fall zur Versäumung der Zahlungsfrist führten, in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vom 11. Januar 2001 dargestellt. Da dieser Antrag vom seinerzeitigen kaufmännischen Leiter und vom damals für Patentangelegenheiten zuständigen Miterfinder Dr. A. unterzeichnet worden ist, stellt er eine schriftliche Erklärung dieser beiden Personen und somit ein Beweismittel im Sinne von Artikel 117 (1) c) EPÜ dar. Die Beschwerdekammer hat daher keinen Anlaß, an der Richtigkeit der dargestellten Fakten zu zweifeln.
9. Es ist somit davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin ein sehr kleines Unternehmen ist. Offenbar bestand ihr kaufmännischer Bereich, der für alle Zahlungen zuständig war, im wesentlichen nur aus dem kaufmännischen Leiter und der Buchhalterin. Dem kaufmännischen Bereich wurde im Zusammenhang mit der vorliegenden Patentanmeldung eine Liste der zu leistenden Zahlungen übergeben und auf Termin genommen. Die Buchhalterin arbeitete normalerweise äußerst korrekt und gewissenhaft.
10. Unter diesen Umständen konnte eine zusätzliche Kontrolle der Durchführung der zu leistenden Zahlungen entbehrlich erscheinen, ohne das Funktionieren des Systems zu beeinträchtigen. Die Tatsache, daß der Buchhalterin bei der Überwachung der Frist zur Zahlung der Jahresgebühr für das dritte Jahr dennoch ein Versehen, das offenbar durch große persönliche Probleme mitverursacht worden war, unterlief, ist daher als einmaliger Fehler in einem grundsätzlich gut und effizient funktionierenden System zu betrachten. Angesichts dieses Ergebnisses sieht die Beschwerdekammer keine Notwendigkeit, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgebrachten weiteren Argumente, die auf einer behaupteten Illoyalität des Miterfinders Dr. A. beruhen, auf ihre Berechtigung zu überprüfen.
11. Die Beschwerdekammer gelangt daher zu der Schlußfolgerung, daß die Beschwerdeführerin die nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt zur Gewährleistung der fristgerechten Zahlung der Jahresgebühr für das dritte Jahr einschließlich Zusatzgebühr beachtet hat. Somit ist der Beschwerde stattzugeben und die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Beschwerdeführerin wird wieder in den vorigen Stand eingesetzt.