J 0012/87 (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) 25-03-1988
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1. Werden die nationale Gebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren für eine Euro-PCT-Anmeldung nicht innerhalb der Grundfrist gemäß Regel 104b (1) EPÜ (d. h. innerhalb eines Monats nach Ablauf der Frist nach Artikel 22 (1) und (2) oder 39 (1) a) PCT) entrichtet, so können Regel 85a EPÜ und Artikel 122 EPÜ sofort als alternative Rechtsbehelfe gegen einen bleibenden Rechtsverlust in Anspruch genommen werden.
2. Werden die erforderlichen Gebühren und die Zuschlagsgebühr innerhalb der Nachfrist nach Regel 85a EPÜ vorbehaltlos entrichtet, so wird durch die Zahlung der Rechtsverlust mit sofortiger Wirkung behoben; danach gibt es keine verlorenen Rechte mehr, in die eine Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ erfolgen könnte.
3. Demgemäß sollte ein Anmelder, der sich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Artikels 122 EPÜ offenhalten möchte, zuerst einen Antrag nach diesem Artikel stellen, bevor er die Gebühren nach Regel 85a EPÜ entrichtet, und/oder das EPA bei Zahlung davon unterrichten, daß er die Gebühren nach dieser Regel nur hilfsweise entrichtet und einer Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ den Vorzug geben würde.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (verneint)
Rechtsverlust bereits nach Regel 85a EPÜ behoben
vorbehaltlose Entrichtung der Zuschlagsgebühr
Alternative Rechtsbehelfe
I. Am 14. Dezember 1984 wurde in Japan eine internationale Anmeldung eingereicht, für die die Priorität einer am 16. Dezember 1983 eingereichten japanischen Voranmeldung in Anspruch genommen wurde. In der internationalen Anmeldung waren das EPA sowie verschiedene Vertragsstaaten bestimmt. Ein Exemplar dieser Anmeldung ging ordnungsgemäß beim EPA ein.
II. Eine Übersetzung der Anmeldung in eine Amtssprache des EPA wurde innerhalb von 20 Monaten nach dem Prioritätstag (d. h. bis zum 16. August 1985) nicht eingereicht; ebensowenig wurden die nationale Gebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren innerhalb von 21 Monaten nach dem Prioritätstag (d. h. bis zum 16. September 1985) entrichtet. In einer ersten Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ vom 14. Oktober 1985 (Formblatt 1208) wurde die Beschwerdeführerin davon unterrichtet, daß die europäische Anmeldung als zurückgenommen gelte, da die erforderliche Übersetzung nicht fristgerecht eingereicht worden sei. In einer zweiten, ebenfalls vom 14. Oktober 1985 datierten Mitteilung (Formblatt 1217) wurde sie darauf hingewiesen, daß die vorstehend genannten Gebühren nicht fristgerecht gezahlt worden seien, jedoch zusammen mit einer Zuschlagsgebühr noch innerhalb der zweimonatigen Nachfrist nach Regel 85a EPÜ entrichtet werden könnten; falls dies nicht geschehe, gelte die Anmeldung als zurückgenommen.
III. Am 18. November 1985 wurden die nationale Gebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren zusammen mit der erforderlichen Zuschlagsgebühr nach Regel 85a EPÜ entrichtet. Mit einem am 10. Dezember 1985 eingegangenen Schreiben reichte die Beschwerdeführerin eine englische Übersetzung der Anmeldung ein und stellte mehrere Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Artikel 122 EPÜ, die sich unter anderem auf
(i) die Einreichung der Übersetzung und
(ii) die Entrichtung der nationalen Gebühr, der Recherchengebühr und der Benennungsgebühren bezogen. ...
IV. Mit Entscheidung vom 13. März 1986 wurde die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis gesetzt, daß einem ihrer Wiedereinsetzungsanträge vom 10. Dezember 1985 stattgegeben werde und daß damit die Übersetzung als fristgerecht eingereicht gelte, und die Mitteilung vom 14. Oktober 1985 (Formblatt 1208) gegenstandslos geworden sei.
V. In einem am 18. März 1986 eingegangenen Schreiben vom selben Tag erklärte die Beschwerdeführerin, daß die Entrichtung der am 16. September 1985 fälligen Gebühren aus denselben Gründen versäumt worden sei wie die Einreichung der Übersetzung; deshalb müsse dem Wiedereinsetzungsantrag in bezug auf diese Gebühren ebenfalls stattgegeben und die Zuschlagsgebühr nach Regel 85a zurückgezahlt werden. Zur Stützung dieses Antrags brachte sie mit Schreiben vom 22. Mai 1986 weitere Argumente vor. Am 10. September 1986 erging eine Entscheidung der Eingangsstelle, in der diese feststellte, der Antrag auf Wiedereinsetzung in die in Regel 104b (1) EPÜ vorgesehene Grundfrist für die Zahlung der genannten Gebühren sei abzuweisen, weil diese Gebühren innerhalb der Nachfrist nach Regel 85a EPÜ wirksam entrichtet worden seien.
VI. Die Beschwerdeführerin legte am 20. November 1986 Beschwerde ein und entrichtete die Beschwerdegebühr. ...
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Bei einer internationalen Anmeldung wie der vorliegenden verlangen verschiedene Bestimmungen des PCT in Verbindung miteinander und mit Regel 104b (1) EPÜ, daß bestimmte Gebühren, nämlich die nationale Gebühr, die Recherchengebühr und die Benennungsgebühren, innerhalb eines Zeitraums, der als "Grundfrist" bezeichnet werden kann und 21 Monate (Zusammengesetzte Frist (s. Rechtsauskunft Nr. 5/80,ABl. EPA 1980, 149). nach dem Prioritätstag endet, an das EPA entrichtet werden. Wenn die Gebühren (wie im vorliegenden Fall) nicht innerhalb dieser Frist gezahlt werden, kann dies den Verlust der europäischen Patentanmeldung nach sich ziehen. Allerdings bieten Regel 85a EPÜ und Artikel 122 EPÜ, wie aus der vorstehenden Darstellung des Sachverhalts hervorgeht, zwei Möglichkeiten, einen bleibenden Verlust der Rechte an der europäischen Patentanmeldung abzuwenden, wenn die Gebühren nicht innerhalb der Grundfrist entrichtet worden sind. Was die Anwendbarkeit der Regel 85a EPÜ anbelangt, so ergibt sich nach Auffassung der Kammer aus der Entscheidung J 05/80 (ABl. EPA 1981, 343), daß diese Regel im Falle einer Euro-PCT- Anmeldung wie der vorliegenden auf die Frist für die Zahlung jeder hier fälligen Gebühr anwendbar ist.
3. In der angefochtenen Entscheidung vom 10. September 1986 heißt es, daß nach Ablauf der Grundfrist "die Rechtsfolge (Fiktion der Zurücknahme der Anmeldung wegen Nichtzahlung der Gebühren) erst mit Ablauf der Nachfrist gemäß Regel 85a EPÜ wirksam wird" und "nach dem EPÜ das Recht nicht sofort mit Ablauf der Grundfrist verlorengeht, wenn der Anmelder den Rechtsverlust mittels des in Regel 85a EPÜ vorgesehenen Rechtsbehelfs vermeiden kann". Der Verlust der Rechte an der Anmeldung ergebe sich somit nicht unmittelbar aus der Versäumung der Grundfrist, wie es für eine Anwendung des Artikels 122 (1) EPÜ erforderlich wäre; eine Zulassung der Wiedereinsetzung nach Artikel 122 EPÜ "käme in diesem Fall einer Umgehung der Regel 85a EPÜ gleich". Wenn diese Argumentation richtig wäre, könnten die beiden Möglichkeiten zur Abwendung eines bleibenden Rechtsverlusts bei Ablauf der Grundfrist nur nacheinander in Anspruch genommen werden. Während der zweimonatigen Frist, die unmittelbar an die Grundfrist anschließt, wäre Regel 85a EPÜ, nicht jedoch Artikel 122 EPÜ anwendbar. Nach Ablauf dieser zwei Monate könnte dann Artikel 122 EPÜ in Anspruch genommen werden. Nach Auffassung der Kammer führt jedoch bereits die Nichteinhaltung der Grundfrist für die Entrichtung der einschlägigen Gebühren dazu, daß die Anmeldung oder Benennung aufgrund der rechtlichen Vorschriften automatisch sofort als zurückgenommen gilt. Dies bedeutet, daß sich der Verlust der Rechte an der Anmeldung entgegen der Feststellung in der Entscheidung vom 10. September 1986 als direkte Folge aus der Nichteinhaltung der Grundfrist ergibt. Somit kann Artikel 122 EPÜ für die Wiedereinsetzung in diese Rechte in Anspruch genommen werden. Die Kammer ist sich bewußt, daß das Formblatt 1217, das der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall zugegangen ist (s. Nr. II) insoweit nicht ganz im Einklang mit dieser Feststellung steht, als darin (im Gegensatz zu Formblatt 1208) nicht ausdrücklich angegeben wird, daß die Anmeldung als zurückgenommen gilt, weil die einschlägigen Gebühren nicht rechtzeitig entrichtet werden. Parallel dazu kann auch Regel 85a EPÜ als Rechtsbehelf in Anspruch genommen werden, um einen bleibenden Rechtsverlust abzuwenden. Diese Regel sieht eine zweimonatige Nachfrist vor, innerhalb deren der bereits eingetretene Rechtsverlust durch Zahlung der erforderlichen Zuschlagsgebühr in Verbindung mit den Grundgebühren behoben werden kann (siehe hierzu auch die in ABl. EPA 1988, 119 veröffentlichte Entscheidung J 04/86 vom 4. März 1987, die sich mit Regel 85b EPÜ befaßt). Somit standen der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall bei Ablauf der Grundfrist sowohl Regel 85a als auch Artikel 122 EPÜ als alternative Rechtsbehelfe zur Abwendung eines bleibenden Rechtsverlusts zur Verfügung.
4. Im vorliegenden Fall lief die Grundfrist, wie unter Nummer II und III dargelegt, am 16. September 1985 ab. Die Beschwerdeführerin entrichtete die einschlägigen Gebühren und die Zuschlagsgebühr gemäß Regel 85a EPÜ am 18. November 1985 (dem letzten Tag der zweimonatigen Nachfrist); zu diesem Zeitpunkt war das EPA nicht davon unterrichtet, daß die Beschwerdeführerin einen Antrag nach Artikel 122 EPÜ stellen und lieber diesen Rechtsbehelf in Anspruch nehmen wollte. Erst drei Wochen später reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. Dezember 1985 den Antrag nach Artikel 122 EPÜ ein, wobei sie darauf verwies, daß die einschlägigen Gebühren und die Zuschlagsgebühr am 18. November 1985 entrichtet worden waren. Deshalb stellt sich des weiteren die Frage, ob der Antrag nach Artikel 122 EPÜ unter diesen Umständen als zulässig gelten kann. Nach Regel 85a EPÜ können die betreffenden Gebühren innerhalb der Nachfrist von zwei Monaten nach Fristablauf zusammen mit der Zuschlagsgebühr "noch ... wirksam entrichtet werden". Nach Ansicht der Kammer ist diese Regel ganz offensichtlich so zu verstehen, daß die Entrichtung der erforderlichen Gebühren und der Zuschlagsgebühr innerhalb der Nachfrist den bei Ablauf der Grundfrist eingetretenen Rechtsverlust (die Fiktion der Zurücknahme der Anmeldung und Benennung) mit sofortiger Wirkung (bei Abschluß der erforderlichen Zahlung) "behebt". Wenn die Zahlung den Rechtsverlust nicht mit sofortiger Wirkung behöbe, wäre weder dem Wortlaut der Regel 85 EPÜ noch einer anderen Stelle ohne weiteres zu entnehmen, zu welchem anderen Zeitpunkt diese Wirkung eintritt. Im Interesse der Rechtssicherheit bezüglich des Rechtsstands einer Anmeldung muß der Rechtsverlust sofort bei Zahlung der erforderlichen Gebühren als behoben und die Rechte müssen als wiederhergestellt gelten. Durch diese Auslegung werden die Rechte Dritter geschützt. Daraus folgt, daß im vorliegenden Fall der bei Ablauf der Grundfrist am 16. September 1985 eingetretene Rechtsverlust am 18. November 1985 behoben wurde, als die Entrichtung der erforderlichen Gebühren sowie der Zuschlagsgebühr abgeschlossen war. Somit gab es nach dem 18. November 1985 keine verlorenen Rechte mehr, in die aufgrund des später eingereichten Antrags nach Artikel 122 EPÜ eine Wiedereinsetzung hätte erfolgen können; dieser Antrag kann deshalb nicht zugelassen werden. Hätte die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall einen Antrag gemäß Artikel 122 EPÜ gestellt, bevor sie die erforderlichen Gebühren zuzüglich der Zuschlagsgebühr entrichtete, und/oder dem EPA bei Zahlung der Gebühren mitgeteilt, daß sie diese nur hilfsweise entrichte und lieber Artikel 122 EPÜ in Anspruch nehmen wolle, um einen bleibenden Rechtsverlust abzuwenden, so hätte sie die verlorenen Rechte möglicherweise nach Artikel 122 EPÜ statt nach Regel 85a EPÜ wiedererlangen können. ...
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.