T 0598/01 07-07-2003
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Luftwebmaschine mit Breithaltertisch und Stabbreithalter
Ausführbarkeit der Erfindung und Zulässigkeit der Ansprüche (Gründe 2.) - res iudicata
Neuheit und erfinderische Tätigkeit - ja
I. Auf die am 6. April 1989 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 7. April 1988 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 89 106 042.8 wurde das europäische Patent Nr. 336 409 erteilt.
II. Gegen dieses Patent legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende), gestützt auf die Einspruchsgründe des Artikels 100 a), b) und c) EPÜ, Einspruch ein und beantragte den Widerruf des Patents.
III. Die Einspruchsabteilung widerrief das Patent mit ihrer Entscheidung vom 7. Mai 1996 mit der Begründung, es erfülle in der von der Patentinhaberin geänderten Fassung nicht die Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
IV. Gegen diese Entscheidung beschwerte sich die Patentinhaberin am 29. Juni 1996. Auf diese Beschwerde hin hob die technische Beschwerdekammer 3.2.6 mit ihrer Entscheidung T 594/96 vom 15. März 2000 die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Sache zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die erste Instanz zurück.
Die damals zuständige Kammer stellte fest, daß die von der Patentinhaberin zuletzt vorgelegte Fassung des Patents die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) und (3) (Artikel 100 c)) EPÜ erfüllte und auch der Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit (Artikel 83 und 100 b) EPÜ nicht zutraf.
V. Nach der Zurückverweisung hielt die Einspruchsabteilung mit ihrer in der erneuten mündlichen Verhandlung am 13. März 2001 verkündeten und am 2. April 2001 zur Post gegebenen Entscheidung das Patent in der von der Beschwerdekammer für zulässig erachteten Form aufrecht.
Sie kam zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Patents auch den Erfordernissen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 54 (1), 56 und 100 a) EPÜ) genügte.
VI. Gegen diese Entscheidung hat sich die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 29. Mai 2001 beschwert und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt. Mit dem am 20. Juli 2001 eingereichten Schriftsatz hat sie ihren Antrag auf Widerruf des europäischen Patents Nr. 336 409 aus den Gründen de Artikels 100 a) b) und c) EPÜ begründet.
Zusätzlich zu den in der Einspruchsentscheidung berücksichtigten Entgegenhaltungen D0 bis D5 hat sie am 3. Mai 2002 und am 4. Juni 2003 vier weitere Druckschriften D6 bis D9 sowie zwei Skizzen eingereicht.
VII. Die Beschwerdekammer hat in ihrem mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Bescheid vom 2. April 2003 mitgeteilt, daß sie bezüglich der Klarheit des Anspruchs 1 und der Neuheit keinen Erörterungsbedarf sehe und deshalb in der mündlichen Verhandlung vor allem die erfinderische Tätigkeit zu diskutieren sein werde.
VIII. Am 7. Juli 2003 fand eine mündliche Verhandlung statt. Von den im Einspruchsverfahren genannten Entgegenhaltungen wurden nur noch die folgenden Dokumente aufgegriffen:
D0: US-A-3 621 886
D1: DE-A-1 941 550
D2: CS-B-0 213 078 (mit deutscher Übersetzung)
D3: CS-B-0 210 296 (mit deutscher Übersetzung)
D4: CH-B-0 536 890
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 336 409.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Luftwebmaschine mit einem Webblatt und mit einem im Webblatt ausgebildeten Schußeintragskanal (2), auf den beim Anschlag des Schußfadens an den Bindepunkt des Gewebes (9) ein einstückiger Vorsprung (8) eines Stabbreithalters (15) gerichtet ist, wobei der Vorsprung (8) eine Verlängerung der oberen planebenen Auflagefläche des Breithaltertisches für das Gewebe (9) bildet und wobei das freie Ende des Vorsprungs (8) durch einen Abschluß begrenzt ist, der aus einer oberen planebenen Auflagefläche für das Gewebe (9) in eine untere, zur oberen Auflagefläche verlaufenden Kontur des Breithaltertisches übergeht,
dadurch gekennzeichnet,
daß beim Anschlagen des Schußfadens an das Gewebe (9) die Auflagefläche und das Zentrum des Schußeintragskanals (2) in einer Ebene liegen, so daß der Bindepunkt des Gewebes (9) relativ zur Grundfläche des Schußeintragskanals (2) zentriert ist."
IX. Die Beschwerdeführerin vertrat die Auffassung, Anspruch 1 sei unzulässig erweitert worden, denn ursprünglich sei nur der Begriff "Mitte" offenbart, während nun im kennzeichnenden Teil stattdessen das Wort "Zentrum" stehe. Die in der Patentschrift formulierte Aufgabe werde durch die Merkmalskombination des Anspruchs 1 nicht gelöst, da ein wichtiges Merkmal fehle. Wie am Modell vorgeführt, sei die Größe des Anschlagsbereiches eine Funktion des Abstandes des Bindepunktes vom Abschluß der Auflagefläche; hierfür sei jedoch im Anspruch keine Definition gegeben.
Die Kammer sei durch Artikel 111 EPÜ nicht an eine in derselben Sache ergangene frühere Entscheidung gebunden, so daß sie aus diesen Gründen erneut über den Widerruf des Patents zu entscheiden habe.
Jedenfalls beruhe der beanspruchte Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit, denn die Figur 3 der D2 zeige bereits einen verlängerten Breithaltertisch, bei dem der Fachmann ohne weiteres erkenne, daß er beim Anschlagen des Gewebes in den Schußeintragskanal hineinrage. D0 zeige in Figur 4 einen Breithaltertisch, der im Schußeintragskanal zentriert sei. Zur Lösung der Aufgabe komme es nicht darauf an, ob es sich um ein Stabbreithalter oder einen Trogbreithalter handle. Daher werde der Fachmann durch den Stand der Technik zur beanspruchten Lehre angeregt.
X. Die Beschwerdegegnerin führte aus, der neue Patentanspruch 1 sei formal zulässig und sein Gegenstand neu und erfinderisch. Es gehöre zum fachmännischen Wissen, daß der Bindepunkt so nahe wie möglich am Abschluß des Breithaltertisches eingestellt werde, so daß eine weitere Definition des Anschlagsbereiches nicht erforderlich sei. Bei der Erfindung komme es sehr wohl darauf an, insbesondere wenn sehr feines und dichtes Gewebe hergestellt werde, daß ein Stabbreithalter verwendet werde, da der - nur im seitlichen Randbereich einsetzbare - Trogbreithalter gemäß D2 das feine Gewebe zerstöre. Wie die dortige Figur 4 deutlich zeige, werde in D0 der Bindepunkt des Gewebes nicht zentriert, vielmehr befinde er sich im oberen Bereich des Schußeintragskanals. Auch die Kombination mit anderen Dokumenten des Standes der Technik führe nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Einspruchsgründe des Artikels 100 b) und c) EPÜ
Die dem Antrag der Patentinhaberin zugrunde liegenden geänderten Unterlagen entsprechen der Fassung, über die die Kammer in der Entscheidung T 594/96 bereits rechtskräftig entschieden hat. Die Entscheidungsgrundlage ist somit unverändert geblieben. Gemäß dem auch in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts anerkannten verfahrensrechtlichen Grundsatz der res iudicata ist daher eine erneute Erörterung und Entscheidung in derselben Sache nicht statthaft (vgl. T 843/91, ABl. 1994, 832; T 153/93 (unveröffentlicht)).
3. Einspruchsgründe des Artikels 100 a) EPÜ
3.1. Neuheit
Die Neuheit der Luftwebmaschine nach Anspruch 1 wurde in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin nicht mehr angegriffen. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß keine der im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen alle Merkmale des Anspruchs 1 offenbart. Somit erfüllt der Gegenstand des Anspruchs 1 das Erfordernis der Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ).
3.2. Erfinderische Tätigkeit
3.2.1. Aus D2 ist eine Luftwebmaschine mit einem Webblatt 11 und mit einem im Webblatt ausgebildeten Schußeintragskanal 14 bekannt. Die Öffnung des Schußeintragskanals ist zum Bindepunkt des Gewebes 7 gerichtet, der sich dicht vor einem einstückigen Vorsprung eines Trogbreithalters befindet. Der Vorsprung hat eine obere planebene Auflagefläche und ist durch einen Abschluß begrenzt, der aus der oberen planebenen Auflagefläche für das Gewebe 7 in eine untere, zur oberen Auflagefläche verlaufenden Kontur des Vorsprungs übergeht (Figur 3; Seite 4, 3. Absatz).
3.2.2. Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine Luftwebmaschine mit Webblatt und Breithaltertisch so weiterzubilden, daß unabhängig von der Art des Gewebes der Bindepunkt immer relativ in der Mitte des Schußeintragskanals gebildet wird, damit Gewebebeschädigungen, insbesondere bei feinem Gewebe, vermieden werden.
3.2.3. Gelöst wird dieses technische Problem durch die Luftwebmaschine mit den Merkmalen des Anspruchs 1. Diese Webmaschine weist einen Stabbreithalter auf. Beim Anschlagen des Schußfadens an das Gewebe (9) liegen die Auflagefläche und das Zentrum des Schußeintragskanals (2) in einer Ebene, so daß der Bindepunkt des Gewebes (9) relativ zur Grundfläche des Schußeintragskanals (2) zentriert ist.
3.2.4. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hält die Kammer die Lehre des Anspruchs für ausreichend, um vom zuständigen Fachmann, einem Textilingenieur mit Fachhochschulausbildung, nachgearbeitet werden zu können. Diesem Fachmann sind die im Zusammenhang mit der Fachgeometrie auftretenden Probleme geläufig und er weiß, daß der Bindepunkt so nahe wie möglich am Abschluß des Breithaltertisches eingestellt wird, ohne jedoch die Gefahr einer Kollision mit dem Webblatt hervorzurufen. Mit der Anweisung, einerseits die Auflagefläche mit dem Zentrum des Schußeintragskanals in eine Ebene zu legen und andererseits beim Anschlagen des Schußfadens den Bindepunkt relativ zur Grundfläche des Schußeintragskanals zu zentrieren, ist die zwischen Webblatt und Breithaltertisch bestehende Geometrie eindeutig so definiert wie in der einzigen Zeichnung des Patents dargestellt, d. h. daß der Bindepunkt unabhängig von der Anzahl nach oben oder unten gezogenen Kettfäden immer in der Mitte des Grundes des Schußeintragskanals gebildet wird.
3.2.5. Der schematischen Darstellung der D2 (Figur 3) ist weder die Ausrichtung des Breithaltertisches zum Zentrum des Schußeintragskanals noch zur Mitte von dessen Grundfläche entnehmbar, da die Weblade im offenen Zustand gezeigt wird. Außerdem ist der Breithalter ein Trogbreithalter, der üblicherweise nicht über die gesamte Breite, sondern nur in den seitlichen Randbereichen der Webmaschine verwendet wird, was von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wurde. Selbst wenn der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens die Weblade im Anschlagbereich so anordnen würde, daß der Schußeintragskanal zum Abschluß des Breithaltertisches zentriert ausgerichtet ist, hat er dennoch keinen Anlaß, den Trogbreithalter durch einen Stabbreithalter zu ersetzen. Da ihm somit D2 keinen zielführenden Hinweis zur Merkmalskombination des Anspruchs 1 gibt, kann ein Naheliegen der Erfindung durch diesen Stand der Technik allein nur unter unzulässiger rückschauender Betrachtungsweise in Kenntnis der Erfindung angenommen werden. Da D3 nicht über den Offenbarungsgehalt der D2 hinausgeht, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend auch für diesen Stand der Technik.
3.2.6. Aus D0 ist eine Luftwebmaschine mit einem Breithalter bekannt, der beim Anschlagen des Schußfadens an das Gewebe in den vom Webblatt gebildeten Schußeintragskanal hineinragt (Figur 4). Bedingt durch die im Querschnitt U-förmige Gestalt des Breithalters liegt das Gewebe außen auf dem oberen U- Schenkel auf, so daß der Bindepunkt im oberen Bereich des Schußeintragskanals gebildet wird. Ein Breithaltertisch eines Stabbreithalters mit einem Vorsprung und einer Auflagefläche im Sinne des Patents ist dort nicht vorhanden, so daß auch die kennzeichnenden Merkmale aus dieser Druckschrift nicht ableitbar sind. Ersichtlich ist der Bindepunkt beim Anschlagen des Schußfadens relativ zur Grundfläche nicht zentriert. Dieser Stand der Technik kann daher ebenfalls keine Anregung vermitteln, den Breithaltertisch in Kombination mit dem Schußeintragskanal so auszubilden, wie es im Anspruch 1 formuliert ist. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin legt deshalb auch die Kombination der Entgegenhaltungen D2 und D0 die Erfindung nicht nahe.
3.2.7. Der beispielsweise in D4 gezeigte Stabbreithalter (Figuren 4 bis 7) weist keinen zum Webblatt gerichteten Vorsprung auf und kann daher zur Lösung des dem Patent zugrunde liegenden technischen Problems nichts beitragen. Der Offenbarungsgehalt der übrigen entgegengehaltenen Druckschriften, von denen D6 bis D9 kommentarlos und nach Aussage der Beschwerdeführerin lediglich zum allgemeinen technologischen Hintergrund eingereicht worden sind, geht im Hinblick auf die Lehre des Anspruchs 1 über den vorstehend behandelten Stand der Technik nicht hinaus, so daß daraus kein zielführender Hinweis resultiert, um ohne erfinderische Leistung zur Lösung gemäß Patentanspruch 1 zu gelangen (Artikel 56 EPÜ).
3.2.8. Mit dem beständigen Anspruch 1 können die abhängigen Ansprüche 2 und 3, die weitere Ausgestaltungen der Erfindung enthalten, ebenfalls aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.