T 0685/01 10-03-2004
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Sicherheitsschalter
I: Moeller GmbH
II: ELAN Schaltelemente GmbH & Co. KG
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen den Widerruf des europäischen Patents Nr. 801 801.
II. Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung hat folgenden Wortlaut:
"Sicherheitsschalter (1) mit einem längsverschiebbaren Stößel (6) als Schalterbetätigungsglied, einem Schaltrad (9) mit einer wenigstens eine Sperrflanke (15') aufweisenden Kurvenbahn (10), an der eine vorgespannte Feder (13) das eine Stößelende in Anlage hält, einem Schlüssel (5), mittels dessen das Schaltrad (9) sowohl beim Einführen in einen Schlüsselkanal (4) als auch beim Herausziehen zwangsläufig drehbar ist, und einer einen Elektromagneten, dessen Statorteil (12) im Gehäuse (2) des Sicherheitsschalters (1) festgelegt ist, aufweisende Sperrvorrichtung, mittels deren der Schlüssel (5) für eine Verzögerungszeit gegen ein Herausziehen aus dem Schlüsselkanal (4) sicherbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß ein Abschnitt (6') des Stößels (6) als Anker des ihn umfassenden Statorteils (12) des Elektromagneten (6', 12) ausgebildet ist."
Die Patentansprüche 2 und 3 sind von Anspruch 1 abhängig.
III. In der angefochtenen Entscheidung wird unter anderem auf die folgenden Beweismittel Bezug genommen (Numerierung D5 durch die Kammer hinzugefügt):
D0: EP-A-0 553 885
D1: EP-A-0 330 229
D2: "Command System - Sicherheitsverriegelung AT0-ZBZ", Klöckner-Moeller, D131-3138, Katalogergänzung, Gültig ab April '93
D4: DE-U-92 12 093 (nachveröffentlicht) und
D5: Kopie der Eidesstattlichen Versicherung des Herrn Heinz-Jürgen Willems datiert vom 26. April 1999, die von der Einsprechenden II mit Schreiben vom 18. Oktober 2000 eingereicht wurde.
IV. Die Einspruchsabteilung hat den Widerruf des Streitpatents damit begründet, daß der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber dem in D0 und D2 offenbarten Stand der Technik nicht erfinderisch sei. D0 offenbare den nächstkommenden Stand der Technik. Dieser Sicherheitsschalter weise zwar kein Schaltrad mit Sperrflanke und nicht die Ausbildung eines Abschnitts des Stößels als Anker des bekannten Elektromagneten auf. Ein Schaltrad mit Sperrflanke sei aber einer Schaltwalze wie in D0 gleichwertig und könne gegen diese ausgetauscht werden. D2 lege eine kompaktere und kostengünstigere Bauweise des Stößels wie beim Streitpatent nahe.
V. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents, hilfsweise die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit Schreiben vom 6. Februar 2004.
VI. Die Einsprechende I hat im Beschwerdeverfahren den Einspruch zurückgenommen. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer am 10. März 2004 fand in Abwesenheit der Einsprechenden I statt.
VII. Die verbliebene Beschwerdegegnerin (Einsprechende II) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
VIII. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Die vorliegende Erfindung gehe von einem Sicherheitsschalter mit Schaltrad nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung aus. Solche Sicherheitsschalter hätten sich im Hinblick auf die erforderliche Manipulationssicherheit bewährt. Wie D0 und D1 erkennen ließen, werde bei drehbaren Stellelementen ein Verriegelungsstößel üblicherweise quer zur Bewegung des Schaltstößels verschoben, um die Zuhaltekraft für das Stellelement zum Blockieren des in den Sicherheitsschalter eingeführten Schlüssels aufzubringen. Solche Bauformen benötigten relativ viel Raum.
D2 stelle keinen gattungsgemäßen Sicherheitsschalter dar, weil er kein drehbares Schaltrad, sondern einen Schieber aufweise und der Stößel des Elektromagneten unmittelbar in den Schlüssel eingreife. Das stelle funktionstechnisch eine grundsätzlich unterschiedliche Lösungsmöglichkeit dar und habe auch nicht dieselbe Wirkung, z. B. hinsichtlich der Einführung eines Schlüssels, der Verriegelung und der Manipulationssicherheit. Im übrigen seien Äquivalenzbetrachtungen bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit nicht angebracht.
Ausgehend von D0 oder D1 hätte der Fachmann in D2 erkannt, daß ein Sicherheitsschalter raumsparender und kostengünstiger gebaut werden könne, wenn auf ein drehbares Stellelement verzichtet werde, indem der Stößel unmittelbar in den Schlüssel eingreife. D4 und D5 bestätigten, daß der Fachmann gerade hierin die auffälligen Merkmale der D2 gesehen hätte. Denn die Einsprechende I habe offensichtlich hierin die Erfindung der nachveröffentlichten Gebrauchsmusteranmeldung D4 (Patentanspruch 1) gesehen. Auch D5 hebe die Bedeutsamkeit dieser Merkmale hervor, da sich der Verfasser noch 1999 an diese wesentlichen Unterschiede erinnert habe. Der Fachmann hätte, ausgehend von D0 oder D1, gerade diese Merkmale der D2 übernommen und ein drehbares Stellelement weggelassen. Die erfinderische Kombination möge zehn Jahre nach dem Anmeldetag und in Kenntnis der Erfindung banal erscheinen. Es sei aber für eine objektive Bewertung der erfinderischen Tätigkeit unzulässig, in Kenntnis der Erfindung eine mosaikhafte Auswahl einzelner Elemente aus zwei eigenständigen Lösungen zu treffen. Es komme vielmehr darauf an, was der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung tatsächlich gemacht hätte. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung sei daher für den Fachmann nicht naheliegend gewesen.
Diese Ansicht habe im übrigen auch die Einspruchsabteilung in einem Bescheid vertreten und ihre Meinung anscheinend erst geändert, nachdem die Einsprechende II den Widerrufsbeschluß des Deutschen Bundespatentgerichts vom 27. April 1999 betreffend die deutsche Prioritätsanmeldung des europäischen Streitpatents eingereicht habe. Das Streitpatent entfalte in Deutschland keine Wirkung. Mithin könne die Entscheidung des Bundespatentgerichts unbeachtlich ihrer Begründung, mit der die Beschwerdeführerin nicht einverstanden sei, kein Präjudiz für die Entscheidung über das europäische Patent darstellen.
IX. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende II) argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Gemäß Patentschrift (Spalte 1) gehe das Streitpatent von einem bekannten Sicherheitsschalter mit Schaltrad nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung aus. Das einzige neue Merkmal sei, daß ein Abschnitt des Stößels als Anker des ihn umfassenden Statorteils des Elektromagneten ausgebildet sei. Damit werde eine kostengünstige und raumsparende Anordnung realisiert.
Gattungsgemäße Sicherheitsschalter würden auf dem Gebiet der Arbeitssicherheit als "Verriegelungen mit Zuhaltungen" bezeichnet. Ein Einschalten einer Maschine dürfe hier nur erfolgen, wenn der Schlüssel eingeführt und mittels Magnet- oder Federkraft blockiert sei. Das Herausziehen des Schlüssels erfolge zeitverzögert, um sicherzustellen, daß eine gefahrbringende Bewegung bereits zum Stillstand gekommen sei. Solche Sicherheitsschalter seien notwendigerweise manipulationssicher auszuführen. Der Stößel als Schalterbetätigungsglied könne dabei entweder direkt oder über ein verstellbares Element in den Schlüssel eingreifen. Ein verstellbares Element könne drehbar sein (wie beim Streitpatent) und müsse dann notwendigerweise eine Sperrflanke aufweisen. Drehbare Elemente seien in D0 (eine Schaltwalze) und in D1 (ein exzentrisch gelagertes Stellglied) offenbart.
Bei dieser Ausgangslage gehe es beim Streitpatent einzig um die Weiterbildung der Sperrvorrichtung. Die anderen Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung leisteten keinen Beitrag zur Lösung der Aufgabe, eine kostengünstige und raumsparende Realisierung zu ermöglichen. Sie sollten daher nach geltender Rechtsprechung wie in T 37/82 (ABl. EPA, 1984, 71) nicht berücksichtigt werden.
Die Ausbildung eines Abschnitts des Stößels als Anker zur Lösung dieser Aufgabe sei für den Fachmann identisch der D2 zu entnehmen. Was D4 hierzu ausführe, sei für die objektive Lehre der D2 unbedeutend. Ein Schaltrad (wie beim Streitpatent) und ein Sperrschieber (wie in D2) stellten technisch gleichwirkende Mittel und glatt austauschbare Elemente dar, die ein Fachmann in Betracht ziehe, um den Stößel an der Aufwärtsbewegung zu hindern und die Kontakte offen zu halten. Die Funktion des Sicherheitsschalters werde durch die Kombination einer kompakteren Ankerstößelanordnung mit einem Schaltrad nicht beeinflußt. Es sei daher nicht erfinderisch, die Ankerstößelanordnung zur Lösung derselben Aufgabe wie in D2 weiterzubilden.
Der Fachmann wäre aber auch ausgehend von D2 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags gelangt. Das Ankerstößelende greife bei diesem Schalter im verriegelten Zustand in den Schlüssel ein. Der verstellte Sperrschieber verhindere die Aufwärtsbewegung des Stößels bei abgezogenem Schlüssel. Wenn nicht eine unmittelbare Blockierung des Schlüssels durch den Stößel, sondern nur eine mittelbare erfolgen solle, dränge es sich für einen Durchschnittsfachmann auf, den Schieber durch ein Schaltrad oder durch ein gleichwirkendes Element, wie eine Schaltwalze (D0) oder ein exzentrisch gelagertes Stellglied (D1), auszutauschen. Dies gelte insbesondere, wenn der Sperrschieber die Manipulationssicherheit nicht in dem Maße gewährleiste wie die drehbaren Stellelemente.
Auch D5 zeige, daß es für einen auf dem Gebiet der Sicherheitsschalttechnik tätigen Fachmann offensichtlich gewesen sei, daß der Schlüssel gemäß D2 entweder nur mit einem Sperrschieber oder einem Schaltrad wechselwirken könne. Es sei daher nicht nachvollziehbar, was einen Fachmann hätte abhalten können, die technisch gleichwirkenden Elemente Sperrschieber und Schaltrad auszutauschen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung stellt den einzigen strittigen Punkt bezüglich des Hauptantrags der Beschwerdeführerin dar.
3. Gemäß Patentanspruch 1 weist der Sicherheitsschalter unter anderem einen Stößel als Schalterbetätigungsglied, ein Schaltrad, einen Schlüssel und eine Sperrvorrichtung mit Elektromagneten auf. Der Schlüssel ist mittels der Sperrvorrichtung gegen ein Herausziehen sicherbar. Das Schaltrad ist mittels des Schlüssels zwangsläufig drehbar und weist eine Kurvenbahn mit einer Sperrflanke auf. Die Sperrvorrichtung verhindert durch das Zusammenwirken von Stößelende und Sperrflanke ein Drehen des Schaltrades, wenn der Schlüssel vollständig in den Schlüsselkanal eingeführt ist (Patentschrift, Spalte 1, Zeile 47 bis Spalte 2, Zeile 17; Figur). Da ein Abschnitt des Stößels als Anker des Elektromagneten ausgebildet ist und das Stößelende mittels Federkraft in Anlage an der Kurvenbahn gehalten wird, sorgt das Zusammenspiel aus Federkraft und Magnetkraft für die erforderliche Sperrkraft. Gegenüber bekannten Sicherheitsschaltern soll damit die Aufgabe gelöst werden, einen Sicherheitsschalter zu schaffen, dessen Sperrvorrichtung sich kostengünstig und raumsparend realisieren läßt (Patentschrift; Spalte 1, Zeilen 30 bis 35). Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, wirken die Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung funktionell zusammen und sind für die Lösung der gestellten Aufgabe von Bedeutung, da die Art der Sperrvorrichtung den technischen Aufwand und die Baugröße beeinflußt. Bei diesem Sachverhalt gibt es keinen Grund, in Anlehnung an den in T 37/82 (supra) entschiedenen Fall gewisse Merkmale bei der Lösung der Aufgabe außer Betracht zu lassen.
4. Beim nachgewiesenen Stand der Technik bringt ein Elektromagnet ein Verriegelungselement mit einem separaten Schaltstößel oder mit einer Ausnehmung des Schlüssels in Eingriff. Im ersten Fall bewirkt ein quer zur Bewegung des Schaltstößels verschobenes Verriegelungselement, daß der Stößel blockiert wird und das Drehen einer Schaltwalze (D0, Spalte 13, Zeilen 20 bis 32; Spalte 14, Zeilen 6 bis 13; Figuren 18 bis 35) oder eines exzentrisch gelagerten Stellgliedes (D1, Spalte 9, Zeilen 14 bis 36; Figuren 1, 2 und 7) verhindert. Über das drehbare Stellglied wird der Schlüssel in der eingeführten Position zwangsweise festgehalten. Wegen der Querbewegung in Verbindung mit einer formschlüssigen Blockierung des Stößels ist nur eine kleine Magnetkraft erforderlich (D1, Spalte 4, Zeilen 13 bis 21). Im zweiten Fall wird ein Stößelende quer zur Bewegungsrichtung des Schlüssels in Eingriff mit einer Ausnehmung des Schlüssels gebracht und benötigt deshalb ebenfalls nur eine geringe Magnetkraft. Dieser Stößel kann ein separater Verriegelungsstößel (D0, Spalte 16, Zeilen 9 bis 14; Figuren 36 bis 40) oder das Schalterbetätigungsglied selbst sein, wobei ein Abschnitt des Stößels als Anker des Elektromagneten ausgebildet ist (D2, Bild 1 bis Bild 3).
5. Ausgehend von einem Stand der Technik nach D0 oder D1 hätte der Fachmann in D2 erkennen können, daß ein drehbares Stellglied oder auch ein separater Verriegelungsstößel weggelassen werden können, wenn der Schaltstößel direkt in eine Ausnehmung eines Schlüssels eingreift. Das führt zu einer kompakten Bauform, die in D2 (Seite 2, linke Spalte) auch explizit erwähnt ist. Durch ein verschiebbares Element des Sicherheitsschalters in D2 (Bild 3) kann der Stößel bei entferntem Schlüssel an einer Aufwärtsbewegung in den Schlüsselkanal hinein gehindert werden. Diese Funktionen und die Vorteile, die sich aus dem Weglassen eines drehbaren Stellgliedes ergeben, gehen offensichtlich auch aus der Eidesstattlichen Versicherung D5 hervor. Der Fachmann hätte also keinen naheliegenden Grund gehabt, gerade die Vorteile der Ausführung in D2 wegzulassen und allein das Merkmal zu übernehmen, das in D2 nur skizzenhaft dargestellt ist (und durch D5 bestätigt wird), nämlich daß ein Abschnitt des Stößels als Anker des Elektromagneten ausgebildet ist.
6. Auch ausgehend von D2 hätte der Fachmann einen solchen Schaltstößel nicht mit einem Schaltrad nach dem Streitpatent kombiniert. Denn einerseits ginge eine solche Maßnahme gegen die in D2 erkennbare Lehre, ein drehbares Stellelement wegzulassen und dadurch eine kompaktere Bauweise zu erhalten. Andererseits hätte der Fachmann ohne Kenntnis des Streitpatents ein drehbares Stellelement wie beim Stand der Technik nach D0 oder D1 gewählt, wenn er sich davon eine höhere Manipulationssicherheit erwartet hätte. Wie schon oben ausgeführt, werden dort die drehbaren Stellelemente nach einem anderen Prinzip verriegelt als beim Streitpatent. Es gab keinen naheliegenden Grund, ein Schaltrad durch Zusammenwirken eines Ankerteils mit einer Kurvenbahn und Sperrflanke des Schaltrades über die Magnetkraft zu verriegeln oder zu entriegeln (Patentschrift, Spalte 1, Zeile 57 bis Spalte 2, Zeile 6). Bei dieser Sachlage braucht auf weitere Unterschiede zwischen Schaltwalze (D0), exzentrisch gelagertem Stellglied (D1) und Schaltrad nicht eingegangen zu werden.
7. Die Kammer ist daher der Auffassung, daß sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt und somit als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gilt (Artikel 56 EPÜ). Da dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben werden kann, kommen die Hilfsanträge der Beschwerdeführerin nicht zum Tragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.