T 0037/82 (Niederspannungs-Schalter) 29-07-1983
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1. Wenn eine technische Maßnahme in der ursprünglichen Anmeldung eindeutig offenbart wurde, ihre Wirkung aber nicht oder nicht vollständig erwähnt wurde, sich jedoch aufgrund normaler fachmännischer Überlegungen aus der ursprünglichen Anmeldung ableiten läßt, so verstößt eine nachträgliche Erläuterung dieser Wirkung in der Beschreibung nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ.
2. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Kombination von Merkmalen ist ein Merkmal nur zu berücksichtigen, wenn der Anmelder glaubhaft gemacht hat, daß es für sich allein oder in Verbindung mit einem oder mehreren der anderen Merkmale zur Lösung der in der Beschreibung gestellten Aufgabe beiträgt.
Änderung der Ansprüche
Nachträgliche Angabe der Wirkung
Erfinderische Tätigkeit - Kombination von Merkmalen
I. Die am 22. Dezember 1978 eingereichte europäische Patentanmeldung 78 101 828.8 (Veröffentlichungsnummer 0 003 236) mit beanspruchter Priorität vom 19. Januar 1978 (DE) wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 6. Oktober 1981 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung lagen die am 20. Mai 1981 eingereichten Patentansprüche 1 bis 4 zugrunde.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der Gegenstand der Anmeldung im Hinblick auf die US-A-3 632 939 und das allgemeine Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin am 27. November 1981 Beschwerde ein und begründete diese zugleich. Die Beschwerdegebühr wurde am 27. November 1981 entrichtet. In der Beschwerdeschrift hat die Anmelderin im wesentlichen folgendes vorgebracht: Die Prüfungsabteilung sei an der Tatsache vorbeigegangen, daß auch die heutigen marktüblichen Niederspannungs-Leistungsschalter, die nach Bauform und Anwendungszweck mit dem Anmeldungsgegenstand zu vergleichen sind, keine Merkmale aufweisen, die auf eine durchgehende Abdichtung hinzielen. Die Entwicklung dieser Schalter zeige zwar an verschiedenen Stellen die Anwendung von Dichtungsmaßnahmen, ohne aber in die Richtung einer systematischen durchgehenden Trennung der benachbarten Polbahnen zu weisen, wodurch eine sorgfältige Beachtung der Netz- und Lastseite nicht mehr nötig sei.
IV. Die Anmelderin hat am 13. Dezember 1982 neue Ansprüche 1 bis 3 eingereicht und im Laufe der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 1982 noch einige Änderungen dazu beantragt. Der neue Anspruch 1 ist im Vergleich zu der von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Fassung beschränkt durch Hinzunahme von Merkmalen des damaligen Anspruchs 4. Die Anmelderin hat dabei zur Erläuterung des neuen Anspruchs 1 vorgetragen, daß durch die Kombination aller Merkmale der Effekt auftrete, daß die Schaltgase gezwungen werden, nur an den dafür vorgesehenen Stellen aus dem Gehäuse des Schalters zu entweichen, was zur Steigerung der Schaltleistungen führe. Dabei werde insbesondere durch die Anordnung der Vor- und Rücksprünge eine Kraftübertragung zwischen Ober- und Unterteil in Längsrichtung des Schalters erreicht, die zur Beherrschung solcher gesteigerter Schaltleistungen beitrage. Die Anmelderin hat beantragt, ein europäisches Patent zu erteilen aufgrund dieser 3 Patentansprüche, die wie folgt lauten:
"1. Niederspannungs-Leistungsschalter (1) mit mehreren parallel zueinander angeordneten Polbahnen, die jeweils eine Anschlußvorrichtung (5), ein feststehendes Schaltstück (6), ein bewegliches Schaltstück (7), einen biegsamen Leiter (10), einen Auslöser (Heizleiter 11) und eine weitere Anschlußvorrichtung (12) umfassen, wobei eine der Polbahnen zusätzlich einen Antriebsmechanismus (16, 17) zur Betätigung aller beweglichen Schaltstücke (7) enthält, sowie mit einem entlang einer Teilfuge (8) in ein Oberteil (3) und ein Unterteil (4) geteilten Isolierstoffgehäuse (2), dessen zwischen den Polbahnen befindliche Trennwände (22, 23) einander stufig überlappen und nahe ihren Enden Öffnungen (18, 19) für Verbindungsschrauben benutzen, dadurch gekennzeichnet, daß
a) die Trennwände (22, 23, 52, 53; 77, 78, 86, 87) des Oberteiles (3; 85) und des Unterteiles (4; 70) einander auf ihrer ganzen Länge und die Außenwände (20, 21, 50, 51; 72, 73) beider Gehäuseteile (3, 4; 70, 85) einander im wesentlichen auf ihrer ganzen Länge überlappen;
b) Unterbrechungen (74, 75, 76) der Überlappung im Bereich der beiden Außenwände (72, 73) gegeneinander versetzt angeordnet sind;
c) die Trennwände (22, 23) im Bereich die benachbarten Polbahnen miteinander verbindender Bauteile (14) stufig abgesetzte Ausnehmungen (25, 31; 26, 32) besitzen und daß in die Ausnehmungen die Bauteile (14, 30) stufig übergreifende Einsatzstücke (35) eingefügt sind und daß
d) die Trenn- bzw. Außenwände (20, 21, 22, 23) des Ober- und des Unterteiles (3, 4) des Isolierstoffgehäuses (2) nahe einem der stirnseitigen Enden mit einem Vor- bzw. einem Rücksprung (60, 61, 62, 63) maßgenau ineinandergreifen und daß alle übrigen Vor- und Rücksprünge (64, 65, 66, 67) im Verlauf der Außenwände (20, 21) und der Trennwände (22, 23) beider Gehäuseteile (3, 4) mit Spiel ineinandergreifen.
2. Niederspannungs-Leistungsschalter nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die erhabenen Teile (52b, 53b) der Trennwände (52, 53) des einen Gehäuseteiles (3) im Bereich von Schraubenlöchern (56, 57) gegabelt (52c, 53c, 52d, 53d) ausgeführt sind und der eine Gabelarm (52d, 53d) einen Teil der Wandung jeweils eines Schraubenloches (18, 19) bildet und daß die Trennwände (22, 23) des anderen Gehäuseteils (4) zur Aufnahme zwischen die Gabelarme bestimmte inselartige Vorsprünge (22c, 23c) aufweisen, die ebenfalls jeweils einen Teil der Wandung eines Schraubenloches (18, 19) bilden.
3. Niederspannungs-Leistungsschalter nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Schraubenlöcher (90, 91) in den erhabenen Teil (86b, 87b) der Trennwände (86, 87) des einen Gehäuse teils (85) vollständig einbezogen sind, dieser die Schraubenlöcher enthaltende Bereich (86c, 87c) zwischen dem erhabenen Teil (77b, 78b) der Trennwände (77, 78) des anderen Gehäuseteiles (70) und einem zusätzlichen erhabenen Teil (77c, 78c) aufgenommen ist und daß die Vor- und Rücksprünge (92, 93, 94, 95) nahe bei den Schraubenlöchern (80, 81, 90, 91) angeordnet sind.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106-108 und der Regel 64 EPÜ, sie ist daher zulässig.
2. Die Art und Weise, in welcher die Anordnung der Vor- und Rücksprünge zur Erreichung einer höheren Schaltleistung beiträgt, wurde zwar in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht nicht in expliziter Form erläutert. Es wurde aber diese Anordnung an sich deutlich beschrieben, und es wurde auch schon an mehreren Stellen darauf hingewiesen, daß dadurch eine Kraftübertragung in Längsrichtung des Schalters ermöglicht wird. Die Beschwerdekammer ist der Auffassung, daß die Art und Weise, in welcher diese Kräfte in Längsrichtung durch die Wirkung der Schaltgase hervorgerufen werden, vom Fachmann mühelos der ursprünglichen Beschreibung entnommen werden kann. Unter diesen Umständen liegt kein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ vor, wenn diese Wirkung jetzt entsprechend Regel 27 (1) d) EPÜ in der Beschreibung ausdrücklich hervorgehoben wird.
3. Zugleich ist damit glaubhaft gemacht, daß das Merkmal d, das diese Anordnung der Vor- und Rücksprünge betrifft, zur Lösung derselben Aufgabe wie die anderen Merkmale (a-c) beiträgt. Dies ist erforderlich, da andernfalls ein solches Merkmal bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht bleiben muß.
4. Es folgt, daß die Erfindung, wie sie sich in der nunmehr geltenden Fassung des Anspruchs 1 darstellt, in der ursprünglich eingereichten Fassung der europäischen Patentanmeldung in einer Weise offenbart wurde, die den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ entspricht.
5. Die Anordnung der Vor- und Rücksprünge (Merkmal d) ist an sich neu. Obwohl die Merkmale a-c jedes für sich und in Kombination keine erfinderische Tätigkeit aufweisen, wie die Prüfungsabteilung zu Recht in ihrer Entscheidung festgestellt hat, so ergibt sich doch die Kombination der Merkmale a-d nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Der Schalter nach Anspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit, und der Anspruch 1 ist gewährbar.
6. Die auf den Anspruch 1 zurückgehenden Ansprüche 2 und 3 betreffen besondere Ausführungsformen des Schalters nach Anspruch 1, sie können deshalb gleichfalls gewährt werden.
7. Die am 3. Mai 1983 eingereichten Änderungen in der Beschreibung dienen der Berücksichtigung des Standes der Technik sowie zur klaren Darstellung der Aufgabe und deren Lösung entsprechend Regel 27 (1) c) und d) EPÜ. Gegen sie bestehen deshalb keine Bedenken.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Sache an die Prüfungsabteilung mit der Auflage zurückverwiesen, auf die Anmeldung ein europäisches Patent aufgrund folgender Unterlagen zu erteilen:
1. Beschreibung mit Änderungen vom 3. Mai 1983,
2. Patentansprüche wie beantragt in der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 1982.
3. ursprüngliche Zeichnung.