T 1047/03 08-09-2005
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Ausführbarkeit (bejaht)
Neuheit (bejaht) - offenkundige Vorbenutzung nicht zweifelsfrei nachgewiesen
Beschränkte Amtsermittlungspflicht wegen Rücknahme des Einspruchs
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 047 525 Beschwerde eingelegt.
Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ, wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit, sowie unter Artikel 100 b) EPÜ, wegen mangelnder Ausführbarkeit von der Einsprechenden angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Dem Gegenstand des Anspruchs 1 mangelte es aber gegenüber einer nicht bestrittenen offenkundigen Vorbenutzung einer Schleifscheibe gemäß zweier schriftlicher Erklärungen und Zeichnungen an der notwendigen Neuheit.
Mit dem Bescheid vom 15. März 2005, der als Anlage zur Ladung für die für den 10. Juni 2005 vorgesehene mündliche Verhandlung vor der Kammer beigefügt war, teilte die Kammer ihre vorläufige Meinung im Hinblick auf Anspruch 1 des einzigen Antrages mit.
II. Gemäß dem mittels Fax vom 26. April 2005 eingereichten Antrag der Beschwerdeführerin wurde die mündliche Verhandlung im Einvernehmen mit beiden Parteien auf den 8. September 2005 verlegt.
III. Mit Fax vom 6. September 2005 zog die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) ihren Einspruch zurück.
IV. Mit dem Fax vom 6. September 2005 teilte die Kammer daraufhin der Beschwerdeführerin mit, daß im Hinblick auf die im Beschwerdeverfahren bestrittene offenkundige Vorbenutzung nach der Zurücknahme des Einspruchs, weder die Offenkundigkeit der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung noch die Offenbarung derselben in ausreichendem Maße nachgewiesen werden können. Die Kammer sei im übrigen der Auffassung, daß die druckschriftlichen Dokumente D1 bis D6 den Gegenstand von Anspruch 1 weder vorwegnehmen, noch nahelegen können. Die Kammer beabsichtige, bei der mündlichen Verhandlung in diesem Sinne zu entscheiden, so daß eine Anwesenheit des Vertreters der Patentinhaberin nicht erforderlich zu sein scheine.
V. Am 8. September 2005 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die Kammer stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht erschienen war, obwohl ordnungsgemäß geladen. Die Kammer stellte weiter fest, daß der Einspruch zurückgezogen worden war und daß der Antrag der Beschwerdeführerin gemäß Beschwerdebegründung vom 8. Dezember 2003 auf die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung gerichtet ist.
VI. Bei der Entscheidung wurden die folgenden Dokumente berücksichtigt:
D1 = CH-A-687 913
D2 = US-A-5 185 959
D3 = DE-A-3 534 425
D4 = DE-A-3 706 886
D5 = DE-U-8 627 694.8
D6 = DE-U-7 202327
VII. Anspruch 1 in der erteilten Fassung lautet wie folgt:
"1. Schleifscheibe (20) mit Umfangsrille zum Schleifen der Kanten von Glasscheiben (11) unter Zuführung eines Kühlfluids zur Schleifstelle (18), wobei die Schleifscheibe (20) eine durchgehende Zentrierbohrung (19) für den Zentrierzapfen (16) einer Schleifspindel (1) aufweist und im aufgespannten Zustand mit einer seitlichen Anschlagfläche (8) an einer Gegenfläche (7) der Schleifspindel (1) anliegt, wobei die Axialposition der Schleifspindel relativ zur Ebene der Glasscheibe so eingestellt wird, daß die mittlere Radialebene (21) der Umfangsrille mit der Mittelebene (22) der axial unverrückbaren Glasscheibe zusammenfällt, dadurch gekennzeichnet, daß 1.0 ausgehend von der Zentrierbohrung (19) die Schleifscheibe (20) an zwei sich gegenüberliegenden Flachseiten (I,II) jeweils eine genau definierte Anschlagfläche (8(I), 8(II)) aufweist, sowie 1.1 zwei identisch ausgeformte Umfangsrillen (13,14) von denen jede einer anderen der beiden Anschlagflächen (8(I),8(II)) in einer Weise zugeordnet ist, daß 1.2. die mittleren Radialebenen der beiden Umfangsrillen (13,14) von der ihnen jeweils zugeordneten Anschlagfläche (8(I),8(II)) denselben Abstand (X,X) haben."
VIII. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die von der Einsprechenden behauptete Vorbenutzung bei Hamilton Glass Products ist nicht offenkundig geworden und bezüglich der genannten weiteren Abnehmern wurden keine weiteren Einzelheiten der genauen Umstände vorgetragen bzw. sind nicht mit Beweismitteln belegt worden. Im Übrigen war die als vorbenutzt behauptete Schleifscheibe nicht für einen Wendebetrieb entwickelt worden. Der Einsatz der Schleifscheibe in einem Wendebetrieb sei auch nicht nachgewiesen worden. Es sei deshalb davon auszugehen, daß es sich bei dieser Schleifscheibe um einen zu diesem Zeitpunkt üblichen Typ einer Mehrrillenscheibe gehandelt hat, bei der durch axiales Verstellen der Schleifspindel mit der darauf montierten Schleifscheibe zwischen den Umfangsrillen gewechselt wird. Folglich mussten bei der Auslegung und Produktion dieser Schleifscheiben auch keine besonders hohen Anforderungen an die zweite, nicht als genau definierte Anschlagsfläche vorgesehene Seitenfläche der Schleifscheibe gestellt werden.
Auch aus dem druckschriftlichen Stand der Technik läßt sich kein Hinweis auf die erfindungsgemäße Ausgestaltung einer Schleifscheibe entnehmen.
1. Verfahrensfragen
1.1 Da mit der angefochtenen Entscheidung das Patent widerrufen worden war, hat die Rücknahme des Einspruchs nach ständiger Rechtsprechung keine unmittelbare verfahrensrechtliche Bedeutung für das Beschwerdeverfahren; allerdings ist die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hinsichtlich der Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage, 2001, Sektion C.VII.D.11.2; siehe Entscheidungen T 629/90, ABl. EPA 1992, 654, und T 789/89, ABl. EPA 1984, 482).
Die Kammer hat daher die Entscheidung der Einspruchsabteilung sachlich zu überprüfen und kann deren Entscheidung nur dann aufheben und das Patent aufrechterhalten, wenn es hinsichtlich der von der Einsprechenden vorgebrachten Einspruchsgründe den Erfordernissen des EPÜ entspricht (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage, 2001, Sektion VII.C.6.2; siehe Entscheidung T 629/90, ABl. EPA 1992, 654; und siehe T 958/92, unveröffentlicht).
1.2 Eine von einer bisherigen Einsprechenden behauptete offenkundige Vorbenutzung muß nicht geprüft werden, wenn die Einsprechende aus dem Verfahren ausgeschieden ist und die maßgeblichen Tatsachen ohne deren Mitwirken schwer oder überhaupt nicht zu ermitteln sind (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage, 2001, Sektion VII.D.6.4; siehe Entscheidung T 34/94, unveröffentlicht; und T 129/88, ABl. EPA 1993, 598).
1.3 Im vorliegenden Fall besteht die maßgebliche Frage darin, ob die behauptete Vorbenutzung offenkundig war bzw. welcher Gegenstand vorbenutzt worden ist. Nachdem die Beschwerdegegnerin aus dem Verfahren ausgeschieden ist, läßt sich dieser Sachverhalt nicht mehr aufklären, da es der Mitwirkung der Beschwerdegegnerin bspw. betreffend der Einvernahme des von der Einsprechenden angebotenen Zeugen bedürfte. Im Hinblick auf die Einwände der Beschwerdeführerin wurde eine offenkundige Vorbenutzung nicht überzeugend nachgewiesen. Die Kammer vermag somit die behauptete offenkundige Vorbenutzung nicht zu berücksichtigen.
2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) bzw. 83 EPÜ)
Nach Prüfung der Offenbarung des Streitpatents ist die Kammer der Überzeugung, daß der Fachmann aufgrund der Beschreibung der identischen Abstände zwischen den beiden mittleren Radialebenen der beiden Umfangsrillen zu den jeweiligen Anschlagflächen, die für einen Wendebetrieb geeignete beanspruchte Doppelrillenschleifscheibe herstellen kann.
Die Ausführbarkeit war auch in der Entscheidung der Einspruchsabteilung anerkannt worden, so daß eine eingehendere Begründung nicht erforderlich ist.
3. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Die Doppelrillenschleifscheibe nach Anspruch 1 ist neu, da ein Neuheitseinwand ausschließlich ausgehend von den behaupteten offenkundigen Vorbenutzungen geltend gemacht worden ist und keine der Entgegenhaltungen eine Schleifscheibe mit sämtlichen Merkmalen des Anspruchs 1 offenbart.
4. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
4.1 Die Einspruchsabteilung hat sich in der angefochtenen Entscheidung zur Relevanz der Dokumente D1 bis D6 im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit nicht geäußert. Eine Überprüfung der Entgegenhaltungen ergab, daß die zusätzlichen Dokumente D2, D5 und D6 noch weniger relevant als die schon im Prüfungsverfahren zutreffend berücksichtigten Dokumente D1, D3 und D4 sind.
4.2 Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Ansicht der Kammer auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.3 Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 definieren bevorzugte Ausführungsformen der Schleifscheibe gemäß Anspruch 1 und weisen daher ebenfalls eine erfinderische Tätigkeit auf.
5. Das Patent genügt somit den Erfordernissen des Artikels 52 (1) in Verbindung mit den Artikeln 54 bzw. 56 EPÜ sowie von Artikel 83 EPÜ und kann daher unverändert aufrechterhalten bleiben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.