T 1494/05 03-04-2006
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Vorrichtung zum Prüfen elektrischer Leitungen
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 1 304 579 (Anmeldenummer 02017099.9) wurde mit der am 8. Juli 2004 zur Post gegebenen Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen. Die Entscheidung war damit begründet, daß der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unter Berücksichtigung von Dokumenten E oder F und D dem Erfordernis des Artikels 56 EPÜ nicht genüge.
II. Am 18. August 2004 legte der Anmelder gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 19. November 2004 ein. Die Beschwerdeakte führt das Aktenzeichen T 1359/04.
Der Anmelder als Beschwerdeführer machte geltend, daß sein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ verletzt worden sei, da sich die angefochtene Entscheidung auf Dokumente stützte, nämlich E und F, die erst nach Verkündung der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2004 vor der Prüfungsabteilung in das Verfahren eingeführt worden seien.
III. Mit der Entscheidung T 1359/04 vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, daß dem Beschwerdeführer, insoweit sich die angefochtene Entscheidung auf die Dokumente E und F stützte, das rechtliche Gehör nicht gewährt worden sei. Die Beschwerdekammer entschied deshalb, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Angelegenheit "zur weiteren Prüfung" an die erste Instanz zurückzuverweisen und dem Antrag des Beschwerdeführers auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr stattzugeben.
IV. Im Anschluß daran wies die Prüfungsabteilung die Patentanmeldung mit der am 30. Juni 2005 zur Post gegebenen Entscheidung ohne weitere Mitteilung oder Aufforderung zur Stellungnahme an den Anmelder erneut zurück. Die Entscheidung war wieder damit begründet, daß der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 unter Berücksichtigung der Dokumente E oder F und D dem Erfordernis des Artikels 56 EPÜ nicht genüge.
V. Am 19. August 2005 legte der Anmelder gegen diese Entscheidung die vorliegende Beschwerde ein und entrichtete gleichzeitig die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung ging am 9. November 2005 ein.
Der Anmelder als Beschwerdeführer machte geltend, daß sein Anspruch auf rechtliches Gehör erneut verletzt worden sei, da die Prüfungsabteilung, bevor sie die angefochtene Entscheidung getroffen habe, dem Anmelder wiederum keine Gelegenheit gegeben habe, zum relevanten Sachverhalt Stellung zu nehmen.
Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen und die Rückerstattung der Beschwerdegebühr anzuordnen. Hilfsweise beantragte der Beschwerdeführer, ein Patent zu erteilen und einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Im Fall T 1359/04 hatte die Beschwerdekammer darüber zu entscheiden, ob der Anspruch des Anmelders auf rechtliches Gehör verletzt wurde.
Laut Beschwerdeführer stützte sich damals die angefochtene Entscheidung auf Dokumente, nämlich E und F, die erst nach Verkündung der Entscheidung durch die Prüfungsabteilung in das Verfahren eingeführt worden seien. Somit gründete sich die Entscheidung auf einen Sachverhalt, zu dem der Beschwerdeführer entgegen Artikel 113 (1) EPÜ keine Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Gegen diese Darlegung der Fakten stand die Aussage in der angegriffenen Entscheidung, dem Beschwerdeführer seien in der mündlichen Verhandlung Kopien der Dokumente E und F übergeben worden.
Die Beschwerdekammer stellte damals fest, daß es aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 22. Juni 2004 nicht eindeutig hervorgehe, ob die neu herangezogenen Dokumente E und F tatsächlich vor Verkündung der Entscheidung dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme überreicht worden seien. Die Beschwerdekammer stellte ferner fest, daß in der angefochtenen Entscheidung keine sich auf die Entgegenhaltungen E und F beziehenden Argumente des Beschwerdeführers abgehandelt worden seien. Dies wurde als ein Indiz dafür bewertet, daß eine Auseinandersetzung über die Dokumente E und F vor Verkündung der Entscheidung nicht stattgefunden hatte.
Angesichts dieser Lage sah sich die Beschwerdekammer außer Stande, den tatsächlichen Gang der Ereignisse aufzuklären. Aus Gründen der Billigkeit hielt sie es für angemessen, zu Gunsten des Beschwerdeführers zu vermuten, daß ihm, insoweit sich die angefochtene Entscheidung auf die Dokumente E und F stützte, das rechtliche Gehör nicht gewährt worden sei. Die Beschwerdekammer verwies deshalb die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die erste Instanz zurück.
3. Im vorliegenden Fall macht sich die Beschwerdekammer die rechtliche Beurteilung zu Eigen, die der Entscheidung T 1359/04 zugrunde liegt. Die rechtliche Beurteilung der früheren Beschwerdekammer bestand darin, daß das Prüfungsverfahren von der Prüfungsabteilung fortzusetzen sei, um dem Anmelder gemäß Artikel 113 (1) EPÜ Gelegenheit zu geben, vor einer weiteren Entscheidung der Prüfungsabteilung zum Sachverhalt bezüglich der Dokumente E und F Stellung zu nehmen. An diese rechtliche Beurteilung war die Prüfungsabteilung gemäß Artikel 111 (2) EPÜ gebunden. Dennoch hat sie ohne weitere Mitteilung oder Aufforderung zur Stellungnahme an den Anmelder die Patentanmeldung wiederum unter Verwendung der Dokumente E und F zurückgewiesen. Dabei ist es unerheblich, daß sich der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren mit den Dokumenten E und F auseinandergesetzt hat. Entscheidend ist, daß im Verfahren vor der Prüfungsabteilung der Anspruch des Anmelders auf rechtliches Gehör erneut verletzt wurde, indem die Prüfungsabteilung die Anmeldung zurückwies, ohne zuvor in einem Zwischenbescheid die Fortsetzung des Verfahrens anzukündigen und dem Anmelder so zu ermöglichen, im Prüfungsverfahren vor der Prüfungsabteilung zu diesen Dokumenten Stellung zu nehmen und eventuell seine Anträge anzupassen (T 892/92, Ziff. 2.1).
4. Der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten, zu den entscheidungserheblichen Gründen gehört zu werden, bevor eine Entscheidung zu ihren Ungunsten getroffen wird, stellt einen wesentlichen Verfahrensgrundsatz der Verfahren vor dem Europäischen Patentamt dar (Artikel 113 (1) EPÜ). Die Verletzung dieses Grundsatzes ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten, der die Zurückverweisung der Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz (Artikel 111 (1), zweiter Satz, zweite Alternative, EPÜ und Artikel 10 VOBK) und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr (Regel 67 EPÜ) rechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird stattgegeben.