T 1633/06 (Gewebekleber/BAXTER) 19-06-2009
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Gewebekleber auf Basis von Fibrinogen
I. Die am 17. Oktober 2006 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers (Einsprechender) richtet sich gegen die am 12. September 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 007 109 zurückgewiesen wurde. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 lautete wie folgt:
"1. Gewebekleber auf Basis von Fibrinogen, dadurch gekennzeichnet, daß er einen zugesetzten Elastase-Inhibitor enthält."
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Patent in seinem gesamten Umfang wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und unzureichender Offenbarung der Erfindung angegriffen worden. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem die folgenden Druckschriften angezogen:
(3) K. Kolev et al., Journal of Biological Chemistry Vol. 269, No. 25, 1994, Seiten 17030 bis 17034,
(4) D. Collet et al., Biomaterials 1991, Vol. 12, Seiten 763 bis 766 und
(6) EP-A-0 253 198.
III. Die angefochtene Entscheidung stellte fest, dass der Gegenstand des Streitpatentes gegenüber den zitierten Druckschriften neu sei und dass das Streitpatent die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, ausreichend offenbare. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ging sie von Druckschrift (6) als nächstliegendem Stand der Technik aus. Ausgehend davon habe die Aufgabe darin bestanden, einen alternativen Gewebekleber, insbesondere einen mit einem alternativen Protease-Inhibitor bereitzustellen, die streitpatentgemäß durch Ersatz des Plasmin-Inhibitors durch einen Elastase-Inhibitor gelöst werde. Der weitere Stand der Technik gemäß den Druckschriften (3) und (4) gebe jedoch dem Fachmann keine Anregung, den in Druckschrift (6) eingesetzten Plasmin-Inhibitor durch einen Elastase-Inhibitor zu substituieren, weshalb dem Gegenstand des Streitpatentes eine erfinderische Tätigkeit zuerkannt werden könne.
IV. Im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer seine Einwände hinsichtlich unzureichender Offenbarung der Erfindung und mangelnder Neuheit nicht weiterverfolgt. Er hat vorgetragen, dass der Gegenstand des Streitpatentes ausgehend von Druckschrift (6) als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik habe die technische Aufgabe darin bestanden, einen alternativen Gewebekleber bereitzustellen, der eine andere als die im Stand der Technik beschriebene Stabilisierung des Fibrinclots durch Aprotinin vorsehe. Der Fachmann habe den Druckschriften (3) und (4) entnehmen können, dass die Fibrinolyse auch durch Einwirkung von Elastase stattfinde. Demzufolge habe er dort die Anregung erhalten, zur Lösung der technischen Aufgabe anstelle des Plasmin-Inhibitors einen Elastase-Inhibitor einzusetzen, um die Fibrinolyse zu hemmen. Dass der Abbau des Fibringerüstes nicht nur durch Plasmin erfolge, sondern dass die Elastase einen alternativen Weg der Fibrinolyse darstelle, gehe auch aus den folgenden Druckschriften hervor, die er zusammen mit der Beschwerdebegründung vom 17. Oktober 2006 einreichte:
(7) Plow et al., J. Clin. Invest., Vol. 56, 1975, Seiten 30 bis 38,
(8) Heiden et al., Sem. in Thromb. Hemostasis, Vol. 22, No. 6, 1996, Seiten 497 bis 501 und
(9) Bos et al., Blood Coag. Fibrin., Vol. 6, 1995, Seiten 259 bis 267.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2009 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er an der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht teilnehmen werde.
V. Der Beschwerdegegner widersprach den Argumenten des Beschwerdeführers hinsichtlich der fehlenden erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von Druckschrift (6) als nächstliegendem Stand der Technik habe die Aufgabe in der Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers bestanden, der ebenfalls gegen vorzeitige Fibrinolyse durch Plasmin geschützt sei. Die vom Beschwerdeführer angezogenen Druckschriften (3) und (4) setzten Elastase-Inhibitoren ausschließlich zu dem Zweck zu, um die Wirkung von Elastase zu inhibieren. Dass der Zusatz der Elastase-Inhibitoren auch bei der Fibrinolyse durch Plasmin als Inhibitor wirksam sei, werde an keiner Stelle dieser Druckschriften erwähnt. Darüberhinaus sei in Druckschrift (4) ein künstliches Bindegewebsmaterial auf Basis einer Elastin-Fibrin-Matrix untersucht worden. Die beim proteolytischen Abbau der Matrix aufgefundenen Fibrinfragmente können sowohl durch den Abbau des Fibrin-Teilgerüstes, als auch durch Zerstörung der die Fibrinfragmente umgebenden Elastinmatrix entstehen. Die vom Beschwerdführer nachgereichten Druckschriften (7), (8) und (9) beträfen lediglich wissenschaftliche Studien, die eine potentielle fibrinolytische oder fibrinogenolytische Wirkung von Elastasen belegen sollen, sich aber nicht mit dem durch Plasmin induzierten Abbau von Fibrin befassten. Daher habe es für den Fachmann nicht nahegelegen, die technische Aufgabe durch Zusatz eines Elastase-Inhibitors zu lösen.
VI. Der Beschwerdeführer beantragte schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatentes.
Der Beschwerdegegner beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. Am 19. Juni 2009 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt (siehe Punkt IV supra) an deren Ende die Entscheidung verkündet wurde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 b) EPÜ)
2. Der Beschwerdeführer hat im Beschwerdeverfahren seinen Einspruchsgrund hinsichtlich mangelnder Offenbarung der Erfindung nicht mehr weiterverfolgt. Da die Kammer von sich aus keine Veranlassung sieht, die Erfindung als unzureichend offenbart anzusehen, erübrigen sich weitere Ausführungen hierüber.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
3. Die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Anspruchs 1 wurde weder vom Beschwerdeführer, noch von der Erstinstanz infrage gestellt. Da auch die Kammer keine Veranlassung sieht, von sich aus die Neuheit des Gegenstandes des geltenden Anspruchs 1 in Zweifel zu ziehen, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
4. Der einzige in diesem Beschwerdeverfahren zu entscheidende Streitpunkt besteht darin, ob der gemäß geltendem Anspruch 1 beanspruchte Gegenstand des Streitpatentes auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u. a. T 1/80, ABl. EPA 1981, 206, Punkte 3, 6, 8, 11 der Entscheidungsgründe; T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 248/85, ABl. EPA 1986, 262, Punkt 9.1 der Entscheidungsgründe).
4.1 Das Streitpatent betrifft einen Gewebekleber auf Basis von Fibrinogen, der einen Elastase-Inhibitor enthält.
4.2 Druckschrift (6) offenbart ebenfalls Gewebekleber auf Basis von Fibrinogen. Um das durch die Klebung entstandene Fibrin vor einem Abbau durch Plasmin zu schützen, wird dem Gewebekleber ein Inhibitor zugesetzt, der Plasminogenaktivatoren und/oder Plasmin inhibiert. Vorzugsweise wird dafür Aprotinin eingesetzt (Ansprüche 1 und 5, Spalte 3, Zeilen 51 bis 55). Dies ist zwischen den Parteien unstrittig.
4.3 Die technische Aufgabe ausgehend von diesem Stand der Technik besteht laut Vortag des Beschwerdegegners in der Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers, der ebenfalls gegen vorzeitige Fibrinolyse durch Plasmin geschützt ist.
4.3.1 Der Beschwerdeführer formulierte die technische Aufgabe als die Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers, der eine andere, als die im Stand der Technik beschriebene Stabilisierung des Fibrinclots durch Aprotinin vorsieht, entsprechend einer Verwendung eines alternativen Protease-Inhibitors.
Indessen enthält die vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Aufgabe bereits einen Bestandteil der Lösung, da sie die bereits eine durch andere Proteasen bewirkte Fibrinolyse in die Aufgabenstellung einbezieht und damit auch die Verwendung eines für diese anderen Proteasen wirksamen Inhibitors impliziert. Da nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Aufgabe indessen keine Lösungsbestandteile enthalten darf (siehe T 99/85, ABl. EPA 1987, 413; T 229/85, ABl. EPA 1987, 237), muss die vom Beschwerdeführer formulierte Aufgabe außer Betracht bleiben.
4.3.2 Deshalb bleibt die technische Aufgabenstellung wie oben unter Punkt 4.3 beschrieben, nämlich die Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers, der gegen vorzeitige Fibrinolyse durch Plasmin geschützt ist.
4.4 Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Anwesenheit eines Elastase-Inhibitors vor.
4.5 Der Erfolg der im Streitpatent vorgeschlagenen Lösung wird vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Angesichts der Ausführungsbeispiele in der Streitpatentschrift hat die Kammer keinen Anhaltspunkt, den Erfolg der vorgeschlagenen Lösung von sich aus in Zweifel zu ziehen.
4.6 Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die oben genannte Aufgabe durch die Zugabe eines Elastase-Inhibitors zu lösen.
In Druckschrift (3) wird eine Fibrinoberfläche unter anderem den Proteasen Plasmin oder PMN-Elastase ausgesetzt, welche die potentielle Fähigkeit besitzen sollen, Fibrin abzubauen. Die Wirkung dieser Proteasen kann durch geeignete Inhibitoren kontrolliert werden, wobei als Inhibitoren für Plasmin beispielsweise alpha2-Antiplasmin verwendet wird, als Inhibitoren für PMN-Elastase alpha1-Protease-Inhibitor und alpha2-Makroglubulin genannt sind (Seite 17030, rechte Spalte, Zeilen 3 bis 16, Figur 1B). An keiner Stelle der Druckschrift (3) wird gelehrt, dass ein Elastase-Inhibitor den Plasmin-induzierten Abbau des Fibrins verhindert. Daher hatte der Fachmann aus Druckschrift (3) auch keine Anregung, die oben genannte technische Aufgabe, nämlich die Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers, der gegen vorzeitige Fibrinolyse durch Plasmin geschützt ist, durch die Anwesenheit eines Elastase-Inhibitors zu lösen.
Druckschrift (4) offenbart ein künstliches Bindegewebsmaterial bestehend aus einer dreidimensionalen Elastin-Fibrin-Matrix, welches gegen vorzeitigen fibrinolytischen Abbau durch Zusatz von Inhibitoren geschützt wird. Die Proteolyse durch Plasmin und durch Elastasen wird als jeweils spezifisch für die Substrate Fibrin und Elastin beschrieben (Seite 764, linke Spalte, Results, Zeilen 1 bis 5, Figur 4). Um die Wirkung der Proteasen Plasmin und Elastase zu kontrollieren werden spezifische Inhibitoren eingesetzt. Aprotinin, der Plasmin-Inhibitor des nächstliegenden Standes der Technik, wird auch gemäß Druckschrift (4) als spezifischer Inhibitor von Plasmin genannt, während Eglin C als spezifischer Inhibitor von Elastase bezeichnet wird (Seite 764, linke Spalte, Results, Zeilen 16 bis 18). Da Druckschrift (4) im Zusammenhang mit der durch Plasmin induzierten Fibrinolyse als Inhibitor lediglich Aprotinin nennt, erhält der Fachmann hieraus keine Anregung, die oben genannte technische Aufgabe, nämlich die Bereitstellung eines alternativen Gewebeklebers, der gegen vorzeitige Fibrinolyse durch Plasmin geschützt ist, durch Anwesenheit eines Elastase-Inhibitors zu lösen.
4.7 Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der Fachmann zur Lösung der Aufgabe nicht nur die durch Plasmin induzierte Fibrinolyse beachtet hätte, sondern dass er die Stabilisierung des bei der Klebung gebildeten Fibrinclots auch gegenüber anderen Proteasen, beispielsweise der Elastase, in Erwägung gezogen hätte. So habe er aus den Druckschriften (3) und (4), sowie auch aus den nachgereichten Druckschriften (7), (8) und (9) gewusst, dass ein Abbau des Fibrinclots auch durch Elastase wahrscheinlich sei. Demzufolge habe es für den Fachmann nahegelegen, einen Elastase-Inhibitor zuzusetzen, um den bei der Klebung entstehenden Fibrinclot auch gegen den proteolytischen Abbau durch Elastase zu schützen. Da ihm der alpha1-Protease-Inhibitor und Eglin C als Elastase-Inhibitoren bereits aus den Druckschriften (3) und (4) bekannt waren, hätte der Fachmann diese auch zur Inhibierung der fibrinolytischen Wirkung von Elastase eingesetzt und wäre somit in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatentes gelangt.
Indessen betrifft diese Argumentation des Beschwerdeführers eine andere als die streitpatentgemäße Aufgabenstellung, nämlich die Bereitstellung eines Gewebeklebers, der eine andere als die im Stand der Technik beschriebene Stabilisierung des Fibrinclots durch Aprotinin vorsieht, d.h. eine Stabilisierung gegen eine nicht durch Plasmin induzierte Fibrinolyse. Da diese Aufgabenstellung jedoch unzulässig ist (siehe Punkt 4.3.1 supra) und nicht die unter Punkt 4.3.2 supra objektiv formulierte technische Aufgabe des Streitpatentes ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik darstellt, kann schon aus diesem Grund das Argument des Beschwerdeführers nicht durchgreifen.
Darüberhinaus ist festzustellen, dass weder die Druckschriften (3) und (4) (siehe Punkt 4.6 supra), noch die nachgereichten Druckschriften (7), (8) und (9) nahelegen, dass die durch Plasmin induzierte Fibrinolyse durch Anwesenheit eines Elastase-Inhibitors inhibiert werden kann. Die vom Beschwerdegegner nachgereichten Druckschriften (7), (8) und (9) betreffen jeweils wissenschaftliche Untersuchungen zur Feststellung einer potentiellen fibrinolytischen Wirkung von Leukozytenproteasen oder von neutrophilen Elastasen, bzw. eine mögliche proteolytische Wirkung von Elastase auf Fibrinogen. Jedoch erhält der Fachmann auch aus keiner der Druckschriften (7), (8) und (9) eine Anregung, die durch Plasmin induzierte Fibrinolyse mittels Zusatz eines Elastase-Inhibitors zu verhindern. Somit geht der Inhalt dieser Druckschriften (7), (8) und (9) nicht über den Informationsgehalt der Druckschriften (3) und (4) hinaus, so dass auch diese Druckschriften in Kombination mit dem nächstliegenden Stand der Technik die erfinderische Tätigkeit nicht infrage stellen.
4.8 Die Kammer kommt aus den oben angeführten Gründen zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 eine nicht naheliegende Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe darstellt und daher auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
4.9 Die weiteren Ansprüche betreffen jeweils bevorzugte Ausführungsformen und werden von der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.