T 1708/08 (Textiles Implantat/FEG Textiltechnik Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH) 10-03-2011
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Textiles Implantat mit monofilen Polyvinylfluorid-Fäden
I. Die Beschwerde des Beschwerdeführers richtet sich gegen die am 30. Juni 2008 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent No. 1 411 997 widerrufen wurde.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent im gesamten Umfang unter anderem wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 100 (a) EPÜ und mangelnder Ausführbarkeit gemäß Artikel 100 (b) EPÜ angegriffen worden.
III. In der angefochtenen Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 entsprechend des damaligen Hauptantrages nicht ausführbar im Sinne von Artikel 83 EPÜ sei, der Gegenstand des damaligen Hilfsantrages 1 nicht neu sei und der Gegenstand des damaligen Hilfsantrages 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
IV. Der Beschwerdeführer hat während der mündlichen Verhandlung am 10. März 2011 vor der Kammer einen neuen Hauptantrag, sowie zwei Hilfsanträge vorgelegt, der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrages, der wortgleich ist mit dem zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruch 1, lautete wie folgt:
"1. Textiles Implantat mit monofilen Fäden aus Polyvinylidenfluorid (PVDF), wobei das Implantat eine netzförmige Flächenstruktur aufweist, wobei sich das Implantat bei einer Zugbelastung in einer Hauptdehnungsrichtung bei Fmax =16 N/cm um 30 bis 40 % und in einer anderen Hauptdehnungsrichtung Fmax =32 N/cm um 15 bis 25 % dehnt und wobei die Hauptdehnungsrichtungen normal zueinander vorgesehen sind."
V. Der Beschwerdeführer trug vor, dass durch die im Hauptantrag vorgenommenen Änderungen der Gegenstand des Streitpatentes nunmehr auf jene textilen Implantate fokussiert sei, die ein anisotropes Dehnungsverhalten in zwei Hauptdehnungsrichtungen aufwiesen. Diese Merkmale seien bereits Gegenstand des erteilten abhängigen Anspruchs 10, bzw. des ursprünglichen abhängigen Anspruchs 10 gewesen. Da diese Ansprüche auf jeden der vorangegangenen Ansprüche rückbezogen seien, erfülle die Änderung die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Da durch die Änderung der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beschränkt werde, seien auch die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt. Da der Gegenstand des neuen Hauptantrages gegenüber denjenigen Anträgen, welche die Grundlage der angefochtenen Entscheidung bildeten, eine neue Fokussierung enthalte, seien die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung gegenstandslos, so dass eine detaillierte Stellungnahme hierzu überflüssig geworden sei, was die Zulässigkeit der Beschwerde jedoch nicht infrage stelle.
VI. Der Beschwerdegegner trug in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vor, dass durch die im Hauptantrag vorgenommenen Änderungen nunmehr ein Gegenstand zu diskutieren sei, der von der Erstinstanz nicht beurteilt und in den Entscheidungsgründen nicht behandelt worden sei. Da sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung nicht mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt habe, sei die Beschwerde unzulässig.
VII. Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hauptantrages (Ansprüche 1 bis 10), hilfsweise auf der Grundlage eines der während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsanträge 1 oder 2.
Der Beschwerdegegner beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat der Beschwerdegegner erstmals die Zulässigkeit der Beschwerde gerügt, da sich die Beschwerdebegründung nicht mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetze. Vom Beschwerdeführer wurde dieses Vorbringen als verspätet gerügt.
1.2 Die Zulässigkeit der Beschwerde ist vorgreiflich zu prüfen und zu entscheiden, so dass auch bei verspätetem Vorbringen von Amts wegen darüber entschieden werden muss.
1.3 Laut ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA ist eine Begründung im Sinne von Artikel 108, Satz 3 EPÜ, als ausreichend anzusehen, wenn sie sich mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und angibt, warum die Entscheidung der ersten Instanz nicht Bestand haben kann. Sie kann jedoch bei fehlender Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auch dann als ausreichend angesehen werden, wenn sie sich auf eine Änderung des der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts stützt, so dass deren Gründe angesichts dieses geänderten Sachverhalts nicht mehr gültig sind (T 105/87, Entscheidungsgründe Punkt 1; T 717/01, Entscheidungsgründe Punkt 2.1; T 934/02, Entscheidungsgründe Punkt 2; alle Entscheidungen nicht veröffentlicht im ABl. EPA).
1.4 Im vorliegenden Fall hat sich der Sachverhalt durch die Vorlage eines geänderten Hauptantrages zusammen mit der Beschwerdebegründung derart verändert, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht mehr relevant ist. Demzufolge hat der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdebegründung auf Seite 10, Absatz VI. lediglich darauf verwiesen, dass durch die im geltenden Hauptanspruch vorgenommenen Änderungen die Gründe, die zum Widerruf des Patentes geführt hatten, nunmehr gegenstandslos geworden sind, auch wenn die der Entscheidung zugrundeliegende Begründung nicht in Frage gestellt wurde. Die Einreichung eines neuen Hauptantrags zusammen mit der Beschwerdebegründung, in dem ein geänderter eingeschränkter Hauptanspruch vorgeschlagen wird, stellt implizit eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung im Sinne von Artikel 108 Satz 3 EPÜ dar, insofern die Änderungen durch die Einwände der ersten Instanz veranlasst sind.
1.5 Da alle übrigen formalen Erfordernissen unstrittig erfüllt sind, ist die Beschwerde der Patentinhaberin daher zulässig.
Hauptantrag
2. Änderungen (Artikel 123(2) und (3) EPÜ)
Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrages (siehe Paragraph IV, oben) stellt eine Kombination des erteilten Anspruchs 1 mit dem erteilten Anspruch 10 (entspricht dem ursprünglichen Anspruch 10) und mit der Beschreibung Seite 7, Zeilen 20 bis 22 dar. Der erteilte Anspruch 1 basiert auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 12 und 13. Die erteilten Ansprüche 5, 12 und 13 wurden gestrichen und die verbleibenden erteilten Ansprüche 2 bis 4, 6 bis 9, 11 und 14 entsprechend umnummeriert. Da alle abhängigen Ansprüche jeweils auf alle vorangehenden Ansprüche zurück bezogen sind und die Passage der in der Beschreibung sich allgemein auf das beanspruchte Implantat bezieht, sieht die Kammer die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ als erfüllt.
Da die vorgenommenen Änderungen den Umfang des erteilten Anspruchs 1 einschränken, sind auch die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllt.
3. Zurückverweisung
3.1 Die angefochtene Entscheidung setzte sich mit der Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit auseinander, jedoch auf der Basis von Anträgen, welche im wesentlichen das Implantat gemäß der erteilten Ansprüche, bzw. eines Implantates mit einer Beschichtung betrafen. Mit seinem neuen Hauptantrag hat der Beschwerdeführer jedoch erstmals im Beschwerdeverfahren einen unabhängigen Anspruch 1 eingereicht, der sich nicht mehr auf den Gegenstand der Ansprüche bezog, welche der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, sondern der sich nunmehr auf ein grundsätzlich anderes Implantat richtete, welches spezifische anisotrope Elastizitätseigenschaften aufweisen sollte. Durch diese Neufokussierung des beanspruchten Gegenstandes wird eine grundsätzlich neue Beurteilung des Standes der Technik nötig, was auch durch Einreichen neuer Druckschriften von Seiten des Beschwerdegegners erkennbar ist. Auch die Wahl des nächstliegenden Standes der Technik muss nach anderen Gesichtspunkten erfolgen.
3.2 Unter diesen Umständen hat die Kammer keine Entscheidung in der ganzen Angelegenheit getroffen und verweist in Ausübung ihrer Befugnisse gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens an die erste Instanz zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Einspruchsverfahrens auf der Grundlage des während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hauptantrages (Ansprüche 1 bis 10) zurückverwiesen.