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T 1145/09 (Stay of proceedings/FISHER-ROSEMOUNT) 17-06-2010
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Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses nach Regel 140 EPÜ, den der Patentinhaber nach Einleitung des Einspruchsverfahrens stellt, zulässig? Ist insbesondere das Fehlen einer Fristsetzung in Regel 140 EPÜ so auszulegen, dass eine Berichtigung von Fehlern in Entscheidungen nach Regel 140 EPÜ jederzeit erfolgen kann?
2. Wenn ein solcher Antrag für zulässig erachtet wird, muss dann die Prüfungsabteilung im Ex-parte-Verfahren bindend über diesen Antrag entscheiden, sodass die Einspruchsabteilung nicht mehr prüfen kann, ob die Berichtigungsentscheidung eine unzulässige Änderung des erteilten Patents darstellt?
I. Dies ist das zweite Beschwerdeverfahren zu Verfahrensfragen im Zusammenhang mit einem Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 0 961 184.
II. Der Einspruch beruht auf dem Argument der unzulässigen Erweiterung (Art. 100 c) EPÜ). Die Einsprechende brachte vor, dass ein Merkmal in Anspruch 1 des angefochtenen Patents ("means for initiating (56) a command related to a position of the device data") ursprünglich nicht offenbart gewesen sei und das Patent somit einen Gegenstand enthalte, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
III. Die Patentinhaberin brachte in ihrer Einspruchserwiderung vor, dass ein Schreibfehler aufgetreten sei, als Anspruch 1 im Erteilungsverfahren geändert worden sei, und das Merkmal lauten solle: "means for initiating (56) a command related to a portion of the device data" (d. h. "portion" anstelle von "position"). Sie beantragte unter anderem, das Einspruchsverfahren auszusetzen und die Sache an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen, damit diese das erteilte Patent nach Berichtigung gemäß Regel 89 EPÜ 1973 neu herausgebe.
IV. Am 2. November 2006 versandte ein für die Einspruchsabteilung tätiger Formalsachbearbeiter eine Mitteilung an die Beteiligten, aus der unter anderem hervorging, dass die Sache an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werde und die Prüfung des Einspruchs ausgesetzt werde, bis die endgültige Entscheidung der Prüfungsabteilung ergangen sei.
V. Eine Beschwerde der Einsprechenden gegen diese Mitteilung wurde von dieser Kammer in anderer Besetzung als unzulässig zurückgewiesen. In ihrer Entscheidung T 165/07 vom 23. November 2007 befand die Kammer, dass die angefochtene Mitteilung keine Entscheidung im Sinne des Artikels 106 (1) EPÜ 1973 sei und die Einspruchsabteilung noch nicht über den Antrag der Patentinhaberin entschieden habe, das Einspruchsverfahren auszusetzen und die Sache zur Entscheidung über den Berichtigungsantrag nach Regel 89 EPÜ 1973 an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
VI. Am 12. März 2009 erging die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Einspruchsverfahren auszusetzen und die Sache zur Entscheidung über den Berichtigungsantrag nach Regel 140 EPÜ (die Regel 89 EPÜ 1973 entspricht) an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen. Die Einspruchsabteilung ließ eine gesonderte Beschwerde gegen diese Entscheidung zu.
VII. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung ein und übermittelte ihre Beschwerdebegründung.
VIII. Um das Beschwerdeverfahren zu beschleunigen, versandte die Kammer frühzeitig eine Mitteilung mit ihrer vorläufigen Auffassung, wonach die Beschwerde eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwerfe, die unter Umständen eine Befassung der Großen Beschwerdekammer rechtfertige. Sie forderte die Beteiligten auf, ihr mitzuteilen, ob sie damit einverstanden seien, wenn nach erfolgter Erwiderung der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) auf die Beschwerdebegründung eine Vorlageentscheidung ohne vorherige mündliche Verhandlung ergehen würde. Die Beteiligten wurden ferner aufgefordert, mögliche Fragen zur Berücksichtigung durch die Kammer für eine Vorlage vorzuschlagen.
IX. In ihren Erwiderungen erklärten sich die Beteiligten damit einverstanden, dass eine eventuelle Zwischenentscheidung, mit der der Großen Beschwerdekammer Rechtsfragen vorgelegt würden, ohne vorherige mündliche Verhandlung getroffen werden könne.
X. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragt, die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben, eine Entscheidung der Einspruchsabteilung über den Berichtigungsantrag der Patentinhaberin anzuordnen und die Beschwerdegebühr aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels zurückzuerstatten.
XI. Die Beschwerdeführerin schlägt ferner die beiden folgenden Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer vor:
"1. Ist im laufenden (zweiseitigen) Einspruchsverfahren eine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung (einseitiges Verfahren) zwecks Berichtigung eines Fehlers nach Regel 140 EPÜ in einem unabhängigen Patentanspruch zulässig, wenn die Berichtigung des Fehlers direkten Einfluss auf den von der Einsprechenden geltend gemachten einzigen Einspruchsgrund "unzulässige Änderung" hat und die Berichtigung dieses Fehlers dazu führen würde, dass ein zum Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist zulässiger Einspruch a posteriori unzulässig werden würde?
2. Ist im (zweiseitigen) Einspruchsverfahren eine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung (einseitiges Verfahren) zwecks Korrektur eines Fehlers nach Regel 140 EPÜ in einem unabhängigen Patentanspruch zulässig, wenn die Berichtigung des Fehlers zur Folge hätte, dass ein aufgrund der Artikel 123 (2) EPÜ/ Artikel 123 (3) EPÜ-Problematik zum Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist zulässiger und begründeter Einspruch a posteriori unzulässig und unbegründet wird, da der einzige Einspruchsgrund "unzulässige Änderung" in Kombination mit der "Erweiterung des Schutzbereichs" durch die Berichtigung gegenstandslos werden würde"?
XII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Die Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der am Einspruchsverfahren Beteiligten. Wenn die Prüfungsabteilung die beantragte Berichtigung zulasse, werde der einzige Einspruchsgrund der Einsprechenden a posteriori gegenstandslos.
- Der Einsprechenden stünde kein Rechtsbehelf gegen die Berichtigungsentscheidung zur Verfügung, weil sie im Verfahren vor der Prüfungsabteilung keine Beteiligtenstellung habe und die Entscheidung deshalb nicht mit der Beschwerde anfechten könne. Die Patentinhaberin hingegen könne gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung Beschwerde einlegen, wenn dem Berichtigungsantrag nicht stattgegeben werde.
- Die Entscheidung G 8/95 der Großen Beschwerdekammer betreffe ein einseitiges Verfahren und könne nicht auf den vorliegenden Fall angewandt werden, in dem eine Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung zu einer offensichtlichen Diskriminierung einer der am anhängigen Einspruchsverfahren Beteiligten führen könne.
XIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) argumentiert, dass die angefochtene Entscheidung korrekt sei, und beantragt damit implizit die Zurückweisung der Beschwerde.
XIV. Die Beschwerdegegnerin schlägt ferner folgende Fragen zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer vor:
"1. Wenn im Einspruchsverfahren ein Antrag nach der alten Regel 89 EPÜ/der geltenden Regel 140 EPÜ auf Berichtigung eines Beschlusses der Prüfungsabteilung gestellt wird, hat dann die Prüfungsabteilung oder die Einspruchsabteilung über diesen Berichtigungsantrag zu entscheiden?
2. Wenn im Einspruchsverfahren ein Antrag nach der alten Regel 88 EPÜ/der geltenden Regel 139 EPÜ auf Berichtigung der Beschreibungsseiten, Ansprüche oder Zeichnungen gestellt wird, die nach der Einreichung der europäischen Patentanmeldung gemäß Artikel 75 EPÜ/der Einreichung der Teilanmeldung gemäß Artikel 76 EPÜ/dem Eintritt in die europäische regionale Phase gemäß Artikel 153 EPÜ in Verbindung mit der alten Regel 107 (1) b) EPÜ/der geltenden Regel 159 (1) b) EPÜ, aber vor dem Erteilungsbeschluss für die angefochtene Fassung des europäischen Patents eingereicht wurden, hat dann die Prüfungsabteilung oder die Einspruchsabteilung über diesen Berichtigungsantrag zu entscheiden?
3. Wenn in einem anhängigen Einspruchsverfahren die Prüfungsabteilung für die Entscheidung über einen Berichtigungsantrag nach der alten Regel 89 EPÜ/der geltenden Regel 140 EPÜ oder der alten Regel 88 EPÜ/der geltenden Regel 139 EPÜ zuständig ist, kann dann ein Einsprechender (einschließlich eines vermeintlichen Patentverletzers im Sinne von G 3/04) die Entscheidung der Prüfungsabteilung über den Berichtigungsantrag mit der Beschwerde anfechten?
4. Wenn im Einspruchsverfahren einem den Erteilungsbeschluss betreffenden Berichtigungsantrag nach der alten Regel 89 EPÜ/der geltenden Regel 140 EPÜ stattgegeben wird, wie geht dann das Verfahren weiter und inwiefern hängt dies von den konkreten Umständen der zugelassenen Berichtigung ab?
5. Wenn im Einspruchsverfahren einem Berichtigungsantrag nach der alten Regel 88 EPÜ/der geltenden Regel 139 EPÜ stattgegeben wird, der die Beschreibung, die Ansprüche und/oder die Zeichnungen eines erteilten Patents betrifft, wie geht dann das Verfahren weiter und inwiefern hängt dies von den konkreten Umständen der zugelassenen Berichtigung ab?
6. Welche Kriterien sind bei der Prüfung eines Berichtigungsantrags nach der alten Regel 89 EPÜ/der geltenden Regel 140 EPÜ anzuwenden und welche Unterlagen/Beweismittel bilden die Grundlage für die Entscheidung, ob ein behaupteter Fehler ein "Schreibfehler" ("transcription error"/"faute de transcription") ist? Welche Kriterien sind anzuwenden und welche Unterlagen/Beweismittel bilden die Grundlage für die Entscheidung, ob ein Fehler "offenbar" ("obvious"/"manifeste") ist?
7. Welche Kriterien sind bei der Prüfung eines Berichtigungsantrags nach der alten Regel 88 EPÜ/der geltenden Regel 139 EPÜ anzuwenden und welche Unterlagen/Beweismittel bilden die Grundlage für die Entscheidung, ob "sofort erkennbar" ist ("immediately evident"/"apparaît immédiatement"), dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird?"
XV. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für die vorliegende Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
- Falls die Prüfungsabteilung die beantragte Berichtigung zulasse, wäre dies nicht weniger gerecht, als wenn sie den Berichtigungsantrag der Patentinhaberin zurückwiese.
- Das EPÜ enthalte keine Garantie dafür, dass ein scheinbar aussichtsreicher Einspruchsgrund letztendlich Erfolg habe.
- Es treffe nicht zu, dass die Zurückverweisung der Berichtigungsanträge der Patentinhaberin an die Prüfungsabteilung ein mehrseitiges in ein einseitiges Verfahren umwandle und die Einsprechende zur Statistin degradiere. Der im EPÜ verankerte rechtliche Rahmen und die betreffenden Abteilungen des EPA seien eine verlässliche Gewähr für eine faire und gleiche Behandlung.
1. Die Beschwerde ist zulässig, weil sie den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 und der Regel 99 EPÜ genügt. Insbesondere ist festzuhalten, dass die Einspruchsabteilung gemäß Artikel 106 (2) EPÜ eine gesonderte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung zugelassen hat.
2. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung entschieden, das Einspruchsverfahren auszusetzen, damit die Prüfungsabteilung über den Berichtigungsantrag der Patentinhaberin nach Regel 140 EPÜ entscheiden kann. Das EPÜ enthält keine ausdrückliche Bestimmung, unter welchen Umständen ein Organ des Europäischen Patentamts ein anhängiges Verfahren aussetzen kann, um die Entscheidung eines anderen Organs des Amts abzuwarten. Die Regeln 14 und 78 EPÜ betreffen lediglich den Fall, dass die Berechtigung des Anmelders oder des Patentinhabers vor einem nationalen Gericht angefochten wird.
3. Nichtsdestotrotz erkennt die Rechtsprechung der Beschwerdekammern an, dass eine Aussetzung des Verfahrens auch in anderen Fällen in Betracht kommen kann. Insbesondere ist es gängige Praxis der Kammern, das Beschwerdeverfahren auszusetzen, wenn sein Ausgang von der Antwort der Großen Beschwerdekammer auf ihr vorgelegte Rechtsfragen abhängt. Auch die erstinstanzlichen Abteilungen setzen häufig das Erteilungs- oder das Einspruchsverfahren aus, um anstehende Entscheidungen oder Stellungnahmen der Großen Beschwerdekammer berücksichtigen zu können (siehe z. B. die Mitteilung des EPA vom 1. September 2006 über die Aussetzung von Verfahren, ABl. EPA 2006, 538, die die Mitteilung des EPA vom 2. November 2005 über Teilanmeldungen, ABl. EPA 2005, 606, ersetzt, sowie die Richtlinien für die Prüfung im EPA, E-VII, 3).
4. Der Kammer ist bewusst, dass die Aussetzung des Einspruchsverfahrens in einem Fall wie dem vorliegenden den Abschluss des Verfahrens erheblich verzögern kann, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Patentinhaberin die Entscheidung der Prüfungsabteilung mit der Beschwerde anfechten könnte. Wie die Große Beschwerdekammer betont hat, soll das Einspruchsverfahren ein einfaches, zügig durchgeführtes Verfahren sein. Eine möglichst rasche Entscheidung liegt nicht nur im Interesse beider Seiten, sondern auch im Interesse der Öffentlichkeit, baldmöglichst geklärt zu wissen, ob es ein Ausschlussrecht zu beachten gilt (siehe G 2/04, ABl. EPA 2005, 549, Nr. 2.1.4 der Entscheidungsgründe).
5. Im Lichte der vorstehenden Erwägungen ist die Kammer der Ansicht, dass die Aussetzung des Einspruchsverfahrens im vorliegenden Fall nur gerechtfertigt werden kann, wenn der nach Einleitung des Einspruchsverfahrens gestellte Berichtigungsantrag der Beschwerdegegnerin nach Regel 140 EPÜ einen zulässigen Rechtsbehelf darstellt, über den nur die Prüfungsabteilung bindend entscheiden kann, und wenn der Ausgang des Einspruchsverfahrens maßgeblich von dieser Entscheidung abhängt.
6. In ihrer Entscheidung G 8/95 (ABl. EPA 1996, 481) befand die Große Beschwerdekammer, dass für eine Beschwerde gegen die Entscheidung einer Prüfungsabteilung, einen Antrag nach Regel 89 EPÜ 1973 auf Berichtigung eines Erteilungsbeschlusses zurückzuweisen, eine Technische Beschwerdekammer - und nicht die Juristische Beschwerdekammer - zuständig ist. In den Entscheidungsgründen (Nr. 3.4) findet sich folgende Passage:
"Für die Berichtigung von Fehlern in einer Entscheidung nach Regel 89 EPÜ [1973] ist die Stelle zuständig, die die Entscheidung gefasst hat. Mithin hat im Prüfungsverfahren die Prüfungsabteilung über einen Antrag auf Berichtigung von Fehlern im Erteilungsbeschluss zu befinden."
Die Vorlageentscheidung T 850/95 (ABl. EPA 1996, 455) betraf einen Fall, in dem der Berichtigungsantrag vor der Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung gestellt worden war, also vor dem Tag, an dem der Erteilungsbeschluss gemäß Artikel 97 (4) EPÜ 1973 in Kraft trat. Innerhalb der in Artikel 99 (1) EPÜ 1973 genannten Frist wurde kein Einspruch eingelegt.
7. In Beschwerdeentscheidungen wurde die Zuständigkeit der Prüfungsabteilung anerkannt, auch in denjenigen Fällen über einen Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses zu entscheiden, in denen dieser Antrag nach Einleitung des Einspruchsverfahrens gestellt wurde (siehe T 226/02 vom 13. Juli 2004, Nr. 5.1; T 268/02 vom 31. Januar 2003, Nr. 2) bzw. sogar nachdem die Einspruchsabteilung das Patent bereits durch eine Entscheidung widerrufen hatte, gegen die der Patentinhaber später Beschwerde einlegte (siehe T 79/07 vom 24. Juni 2008, Abschnitte III bis VI und Nr. 4).
8. Die Kammer stellt fest, dass Regel 140 EPÜ keine Aussage dazu enthält, ob für die Berichtigung von Entscheidungen eine Frist gilt, und dass es - im Gegensatz zum Beschränkungsverfahren (siehe Regel 93 EPÜ) - keine besondere Vorschrift gibt, aus der sich ein etwaiger Vorrang des Einspruchsverfahrens ableiten ließe. Geht man aber davon aus, dass Berichtigungsanträge nach Regel 140 EPÜ, die erst nach Einleitung des Einspruchsverfahrens gestellt wurden, überhaupt zulässig und von der Prüfungsabteilung zu bearbeiten sind, so ergeben sich zwangsläufig bestimmte Fragestellungen, weil zu ein und demselben Patent "parallele" Verfahren vor unterschiedlichen Abteilungen des Amts anhängig sind. Dies zeigt sich im vorliegenden Fall, in dem die beantragte Berichtigung einen behaupteten Fehler bei eben jenem Merkmal betrifft, auf das sich der Einspruchsgrund der Beschwerdeführerin, d. h. ihr Einwand der unzulässigen Erweiterung, stützt.
9. Gemäß den in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer anerkannten Grundsätzen richtet sich ein Berichtigungsantrag nach Regel 140 EPÜ gegen die Form der Entscheidung und nicht gegen ihren Inhalt (siehe G 8/95, Nr. 3.3). Hierzu heißt es in der Entscheidung G 1/97 (ABl. EPA 2000, 322, Nr. 3 c)) wie folgt:
"Aus den Materialien zum EPÜ betreffend die Regel 89 EPÜ [1973] geht im Übrigen hervor, dass der Schutz Dritter dem Gesetzgeber ein Anliegen war. Das zeigt sich eindeutig an der Entstehungsgeschichte dieser Regel ... . Letztlich wurde nur an der restriktiven Fassung der heutigen Regel 89 EPÜ [1973] festgehalten, die jegliche nachteilige Wirkung ausschließt."
10. Es scheint somit, dass eine Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung, die die immanenten Grenzen des Rechtsbehelfs der Regel 140 EPÜ berücksichtigt, den Erteilungsbeschluss inhaltlich nicht ändern kann. Da das erteilte Patent dann zwangsläufig inhaltlich gleich bleibt, kann argumentiert werden, dass es für den Ausgang des laufenden Einspruchsverfahrens unerheblich ist, ob die Prüfung der Einspruchsgründe ausgehend von der ursprünglichen Fassung des erteilten Patents oder ausgehend von der berichtigten Fassung erfolgt.
11. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass die Prüfungsabteilung über die Grenzen des Rechtsbehelfs der Regel 140 EPÜ hinausgeht. Wäre die Einspruchsabteilung nicht durch die Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung gebunden, d. h. könnte sie - oder müsste sie sogar - prüfen, ob die von der Prüfungsabteilung zugelassenen Berichtigungen unzulässige Änderungen des Patents in der ursprünglich erteilten Fassung darstellen, müsste der Ausgang des Einspruchsverfahrens nicht durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung beeinflusst werden. Wäre die Einspruchsabteilung hingegen durch eine solche Entscheidung dahin gehend gebunden, dass die Prüfung des Einspruchs auf die berichtigte Fassung des Patents zu stützen ist, hätte die Entscheidung der Prüfungsabteilung maßgeblichen Einfluss auf das Einspruchsverfahren, weil die Einspruchsabteilung ohne diese Entscheidung eventuell zu einem anderen Ergebnis käme.
12. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern beantwortet die Frage, ob die Einspruchsabteilung tatsächlich in dem oben genannten Sinn an eine Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung gebunden ist, nicht einheitlich. So kam die Kammer 3.3.02 in ihrer Entscheidung T 268/02 vom 31. Januar 2003, Nr. 2, ohne nähere Begründung zu dem Schluss, dass die Einspruchsabteilung - und im Einspruchsbeschwerdeverfahren die Beschwerdekammer - grundsätzlich zu einer Überprüfung befugt sei, ob die Prüfungsabteilung die Bestimmungen der Regel 89 EPÜ 1973 korrekt angewandt hat.
13. Die Kammer 3.2.01 dagegen teilte diese Schlussfolgerung in ihrer Entscheidung T 79/07 vom 24. Juni 2008 nicht und kam zum gegenteiligen Ergebnis. Sie hob auf den anerkannten Grundsatz ab, dass der Einspruch ein unabhängiges Verfahren ist, das sich an das Erteilungsverfahren anschließt, und nicht als Fortsetzung oder Erweiterung des Prüfungsverfahrens betrachtet werden kann. Da die Änderung eines erteilten Anspruchs infolge einer Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung keine Änderung der Ansprüche nach der Patenterteilung darstelle, müsse die berichtigte Fassung des Patents als das erteilte Patent betrachtet werden. Im mehrseitigen Einspruchsbeschwerdeverfahren sei die Beschwerdekammer nicht befugt, die im einseitigen Prüfungsverfahren ergangene Entscheidung auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses als Berufungsinstanz zu überprüfen, weil dieser Beschluss nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei.
14. Wie bereits vorstehend ausgeführt (siehe Nr. 5), hängt die im vorliegenden Fall zu entscheidende Verfahrensfrage, nämlich ob die Einspruchsabteilung das anhängige Einspruchsverfahren aufgrund des Berichtigungsantrags der Beschwerdeführerin nach Regel 140 EPÜ aussetzen sollte, maßgeblich davon ab, ob ein solcher nach Einleitung des Einspruchsverfahrens gestellter Antrag ein zulässiger Rechtsbehelf ist, über den bindend zu entscheiden nur die Prüfungsabteilung befugt ist. Falls die Kammer zu dem Schluss käme, dass diese Frage zu bejahen ist, müsste die Aussetzung des Einspruchsverfahrens als gerechtfertigt angesehen und die Beschwerde zurückgewiesen werden.
15. Die Beschwerdeführerin hat jedoch vorgebracht (siehe vorstehend, Abschnitt XII), dass angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falls eine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung und folglich eine Aussetzung des Einspruchsverfahrens verfahrensrechtlich unfair wäre und gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der am Einspruchsverfahren Beteiligten verstoßen würde: Die Beteiligten sind sich darin einig, dass bei einer Zulassung der beantragten Berichtigung durch die Prüfungsabteilung der einzige Einspruchsgrund gegenstandslos würde, sodass der Einspruch wahrscheinlich als unbegründet oder - aufgrund der rückwirkenden Wirkung der Berichtigungsentscheidung - sogar als unzulässig zurückgewiesen würde. Ferner stünde der Einsprechenden kein Rechtsbehelf gegen die Berichtigungsentscheidung zur Verfügung, weil sie im Verfahren vor der Prüfungsabteilung keine Beteiligtenstellung hat und die Entscheidung deshalb nicht mit der Beschwerde anfechten kann. Die Patentinhaberin hingegen kann Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung einlegen, wenn dem Berichtigungsantrag nicht stattgegeben wird.
16. In Anbetracht dieser Argumente hat die Kammer Zweifel, ob das EPÜ so auszulegen ist, dass ein erst nach Einleitung des Einspruchsverfahrens gestellter Antrag der Patentinhaberin nach Regel 140 EPÜ noch zulässig sein kann. Obwohl in Regel 140 EPÜ keine Frist genannt wird, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass ein Berichtigungsantrag jederzeit wirksam gestellt werden kann und die Prüfungsabteilung im einseitigen Verfahren bindend über diesen Antrag entscheiden kann. Würde ein solcher Antrag zugelassen, könnte er es der Patentinhaberin de facto ermöglichen, ein zunächst mehrseitiges Verfahren in Bezug auf eben jenen Aspekt, der Anlass für den Einspruch war, in ein einseitiges Verfahren umzuwandeln. Die Kammer hat vor allem Bedenken, dass die Einsprechende ohne Rechtsbehelf zurückbleiben könnte, falls die Prüfungsabteilung die immanenten Grenzen der Regel 140 EPÜ überschreiten und den Erteilungsbeschluss durch ihre "Berichtigungsentscheidung" inhaltlich ändern sollte.
17. Die Kammer ist der Auffassung, dass das entscheidende Problem im vorliegenden Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist, die nach Artikel 112 (1) a) EPÜ eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer erfordert. Sie betrifft die Auslegung der Regel 140 EPÜ, die Abgrenzung der Zuständigkeit von Prüfungs- und Einspruchsabteilung sowie die mögliche Überlappung von einseitigem und mehrseitigem Verfahren. Die Verfahrensvorschriften des EPÜ enthalten hierzu keine Aussage, und die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist zumindest teilweise uneinheitlich. Die Befassung der Großen Beschwerdekammer dient deshalb auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung.
18. Bei der Formulierung der vorzulegenden Fragen hat die Kammer die Vorschläge der Beteiligten berücksichtigt (siehe vorstehend, Abschnitte XI und XIV). Die Vorlagefragen spiegeln die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Fragen sowie die von der Beschwerdegegnerin vorgeschlagenen Fragen 1 und 4 wider. Die weiteren Vorschläge der Beschwerdegegnerin sind nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall nicht entscheidungsrelevant, weil sie entweder Berichtigungsanträge nach Regel 88 EPÜ 1973/Regel 139 EPÜ anstatt Regel 89 EPÜ 1973/Regel 140 EPÜ (Fragen 2, 5 und 7) betreffen oder sich auf die substanziellen Kriterien für die Zulässigkeit einer Berichtigung nach Regel 140 EPÜ (Frage 6) oder auf die Beschwerdemöglichkeit des Einsprechenden gegen eine Berichtigungsentscheidung der Prüfungsabteilung (Frage 3) beziehen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist ein Antrag auf Berichtigung des Erteilungsbeschlusses nach Regel 140 EPÜ, den der Patentinhaber nach Einleitung des Einspruchsverfahrens stellt, zulässig? Ist insbesondere das Fehlen einer Fristsetzung in Regel 140 EPÜ so auszulegen, dass eine Berichtigung von Fehlern in Entscheidungen nach Regel 140 EPÜ jederzeit erfolgen kann?
2. Wenn ein solcher Antrag für zulässig erachtet wird, muss dann die Prüfungsabteilung im Ex-parte-Verfahren bindend über diesen Antrag entscheiden, sodass die Einspruchsabteilung nicht mehr prüfen kann, ob die Berichtigungsentscheidung eine unzulässige Änderung des erteilten Patents darstellt?