T 0351/10 14-07-2011
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Brennkraftmaschine mit Abgasrückführung
Neuheit - Hauptantrag (verneint)
Zulässigkeit der Hilfsanträge (verneint)
I. Die Einspruchsabteilung hat mit der Zwischenentscheidung von 11. Dezember 2009 festgestellt, dass das Europäische Patent Nr. 1 327 769 in der im Einspruchsverfahren geänderten Fassung den Erfordernissen des Übereinkommens genüge.
II. Mit dem Einspruch wurden die Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit geltend gemacht und die folgenden Druckschriften zitiert:
E1: US-A-6 185 939;
E2: DE-A-10 028 608.
Zur Begründung hat die Einsprechende angegeben, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 4 im Hinblick auf die Druckschriften E1 und E2 nicht neu sei und es vom Fachmann auch keine erfinderischen Überlegungen erfordere seien, die aus Druckschrift E1 bekannte Hintereinanderschaltung zweier Wärmetauscher umzukehren um zu dem Gegenstand des Anspruches 5 zu gelangen.
III. In der Zwischenentscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass der Gegenstand des Anspruches 1 durch die aus den Druckschriften E1 und E2 bekannten Brennstoffeinspritzventile nicht vorweggenommen sei, weil er sich davon durch das Merkmal, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet ist, unterscheide.
Darüber hinaus hat sie ausgeführt:
"Die Einsprechende hat im Formular EPA 2300 das Kästchen "erfinderische Tätigkeit" angekreuzt, jedoch diesen Einspruchsgrund nicht mit Argumenten begründet.
Dieser Einspruchsgrund gilt daher als unbegründet. Somit muß in dieser Entscheidung nicht darauf eingegangen werden. Daher sind die folgenden Bemerkungen zur erfinderischen Tätigkeit zur Information und haben bei der Entscheidung keine Rolle gespielt."
Mit den Bemerkungen stellte die Einspruchsabteilung dann fest, dass der beanspruchte Gegenstand im Hinblick auf die Druckschriften E1, E2 und die folgende, aus dem Prüfungsverfahren bekannte Druckschrift auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe:
D1: EP-A-1 154 144.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende am 22. Februar 2010 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet.
Mit der am 14. April 2010 eingegangenen Beschwerdebegründung argumentierte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) erneut, dass der Gegenstand des Anspruches 1 im Hinblick auf Druckschrift E1 weder neu noch erfinderisch sei. Aus der Formulierung in Anspruch 1, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet ist, ließe sich nicht ableiten, wo er eingebaut, befestigt oder anmontiert sei. Dieses Merkmal besage lediglich, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher so nahe an der Brennkraftmaschine anzuordnen sei, dass er in einem vorhandenen Kühlluftstrom der Brennkraftmaschine liege. Die Formulierung schließe auch nicht aus, dass zwischen der Brennkraftmaschine und dem Luft-Abgas-Wärmetauscher ein weiteres Aggregat angeordnet ist, wie beispielsweise der in Spalte 2, Zeilen 55-56 der Patentschrift beschriebene Luft-Öl-Wärmetauscher.
V. Mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung widersprach die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) dieser Auffassung, weil aus Druckschrift E1 nicht das Merkmal, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet ist, offenbart sei. So sei der Abgas-Wärmetauscher 84 der E1 in einem Kühlerblock 24 integriert, der am Fahrzeugrahmen 12 montiert sei, also nicht direkt an der Brennkraftmaschine. Die Formulierung "direkt angeordnet", sei mit Begriffen wie "eingebaut in", "befestigt an", "anmontiert an" oder dergleichen gleichsetzbar. Änderungen in den Ansprüchen wurden damit weder vorgelegt noch beantragt.
VI. Mit der Anlage zur Ladung für die beantragte mündliche Verhandlung teilte die Beschwerdekammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit, dass dem Gegenstand des Anspruches 1 im Hinblick auf die Druckschrift E1 die Neuheit zu fehlen scheine. Darüber hinaus scheine der in der Einspruchsschrift erhobene Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit kein neuer Einspruchsgrund zu sein. Deshalb habe ihn die Kammer geprüft und festgestellt, dass dem beanspruchten Gegenstand im Hinblick auf Druckschrift D1 auch die erforderliche erfinderische Tätigkeit zu fehlen scheine.
Daraufhin reichte die Patentinhaberin mit Schreiben vom 9. Juni 2011 geänderte Anspruchssätze mit 11 Hilfsanträgen ein. Im dazugehörigen Schriftsatz führte sie kurz aus, auf welche Passagen in der Beschreibung sich die jeweiligen Änderungen des Anspruches 1 stützen, machte aber keine Ausführungen zur Patentfähigkeit der darin beanspruchten Gegenstände.
VII. Die beantragte mündliche Verhandlung hat am 14. Juli 2011 stattgefunden.
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin sollten die Hilfsanträge nicht zugelassen werden, weil sie zu spät eingereicht wurden und teilweise eine weitere Recherche erforderten, da sie sich auf Merkmale der Beschreibung stützen.
Darauf erklärte die Beschwerdegegnerin, dass sie nur noch an den Hilfsanträgen 3, 4 und einem in der Verhandlung geänderten Hilfsantrag 5' festhalte.
Der damit beanspruchte Gegenstand sei in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen ausreichend offenbart und auch neu. Darüber hinaus beruhe er auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. So wurde insbesondere auf Absatz 11 der Patentschrift hingewiesen aus dem sich ergebe, dass die zusätzlichen Merkmale dieser Anträge einen effektiveren und schnelleren Wärmeaustausch ermöglichten bei gleichzeitig sehr kompakter Ausbildung der Brennkraftmaschine. Durch die beanspruchte Anordnung würden kurze Verbindungen vorgesehen, die eine schnelle Wärmeabfuhr gewährleisteten.
VIII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 327 769.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und die Aufrechterhaltung des Patents in der der angefochtenen Zwischenentscheidung zugrunde liegenden Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf der Basis eines der mit Schreiben vom 8. Juni 2011 eingereichten Hilfsanträge 3 oder 4, oder des Hilfsantrages 5', eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.
IX. Anspruch 1 des Hauptantrages lautet:
"Brennkraftmaschine mit einem Kurbelgehäuse (1), in dem eine Kurbelwelle drehbar gelagert ist, an der zumindest ein einen Kolben tragendes Pleuel angelenkt ist, wobei der Kolben in einem von einem Zylinderkopf unter Bildung eines Arbeitsraums abgedeckten Zylinder bewegbar ist und dem Arbeitsraum über Gaswechseleinrichtungen Frischgas aus einer Frischgasleitung zuführbar sowie Abgas in eine Abgasleitung abführbar ist und wobei die Abgasleitung und die Frischgasleitung über eine luftgekühlte Rückführleitung verbunden sind, die in einem Teilbereich als Luft-Abgas-Wärmetauscher (14) ausgebildet und dieser Luft-Abgas-Wärmetauscher (14) direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher (14) von einem vorhandenen Kühlluftstrom der Brennkraftmaschine durchströmt ist, der von einem in die Brennkraftmaschine integrierten Kühlluftgebläse (8) gefördert wird."
[In Hilfsantrag 3 wurde dem Anspruch 1 im Vergleich zum Hauptantrag das folgende Merkmal hinzugefügt:
"wobei die Brennkraftmaschine luft-und/oder ölgekühlt ist".
In Hilfsantrag 4 wurde dem Anspruch 1 im Vergleich zum Hauptantrag das folgende Merkmal hinzugefügt:
"wobei der Luft-Abgas-Wärmetauscher (14) entlang zumindest eines Teils des Zylinderkopfs der Brennkraftmaschine angeordnet ist".
In Hilfsantrag 5' wurde dem Anspruch 1 im Vergleich zum Hilfsantrag 4 das folgende Merkmal hinzugefügt:
"und zwischen dem Luft-Abgas-Wärmetauscher (14) und dem Zylinderkopf ein Luft-Flüssigkeit-Wärmetauscher für öl- und/oder luftgekühlte Brennkraftmaschinen angeordnet ist".]
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Neuheit
2.1 Aus Druckschrift E1 ist eine Brennkraftmaschine mit einem Kurbelgehäuse 30 bekannt (siehe Figur 1), in dem eine Kurbelwelle 20 drehbar gelagert ist, an der zumindest ein einen Kolben tragendes Pleuel angelenkt ist, wobei der Kolben in einem von einem Zylinderkopf unter Bildung eines Arbeitsraums abgedeckten Zylinder 34 bewegbar ist und dem Arbeitsraum über Gaswechseleinrichtungen Frischgas 42 aus einer Frischgasleitung 64 zuführbar sowie Abgas 40 in eine Abgasleitung abführbar ist. Die Abgasleitung und die Frischgasleitung sind über eine luftgekühlte Rückführleitung 82 verbunden, die in einem Teilbereich als Luft-Abgas-Wärmetauscher 84 ausgebildet ist. Der Luft-Abgas-Wärmetauscher 84 wird von einem vorhandenen Kühlluftstrom der Brennkraftmaschine durchströmt, der von einem in die Brennkraftmaschine integrierten Kühlluftgebläse 18 gefördert wird.
2.2 Von dieser Brennkraftmaschine unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruches 1 dadurch, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher 84 direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet ist.
2.2.1 Nach dem Wortsinn von "direkt" und "angeordnet" bedeutet dies, dass der Wärmetauscher unmittelbar an der Brennkraftmaschine vorgesehen ist, dass sich dazwischen also kein weiteres Teil befinden darf.
2.2.2 Die Einspruchsabteilung und die Beschwerdegegnerin argumentierten, dass dieses Unterscheidungsmerkmal erfordere, dass der Wärmetauscher an der Brennkraftmaschine befestigt ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern wird den in Patentdokumenten verwendeten Begriffen die im einschlägigen Stand der Technik übliche Bedeutung gegeben, sofern ihnen nicht in der Beschreibung ein besonderer Sinn eindeutig zugewiesen wurde (siehe z.B. T 1321/04 v. 28. Februar 04, nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
Im vorliegenden Fall zeigt die Figur der Patentschrift zwar, dass der Luft-Abgas-Wärmetauscher 14 an der Brennkraftmaschine befestigt ist. Da in der Beschreibung jedoch ausschließlich der Begriff "angeordnet" verwendet wird, ergibt sich daraus nicht eindeutig, dass der Begriff in Anspruch 1 im engeren Sinne verwendet wird.
Somit ist es nach Anspruch 1 nicht erforderlich, dass der Wärmetauscher an der Brennkraftmaschine befestigt ist.
2.2.3 Da das Kühlluftgebläse nach Anspruch 1 ein integraler Bestandteil der Brennkraftmaschine ist, wird also beansprucht, dass zwischen dem Kühlluftgebläse und dem Luft-Abgas-Wärmetauscher kein weiteres Teil vorgesehen ist.
2.3 Obwohl der Wärmetauscher 84 der Druckschrift E1 nicht an der Brennkraftmaschine befestigt ist, sondern über den Kühlerblock 24 am Chassis 12, ist er im Sinne des Anspruches 1 direkt an der Brennkraftmaschine angeordnet, das heißt zwischen dem Wärmetauscher 84 und dem Kühlluftgebläse 18 ist kein weiteres Teil vorgesehen.
2.4 Da Druckschrift E1 somit sämtliche Merkmale des Anspruches 1 offenbart, ist dessen Gegenstand nicht neu im Sinne des Artikels 54 (1), (2) EPÜ 1973.
Deshalb hat die Kammer dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht stattgegeben.
3. Hilfsanträge 3, 4 und 5'
3.1 Die Beschwerdegegnerin hat nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung 11 Hilfsanträge vorgelegt, diese dann jedoch nach während der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwänden auf 3 Hilfsanträge 3, 4 und 5' beschränkt.
Gemäß Artikel 13(3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) werden Änderungen des Vorbringens nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung nicht zugelassen, wenn sie Fragen aufwerfen, deren Behandlung der Kammer oder den anderen Beteiligten ohne Verlegung der Verhandlung nicht zuzumuten sind. Des Weiteren, nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, können nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereichte Hilfsanträge in Einklang mit Artikel 13(3) der VOBK als unzulässig angesehen werden, wenn sie nicht substantiiert wurden, d.h. nicht mit Erklärungen versehen sind, was mit den vorgenommenen Änderungen bezweckt und wie damit den im Lauf des Verfahrens erhobenen Einwänden begegnet werden soll. Es ist in einem solchen Fall weder der Kammer noch den anderen am Verfahren Beteiligten zuzumuten, diesbezügliche Überlegungen anzustellen, insbesondere, wenn es sich um eine größere Anzahl von Anträgen und um Anspruchsmerkmale handelt, die neue Aspekte darstellen (siehe T 253/06 vom 24. Juni 2008, Orientierungssatz; nicht im ABl. EPA veröffentlicht).
3.1.1 Eine stichhaltige Begründung, warum die Hilfsanträge 3, 4 und 5' erst sehr spät im Verfahren vorgelegt worden sind, hat die Beschwerdegegnerin nicht gegeben.
In diesem Zusammenhang sei bemerkt, dass sich die Einwände der Beschwerdeführerin, insbesondere deren Einwände zur Patentfähigkeit, weder im Einspruchsverfahren noch im Beschwerdeverfahren geändert haben. Der Beschwerdegegnerin waren diese Einwände somit seit langem bekannt und es konnte von ihr erwartet werden, dass sie, falls sie dies für erforderlich hielte, darauf zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit angepassten Anträgen reagiert. Auch die negativen Feststellungen der Beschwerdekammer in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung können keine Rechtfertigung für die späte Vorlage dieser Anträge geben, da ihr die Einwände bereits seit langem bekannt gewesen sind.
Deshalb sind keine Gründe ersichtlich, die die späte Vorlage dieser Anträge rechtfertigen könnten.
3.1.2 Vor der mündlichen Verhandlung konnte die Beschwerdeführerin und die Beschwerdekammer nicht damit rechnen, dass die Anzahl der Hilfsanträge von 11 auf 3 reduziert wird. Da im vorliegenden Fall der Kammer und der Beschwerdeführerin mit 11 neuen und unkommentierten Hilfsanträge ein neuer Sachverhalt erheblichen Umfangs vorgelegt wurde, konnte weder von der Kammer noch von der Beschwerdeführerin erwartet werden, bis zur mündlichen Verhandlung zu ergründen, welche Absichten mit den verschiedenen Änderungen von der Beschwerdegegnerin verfolgt werden könnten, insbesondere, warum der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 neu sei oder auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen könnte oder nicht.
Auch wenn die Beschwerdegegnerin die Anzahl der Hilfsanträge in der mündlichen Verhandlung erheblich reduziert hat, hätte die mündliche Verhandlung aus Fairnessgründen verlegt werden müssen, damit sich die Beschwerdeführerin und die Kammer umfassend und ausreichend auf dieses neue Vorbringen vorbereiten könnte.
3.1.3 Gemäß den Richtlinien Teil E, Kapitel III - 8.6 liegt ein Verfahrensmissbrauch vor, wenn wie hier, "der Patentinhaber kurzfristig eine Vielzahl von Hilfsanträgen stellt, die nicht durch den Verhandlungsverlauf bedingt ist."
3.2 Unter diesen Umständen war die Behandlung des geänderten Vorbringens weder der Kammer noch der Beschwerdeführerin ohne Verlegung der mündlichen Verhandlung zumutbar.
Deshalb hat die Kammer die Hilfsanträge 3, 4 und 5' gemäß Art. 13 (3) VOBK nicht zugelassen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent wird widerrufen.