T 2646/18 04-12-2019
Download und weitere Informationen:
Vorrichtung zum präzisen Bearbeiten von Material
Einspruchsgründe - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus
Einspruchsgründe - Hauptantrag (ja)
Einspruchsgründe - Hilfsantrag (nein)
I. Mit der am 30. August 2018 zur Post gegebenen Entscheidung wurde das europäische Patent Nr. EP-B-2 298 254 unter Berufung auf Artikel 100 c) EPÜ widerrufen.
II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
III. Am 4. Dezember 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs d.h. Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag - dieser Antrag war der ursprüngliche Hilfsantrag 1);
hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der Entscheidung und Aufrechterhaltung des Patents gemäß einem der als Hilfsanträge 2-6 bezeichneten Anträge, eingereicht mit Schreiben vom 31. Oktober 2019.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde. Weiterhin beantragte sie Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung sollte die Kammer einen der Hilfsanträge 2-6 in das Verfahren zulassen und/oder falls die Kammer einen der Einspruchsgründe, die bisher vor der Einspruchsabteilung nicht behandelt wurden, für relevant erachten sollte.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Patent wie erteilt) hat folgenden Wortlaut:
"Vorrichtung zum präzisen Bearbeiten von Material, nämlich organischem Gewebe in Form der Augenhornhaut oder -linse, mit
- einem gepulsten Laser, der eine Oszillator-Verstärker-Anordnung ist, deren Verstärker ein Faserlaserverstärker ist, und der gepulste Laserstrahlung mit einer Pulsfrequenz von größer als 100 kHz abgibt,
- einem optischen Modul, das eine spektrale Phasenfunktion der Pulse der gepulsten Laserstrahlung beeinflusst und einen linearen Pre-Chirp erzeugt, dessen Betrag einem linearen Chirp eines nachgeordneten optischen Systems angepasst ist,
- eine Strahlfokussierungseinrichtung, welche die der gepulste Laserstrahlung in das Innere des Materials fokussiert,
- wobei die gepulste Laserstrahlung im Material oder auf dessen Oberfläche eine Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps aufweist,
- wobei der gepulste Laser und die Strahlfokussierungseinrichtung so ausgebildet sind, dass die Laserstrahlpulse im innerhalb des Materials gelegenen Fokus eine Photodisruption bewirken."
V. Anspruch 1 gemäß dem im Schreiben vom 31. Oktober 2019 als Hilfsantrag 2 bezeichneten Antrag (im Folgenden: Hilfsantrag 1) unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgende Hinzufügung im zweiten Absatz des Anspruchs:
"Vorrichtung ... mit,
- einem gepulsten Laser, der eine Oszillator-Verstärker-Anordnung ist, deren Verstärker ein Faserlaserverstärker ist, und der gepulste Laserstrahlung mit einer Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm und einer Pulsfrequenz von größer als 100 kHz abgibt, ...".
VI. Die weiteren Hilfsanträge spielen für die vorliegende Entscheidung keine Rolle.
VII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Mangelnde ursprüngliche Offenbarung - Hauptantrag
Anspruch 1 wie erteilt definiere, dass die gepulste Laserstrahlung im Material oder auf dessen Oberfläche eine Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps aufweise. Dafür stelle weder Anspruch 11 der Stammanmeldung, noch Anspruch 8 der Teilanmeldung eine Basis dar, da diese die genannten Pulslängen als eine Eigenschaft des gepulsten Lasers definierten, nicht aber als die Pulslängen, die im Material oder auf dessen Oberfläche einwirke. Dabei entnehme der Fachmann der Beschreibung, Seite 4, vierter Absatz, dass die Pulsdauer der Pulse im zu bearbeitenden Werkstück bzw. auf seiner Oberfläche nicht erforderlicher Weise der vom Laser selbst emittierten Pulsdauer der Pulse entspreche. Die genannte Passage offenbare zudem zwar eine Laserpulsdauer zwischen 50 fs und 1 ps, jedoch wiederum als Eigenschaft der Laserquelle, und nicht als auf das Material einwirkende Impulsdauer.
Eine Offenbarung der beanspruchten Pulslängen zusammen mit einem Einwirken auf das zu bearbeitende Material lasse sich allenfalls im unabhängigen Verfahrensanspruch 1 von Stamm- und Teilanmeldung finden. Da der Gegenstandsanspruch jedoch jeweils nicht auf den Verfahrensanspruch rückbezogen sei, und sich auch sonst keine Information finde, die Lehre der beiden unabhängigen Ansprüche zu kombinieren, könne auch der Verfahrensanspruch den erteilten Anspruch nicht in unmittelbarer und eindeutiger Weise stützen. Selbst wenn man den Verfahrensanspruch als Offenbarungsquelle heranziehen wolle, so definiere dieser in Zusammenhang mit dem Einwirken auf das zu bearbeitende Material weiterhin eine Pulsfrequenz von 50 kHz bis 1 MHz und eine Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm. Insbesondere der Wellenlängenbereich finde sich nicht im erteilten Anspruch, so dass eine nicht gewährbare Zwischenverallgemeinerung vorliege.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei somit sowohl über die Lehre der Stammanmeldung als auch der Teilanmeldung erweitert, und das Patent sei bereits aus diesem Grund zu widerrufen.
Zulassung des Hilfsantrags 1 in das Verfahren
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nehme zu einem sehr späten Verfahrenszeitpunkt das Merkmal der Wellenlänge der Laserimpulse auf, obwohl das Fehlen dieses Merkmals sowohl in Reaktion auf die Ladung der Einspruchsabteilung im Schreiben vom 26. April 2018, Seite 12, zweiter Absatz, als auch in der Beschwerdeerwiderung, Seiten 15, zweiter Absatz und 19, letzter Absatz, bereits gerügt worden sei. Der Hilfsantrag hätte somit bereits im Einspruchsverfahren, zumindest aber mit der Beschwerdebegründung eingereicht werden können und müssen. Die Kammer solle ihn daher zu diesem späten Verfahrenszeitpunkt nicht mehr in das Verfahren zulassen.
Mangelnde ursprüngliche Offenbarung - Hilfsantrag 1
Auch Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei in unzulässiger Weise erweitert. Zwar werde nun die Wellenlänge der Laserimpulse definiert, nicht jedoch die auf Seite 4, zweiter und dritter Absatz als die große spektrale Bandbreite der Laseremission zwischen 50 fs und 1 ps unterstützend genannten und damit mit der Wellenlänge funktionell verbundenen Materialien. Zudem sei sowohl der Wellenlängenbereich als auch das Einwirken auf das zu bearbeitende Material in der Stammanmeldung nur für eine Pulsfrequenz von 50 kHz bis 1 MHz offenbart, nicht aber für den Bereich größer als 100 MHz. Zwar sei auf Seite 3, Zeile 2 ein Bereich für die Repetitionsrate der Strahlung von 100 kHz bis 500 kHz als besonders bevorzugt offenbart, so dass ein unterer Grenzwert von 100 kHz, d.h. ein Bereich größer einschließlich 100 kHz nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern als offenbart angesehen werden könne. Die weitere Modifikation des Bereichs durch Ausklammern des Wertes 100 kHz stelle jedoch einen zusätzlichen Schritt dar, der nicht mehr als eindeutig und unmittelbar offenbart angesehen werden könne.
Außerdem sei die Einrichtung zur Strahlablenkung zwar in Anspruch 13 der Stammanmeldung (Anspruch 10 der Teilanmeldung) in einer und/oder-Kombination mit der Strahlfokussierungseinrichtung und somit fakultativ definiert. Dies gelte aber nicht für die jetzt beanspruchte präzise Bearbeitung der Augenhornhaut oder -linse. Hier seien gezielte Schnitte in das Gewebe einzubringen, wofür Laserquelle, Strahlablenkung und Fokussierungsoptik aufeinander abgestimmt sein müssten, siehe Seite 3, vierter und fünfter Absatz, Seite 6, fünfter und sechster Absatz und Seite 9, vorletzter Absatz. Die Strahleinrichtung zur Strahlablenkung sei daher wesentlicher Bestandteil der erfindungsgemäßen Vorrichtung zur Bearbeitung der Augenhornhaut oder -linse, ohne deren Definition im Anspruch eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung vorliege.
Auch die Definition der Strahlfokussierungseinrichtung selbst sei in Anbetracht der im Anspruch definierten Bearbeitung der Augenhornhaut oder -linse unzulässig verallgemeinert. Zur Erzeugung einer Photodisruption, d. h. eines Spots in dem das Materialgefüge aufgelöst werde, sei ein Laserpuls nicht nur mit einer bestimmten Pulsdauer, sondern auch mit bestimmter Pulsenergie und Fokusdurchmesser erforderlich, siehe Seite 7, letzter Absatz, 5.- 8. Zeile, und Seite 6, vorletzter Absatz, da herkömmliche Laser, siehe Seite 1, letzter Absatz, in der Hornhautchirurgie zu unbefriedigenden Ergebnissen führten. Ein Anspruch, welcher weder die Pulsenergie noch den Fokusdurchmesser definiere, müsse somit ebenfalls als in nicht gewährbarer Art und Weise verallgemeinert angesehen werden.
Letztlich gebe es auch für das im Anspruch definierte optische Modul keine ausreichende Offenbarung. Auf Seite 4, vierter Absatz werde offenbart, dass das optische Modul einen linearen Pre-Chirp erzeuge, der an den linearen Chirp des optischen System angepasst sei, zum Zweck, eine bevorzugte Impulsdauer von etwa 300 fs im zu bearbeitenden Werkstück bzw. auf seiner Oberfläche zu erreichen. Beansprucht sei nun jedoch ein pre-Chirp für eine beliebige Impulsdauer zwischen 50 fs und 1 ps, wobei der pre-Chirp zudem nicht an das gesamte optische System, sondern nur an ein beliebiges nachgeordnetes optisches System, also z.B. nur an ein optisches Teilsystem angepasst sei. Dies sei nicht ursprünglich offenbart, weder in der Stamm- noch in der Teilanmeldung.
Die abhängigen Ansprüche seien zumindest insofern nicht gewährbar, als sie eine Kombination mit dem nicht ursprünglich offenbarten Anspruch 1 darstellten.
Hilfsantrag 1 sei aus all diesen Gründen nicht gewährbar.
VIII. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Ursprüngliche Offenbarung - Hauptantrag
Der erteilte Anspruch 1 basiere auf Anspruch 11 der Stammanmeldung bzw. Anspruch 8 der Teilanmeldung, welche bereits die beanspruchte Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps offenbarten. Dabei sei dem Fachmann klar, dass es sich nur um die Pulslänge im Material oder auf dessen Oberfläche handeln könne, da die ursprünglich eingereichten Ansprüche jeweils explizit auf eine Vorrichtung zum präzisen Bearbeiten von Material gerichtet seien. Dieses fachmännische Verständnis werde auch durch den ursprünglich eingereichten Verfahrensanspruch 1 gestützt, der ebenso auf die präzise Bearbeitung von Material gerichtet sei, jedoch zusätzlich explizit das Einwirken der Laserimpulse mit einer Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps auf das zu bearbeitende Material definiere, wie beansprucht.
Da die ursprünglich eingereichten Gegenstandsansprüche die Wellenlänge nicht definierten, und diese in der gesamten Beschreibung lediglich als Randaspekt erwähnt würden, sei dem Fachmann klar dass es sich bei dem im ursprünglich eingereichten Verfahrensanspruch 1 genannten Wellenlängenbereich nicht um einen erfindungswesentlichen Aspekte handle.
Die Tatsache, dass der erteilte Anspruch 1 nicht auf einen Wellenlängenbereich der Laserimpulse zwischen 600 und 2000 nm eingeschränkt sei, stelle daher keine unzulässige Erweiterung und keinen Grund für einen Widerruf des Patents dar.
Zulassung des Hilfsantrags in das Verfahren
Die Beschwerdeführerin habe die Definition des Wellenlängenbereichs der Laserimpulse in Reaktion auf den Bescheid der Kammer in den Anspruch aufgenommen. Weder die Entscheidung der Einspruchsabteilung, noch die Einwände der Beschwerdegegnerin im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren hätten davor Anlass zu dieser Änderung gegeben. Die von der Beschwerdegegnerin genannten, angeblich das Fehlen des Merkmals rügenden Passagen aus dem Einspruchsverfahren bzw. auf Seite 19 der Beschwerdeerwiderung, seien in einem anderen rechtlichen Zusammenhang, nämlich bezüglich der Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstands erfolgt. Auch die Passage auf Seite 15 der Beschwerdeerwiderung stehe in einem anderen Zusammenhang, nämlich bezüglich der Definition der für die Photodisruption nötigen Strahlfokussierungseinrichtung.
Die in Reaktion auf den Bescheid der Beschwerdekammer durchgeführte Änderung sei somit durch den Verlauf des Verfahrens begründet und zudem unverzüglich erfolgt, so dass der Hilfsantrag 1 in das Beschwerdeverfahren zugelassen werden solle.
Ursprüngliche Offenbarung - Hilfsantrag 1
Ein Wellenlängenbereich zwischen 600 und 2000 nm sei in Anspruch 1 von Stammanmeldung und Teilanmeldung explizit offenbart. Da für den Fachmann, wie oben diskutiert, klar sei, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 wie eingereicht mit der Vorrichtung gemäß Anspruch 11 der Stammanmeldung, bzw. Anspruch 8 der Teilanmeldung wie eingereicht, durchzuführen sei, könne der Wellenlängenbereich in den Vorrichtungsanspruch aufgenommen werden. Dies behebe in offensichtlicher Weise die von der Kammer als nicht gewährbar erachtete Zwischenverallgemeinerung.
Da Anspruch 1 wie ursprünglich offenbart die jeweiligen Wellenlängen ohne die auf Seite 4 genannten Laser- und Dotiermaterialien definiere, sei es nicht erforderlich diese in den unabhängigen Vorrichtungsanspruch aufzunehmen. Daran ändere auch die Präzisierung des organischen Materials als Augenhornhaut bzw. Augenlinse nichts, da diese in der Beschreibung die prominentesten Beispiele für das bereits im ursprünglichen Anspruch genannte zu bearbeitende organische Material darstellten.
Auch der im vorliegenden Anspruch definierte Pulsfrequenzbereich von größer 100 kHz stelle keine unzulässige Erweiterung dar. Es bestehe Einigkeit, dass der Frequenzbereich von einschließlich 100 kHz und größer ursprünglich offenbart sei. Das Ausklammern lediglich des unteren, ursprünglich offenbarten Grenzwerts entspreche in der Sache der Situation der Stammanmeldung, bei der der untere Grenzwert durch einen offenbarten Disclaimer ausgenommen wurde, siehe Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe von T 712/16. Aus den dort genannten Gründen sei eine Pulsfrequenz der gepulsten Laserstrahlung von größer als 100 kHz ursprünglich offenbart.
Anspruch 13 der Stammanmeldung bzw. Anspruch 10 der Teilanmeldung definierten das Vorhandensein weiterer Strahleinrichtungen zur Strahlformung und/oder Strahlführung und/oder Strahlablenkung und/oder Strahlfokussierung. Diese könnten somit in Kombination vorhanden sein, müssten es aber nicht. Es stehe daher in Einklang mit der ursprünglichen Offenbarung, nicht alle dieser Einrichtungen in den unabhängigen Anspruch aufzunehmen, und nur die jeweils aufgenommenen weiterzubilden. Insbesondere sei es nicht erforderlich die Strahlablenkungseinrichtung im unabhängigen Anspruch zu definieren, und die Strahlfokussierungseinrichtung könne als eigenständige Funktionseinheit unabhängig von den anderen genannten Einrichtungen weiter spezifiziert werden.
Die Funktion der Strahlfokussierungseinrichtung bestehe darin, im Fokus des Strahls auf oder innerhalb des Materials den Zusammenhalt des Materials aufzuheben, d.h. eine Photodisruption zu bewirken. Dies sei auf Seite 6, fünfter Absatz offenbart, unabhängig von einer Strahlablenkung, einer Haltevorrichtung oder von einem bestimmten Fokus-Durchmesser oder bestimmten Pulsenergie-Werten.
Im Übrigen sei dem Fachmann bekannt, dass Photodisruption ab einer bestimmten Energiedichte auftrete, wobei Pulsenergie und Fokusdurchmesser bis zu einem gewissen Grad variiert werden könnten, so dass es auch keinen technischen Grund gebe, spezifische Werte dieser Größen in den unabhängigen Anspruch aufzunehmen. Auch die Pulslänge im zu bearbeitenden Werkstücke bzw. auf dessen Oberfläche sei im Anspruch ausreichend definiert. Insbesondere sei der auf Seite 4, vierter Absatz genannte Wert von 300 fs explizit lediglich bevorzugt.
Der auf der Definition des optischen Moduls beruhende Einwand sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Auf Seite 4, vierter Absatz sei offenbart, dass die Vorrichtung ein optisches Modul umfasse, welches einen linearen Pre-Chirp erzeuge, dessen Betrag dem linearen Chirp des optischen Systems angepasst sei. Genau dies sei beansprucht, wobei, den Gepflogenheiten beim Formulieren von Ansprüchen folgend, das dem "Pre-Chirp" im Strahlengang nachgeordnete, im Anspruch vorher bislang nicht erwähnte optische System mit einem unbestimmten Artikel versehen sei. Diese Formulierung als sich lediglich auf ein nachgeordnetes Teilsystem beziehend anzusehen, sei technisch völlig unsinnig und entspreche nicht dem fachmännischen Verständnis. Auch beziehe sich die Formulierung "zu diesem Zweck" erkennbar nicht auf die lediglich als bevorzugt benannte Impulsdauer von 300 fs, sondern allgemein darauf auf bzw. in dem Werkstück Impulsdauern zwischen 50 fs und 1 ps - wie beansprucht - zu erreichen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 von Hilfsantrag 1 sei daher weder über die Offenbarung der Stamm- noch der Teilanmeldung erweitert. Daher greife auch die auf der Nicht-Gewährbarkeit des Anspruchs 1 basierende Argumentation der Beschwerdegegnerin gegen die abhängigen Ansprüche nicht durch.
1. Hauptantrag, Artikel 100 c) EPÜ
1.1 Vorbemerkung
Das vorliegende Patent beruht auf einer Teilanmeldung. Stammanmeldung ist die WO 2004/105661 (siehe die das darauf basierende europäische Patent betreffende Entscheidung T 712/16). Die Beschreibungen von Stammanmeldung und Teilanmeldung wie eingereicht sind identisch. Die zitierten Beschreibungs-Textstellen gelten daher sowohl für die Stammanmeldung als auch für die Teilanmeldung.
Die unabhängigen Ansprüche der Stamm- bzw. Teilanmeldung wie eingereicht (Anspruch 1 und Anspruch 8 der Teilanmeldung; Anspruch 1 und Anspruch 11 der Stammanmeldung) unterscheiden sich im Wesentlichen in der Angabe der Pulsfrequenz der Laserimpulse:
Pulsfrequenz - Stammanmeldung: 50 kHz bis 1 MHz
Pulsfrequenz - Teilanmeldung: Größer 100 kHz
Die abhängigen Ansprüche sind weitgehend unverändert, teilweise wurden aber mehrere abhängige Ansprüche der Stammanmeldung in einem einzigen abhängigen Anspruch der Teilanmeldung zusammengefasst.
1.2 Das Fehlen im erteilten Anspruch 1 des Merkmals wonach Laserimpulse mit einer Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm auf das zu bearbeitende Material einwirken, stellt eine nicht gewährbare Zwischenverallgemeinerung dar.
1.2.1 Anspruch 11 der Stammanmeldung und Anspruch 8 der Teilanmeldung definieren eine Pulslänge des gepulsten Lasers zwischen 50 fs und 1 ps. Sie definieren aber nicht, dass "gepulste Laserstrahlung im Material oder auf dessen Oberfläche eine Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps aufweist", wie in Anspruch 1 wie erteilt beansprucht.
1.2.2 Dabei unterscheidet das Patent selbst explizit zwischen der vom Laser emittierten Pulsdauer und der im zu bearbeitenden Werkstück bzw. auf seiner Oberfläche erreichten Pulsdauer. Auf Seite 4, vierter Absatz heißt es diesbezüglich: "Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Laser selbst Pulse dieser Pulsdauer emittiert, dass aber die bevorzugte Impulsdauer von etwa 300 fs im zu bearbeitenden Werkstück bzw. auf seiner Oberfläche erreicht wird."
Angesichts allein dieser technischen Lehre, d.h. ohne die übrigen Ansprüche zu berücksichtigen, wird der Fachmann nicht schließen können, dass die in Anspruch 11 der Stammanmeldung bzw. Anspruch 8 der Teilanmeldung genannte Pulsdauer des Lasers notwendiger Weise auch diejenige ist, die die Laserstrahlung im Material oder auf dessen Oberfläche aufweist.
1.2.3 Wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht offenbart jedoch Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht (Stammanmeldung und Teilanmeldung) ein Verfahren zum präzisen Bearbeiten von Material, insbesondere organischem Gewebe, bei dem Laserimpulse mit einer Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps ... auf das zu bearbeitende Material einwirken.
Da derartige Verfahren zwangsläufig mit einer, einen Laser aufweisenden Vorrichtung ausgeführt werden, ist für den Fachmann klar, dass das Verfahren insbesondere mit einer Vorrichtung ausgeführt werden muss, die einen entsprechenden Laser aufweist, d.h. einen Laser mit einer Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps und mit einer entsprechenden Pulsfrequenz (50 kHz bis 1 MHz im Falle der Stammanmeldung, größer 100 kHz im Falle der Teilanmeldung). Nichts anderes ist in den Gegenstandsansprüchen 11 (Stammanmeldung) und 8 (Teilanmeldung) definiert. Der Fachmann wird daher davon ausgehen, dass das Verfahren nach Anspruch 1 mit einer Vorrichtung gemäß Anspruch 11 (Stammanmeldung) bzw. Anspruch 8 (Teilanmeldung) ausgeführt wird.
Da ein Einwirken der Laserimpulse auf das zu bearbeitende Material ein Einwirken der Laserstrahlung auf dessen Oberfläche bzw. im Material impliziert, kann der jeweilige Verfahrensanspruch das im vorliegenden Anspruch 1 definierte Merkmal stützen, gemäß dem die gepulste Laserstrahlung im Material oder auf dessen Oberfläche eine Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps aufweist.
1.2.4 Der jeweilige Verfahrensanspruch definiert jedoch weitere Merkmale der Laserstrahlung, insbesondere eine Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm.
Der genannte Wellenlängenbereich ist auch in der Beschreibung als typisch für die bevorzugten, entsprechend dotierten Lasermedien genannt (Seite 4, zweiter und dritter Absatz). Es gibt daher keinen Grund anzunehmen, dass die in Anspruch 1 der Stamm- und Teilanmeldung für die auf das zu bearbeitende Material einwirkende Laserstrahlung genannte Wellenlänge für die Definition dieser Laserstrahlung ein Randaspekt ohne Bedeutung wäre.
Greift man, wie die Beschwerdeführerin, auf den jeweiligen Anspruch 1 als Offenbarung für ein Einwirken der Laserstrahlung auf das zu bearbeitende Material zurück, so müssen die dort in Kombination definierten Charakteristika der Laserstrahlung auch als Ganzes berücksichtigt werden.
Das Auslassen der in Anspruch 1 wie eingereicht definierten Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm stellt daher eine nicht gewährbare Zwischenverallgemeinerung dar. Artikel 100 c) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
2. Hilfsantrag 1 - Zulassung in das Verfahren
Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin dahingehend zu, dass die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durchgeführte zusätzliche Definition der Wellenlänge der Laserstrahlung eine adäquate und angemessene Reaktion auf den Verlauf des Beschwerdeverfahrens darstellt. Insbesondere hatte die Kammer in ihrem Ladungsbescheid (Punkt 3) darauf hingewiesen, dass die ursprünglich eingereichten Verfahrensansprüche auf ein Verfahren gerichtet seien, bei dem Laserimpulse mit einer Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps auf das zu bearbeitende Material einwirkten, das Verfahren jedoch lediglich für Laserimpulse mit einer Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm offenbart sei. Die von der Beschwerdegegnerin genannten Stellen, gemäß derer die Auslassung des Wellenlängenbereichs bereits mehrfach im Verfahren beanstandet worden sei, stehen dagegen in einem anderen rechtlichen (Artikel 100 b) EPÜ) bzw. technischen Zusammenhang (Definition der Fokussiereinrichtung ohne die Definition der Pulsparameter, vgl. Beschwerdeerwiderung, Punkt B.II.3.2.3). Da die Änderung außerdem wenig komplex und der Verfahrensökonomie nicht abträglich ist, lässt die Kammer Hilfsantrag 1 in Ausübung des ihr unter Artikel 13(1) VOBK zustehenden Ermessens in das Beschwerdeverfahren zu.
3. Hilfsantrag 1 - ursprüngliche Offenbarung.
3.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 stellt zunächst eine Kombination der Definitionen in Anspruch 1, 11 und 13 der Stammanmeldung bzw. 1, 8 und 10 der Teilanmeldung wie eingereicht dar. Warum der Fachmann die im Verfahrensanspruch genannten Parameter einer Pulslänge zwischen 50 fs und 1 ps, einer Pulsfrequenz von 50 kHz und 1 MHz (Stammanmeldung), bzw. größer 100 MHz (Teilanmeldung) und einer Wellenlänge zwischen 600 und 2000 nm als auch für den jeweiligen Gegenstandsanspruch offenbart ansieht, wurde bereits in Zusammenhang mit dem Hauptantrag erörtert.
3.2 Da der jeweilige Anspruch 1 wie eingereicht bereits dahingehend abstrahiert war, dass der Wellenlängenbereich ohne die zur Erzeugung der entsprechenden Laserstrahlung notwendigen Laser- und Wirtsmaterialien definiert wurde, kann die Nicht-Erwähnung der entsprechenden Materialien im nun vorliegenden Anspruch 1 keine unzulässige Erweiterung bedingen.
3.3 Die Änderung des Pulswellenintervalls von 50 kHz bis 1 MHz (Anspruch 1 wie eingereicht der Stammanmeldung) auf größer 100 MHz (vorliegender Anspruch 1) ist aus folgenden Gründen gerechtfertigt: Auf Seite 2, vierter Absatz, Zeilen 7, 8 ist das Intervall ]50 kHz; INF [ für die Pulsfrequenz offenbart, auf Seite 3, erster Absatz ein bevorzugtes Intervall von 50 kHz bis 1 MHz und ein besonders bevorzugtes Intervall von 100 kHz bis 500 kHz. Gemäß gefestigter Rechtsprechung (vgl. T 925/98, Punkt 2 der Entscheidungsgründe) kann in einem solchen Fall der engere Bereich an jeder Seite des Intervalls als offenbart angesehen werden, d.h. das Intervall [100 KHz; INF[ ist ursprünglich offenbart. Dies ist soweit zwischen den Parteien unstreitig. Die Beschwerdegegnerin sieht im Herauslösen des unteren Grenzwerts von 100 kHz - resultierend in dem beanspruchten Intervall ]100 kHz; INF[ - einen zusätzlichen Schritt, aufgrund dessen das nun beanspruchte Intervall nicht mehr als unmittelbar und eindeutig offenbart anzusehen sei.
Das Herauslösen des ursprünglich offenbarten unteren Grenzwerts aus dem unstreitig ursprünglich offenbarten Intervall entspricht jedoch gerade dem Effekt des im Zusammenhang mit der Stammanmeldung diskutierten Disclaimers "nicht aber 100 kHz" (T 712/16, Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe). Der Wert von 100 kHz ist als unterer Grenzwert des besonders bevorzugten Intervalls bekannt. Er kann somit - vgl. die Argumentation in T 712/16, Punkt 2.3 - durch einen offenbarten Disclaimer aus dem Intervall herausgenommen werden, ohne dass der Fachmann dadurch mit neuer technischer Information konfrontiert würde. Da es bei der Beurteilung einer unzulässigen Erweiterung auf den beanspruchten Gegenstand ankommt, nicht aber darauf in welcher Weise dieser definiert ist, kann die hier vorgenommene Änderung des Intervalls von [100 kHz; INF[ auf ]100 kHz; INF[, die in ihrer Auswirkung auf den beanspruchten Gegenstand exakt der Wirkung eines solchen offenbarten Disclaimers entspricht, keine unzulässige Erweiterung bewirken. Das Merkmal einer Pulsfrequenz von größer 100 kHz ist daher ursprünglich offenbart.
3.4 Die Beschwerdegegnerin hat beanstandet, dass Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 keine Strahlablenkeinrichtung definiere. Da Anspruch 13 der Stammanmeldung (Anspruch 10 der Teilanmeldung) bereits dahingehend verallgemeinert war, dass die verschiedenen weiteren Strahleinrichtungen (zur Strahlformung und / oder zur Strahlführung und / oder zur Strahlablenkung und / oder zur Strahlfokussierung) unabhängig voneinander vorhanden sein konnten oder nicht, stellen diese ursprünglich offenbarten Ansprüche eine Basis dafür dar, die beanspruchte Vorrichtung ohne eine Einrichtung zur Strahlablenkung zu definieren.
Zwar ist es wohl richtig, dass für die refraktäre Laserchirurgie eine Strahlablenkung nötig wäre. Anspruch 1 ist jedoch nicht auf eine Vorrichtung zur refraktären Laserchirurgie gerichtet, sondern lediglich auf eine Vorrichtung zum präzisen Bearbeiten von Material, nämlich organischem Gewebe in Form der Augenhornhaut oder - linse. Dabei stellt bereits die Erzeugung eines einzigen Photodisruptions-Spots eine präzise Bearbeitung dar, ohne dass dafür eine Strahlablenkeinrichtung zwingend wäre. Die in Anspruch 13 der Stammanmeldung (Anspruch 10 der Teilanmeldung) definierte Vorrichtung zum präzisen Bearbeiten von Material, nämlich organischem Gewebe in Form der Augenhornhaut oder -Linse, kann daher ohne die Strahlablenkeinrichtung beansprucht werden, ohne den Gegenstand über die ursprüngliche Offenbarung von Stamm- oder Teilanmeldung hinaus zu erweitern.
3.5 Genauso kann die Fokussiereinrichtung - da als von der Ablenkeinrichtung und den übrigen in Anspruch 13 bzw. 10 genannten Einrichtungen unabhängige Einrichtung offenbart - unabhängig von diesen im Anspruch weiter definiert werden. Insbesondere offenbart Seite 6, fünfter Absatz, dass die Strahlfokussierungseinrichtung dazu dient, im Fokus des Strahls auf oder innerhalb des Materials den Zusammenhalt des Materials aufzuheben (Photodisruption). Diese Offenbarung ist unabhängig von weiteren Strahlparametern und gilt daher insbesondere für die in den unabhängigen Ansprüchen wie eingereicht genannten Pulslängen von 50 fs bis 1 ps. Da Photodisruption im Material mit verschieden kombinierten Laserparametern erreicht werden kann, ist eine genaue Spezifikation von Pulsenergie und Fokusdurchmesser weder aufgrund der Offenbarung auf Seite 6 geboten, noch technisch notwendig. Die Merkmale der letzten 3 Spiegelstriche des erteilten Anspruchs sind somit ursprünglich offenbart.
3.6 Das weiter im Anspruch offenbarte optische Modul, das eine spektrale Phasenfunktion der Pulse der gepulsten Laserstrahlung beeinflusst und einen linearen Pre-Chirp erzeugt, dessen Betrag einem linearen Chirp eines nachgeordneten optischen Systems angepasst ist, ist auf Seite 4, vierter Absatz offenbart. Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, dass dieses Merkmal in Anspruch 1 sich dahingehend interpretieren ließe, dass der pre-Chirp so ausgelegt sei, den Chirp lediglich eines nachgeordneten Teilsystems auszugleichen, also beispielsweise nur den Chirp von 2 Linsen eines nachgeordneten Systems, wobei das nachgeordnete System als Ganzes zusätzlich noch weitere Linsen oder optische Bauteile umfassen könne. Diese Interpretation macht nach Ansicht der Kammer technisch keinen Sinn und entspricht nicht dem, wie der Fachmann das Anspruchsmerkmal verstehen würde. Der unbestimmte Artikel ist hier erkennbar verwendet, um ein bislang im Anspruch nicht definiertes Merkmal einzuführen.
Auch kann die Lehre des Absatzes 4 auf Seite 4 bezüglich des optischen Moduls nicht als lediglich auf Laserstrahlung mit einer Impulsdauer von 300 fs beschränkt angesehen werden. Diese Impulsdauer wird explizit als "bevorzugte Impulsdauer" bezeichnet. Die Formulierung "zu diesem Zweck" bezieht sich daher bei fachmännischer Leseart auf den Zweck, Laserstrahlung einer vorgegebenen Impulsdauer im zu bearbeitenden Werkstück bzw. auf seiner Oberfläche zu erreichen. Damit ist auch die Definition des optischen Moduls im Anspruch nicht gegenüber der ursprünglichen Offenbarung in Stamm- oder Teilanmeldung erweitert.
3.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 geht daher weder über den Inhalt der Teilanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, noch über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
3.8 Da die abhängigen Ansprüche nur insoweit angegriffen wurden, als ihr Inhalt mit dem angeblich nicht offenbarten Inhalt des unabhängigen Anspruchs 1 kombiniert ist, können diese Angriffe gegen die abhängigen Ansprüche nicht überzeugen.
4. Weiteres Verfahren
Von der Einspruchsabteilung wurde bislang nur der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ untersucht. Die Kammer übt deshalb das ihr nach Artikel 111(1) EPÜ zustehende Ermessen dahingehend aus, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.