T 1745/19 18-10-2022
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SILOXAN-MISCHUNGEN
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdeschrift
Zulässigkeit der Beschwerde - ausreichende Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung (ja)
Neuheit - (nein)
Neuheit - implizite Offenbarung der im Anspruch definierten Parameter
Neuheit - Beweislast
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (nein)
Spät eingereichter Antrag - unsubstantiiert eingereicht mit der Beschwerdebegründung
Spät eingereichter Antrag - erstmalig in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, ihren Einspruch gegen das Streitpatent unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Auf folgende Dokumente wird Bezug genommen:
D2: |US-B-4122109 |
D7: |Product Brochure Syltherm 800 (October 1997) |
D8: |Annual Report for June 1977 - June 1978 SOLAR TOTAL ENERGY LARGE SCALE EXPERIMENT, SHENANDOAH, GEORGIA SITE, Published June, 1978|
D12:|US-B-3694405 |
D13: |Calculation of composition properties of example 17 of US 3694405 |
III. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikel 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden.
In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, die beanspruchten Zusammensetzungen und Verwendungen seien im Patent in für den Fachmann in ausreichender Weise offenbart (Artikel 83 EPÜ). Neuheit gegenüber D2, D7, D8 und D12 sah die Einspruchsabteilung als gegeben an, ebenso erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2 als nächstem Stand der Technik.
IV. In ihrer Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die beanspruchte Erfindung sei nicht ausreichend offenbart.
Die beanspruchten Silikonmischungen seien nicht neu gegenüber D2, D12 und D7.
Erfinderische Tätigkeit sei ausgehend von D2, D12 oder D7 ebenso wenig gegeben.
V. In ihrer Beschwerdeerwiderung beantragte die Beschwerdegegnerin, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, oder als unbegründet zurückzuweisen. Hilfsweise reichte sie zwei Anspruchssätze als Hilfsanträge zur Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form ein.
VI. Mit Ladung vom 15. Oktober 2021 wurde für den 18. Oktober 2022 eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer anberaumt. In einer verfahrensleitenden Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 vertrat die Kammer hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Fragen die vorläufige Auffassung, die Beschwerde sei zulässig. Neuheit gegenüber D12 müsse in der Verhandlung diskutiert werden. Die Zulassung der Hilfsanträge ins Beschwerdeverfahren sei zweifelhaft.
VII. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch die Beschwerdegegnerin reichten weitere Eingaben in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung ein.
VIII. Am 18. Oktober 2022 fand die mündliche Verhandlung statt, in der alle entscheidungsrelevanten Fragen diskutiert wurden. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Sie beantragte im Zuge dessen, die Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin nicht ins Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen, weiter hilfsweise, das Patent auf Basis der zwei mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
IX. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung lautet:
"Mischungen von Methylpolysiloxanen enthaltend mindestens zwei Methylpolysiloxane, ausgewählt aus linearen Verbindungen der allgemeinen Formel I
Me3SiO-(Me2SiO)x-SiMe3 (I),
und cyclischen Verbindungen der allgemeinen Formel II
(Me2SiO)y (II),
wobei
die Mischung mindestens ein lineares Methylpolysiloxan der allgemeinen Formel I und mindestens ein cyclisches Methylpolysiloxan der allgemeinen Formel II enthält,
Me Methylrest bedeutet,
x Werte größer oder gleich Null aufweist und der mit den Stoffmengenanteilen gewichtete arithmetische Mittelwert von x über alle linearen Methylpolysiloxane zwischen 3 und 20 liegt,
y Werte größer oder gleich 3 aufweist und der mit den Stoffmengenanteilen gewichtete arithmetische Mittelwert von y über alle cyclischen Methylpolysiloxane zwischen 3 und 6 liegt,
das Zahlenverhältnis der Me3Si-Kettenendgruppen in den Verbindungen der allgemeinen Formel I zur Summe aus Me2SiO-Einheiten in den Verbindungen der allgemeinen Formeln I und II mindestens 1:2 und höchstens 1:10 ist,
die Anteile der linearen Methylpolysiloxane der allgemeinen Formel I unabhängig voneinander
für x=Null zwischen Null und 14 Massen-%,
für x=1 bis 3 jeweils zwischen Null und 14 Massen-%,
für x = 4 und 5 jeweils zwischen Null und 14 Massen-%,
für x=6 bis 9 jeweils zwischen Null und 16 Massen-%,
für x=10 und 11 jeweils zwischen Null und 12 Massen-%,
für x=12 bis 14 jeweils zwischen Null und 10 Massen-%,
für x=15 bis 28 jeweils zwischen Null und 10 Massen-%,
für x=29 und 30 jeweils zwischen Null und 8 Massen-%,
für x=31 bis 34 jeweils zwischen Null und 4 Massen-%,
für x=35 bis 40 jeweils zwischen Null und 2 Massen-%,
für x=41 bis 70 jeweils zwischen Null und 1 Massen-%, und
für x größer als 70 jeweils zwischen Null und 0,5 Massen-%betragen,
die Anteile der cyclischen Methylpolysiloxane der allgemeinen Formel II unabhängig voneinander
für y=3 zwischen Null und 10 Massen-%,
für y=4 zwischen Null und 30 Massen-%,
für y=5 zwischen Null und 15 Massen-%,
für y=6 zwischen Null und 10 Massen-%,
für y=7 zwischen Null und 8 Massen-%,
für y=8 bis 11 jeweils zwischen Null und 5 Massen-%,
für y=12 bis 15 jeweils zwischen Null und 2,5 Massen-%,
für y=16 bis 19 jeweils zwischen Null und 2 Massen-%,
für y=20 bis 40 jeweils zwischen Null und 1 Massen-%, und
für y größer als 40 jeweils zwischen Null und 0,5 Massen-%betragen,
die Summe der Anteile aller cyclischen Methylpolysiloxane der allgemeinen Formel II mindestens 10 Massen-% und höchstens 40 Massen-% beträgt, und
die Mischung bei 25°C flüssig ist und eine Viskosität von weniger als 100 mPa*s aufweist."
In Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags sind die oben aufgeführten Grenzen für x und y geändert und es ist verlangt, dass die Summe der Anteile aller zyklischenMethylpolysiloxane zwischen 15 und 30 Massen-% beträgt.
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags basiert auf Anspruch 1 des erteilten Patents, definiert zusätzliche Bedingungen für x und y und deren mit den Stoffmengenanteilen gewichtete arithmetische Mittelwerte, und eine trimodale Molmassenverteilung.
X. Zu den entscheidungswesentlichen Fragen der Zulässigkeit der Beschwerde, der Neuheit gegenüber D12 und der Zulässigkeit der Hilfsanträge brachten die Parteien im wesentlichen folgendes vor:
Die Beschwerdegegnerin hielt die Beschwerde für unzulässig. Die Beschwerdebegründung setze sich nicht ausreichend mit der angefochtenen Entscheidung auseinander, wie von Artikel 12(3) VOBK 2020 gefordert. Neuheit gegenüber D12 sei gegeben, eine implizite Offenbarung von Zusammensetzungen mit den im Anspruch definierten Parametern liege nicht vor. Die in D13 durchgeführten statistischen Berechnungen seien nicht aussagekräftig. Die Hilfsanträge seien schon mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden und müssten daher ins Verfahren zugelassen werden.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, sie sei in ihrer Beschwerdebegründung durchaus auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingegangen. Die Beschwerde sei daher zulässig. Neuheit gegenüber D12 sei nicht gegeben; die darin offenbarten Zusammensetzungen besäßen implizit auch die durch die im Anspruch definierten Parameter verlangten Eigenschaften. Dies werde durch die Berechnungen in D13 bestätigt. Die Hilfsanträge seien im Verfahren nicht substantiiert worden und dürften daher nicht zugelassen werden.
Das Vorbringen der Parteien wird in den folgenden Entscheidungsgründen im Detail referiert und analysiert.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Die Zulässigkeit der Beschwerde wurde von der Beschwerdegegnerin bestritten. Sie bringt vor, die Beschwerdebegründung setze sich nicht mit der angefochtenen Entscheidung auseinander und begründe nicht, weshalb diese fehlerhaft sei. Dies sei aber in Artikel 12(3) VOBK 2020 verlangt. Stattdessen würden im wesentlichen die Argumente aus dem Einspruchsverfahren wiederholt, oder aber neue Dokumente ins Verfahren eingeführt. Es werde lediglich an zwei Stellen überhaupt auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen, nämlich auf Seite 4 betreffend mangelnde Ausführbarkeit und auf Seite 9 betreffend Neuheit gegenüber D12.
Zur Bekräftigung ihrer Argumente verwies die Beschwerdegegnerin auf die Entscheidungen T 0198/15 und T 2077/11, sowie T 0252/95.
1.2 Die Beschwerdeführerin brachte dagegen vor, sie habe sich durchaus mit der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt, zumindest an den zwei von der Beschwerdegegnerin angegebenen Stellen. Die Argumente der Beschwerdegegnerin richteten sich nicht gegen die Zulässigkeit der Beschwerde, sondern gegen deren Begründetheit in der Sache.
1.3 Es ist richtig, dass, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, für eine zulässige Beschwerde in der Beschwerdeschrift darzulegen ist, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden soll. Dies wird nicht nur aus dem von ihr angeführten Artikel 12(3) VOBK 2020 klar, sondern ist bereits im EPÜ selbst in Artikel 108, dritter Satz i.V.m Regel 99(2) und Regel 101(1) EPÜ so verlangt.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin dies zumindest im Rahmen der Diskussion von zweien der von der Einspruchsabteilung nicht als überzeugend angesehenen Einspruchsgründe getan, wie von der Beschwerdegegnerin selbst zugestanden. Dies ist für eine Zulassung der Beschwerde ausreichend. Die Kammer kann weder aus dem EPÜ noch aus der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ein Erfordernis ableiten, nach dem sich eine Einsprechende für die Zulassung ihrer Beschwerde mit allen in der angefochtenen Entscheidung abgehandelten Einwänden oder auch nur mit allen Einspruchsgründen auseinandersetzen müsste. Dies kann insbesondere schon deshalb nicht verlangt werden, weil die Beschwerde einer Einsprechenden bereits erfolgreich sein kann, wenn sie nur in einem einzigen Punkt durchgreift.
Das EPÜ kennt auch in Regeln 99 bis 101 keine "teilweise" Zulässigkeit einer Beschwerde etwa in dem Sinne, dass eine zulässige Beschwerde nur für bestimmte in der angefochtenen Entscheidung behandelte Punkte vorläge und insoweit nur eingeschränkt auf Begründetheit zu prüfen sei. Die Zulässigkeit betrifft die Beschwerde als Ganzes. Gemäß ständiger Rechtsprechung der Kammern ist es daher für die Zulassung der Beschwerde einer Einsprechenden ausreichend, wenn sie bezüglich eines einzigen Einwands oder Einspruchsgrunds ausreichend substantiiert ist, siehe Rechtsprechung, 10. Auflage 2022, V.A.2.6.3.d).
Im übrigen betrifft im vorliegenden Fall ohnehin einer der beiden von der Beschwerdeführerin explizit angegriffenen Punkte der Entscheidung Neuheit gegenüber D12. Dieser Punkt führt, wie unten ausgeführt, zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Die Frage der Zulässigkeit einer Beschwerde ist nicht zu verwechseln mit der Frage verspäteten Vorbringens. Möglicherweise verspätetes Vorbringen in Bezug auf einzelne in der angefochtenen Entscheidung behandelten Punkte mag durchaus dazu führen, dass derart vorgebrachtes dann unter Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 12 und 13 VOBK 2020 im Beschwerdeverfahren keine Berücksichtigung mehr findet.
1.4 Die von der Beschwerdegegnerin angeführte Rechtsprechung ändert an dieser Einschätzung nichts.
Im Fall der Entscheidung T 0198/15 bestand die Beschwerdeschrift in der Tat nur aus Wiederholungen der Argumente aus dem Einspruchsverfahren und neu vorgebrachten Einwänden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Gleiches gilt für die Entscheidung T 2077/11.
In der Entscheidung T 0252/95 sah die Kammer die Erfordernisse für die Zulässigkeit der Beschwerde dagegen sogar als erfüllt an, obwohl sich die Einsprechende in ihrer Beschwerdebegründung ausschließlich auf einen neuen Sachvortrag gestützt hatte.
2. Neuheit gegenüber D12, Artikel 100(a) und 54 EPÜ
2.1 Das Patent beschäftigt sich mit Mischungen linearer und zyklischer Polydimethylsiloxane und deren Verwendung als Wärmeträgerflüssigkeiten, insbesondere in solarthermischen Anlagen.
Anspruch 1 definiert die Siloxanmischungen über verschiedene Parameter, die im wesentlichen die Oligomerenverteilung widerspiegeln. Der Massenanteil zyklischer Siloxane liegt zwischen 10 und 40%. Des weiteren finden sich Angaben über den stoffmengengewichteten arithmetischen Mittelwert der Kettenlänge bzw. Ringgröße, den maximalen Massenanteil von Verbindungen bestimmter Kettenlänge bzw. Ringgröße sowie das Zahlenverhältnis zwischen endständigen Trimethylsilan- und internen Dimethylsilangruppen. Außerdem wird bei 25°C eine Viskosität von weniger als 100 mPa*s verlangt.
2.2 In Beispiel 17 von D12 wird ein Gemisch aus Hexamethyldisiloxan und Octamethylcyclotetrasiloxan bei verschiedenen Temperaturen über eine mit einem Katalysator gepackte Kolonne geschickt und die resultierende Oligomerenverteilung analysiert, siehe Tabelle. Bei zyklischen Oligomeren werden Komponenten bis y=9 erfasst, bei linearen Komponenten bis x=16. Die gemessenen Komponenten addieren sich dabei nicht auf 100%.
Die Beschwerdeführerin hat insbesondere auf den dritten Eintrag der Tabelle hingewiesen, der dem Experiment mit einer Verweilzeit von 1,4 Minuten auf der Säule entspricht. Der Anteil der zyklischen Oligomere liegt dort nach Durchlaufen der Säule mit ca. 30% im beanspruchten Bereich, ebenfalls ist die Viskosität anspruchsgemäß.
In diesem Beispiel bleibt nach Aufsummieren der nachgewiesenen Oligomere ein Rest von 29 Gew.-% der Zusammensetzung, der nicht erfasst wurde.
Eine statistische Simulation der verbleibenden Oligomerenverteilung wurde im Dokument D13 durchgeführt.
2.3 Die entscheidende Frage ist, ob dieses Beispiel eine eindeutige und direkte Offenbarung der beanspruchten Zusammensetzungen darstellt. Insbesondere die im Anspruch definierte Oligomerenverteilung ist in D12 nicht vollständig offenbart, da der Anspruch maximale Anteile von linearen Oligomeren bis x=70 und zyklischen Oligomeren bis y=40 auflistet. Die weiteren im Anspruch definierten Parameter wie die stoffmengengewichteten Mittelwerte der x- und y-Werte oder das Zahlenverhältnis von Kettenend- zu Me2SiO-Einheiten ergeben sich aus der Oligomerenverteilung; diese Parameter waren im Verfahren nicht separat strittig.
2.4 Nach Überzeugung der Kammer ist hier eine neuheitsschädliche Offenbarung gegeben.
2.4.1 Das in D12 durchgeführte Experiment besteht darin, eine Mischung von linearem Hexamethyldisiloxan und zyklischem Octamethylcyclotetrasiloxan über eine mit saurem Ionenaustauscher beladenen Chromatographiesäule laufen zu lassen. Das Ausgangsmaterial enthält zyklisches Material in großem Überschuss. Dabei lagern sich, wie aus den Tabelle zu entnehmen ist, im wesentlichen zyklische zu linearen Siloxanen um und die Verteilung der linearen Siloxane verschiebt sich vom dimeren Ausgangsmaterial hin zu längeren Oligomeren.
2.4.2 Die zyklische Fraktion besteht hauptsächlich aus nicht umgesetztem Ausgangsmaterial mit einem schnell geringer werdenden Anteil an größeren zyklischen Oligomeren; ab y=9 sind nur noch Spuren vorhanden. Die gemessene Verteilung y=3-9 entspricht der im Anspruch angegebenen Verteilung. Höhere zyklische Isomere werden nicht gebildet, so dass die beanspruchten Grenzen für y jedenfalls eingehalten werden.
2.4.3 Die lineare Fraktion ist breiter verteilt mit einem Maximum bei x=4 und langsam abfallenden Anteilen bei höheren Oligomeren. Die gemessene Verteilung x=0-16 entspricht den im Anspruch vorgegebenen Obergrenzen. Bei x=16 beträgt der Anteil 1,0 Gew.-%; Anspruch 1 erlaubt für jedes einzelne Oligomer mit x zwischen 15 und 28 einen maximalen Anteil von 10 Gew.-%. Die Untergrenzen sind 0. Schon ohne detaillierte statistische Auswertung, wie in D13 durchgeführt, ist es kaum vorstellbar, dass der Anteil der längeren, in D12 nicht mehr experimentell bestimmten linearen Oligomere nicht die breit definierten anspruchsgemäßen Obergrenzen einhält. Dies wurde dann in D13 aus den folgenden Gründen bestätigt.
Da die gemessenen Oligomere nur etwa 70 Gew-.% der Gesamtzusammensetzung ausmachen, wurde in D13 die verbleibende Oligomerenverteilung auf zwei verschiedene Arten simuliert. In einer ersten Methode wurde angenommen, der fehlende Massenanteil trage nichts bei, etwa, weil es sich nicht (mehr) um Siloxane handle.
In einem zweiten Ansatz wurde aus der gemessenen Verteilung der niedrigermolekularen linearen Oligomere die nicht mehr gemessene Verteilung der höhermolekularen Oligomere extrapoliert und daraus dann die im Anspruch angegebenen Parameter berechnet. Dieser Ansatz basiert darauf, dass die Gesamtheit der nicht bestimmten Oligomere längerkettig ist und deren Anteil in D12 wegen experimenteller Schwierigkeiten nicht bestimmt wurde.
In beiden dieser gewissermaßen extremen Ansätze kommen die statistischen Berechnungen zu dem Schluss, dass die fehlenden anspruchsgemäßen Parameter erfüllt sind. Dies geht aus Tabelle 6 bzw. Tabelle 13 der D13 hervor.
2.4.4 Insgesamt ist es daher so, dass alle in D12 explizit gemessenen Parameter der dort beschriebenen Zusammensetzung anspruchsgemäß sind und weiterhin von der Beschwerdeführerin überzeugend dargelegt wurde, dass auch die restlichen Anspruchsparameter erfüllt sein müssen. Dies stellt eine neuheitsschädliche Offenbarung dar.
2.5 Die Beschwerdegegnerin ist dieser Sichtweise mit verschiedenen Argumenten entgegengetreten, die jedoch alle nicht überzeugen können.
2.5.1 Sie hat auf fehlende experimentelle Details in D12 hingewiesen. Insbesondere seien im Abschnitt über die dort durchgeführte gaschromatographische Analytik in Spalte 9 die Korrekturfaktoren als entscheidende Parameter nicht angegeben. Bei Verwendung ungeeigneter Korrekturfaktoren würden aber kurzkettige Siloxane überrepräsentiert, da längerkettige Siloxane schwerer verdampften. Die Messergebnisse der D12 seien daher insgesamt nicht zuverlässig genug, um sie als Grundlage von weitergehenden statistischen Überlegungen zu verwenden.
Dies kann nicht überzeugen. In Abwesenheit eines Gegenbeweises besteht keine Veranlassung, an der experimentellen Durchführung und den erhaltenen analytischen Ergebnissen der D12 zu zweifeln. Es wurde in keiner Weise belegt, dass die in D12 erhaltenen Ergebnisse fehlerhaft sind.
2.5.2 Das Hauptargument der Beschwerdegegnerin war, dass in D12 eine vollständige Analytik nicht durchgeführt wurde und daher ein bedeutender Anteil von etwa 30 Gew.-% der Zusammensetzung unbekannt ist. Es sei von der Beschwerdeführerin kein experimenteller Beweis vorgelegt worden, dass die Zusammensetzungen der D12 bei vollständiger Analyse die im Anspruch definierten Parameter erfüllten. Die Einspruchsabteilung ist in ihrer Entscheidung dieser Sichtweise im wesentlichen gefolgt, siehe Punkte 5.3.5 und 5.3.6 dort.
Dies kann aber ebenso wenig überzeugen. Die in D12 experimentell bestimmte Oligomerenverteilung erfüllt die anspruchsgemäßen Parameter. Die Beschwerdeführerin hat in D13 überzeugend dargelegt, dass sich in unterschiedlichen Szenarien auch bei Berücksichtigung des fehlenden Anteils daran nichts ändert. Ein weitergehender experimenteller Beweis ist nicht notwendig.
2.5.3 Die Beschwerdegegnerin hat auch darauf verwiesen, die Beweislast für die Behauptung, D12 enthalte eine neuheitsschädliche Offenbarung, liege bei der Beschwerdeführerin als Einsprechende. Eine Beweislastumkehr sei nicht gerechtfertigt.
Allerdings ist nach Überzeugung der Kammer die Beschwerdeführerin aus den oben angeführten Gründen ihrer Beweispflicht nachgekommen. Sie hat die Neuheitsschädlichkeit der in D12 beschriebenen Zusammensetzung überzeugend dargelegt. Insofern wäre es an der Beschwerdegegnerin, ihrerseits nachzuweisen, dass der beanspruchte Gegenstand doch neu ist. Eine Umkehr der Beweislast ist hier gerechtfertigt. Es handelt sich nicht, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, um eine Situation, in der sie sich als Patentinhaberin mittels von ihr zu erbringender Beweise gegen unbelegte Behauptungen der Einsprechenden zur Wehr setzen müsste.
2.6 Zumindest der Inhalt von Anspruch 1 des erteilten Patents ist daher in D12 neuheitsschädlich vorbeschrieben. Auf die weiteren Neuheitseinwände gegenüber D2 und D7 braucht nicht weiter eingegangen zu werden.
3. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 ins Beschwerdeverfahren
3.1 Die Hilfsanträge 1 und 2 wurden von der Beschwerdegegnerin mit ihrer Beschwerdeerwiderung eingereicht. Sie waren nicht Bestandteil des Einspruchsverfahrens. In der Beschwerdeerwiderung finden sich keinerlei Angaben dazu, worauf die umfangreich geänderten Ansprüche basieren oder in welcher Weise sie geeignet sind, im Verfahren befindliche Einwände auszuräumen.
3.2 Die mangelnde Substantiierung der Hilfsanträge wurde in der unter Artikel 15(1) VOBK 2020 erlassenen Mitteilung der Kammer angesprochen, siehe Punkt 11 dort. Es wurde darauf hingewiesen, dass die mangelnde Substantiierung der Anträge einer Zulassung im Wege stehen könnte.
Die Beschwerdegegnerin antwortete zwar auf diesen Bescheid mit Eingabe vom 14. September 2022, in der sie zu verschiedenen in der Mitteilung angesprochenen Punkten Stellung bezog. Zu den Hilfsanträgen wurde jedoch nichts vorgebracht.
Argumente zur Zulässigkeit und zur Gewährbarkeit der Hilfsanträge hätten daher zum ersten Mal im Rahmen der mündlichen Verhandlung diskutiert werden müssen.
3.3 Die Zulassung der Hilfsanträge regelt sich gemäß den Übergangsbestimmungen in Artikel 25(2) VOBK 2020 nach Artikel 12(4) VOBK 2007. Gemäß dieser Vorschrift wird das gesamte Vorbringen aus der Beschwerdebegründung bzw. der Erwiderung berücksichtigt, sofern es die Voraussetzungen des Artikels 12(2) VOBK 2007 erfüllt.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Gemäß Artikel 12(2) VOBK 2007, muss die Beschwerdebegründung bzw. Erwiderung nämlich den kompletten Sachvortrag der Parteien enthalten.
Ein Sachvortrag zu den Hilfsanträgen wurde weder in der Beschwerdeerwiderung, noch im weiteren Verfahren gemacht. Das erstmalige Substantiieren von Anträgen erst in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer stellt gegenüber der Beschwerdeerwiderung eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar, für das nach Artikel 13(2) VOBK 2020 strenge Anforderungen gelten. Solche Änderungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es wurden stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Außergewöhnliche Umstände wurden von der Beschwerdegegnerin jedoch nicht geltend gemacht, und sind für die Kammer auch nicht erkennbar. Diese Änderung des Beschwerdevorbringens muss daher unberücksichtigt bleiben.
Die Hilfsanträge werden deshalb im Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt, Artikel 12(4) VOBK 2007 i.V.m. Artikel 25(2) VOBK.
4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Einspruchsgrund mangelnder Neuheit der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht. Die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Hilfsanträge können nicht berücksichtigt werden. Das Patent ist daher gemäß Artikel 101(2) EPÜ wegen mangelnder Neuheit zu widerrufen. Auf die weiteren vorgebrachten Einspruchsgründe braucht nicht eingegangen zu werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.