T 0846/20 (Porenbeton/Xella Baustoffe) 02-06-2022
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VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES HYDROTHERMAL GEHÄRTETEN POREN- ODER SCHAUMBETONFORMKÖRPERS
H+H Deutschland GmbH
Bundesverband Porenbetonindustrie e.V.
Zulässigkeit der Beschwerde der Patentinhaberin
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - Rücknahme der Beschwerde der Einsprechenden 1
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die vorliegende Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. EP 3 100 991 B1 in geänderter Fassung auf Basis des Hilfsantrags 2 vom 4. Oktober 2019 aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende 1 hatte zunächst ebenfalls Beschwerde eingelegt, nahm diese aber in der mündlichen Vorhandlung vor der Kammer zurück.
II. Das Streitpatent bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung eines hydrothermal gehärteten Poren- oder Schaumbetonformkörpers.
III. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines hydrothermal gehärteten Poren- oder Schaumbetonformkörpers aus hydrothermal gehärtetem Poren- oder Schaumbetonmaterial aufweisend ein Feststoffsteggerüst, welches aus einem Schaum resultierende oder durch einen Treibprozess erzeugte Poren umgibt, wobei das Feststoffsteggerüst Calciumsilikathydratphasen, Mikroporen und zumindest einen inerten Zusatzstoff aufweist, und wobei das Feststoffsteggerüst als inerten Zusatzstoff gefälltes Calciumcarbonat und/oder gefälltes Calciummagnesiumcarbonat aufweist,
gekennzeichnet durch
folgende Verfahrensschritte
a) Herstellen einer gießfähigen Frischbetonmasse enthaltend mindestens eine hydrothermal reagierende CaO-Komponente, mindestens eine hydrothermal reagierende SiO2 -Komponente, als Zusatzstoff gefälltes Calciumcarbonat und/oder gefälltes Calciummagnesiumcarbonat, mindestens ein Treibmittel oder vorgefertigten Schaum, vorzugsweise eine Calciumsulfat-Komponente, und Wasser,
b) Gießen der Frischbetonmasse in eine Gießform, in die gegebenenfalls eine Bewehrung eingehängt ist,
c) Gegebenenfalls Einhängen der Bewehrung in die Gießform,
d) Gegebenenfalls Auftreiben lassen der Frischbetonmasse,
e) Ansteifen lassen der Frischbetonmasse zu einem Poren- oder Schaumbetonkuchen,
f) Schneiden des Poren- oder Schaumbetonkuchens in einzelne Poren- oder Schaumbetonformkörper,
g) Härten der Poren- oder Schaumbetonformkörper im Autoklaven,
dadurch gekennzeichnet, dass
eine Frischbetonmasse hergestellt wird, die einen Gehalt an gefälltem Calciumcarbonat und/oder gefälltem Calciummagnesiumcarbonat als Zusatzstoff von 10 bis 30 M.-%, bevorzugt von 15 bis 25 M.-%, bezogen auf den Feststoffanteil in der Frischbetonmasse, aufweist."
Die abhängigen Ansprüche 2-12 beziehen sich auf bevorzugte Ausführungsformen.
IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D3 |DE 27 44 365 A1 |
D4 |DE 3633471 A1 |
D9 |DE 10 2010 013667 A1 |
D12|H. Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 5, 2. Auflage, 2003, Seiten 446-457|
D23|WO 2006/134080 A1 |
D40|Versuchsbericht LB-P-32 der Patentinhaberin |
D51|Versuchsbericht LB-P-38 der Patentinhaberin |
V. Die Einspruchsabteilung befand unter anderem, dass das Patent in der erteilten Fassung wegen mangelnder Neuheit im Hinblick auf D4 nicht aufrechterhalten werden könne; die Einwände unter Artikel 100(c) und 100(b) EPÜ seien hingegen nicht überzeugend.
VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Mit ihrer Beschwerdebegründung legte sie Laborversuche vor (D55). Sie verteidigte die erteilte Fassung als Hauptantrag und reichte Hilfsanträge ein.
VII. Die Einsprechende 1 (Beschwerdegegnerin 1) argumentierte, dass die Beschwerde der Patentinhaberin als unzulässig zu verwerfen sei. Gegenüber der erteilten Fassung des Patents erhob sie Einwände wegen mangelnder Neuheit gegenüber D4 und mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber D9 in Kombination mit D23. Einwände unter Artikel 100(c) oder 100(b) EPÜ wurden nicht erhoben.
VIII. Die Einsprechende 2 (Beschwerdegegnerin 2) machte keine Eingaben zur Sache und war in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht vertreten.
IX. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 2. Juni 2022 statt.
X. Die Patentinhaberin als nunmehr alleinige Beschwerdeführerin beantragt als Hauptantrag, die Einsprüche unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen; subsidiär wurden Hilfsanträge gestellt.
XI. Die Einsprechende 1 als Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen oder zurückzuweisen.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Die Einsprechende 1 war der Auffassung, dass die Beschwerde der Patentinhaberin nicht zulässig sei. Die Patentinhaberin sei lediglich durch das Nicht-Gewähren des Hauptantrags und Hilfsantrags 1 beschwert. In Bezug auf diese Anträge befasse sich die Patentinhaberin in ihrer Beschwerdebegründung nicht wirklich mit den in der angefochtenen Entscheidung genannten Gründen, sondern wiederhole lediglich ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.
1.2 Gemäß ständiger Rechtsprechung muss die Kammer aus der Beschwerdebegründung ohne eigene Ermittlungen unmittelbar ersehen können, warum die Entscheidung unrichtig sein soll und auf welche Tatsachen die darin enthaltenen Argumente gestützt werden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 9. Auflage 2019, V.A.2.6.3a).
1.3 Einziger Grund für das Nicht-Gewähren des Hauptantrags war mangelnde Neuheit gegenüber D4. Die Patentinhaberin bezog sich ausdrücklich auf diesen Teil der angefochtenen Entscheidung und und trug vor, warum aus ihrer Sicht die Neuheit gegenüber D4 anzuerkennen sei (Punkt IV.1.3.1 der Beschwerdebegründung). Ferner legte sie weitere Laborversuche hierzu vor (D55).
1.4 Diesem Vortrag lässt sich klar entnehmen, warum die angefochtene Entscheidung aus Sicht der Patentinhaberin unrichtig sein soll. Dem steht nicht entgegen, dass einzelne Argumente aus Sicht der Einsprechenden 1 irrelevant für die erteilte Fassung sein mögen (beispielsweise die Herstellungsweise des gefällten Calciumcarbonats gemäß Absatz [0017] des Streitpatents), zumal dies eine Frage der Auslegung des Anspruchs ist. Es ist nicht zu erkennen, weshalb diese Argumente im vorliegenden Fall dazu führen sollten, dass der Beschwerdevortrag der Patentinhaberin als Ganzes unklar würde. Im vorliegenden Fall dient die Wiederholung von Ausführungen aus der Einspruchserwiderung der Vollständigkeit des Sachvortrags, zumal die Fragestellung dieselbe ist.
1.5 Die von der Einsprechenden 1 in diesem Zusammenhang genannte Entscheidung T 1311/13 bezieht sich darauf, dass es keine Teilzulässigkeit einer Beschwerde gibt (Gründe 1), und ist damit für den vorliegenden Fall nicht relevant.
1.6 Die Beschwerde der Patentinhaberin erfüllt die Erfordernisse des Artikels 108 EPÜ, 3. Satz, in Verbindung mit Regel 99(2) EPÜ.
2. Anspruch 1 des Hauptantrags - Neuheit
2.1 Die Einsprechende 1 ist der Auffassung, dass das Verfahren gemäß Anspruch 1 nicht neu gegenüber D4 sei. Insbesondere offenbare D4 die Verwendung von gefälltem Calciumcarbonat und/oder gefälltem Calciummagnesiumcarbonat in der Frischbetonmasse, da es sich lediglich um eine Auswahl aus einer einzelnen Liste handle.
2.2 D4 lehrt die Zugabe von 1 bis 20 Gew.-% mindestens einer Art von pulverförmigen Erdalkalimetallcarbonaten (ausgenommen Fälle, bei denen 3 bis 20 Gew.-% Calciumcarbonat alleine benutzt werden). D4 führt aus: "Die erfindungsgemäß benutzten Erdalkalimetallcarbonate umfassen Calciumcarbonat, Magnesiumcarbonat, das Doppelsalz von Magnesiumcarbonat und Calciumcarbonat (Dolomit), Strontiumcarbonat und Bariumcarbonat. Es können natürlich vorkommende oder synthetisch hergestellte Carbonate verwendet werden." (Seite 3, Zeilen 26-28). In sämtlichen Beispielen des Dokuments D4 wird Dolomit verwendet; der Anteil in Beispiel 12 beträgt 18% bezogen auf die Gesamtmenge Rohmaterial, ausschließlich Wasser.
2.3 Diese Beschreibung in D4 stellt jedoch keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung von gefälltem Calciumcarbonat und/oder gefälltem Calciummagnesiumcarbonat in einer Menge innerhalb des beanspruchten Bereichs von 10 bis 30 M.-% dar, selbst wenn "synthetisch" mit "gefällt" gleichgesetzt wird.
2.4 So erwähnt D4 zwar allgemein, dass natürlich vorkommende oder synthetisch hergestellte Carbonate verwendet werden, nennt aber weder ein spezifisches synthetisch hergestelltes Carbonat, noch fällt dessen Menge unweigerlich in den im Streitpatent beanspruchten Bereich.
2.5 Zur Ermittlung des Offenbarungsgehaltes einer Druckschrift können einzelne Teile daraus nicht frei miteinander kombiniert werden; ein Ausführungsbeispiel stellt eine in sich abgeschlossene, spezielle Ausführungsform dar (T 210/05, Gründe 2.2 und 2.3).
Die Festlegung auf Beispiel 12 ist bereits als Auswahl anzusehen, andere Beispiele beziehen sich auf niedrigere Anteile von 2% oder 5%.
Beispiel 12 erwähnt nicht ausdrücklich, ob es sich um natürlichen oder synthetischen Dolomit handelt. Dies kann jedoch nicht als spezifische Offenbarung von sowohl synthetisch hergestelltem als auch natürlichem Dolomit angesehen werden. Daher nimmt dieses Beispiel das beanspruchte Verfahren nicht neuheitsschädlich vorweg.
2.6 Zwar können die Beispiele des Dokuments D4 insgesamt als Hinweis angesehen werden, gerade Dolomit als Erdalkalimetallcarbonat zu verwenden. Daher ist es nicht entscheidend, ob die Fachperson - wie von der Einsprechenden 1 argumentiert - Carbonate des Strontiums oder Bariums als unüblich ausschließen würde. Dennoch bleibt es ausgehend von der allgemeinen Lehre des Dokuments D4 notwendig, nicht nur eine Auswahl zwischen natürlichem und synthetisch hergestelltem Erdalkalimetallcarbonat, hier Dolomit, zu treffen, sondern auch, dessen Mengenanteil innerhalb des in D4 offenbarten Bereichs so zu wählen, dass dieser in den Überlappungsbereich mit Anspruch 1 des Streitpatents fällt.
2.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.
3. Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit
3.1 Streitpatent
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung eines Poren- oder Schaumbetonformkörpers aus hydrothermal gehärtetem Poren- oder Schaumbetonmaterial.
3.2 Nächstliegender Stand der Technik
D9 betrifft ebenfalls die Herstellung von Porenbetonformkörpern und ist somit ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
In D9 wird die Verwendung von Kalksteinmehl (d.h. natürlichem Calciumcarbonat) in einer Menge von 0-20 M.-% offenbart (Absatz [0017]). Gefälltes Calciumcarbonat wird nicht erwähnt.
3.3 Aufgabe
Durch das beanspruchte Verfahren soll die technische Aufgabe gelöst werden, Poren- oder Schaumbetonformkörper mit geringer Wärmeleitfähigkeit und gleichzeitig guter Festigkeit bereitzustellen (Absatz [0013]).
3.4 Vorgeschlagene Lösung
Zur Lösung wird das beanspruchte Verfahren vorgeschlagen, bei welchem eine Frischbetonmasse hergestellt wird, die einen Gehalt an gefälltem Calciumcarbonat und/oder gefälltem Calciummagnesiumcarbonat als Zusatzstoff von 10 bis 30 M.-%, bezogen auf den Feststoffanteil in der Frischbetonmasse, aufweist.
3.5 Erfolg der vorgeschlagenen Lösung
Es ist die zentrale Lehre des Streitpatents, dass die Verwendung von gefälltem Calciumcarbonat (PCC) oder gefälltem Calciummagnesiumcarbonat zu geringerer Wärmeleitfähigkeit bei gleichzeitig guter Festigkeit führt, als die Verwendung der entsprechenden natürlichen Substanzen (Kalksteinmehl (KSM) bzw. natürlicher Dolomit) (Absätze [0020]-[0022], [0034]).
Dabei ist im Zusammenhang mit dem beanspruchten Verfahren eine Unterscheidung zwischen natürlichem Kalksteinmehl und gefälltem Calciumcarbonat als Einsatzstoff im Allgemeinen möglich, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt (Punkt 1.3.1) und wie von der Patentinhaberin argumentiert (u.a. wegen unterschiedlicher Kornform, unterschiedlichen Anteils an Verunreinigung). Dies ergibt sich auch aus dem Dokument D12, in dem natürliches Kalksteinmehl und gefälltes Calciumcarbonat als verschiedene Rohstoffe behandelt werden, für die verschiedene Normen gelten (Punkt 5.6.2.2.6, zweiter Absatz; S. 454). Eine mögliche Überlappung würde hier lediglich die Frage der Klarheit der erteilten Ansprüche betreffen, die im Einspruchsbeschwerdeverfahren als solche nicht zu betrachten ist (vgl. G 3/14, Leitsatz).
Die Beispiele stützen die Lehre des Streitpatents. Darin wird die Verwendung eines PCC aus der Biogasreinigung (Korngröße nach REM-Untersuchung < 100 nm) mit Kalksteinmehl verglichen. Es besteht kein Zweifel, dass das in den Vergleichsbeispielen des Streitpatents verwendete Kalksteinmehl (Siebrückstand 2% bei 90 mym) ein in herkömmlicher Weise in der Porenbetonherstellung verwendetes Kalksteinmehl darstellt; auch die Vergleichsbeispiele des Streitpatents selbst belegen, dass dieses Kalksteinmehl grundsätzlich zur Porenbetonherstellung geeignet ist. Das Dokument D3, das die Verwendung von "sehr fein gemahlenem" Kalzit verlangt, nennt eine Korngrößenverteilung (der Sandkomponente als Ganzes) mit 24,1 Gew.-% > 90 mym und 56,9 Gew.-% < 45 mym (vorletzte Seite), die somit nicht unbedingt "feiner" ist als jene im Vergleichsbeispiel des Streitpatents. Ferner macht D9 keinerlei Angaben zur Spezifikation des Kalksteinmehls. Die Beispiele des Streitpatents zeigen, dass bei Verwendung von PCC jeweils eine niedrigere Wärmeleitfähigkeit bei geringerer Absenkung der A-Zahl und reduzierter Schwindung erzielt wurde, als bei Verwendung von KSM.
In den Beispielen des Streitpatents wurde bei Verwendung von PCC anteilig mehr Wasser zugesetzt, da sich hierdurch der Wasseranspruch erhöht (Absatz [0024]; Tabelle 3). Zusätzlich wurde der Versuchsbericht D51 vorgelegt, der sich auf einen Vergleich der Verwendung von gefälltem Calciumcarbonat mit der von Kalksteinmehl bei jeweils identischem Wasser-Feststoff-Verhältnis (w/f-Wert) bezieht. D51 zeigt, dass bei Verwendung von PCC die Druckfestigkeit unter Beibehaltung der Wärmeleitfähgikeit verbessert wird, d.h. die auf die Druckfestigkeit normierte Wärmeleitfähigkeit der unter Verwendung von PCC hergestellten Proben liegt unter dem jeweiligen mit KSM erzielten Wert. D51 stützt somit ebenfalls den im Streitpatent beschriebenen Effekt.
Die Einsprechende 1, die vor diesem Hintergrund die Lehre des Streitpatents anzweifelt, trägt dafür die Behauptungs- und Beweislast.
Ihr zentrales Argument ist, dass ein möglicher technischer Effekt nicht durch die Verwendung von gefälltem Calciumcarbonat, sondern allein durch die geringere Korngröße hervorgerufen werde.
Die Korngröße wird im unabhängigen Anspruch nicht ausdrücklich definiert. Es gibt auch keinen Nachweis, dass der unabhängige Anspruch implizit auf einen bestimmten Korngrößenbereich beschränkt wäre. Darüber hinaus gibt auch das Streitpatent selbst an, dass eine geringe Korngröße günstig ist (Absatz [0025]).
Jedoch fehlt der Nachweis für die Behauptung der Einsprechenden 1, dass der technische Effekt - entgegen der Lehre des Streitpatents - allein durch die Korngröße hervorgerufen würde. Der bloße Verweis darauf, dass das in den Beispielen des Streitpatents verwendete gefällte Calciumcarbonat eine geringere Korngröße aufweist als das Kalksteinmehl, wird den Anforderungen nicht gerecht. Den entsprechenden Beweis hat die Einsprechende 1 nicht angetreten.
Die Einsprechende 1 hat noch weitere Gründe aufgeführt, warum der behauptete Effekt sich aus ihrer Sicht dem Streitpatent nicht entnehmen lässt.
So bemängelt die Einsprechende 1 die Vergleichbarkeit der Beispiele untereinander, da nicht jeweils identische Phasenzusammensetzungen verglichen würden, sondern unterschiedliche Anteile an amorphem Material bzw. CSH(I).
Jedoch gibt das Streitpatent für jeden untersuchten Anteil an KSM/PCC jeweils dieselbe Zusammensetzung der Frischbetonmasse an (Tabelle 3). Es ist kein systematischer Unterschied zwischen KSM-haltigen und PCC-haltigen Proben in der resultierenden Phasenzusammensetzung zu erkennen, sondern allenfalls eine Streuung (bei 5% Zusatz weist die PCC-haltige Probe einen höheren Anteil an amorphem Material bzw. CSH(I) auf, bei 10% Zusatz die KSM-haltige). Der Patentinhaberin ist darin zuzustimmen, dass diese Streuung mit normalen Produktionsschwankungen erklärt werden kann. Den Beispielen ist zu entnehmen, dass die Effekte bezüglich A-Zahl, Wärmeleitfähigkeit und Schwindung nicht auf angeblichen systematischen Unterschieden in der Phasenzusammensetzung beruhen, sondern gerade unabhängig von diesen Schwankungen sind (Figuren 4-6).
Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass der im Streitpatent beschriebene Effekt spezifisch für aus der Biogasreinigung gewonnenes, gefälltes Calciumcarbonat wäre. Es ist nicht ersichtlich, worin die Besonderheit von aus der Biogasreinigung gewonnenem gefällten Calciumcarbonat liegen soll.
Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden 1 nicht, dass zu wenige Beispiele vorliegen würden, um einen Effekt über den gesamten beanspruchten Bereich von 10% - 30% glaubhaft zu machen. Die Beispiele des Streitpatents (0%, 5%, 10%, 20% und 30% PCC bzw. KSM in der Frischbetonmasse) decken vielmehr den gesamten beanspruchten Mengenbereich ab. Darüber hinaus wurde der beanspruchte Bereich auch nicht willkürlich gewählt, da aus dem von der Patentinhaberin ebenfalls vorgelegten Versuchsbericht D40 hervorgeht, dass sich eine zu geringe Zugabemenge von unter 5 Gew.-% nicht auf die Porenbetoneigenschaften auswirkt.
3.6 Die Einsprechende 1 führte ferner aus, dass D9 bereits lehre, eine Wärmeleitfähigkeit, A-Zahl sowie Rohdichte innerhalb der im Streitpatent angestrebten Bereiche zu erzielen und damit die gestellte Aufgabe bereits löse.
Jedoch besteht die vorliegend betrachtete Aufgabe nicht darin, einen Porenbetonformkörper mit bestimmten Werten für Wärmeleitfähigkeit und A-Zahl bereitzustellen, sondern darin, die angestrebte Verbesserung gegenüber der Verwendung von Kalksteinmehl zu erzielen, unabhängig von den absoluten Eigenschaften des Poren- oder Schaumbetonformkörpers, d.h. beispielsweise unabhängig von der Wärmeleitfähigkeitsklasse. Der relevante Bezugspunkt für einen Vergleich ist jeweils die entsprechende Frischbetonmasse mit Kalksteinmehl (bzw. natürlichem Dolomit). Eine direkte Vergleichbarkeit der Beispiele des Streitpatents mit D9 ist somit nicht gegeben, abgesehen davon, dass D9 kein konkretes Ausführungsbeispiel beschreibt. Daher lässt sich aus dem Vergleich mit D9 auch keine Schlussfolgerung zum (Nicht-)Vorliegen eines Effekts des PCC ableiten.
Aus diesen Gründen ist der Erfolg der Lösung anzuerkennen.
3.7 Naheliegen
Die Einsprechende 1 trug vor, dass der Einsatz von gefälltem Calciumcarbonat durch die Lehre des Dokuments D23 nahegelegt werde. Insbesondere seien die positiven Eigenschaften eines feinen Materials im Hinblick auf Stabilität und Isolationswirkung für die Fachperson aus D23 erkennbar.
D23 bezieht sich auf die Verwendung von Calciumcarbonat bei der Herstellung von Baumaterial (Seite 1, Zeilen 3-4). Gefälltes Calciumcarbonat ist bevorzugt (Seite 3, Zeilen 10-11). So wird gemäß D23 Sand oder ein "lightweight inert material" teilweise durch Calciumcarbonat mit hoher Oberfläche ersetzt (Seite 2, Zeilen 1-16), d.h. ein Inertmaterial wird durch ein anderes ersetzt. D23 beschreibt die Verwendung von PCC beispielsweise in Zement, Mörtel oder Beton, aber enthält keine spezifisch auf hydrothermal gehärteten Porenbeton gerichtete Lehre.
Bei der hydrothermalen Reaktion im Autoklaven zur Porenbetonherstellung stellt Sand nun gerade kein Inertmaterial dar. Ferner sind die Effekte des Calciumcarbonats bei herkömmlichem Beton gegenteilig zu den im Streitpatent für Porenbeton gelehrten Effekten. So beschreibt D23 eine Zunahme der Festigkeit durch Calciumcarbonat (good mechanical resistance; Seite 2, Zeilen 1-7), während bei hydrothermal gehärtetem Porenbeton die A-Zahl durch Zusatz von Kalksteinmehl oder PCC abnimmt (Streitpatent, Absatz 0022]).
Die Fachperson hätte daher keine Veranlassung, aus D23 Vorteile für die Verwendung von PCC bei der Porenbetonherstellung abzuleiten.
Auch ergibt sich aus dem Verweis auf eine hohe spezifische Oberfläche des Calciumcarbonats in D23 allein kein Anreiz für die Fachperson, das Kalksteinmehl in D9 durch PCC zu ersetzen. D9 beschreibt die Verwendung einer feinteiligen Sandkomponente zusammen mit einem Sedimentationshemmer (Absätze [0014]-[0015]), lässt aber offen, ob die Feinheit der Sandkomponente etwa lediglich im Hinblick auf die Reaktivität gewählt wird. D9 befasst sich hingegen nicht mit der Feinheit des - inerten - Kalksteinmehls. Eine dem Absatz [0024] des Streitpatents entsprechende Lehre, wonach bei Verwendung von PCC mit höheren w/f-Werten gearbeitet werden kann, findet sich weder in D9 noch in D23.
3.8 Darüber hinaus ergibt sich aus der Zusammenschau von D9 (Kalksteinmehl als optionale Komponente in einer Menge von 0-20 Gew.-%, insbesondere 0-10 Gew.-%) und D23 (0,15 - 65 Gew.-% Calciumcarbonat; Anspruch 9) auch kein Hinweis auf eine Menge im beanspruchten Bereich von 10-30 Gew.-%.
3.9 Auch D3 und D4 lehren schließlich keinen Vorteil von gefälltem Calciumcarbonat bzw. gefälltem Calciummagnesiumcarbonat, sondern erwähnen lediglich allgemein, "natürliche und/oder synthetische Primärkarbonate des Calciums und/oder Magnesiums in sehr fein gemahlener Form" zuzusetzen (D3, Anspruch 1) bzw. "natürlich vorkommende oder synthetisch hergestellte Carbonate" zu verwenden (D4, Seite 3, Zeile 28). Der Hinweis auf eine sehr fein gemahlene Form in D3 ist nicht als konkreter Hinweis auf PCC zu verstehen, da Kalksteinmehl in geeigneter Feinheit erhältlich ist (Punkt 3.5 bezüglich D3). Noch weniger kann der Verweis auf eine "Pulverform" (D4) ein Hinweis auf PCC sein.
3.10 Aus diesen Gründen legt der genannte Stand der Technik die Verwendung von 10 - 30 M.-% gefälltem Calciumcarbonat bzw. gefälltem Calciummagnesiumcarbonat in dem in D9 beschriebenen Verfahren nicht nahe.
Daher beinhaltet das beanspruchte Verfahren eine erfinderische Tätigkeit.
4. Die abhängigen Ansprüche 2-12 beziehen sich direkt oder indirekt auf Anspruch 1 zurück, so dass diese ebenfalls die Erfordernisse der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit erfüllen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Einsprüche werden zurückgewiesen.