Informationen
Diese Entscheidung ist nur auf Englisch verfügbar.
T 1034/20 05-05-2023
Download und weitere Informationen:
Transparente Scheibe, Vogelschlagvermeidungsverfahren
Meyerhuber, Alfred
Glaswerke Arnold GmbH & Co. KG
Neuheit - (nein)
Patentansprüche - wesentliche Merkmale
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 174 545 in geänderter Form aufrecht zu erhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 5 des mit Schreiben vom 16. August 2019 eingereichten Hilfsantrags 1 neu sei. Dabei hat sie unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D1 US 5 480 722
D2 US 5 189 952
Das folgende weitere, in der Einspruchsschrift in Auszügen zitierte Beweismittel wird in der vorliegenden Entscheidung behandelt und von der Kammer als D12 bezeichnet:
D12: G. Hass: "Physics of Thin Films, Volume 5",
Academic Press, 1969, Tabelle IIA
III. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
IV. Die beiden Patentinhaber als Beschwerdegegner beantragen die Zurückweisung der Beschwerde und damit die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der aufrecht erhaltenen Fassung (Hauptantrag im Beschwerde-verfahren), oder die Aufrechterhaltung auf Basis eines der Hilfsanträge 1-5, die allesamt mit Schreiben vom 5. April 2023 vorgelegt wurden.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung nach erfolgter Ladung zur mündlichen Verhandlung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 5. Mai 2023 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt. Während der mündlichen Verhandlung nahmen die Beschwerdegegner die Hilfsanträge 1-3 zurück und ersetzte sie durch Hilfsanträge 1-3, die während der Verhandlung per E-Mail eingereicht wurden.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat den folgenden Wortlaut:
Hauptantrag (aufrecht erhaltene Fassung)
"Vogelschlaggeschützte Fensterscheibe (20) eines transparenten Stoffes, die mit einem Stoff beschichtet ist, der in einem Wellenlängenbereiche unter 400 nm Wellenlänge ein Maximum der Strahlungsabsorption und/oder der Strahlungsreflexion und/oder der Strahlungsstreuung aufweist, wobei der Stoff ein Metalloxid (50) ist oder aufweist,
dadurch gekennzeichnet, dass der Stoff bereichsweise auf einem Teil der Fläche des transparenten Stoffs
einem Muster folgend aufgebracht ist."
Hilfsantrag 1
Wie im Hauptantrag, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"... die mit einem Stoff beschichtet ist, [deleted: der] wobei die
Beschichtung in einem Wellenlängenbereiche unter 400 nm Wellenlänge ein Maximum der Strahlungsabsorption und/oder..."
Hilfsantrag 2
Wie im Hilfsantrag 1, wobei am Ende des Anspruchs das folgende Merkmal eingefügt wurde:
"und das Maximum der Strahlungsabsorption und/oder der Strahlungsreflexion und/oder der Strahlungsstreuung in einem Wellenlängenbereich zwischen 50 nm und 400 nm liegt."
Hilfsantrag 3
Wie im Hauptantrag, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"... der in einem Wellenlängenbereich unter 400 nm Wellenlänge [deleted: ein] das Maximum der Strahlungsabsorption und/oder ...
... einem Muster folgend aufgebracht ist, und das Maximum der Strahlungsabsorption und/oder der Strahlungsreflexion und/oder der Strahlungsstreuung in einem Wellenlängenbereich zwischen 50 nm und 400 nm liegt."
Hilfsantrag 4
Wie im Hauptantrag, wobei am Ende des Anspruchs die folgenden Merkmale eingefügt wurden:
"das Maximum der Strahlungsabsorption und/oder der Strahlungsreflexion und/oder der Strahlungsstreuung in einem Wellenlängenbereich zwischen 50 nm und 400 nm liegt, und der Stoff die Intensität der Strahlung im Bereich zwischen 400 nm und 800 nm um weniger als 5% ändert."
Hilfsantrag 5
Wie im Hilfsantrag 4, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"... der in einem Wellenlängenbereiche unter 400 nm Wellenlänge [deleted: ein] das Maximum der Strahlungsabsorption und/oder..."
VII. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber jedem der Dokumente D1 oder D2. Die während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge seien nicht zuzulassen. Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 sei nicht klar.
VIII. Die Patentinhaber als Beschwerdegegner haben zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei neu gegenüber jedem der Dokumente D1 oder D2. Die während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge seien zuzulassen. Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 sei klar.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft eine gegen Vogelschlag geschützte transparente Fensterscheibe. Zu diesem Zweck ist die Fensterscheibe mit einem im Bereich des ultravioletten Lichts (UV) wahrnehmbaren Stoff beschichtet, der auf einem Teil der Fläche der Fensterscheibe in einem Muster aufgetragen ist. Der Stoff ist ein Metalloxid oder weist ein solches auf. Die Augen vieler Vögel besitzen ein höheres optisches Auflösungsvermögen als die der Menschen, und viele Vögel sind UV-sichtig, so dass eine derartige Fensterscheibe für Vögel besser sichtbar ist als für Menschen, siehe die Absätze 0021 und 0022 der Patentschrift. Ein Verfahren zur Vermeidung von Vogelschlag an transparenten Fensterscheiben wird ebenfalls beansprucht.
3. Hauptantrag - Neuheit
Die angefochtene Entscheidung befand, dass die vogelschlaggeschützte Fensterscheibe nach Anspruch 1 des Hauptantrags neu gegenüber jedem der Dokumente D1 und D2 sei, siehe Absatz 2.4.4. der Entscheidungs-gründe. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin bestreitet diesen von den Patentinhabern unterstützten Befund.
3.1 Das Dokument D1 offenbart beschichtete Fensterscheiben für Gebäude und Automobile (Spalte 1, Zeile 60). Um ein perlmuttartiges Schillern in der Beschichtung zu verringern und gleichzeitig Wärmestrahlung zu reflektieren, werden zwei Schichten auf eine Glasscheibe aufgetragen und thermisch ausgehärtet. Zuerst wird auf einem Teil der Glasscheibe 1 eine Zwischenschicht 2 zur Verhinderung von Interferenz-farben als Muster aufgetragen, siehe die als Buchstabe A dargestellte Aussparung in der Figur des Dokuments. Die Zwischenschicht 2 enthält die Metalloxide Titandioxid (TiO2) und Siliciumdioxid (SiO2) im Gewichtsverhältnis 40:60. Dreißig Minuten nach dem Aushärten der Zwischenschicht 2 wird dann noch eine UV-absorbierende Schicht 3 aufgetragen, siehe das Beispiel 1 in Spalte 6 des Dokuments.
3.2 Auch das Dokument D2 offenbart beschichtete Fenster-scheiben für Gebäude und Automobile, siehe die Figuren 3 und 5 sowie Spalte 11, Zeilen 40 und 52. Dazu wird eine Schicht als Muster auf einem Teil der Fläche der Glasscheibe 1 aufgetragen und ausgehärtet, siehe die als (ausgesparte) Buchstaben A, B und C oder als Schachbrett dargestellte Schicht 2 in den Figuren 2(a)-(c) des Dokuments. Die Schicht 2 enthält bevorzugt die Metalloxide Titandioxid oder Siliciumdioxid, siehe Spalte 5, Zeilen 1 und 2 i.V.m. Spalte 3, Zeilen 52-55 bzw. Spalte 4, Zeilen 19-22. Die Schicht 2 kann außerdem noch einen Farbstoff enthalten, siehe Spalte 5, Zeilen 8-10.
3.3 In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung bestreiten die Beschwerdegegner, dass die Dokumente D1 und D2 den Vogeltod als Problem erkannt haben oder den Vogelschutzgedanken ansprechen. Die Kammer muss darum zuerst prüfen, ob die in diesen Dokumenten offenbarten beschichteten Glasscheiben als vogelschlaggeschützt anzusehen sind.
3.3.1 Das Merkmal "vogelschlaggeschützt" im Erzeugnisanspruch 1 betrifft eine Zweckbestimmung der Fensterscheibe. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe der Zweckbestimmung eines Erzeugnisses dahingehend auszulegen, dass das Erzeugnis für den angegebenen Zweck geeignet ist, siehe RdBK, 10. Auflage 2020, I.C.8.1.5. Mithin ist im vorliegenden Fall die beanspruchte Fensterscheibe lediglich geeignet zum Schutz vor Vogelschlag, und eine aus dem Stand der Technik bekannte und zu einem anderen Zweck bestimmte Fensterscheibe mit allen Merkmalen von Anspruch 1 nimmt dessen Gegenstand neuheitsschädlich vorweg, wenn sie auch zum Schutz vor Vogelschlag geeignet ist. Die Kammer wird darum nun untersuchen, ob die in D1 und D2 offenbarten beschichteten Glasscheiben zum Schutz vor Vogelschlag geeignet sind.
3.3.2 Im Hinblick auf den Schutz vor Vogelschlag kam die angefochtene Entscheidung bereits zum Ergebnis, siehe deren Absatz 2.2.4, dass eine vogelschlaggeschützte Fensterscheibe eine Markierung, Beschichtung oder sonstige Vorrichtung aufweise, die für Vögel derart wahrnehmbar ist, dass sie die Fensterscheibe erkennen und dieser ausweichen. Die Kammer teilt diesen von den Beschwerdegegnern nicht bestrittenen Befund. Die Dokumente D1 und D2 offenbaren jeweils Glasscheiben mit einem bereichsweise auf einem Teil der Fläche aufgebrachten Muster, siehe oben, so dass die Kammer prüfen muss, ob die Muster für Vögel sichtbar sind.
3.3.3 Nach Auffassung der Kammer gehört es zum allgemeinen Fachwissen, dass eine Glasscheibe nur einen Teil des auftreffenden Lichts durchlässt, während sie den verbleibenden Teil des Lichts durch Aufnehmen (Absorption) und Zurückwerfen (gerichtete Reflexion oder ungerichtete Streuung) aufhält. Der aufgehaltene Teil des auftreffenden Lichts macht eine Glasscheibe erst sichtbar. Laut Absatz 0004 der Patentschrift beruht der beanspruchte Schutz vor Vogelschlag auf der UV-Sichtigkeit vieler Vögel, so dass die Sichtbarkeit der Muster im Bereich ultravioletten Lichts (UV-Bereich) entscheidend für den Schutz vor Vogelschlag ist. Nach dem allgemeinen Fachwissen erstreckt sich der UV-Bereich von 100-380 nm. Die in den Mustern der D1 und D2 enthaltenen Metalloxide Titandioxid und Siliciumdioxid absorbieren Licht in diesem Bereich, und zwar unterhalb einer Wellenlänge von 380 nm bzw. 205 nm, siehe die drittletzte und siebtletzte Zeile der vierten Spalte der Tabelle IIa im Dokument D12. Wegen ihrer Absorption im UV-Bereich machen die Metalloxide in den Mustern die in D1 und D2 gezeigten Glasscheiben im UV-Bereich für Vögel sichtbar, so dass sie zum Schutz vor Vogelschlag geeignet sind.
3.4 Die Kammer muss darum nun die von den Beschwerdegegnern bestrittenen Aspekte prüfen, wonach die Dokumente D1 und D2 kein Maximum der Strahlungsabsorption in einem Wellenlängenbereich unter 400 nm offenbaren, und wonach das Zwischenprodukt aus Glasscheibe und Zwischenschicht in D1 keine Fensterscheibe sei.
3.5 Im Hinblick auf das Maximum der Strahlungsabsorption stimmen die Parteien darin überein, dass die in D1 und D2 verwendeten Metalloxide Titandioxid und Silicium-dioxid für sich betrachtet ein Maximum in einem Wellenlängenbereich unter 400 nm Wellenlänge aufweisen. Auch für die Kammer ergibt sich das aus den in D12 offenbarten Obergrenzen der Absorption dieser Metalloxide bei 380 nm bzw. 205 nm, siehe oben. Die Beschwerdegegner vertreten jedoch die Auffassung, dass aus dem Vorhandensein eines UV-wirksamen Metalloxids in einer Glasbeschichtung nicht gefolgert werden könne, dass die Beschichtung ein Maximum unterhalb von 400 nm aufweise. Stattdessen könnten weitere Stoffe in der Beschichtung den Verlauf der Kennlinie beeinflussen bzw. deren Maximum in einen anderen Wellenlängenbereich verschieben. Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht, da der Begriff "Beschichtung" nicht im Anspruch vorkommt. Zwar weist die anspruchsgemäß mit einem Stoff beschichtete Fensterscheibe nach dem Beschichten auch aus Sicht der Kammer eine Beschichtung auf. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob hier Eigenschaften der Beschichtung oder eines in der Beschichtung enthaltenen Stoffes beansprucht werden. Dies wurde auch in der mündlichen Verhandlung kontrovers diskutiert. Nach Lesart der Kammer werden Eigenschaften der Beschichtung nicht explizit beansprucht, und insbesondere nicht deren Absorptionsmaximum. Die Kammer teilt nicht die Sichtweise der Beschwerdegegner, wonach die Beschichtung wegen der in Anspruch 1 unmittelbar benachbarten Begriffe "Stoff" und "beschichtet" mit dem Stoff gleichgesetzt werde, so dass implizit auch die Beschichtung ein entsprechendes Absorptionsmaximum aufweisen müsse. Nach ständiger Rechtsprechung, siehe RdBK, II.A.6.1, sollte der fachkundige Leser den Ansprüchen normalerweise die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung beimessen, wobei unlogische oder technisch unsinnige Auslegungen auszuschließen sind. Im vorliegenden Fall entspricht es der Logik, dass sich das Maximum wegen des Relativpronomens "der" nur auf den Stoff bezieht ("mit einem Stoff beschichtet ist, der ... unter 400 nm Wellenlänge ein Maximum ... aufweist"). Diese Auslegung ist auch nicht technisch unsinnig, da es fachüblich ist, Zusammensetzungen (im vorliegenden Fall eine Beschichtung) durch Eigenschaften ihrer Bestandteile (im vorliegenden Fall das Absorptionsmaximum eines darin enthaltenen Metalloxids) zu beschreiben. Die Kammer sieht es also nicht so, daß der Stoff die Gesamtheit der Beschichtung ausmachen müsse, wie vom Beschwerdegegner vorgetragen. Eine solche Auslegung ist aus dem Anspruchswortlaut heraus nur dann folgerichtig, wenn die Beschichtung nur aus einem Stoff besteht. Besteht sie aber aus mehreren, so wäre sprachlich zu unterscheiden, ob eben einer der enthaltenen Stoffe die fragliche Eigenschaft aufweist (so der Anspruchswortlaut), oder ob die Beschichtung insgesamt diese Eigenschaft aufweisen soll (dann sollte es bspw. heißen: "mit einer Beschichtung versehen ist, die..."). Auch technisch erscheint es der Kammer nicht zwingend, die Eigenschaft auf die gesamte Beschichtung zu beziehen, denn es mag ja durchaus ausreichen, daß einer ihrer Inhaltsstoffe die fragliche Eigenschaft aufweist, um den erwünschten Effekt zu erzielen. Aus diesen Gründen bezieht sich das beanspruchte Maximum bei einer am Verständnis des Anspruchs orientierten Leseweise auf einen in der Beschichtung enthaltenen Stoff, also beispielsweise auf das Metalloxid für sich betrachtet. Dessen Absorptionsverhalten ist laut D12 eine Stoffeigenschaft und somit unabhängig davon, ob es in einer Beschichtung verwendet wird oder ob noch weitere Stoffe in der Beschichtung enthalten sind. Da ein Absorptionsmaximum unter 400 nm unbestritten bei Titandioxid vorliegt, siehe oben, kann dahingestellt bleiben, ob durch das zusätzlich zum Titandioxid in der Beschichtung enthaltene Siliciumdioxid (in D1) oder den Farbstoff (in D2) der Verlauf einer Kennlinie der Absorption der Beschichtung beeinflusst wird. Daher ist es ebenfalls unerheblich, dass die Muster in D1 und D2 für Menschen sichtbar sind. Da Menschen nur im Bereich zwischen 400 und 800 nm Wellenlänge sehen können, bezieht sich diese Sichtbarkeit nicht auf den beanspruchten UV-Bereich unter 400 nm.
3.6 Im Hinblick auf das Zwischenprodukt aus Glasscheibe 1 und Zwischenschicht 2 in D1 kann entgegen der Sichtweise der Beschwerdeführer die neuheitsschädliche Vorwegnahme des Gegenstands von Anspruch 1 nicht deshalb verneint werden, weil dieses Zwischenprodukt nur vorübergehend besteht und ein Vogel es niemals als Fensterscheibe "zu Gesicht bekommt".
3.6.1 Die Kammer stimmt den Beschwerdegegnern darin zu, dass nach der Lehre der D1 auf die Zwischenschicht 2 noch eine UV-absorbierende Schicht 3 aufgetragen wird, so dass danach vermutlich kein Muster mehr im UV-Bereich erkennbar ist. Das Zwischenprodukt aus Glasscheibe und Zwischenschicht weist aber während einer abgrenzbaren Phase von ca. 30 Minuten des Herstellungsvorgangs der Fensterscheibe UV-sichtbare Muster auf, siehe oben. Im Einklang mit gefestigter Rechtsprechung, siehe beispielsweise die Entscheidung T 327/92, gehört dieses Zwischenprodukt, das während des zweistufigen Herstellungsprozesses der Fensterscheibe vorübergehend für den Zeitraum zwischen dem Auftrag der beiden Schichten 2 und 3 mit einem UV-sichtbaren Muster vorliegt, zum Stand der Technik. Das Gegenargument der Beschwerdegegner, wonach kein Vogel dieses Zwischenprodukt "zu Gesicht bekommt", führt zu keinem anderen Ergebnis, da eine Fensterscheibe per se beansprucht wird. Die Große Beschwerdekammer kam bereits in der Entscheidung G2/88, Punkt 5 der Entscheidungsgründe, zu dem Ergebnis, dass ein Patent, in dem ein Gegenstand per se beansprucht werde, für jede bekannte oder unbekannte Verwendung dieses Gegenstands Schutz gewähre, und dass es folglich einem Anspruch für einen Gegenstand per se an Neuheit mangele, wenn nachgewiesen werde, dass dieser Gegenstand bereits zum Stand der Technik gehöre. Im vorliegenden Fall ist daher unerheblich, ob die aus D1 bekannte Fensterscheibe tatsächlich in ein Fenster eingebaut und dem Risiko des Vogelschlags ausgesetzt wird.
Die Kammer muss darum prüfen, ob das Zwischenprodukt aus Glasscheibe 1 und Zwischenschicht 2 der D1 als vogelschlaggeschützte Fensterscheibe anzusehen ist.
3.6.2 Die Kammer ist bereits zu dem Ergebnis gelangt, dass im Streitpatent der Vogelschutz durch die UV-Absorption des auf eine Fensterscheibe aufgetragenen Musters bewirkt wird, und dass ein solches Muster in der Zwischenschicht 2 vorhanden ist, siehe oben. Das Argument der Beschwerdegegner, wonach die Zwischen-schicht 2 ohne die UV-absorbierende Schicht 3 nicht witterungsbeständig sei, führt zu keinem anderen Ergebnis, da Anspruch 2 des Hauptantrags auch eine nicht dauerhaft auf die Scheibe aufgebrachte Substanz (gemeint ist damit wohl der auf die Scheibe beschichtete Stoff) umfasst. Dessen ungeachtet bewirkt nach Auffassung der Kammer das dreißigminütige Aushärten der Zwischenschicht bei 200°C, siehe das Beispiel 1 der D1, wohl eine gewisse Witterungs-beständigkeit. Das weitere Argument, wonach das Zwischenprodukt wegen der fehlenden UV-absorbierenden Schicht 3 noch keine Fensterscheibe sei, überzeugt die Kammer ebenfalls nicht, da die Eignung als Fensterscheibe durch die bereits im Zwischenprodukt vorhandene Glasscheibe 1 gewährleistet wird.
3.7 Die Kammer schließt aus alledem, dass jedes der Dokumente D1 und D2 eine vogelschlaggeschützte Fensterscheibe mit allen Merkmalen von Anspruch 1 des Hauptantrags offenbart, so dass dessen Gegenstand nicht neu ist, Artikel 54 EPÜ.
4. Hilfsanträge 1-3 - Zulassung zum Verfahren
4.1 Die Vorlage der Hilfsanträge 1-3 erfolgte erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Diese verspätet vorgelegten Hilfsanträge stellen geändertes Vorbringen dar, dessen Zulassung nach Maßgabe der Erfordernisse des Artikels 13 VOBK 2020 erfolgt. Daher sind die Hilfsanträge 1-3 als Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung anzusehen, deren Zulassung einer Rechtfertigung bedarf.
4.2 Die Patentinhaber als Beschwerdegegner haben in Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 das Merkmal "mit einem Stoff beschichtet ist, der in einem Wellenlängenbereich unter 400 nm Wellenlänge ein Maximum ... aufweist" durch das Merkmal "mit einem Stoff beschichtet ist, wobei die Beschichtung in einem Wellenlängenbereich unter 400 nm Wellenlänge ein Maximum ... aufweist" ersetzt, so dass nun eine Eigenschaft der Beschichtung beansprucht wird. Sie rechtfertigen die verspätete Vorlage dieser Hilfsanträge mit dem Argument, dass die für die Vorlage der Hilfsanträge ursächliche Unterscheidung zwischen den Eigenschaften eines in der Beschichtung enthaltenen Stoffs und den Eigenschaften der gesamten Beschichtung bisher nicht vorgetragen worden sei.
4.3 Dieses Argument überzeugt die Kammer nicht, da sie keinen neuen Tatsachenvortrag zur Auslegung und mangelnden Neuheit erkennen kann. Bereits die Beschwerdebegründung leitet die mangelnde Neuheit gegenüber D2 aus dem Vorhandensein eines Metalloxids in der Beschichtung ab, siehe den dritten vollständigen Absatz auf Seite 20. Dabei ist die Formulierung "coated with a material that meets the required wavelength selectivity, wherein the material is TiO2" (Hervorhebung durch die Kammer) nur in dem Sinne zu verstehen, dass das Absorptionsmaximum aus Sicht der Beschwerdeführerin eine Eigenschaft des in der Beschichtung enthaltenen Metalloxids ist. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, siehe die Absätze 4.1 und 4.2, hat die Kammer ebenfalls auf eine Eigenschaft des Metalloxids verwiesen. Ihre Sichtweise hat die Beschwerdeführerin in ihrer Eingabe vom 7. Februar 2022 wiederholt, wo sie auf Seite 10, Absatz 5 auf das Maximum des Stoffs verweist ("provided said substance has a maximum of radiation manipulation in a wavelength range below 400 nm ... even if other substances are also present within the coating"). Das Argument war daher explizit vorgetragen worden. Daher hätte bereits vor der mündlichen Verhandlung klar sein können, dass die Neuheit von Anspruch 1 auf Basis der Absorptionseigenschaften des Metalloxids für sich betrachtet diskutiert wird.
4.4 In ihrer Einschätzung, dass die Absorptions-eigenschaften des in der Beschichtung als Stoff enthaltenen Metalloxids für die Frage der Neuheit zu betrachten sind, ist die Kammer folglich einem Einwand der beschwerdeführenden Einsprechenden gefolgt, der bereits mit der Beschwerdebegründung, und damit fast drei Jahre vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragen wurde. Was auch immer der Grund für das Ausbleiben einer Reaktion der Patentinhaberin - z.B. durch das rechtzeitige Stellen eines entsprechenden Hilfsantrags - auf diesen Einwand gewesen sein mag, ausreichend Zeit dafür wäre vorhanden gewesen. Die Tatsache, daß sich die Kammer einem Einwand der der beschwerdeführenden Einsprechenden anschließt, ist insoweit weder überraschend noch unvorhersehbar, sondern liegt in der Natur der Sache eines einer Entscheidungsinstanz aufgegebenen Rechtsfindungsprozesses. Überraschend wäre vielmehr, wenn die Kammer ihrerseits einen neuen Einwand erhöbe. Vorliegend war das nicht der Fall.
4.5 Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 3 ist identisch mit Anspruch 1 des mit Schreiben vom 5. April 2023 eingereichten Hilfsantrags 3, der während der mündlichen Verhandlung nach der Diskussion zur Neuheit des Hauptantrags zurückgenommen worden war. Der Vertreter der Patentinhaber hat sich bezüglich der verspäteten Vorlage dieses Hilfsantrags nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen, und die Kammer kann in der vom Vertreter selbst beantragten Rücknahme auch keine solchen außergewöhnlichen Umstände erkennen, welche die erneute Zulassung dieses Hilfsantrags rechtfertigen würden.
4.6 Aus diesen Gründen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass Umstände vorliegen, mit welchen die verspätete Vorlage der Hilfsanträge 1-3 zu rechtfertigen wäre. Somit entscheidet die Kammer, diese Hilfsanträge nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(2) VOBK 2020.
5. Hilfsanträge 4 und 5 - Klarheit
5.1 Die Änderung in Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 betrifft den sichtbaren Bereich der Lichtstrahlung und damit die gewünschte Wirkung, dass Menschen die Beschichtung nicht oder kaum wahrnehmen. Die dafür in den Anspruch aufgenommene Angabe, dass "der Stoff die Intensität der Strahlung im Bereich zwischen 400 nm und 800 nm um weniger als 5% ändert" definiert die beschichtete Fensterscheibe anhand des zu erzielenden Ergebnisses.
5.2 Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung Merkmale, die durch das zu erreichende Ergebnis definiert werden, zulässig. Wenn dieses Ergebnis jedoch im Wesentlichen der anmeldungsgemäßen Aufgabe entspricht, müssen die übrigen Merkmale des Anspruchs alle wesentlichen Merkmale umfassen, die zur Erreichung dieses Ergebnisses notwendig sind, siehe RdBK II.A.3.2. Im vorliegenden Fall entspricht die Minderung der Intensität um weniger als 5% der anmeldungsgemäßen Aufgabe, dass im sichtbaren Bereich keine oder kaum Reflexion bzw. Absorption stattfindet, siehe Absatz 0017 der Patentschrift. Die Kammer muss darum nun prüfen, ob die übrigen Merkmale des Anspruchs alle wesentlichen Merkmale umfassen, um dieses Ergebnis zu erreichen.
5.3 Die Kammer stimmt den Beschwerdegegnern darin zu, dass neben der Art des gewählten Metalloxids auch dessen Menge bzw. Konzentration in der Beschichtung und die Dicke der Beschichtung eine Auswirkung auf die optische Wahrnehmung der Beschichtung haben. Die Menge, Konzentration und Dicke sind jedoch keine Eigenschaften des im Anspruch genannten und in der Beschichtung enthaltenen Stoffs (also des Metalloxids), sondern Eigenschaften einer diesen Stoff enthaltenden Beschichtung. Daher kommt es für das zu erzielende Ergebnis einer Intensitätsminderung von weniger 5% auch auf die oben genannten Eigenschaften der Beschichtung an. Solche werden nicht im Anspruch genannt, so dass nicht alle wesentlichen Merkmale zur Erreichung der gewünschten Obergrenze der Intensitätsänderung in Anspruch 1 enthalten sind. Das Argument der Beschwerdegegner, wonach eine Fachperson die nötige Dicke auf einfache Weise herausfinden könne, führt zu keiner anderen Sichtweise. Selbst bei einer Variation der Dicke der Beschichtung wird die von der Beschichtung bewirkte Minderung der Intensität der Strahlung im sichtbaren Bereich noch von der vorangehend genannten Vielzahl von Faktoren, und insbesondere dem unbekannten Typ des Metalloxids und dessen Konzentration in der Beschichtung bestimmt. Aus Sicht der Kammer übersteigt es die normalen Fachkenntnisse der Fachperson, mangels weiterer Angaben in der Patentschrift unter diesen Bedingungen zu einer entsprechenden Fensterscheibe zu gelangen.
5.4 Folglich ist Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 unklar formuliert und erfüllt nicht die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ. Da Anspruch 1 von Hilfsantrag 5 dasselbe Merkmal enthält, gilt dieser Befund für Hilfsantrag 5 mutatis mutandis.
6. Die Kammer verneint den Befund zur Neuheit für den Hauptantrag, Patent wie aufrechterhalten, so dass sie die angefochtene Entscheidung aufheben muss. Da die Hilfsanträge 1-3 von der Kammer nicht zugelassen wurden und die Hilfsanträge 4 und 5 nicht gewährbar sind, ist das Patent nach Art 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.