T 1558/21 10-05-2023
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LANDWIRTSCHAFTLICHE ARBEITSMASCHINE
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Wesentlicher Verfahrensmangel - Antrag nicht beschieden oder falschen Antrag beschieden
Berichtigung von Mängeln - sofort erkennbar dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte (nein)
Berichtigung von Fehlern in Entscheidungen - nein
Berichtigung von Fehlern in Unterlagen - nein
1. Entspricht der Antrag, der der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde liegt, zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht dem Willen einer Partei, so ist diese Partei beschwert und ihre Beschwerde gegen die Entscheidung zulässig (Punkt 1.1 der Entscheidungsgründe).
2. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung nicht auf der beabsichtigten Fassung des Hilfsantrags beruht, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurde. Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung entweder über den falschen Antrag entschieden, der nicht dem Tenor der Entscheidung entspricht, oder aber über einen Antrag, zu dem die Parteien nicht gehört wurden. Beides stellt einen schwerwiegenden Verfahrensmangel dar, und daher ist die Entscheidung aufzuheben (Punkte 3.4 - 3.6 der Entscheidungsgründe).
3. Ein Fehler in einem während der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruchssatz, der Teil einer in der mündlichen Verhandlung verkündeten Entscheidung geworden ist, ist weder einer späteren Korrektur über Regel 140 EPÜ zugänglich, noch über Regel 139 EPÜ, sofern es ihm an der Offensichtlichkeit mangelt (Punkte 5.1 - 5.5 der Entscheidungsgründe).
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 22. Juni 2021, verkündet in der mündlichen Verhandlung am 3. Mai 2021, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 1 (im folgenden als "Hilfsantrag 1'" bezeichnet) die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hat die Einspruchsabteilung unter anderem festgestellt, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1' neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die eingeschränkte Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung gemäß dem mit Schreiben vom 10. Mai 2021 eingereichten Hilfsantrag 1, erneut eingereicht mit Beschwerdebegründung, sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
Hilfsweise beantragt sie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat keine Anträge gestellt und mit Schreiben vom 21.10.2022 mitgeteilt, sie werde weder in einer Erwiderung zur Beschwerde Stellung nehmen, noch an einer mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer teilnehmen.
III. Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beruht auf dem erteilten Anspruch 1 gemäß Hauptantrag im Einspruchsverfahren und hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch die Kammer):
"Landwirtschaftliche Arbeitsmaschine (100) umfassend ein Zugfahrzeug (101), ein Arbeitsgerät (102), eine Sensoreinrichtung (103) zum Erfassen von wenigstens 2D- Informationen und eine Steuereinrichtung, die mit der Sensoreinrichtung (103) und dem Arbeitsgerät (102) verbunden ist und geeignet ist, wenigstens eine Funktion des Arbeitsgeräts (102) in Abhängigkeit der von der Sensoreinrichtung (103) erfassten Information zu steuern, wobei die Sensoreinrichtung (103) so angeordnet ist, dass sie 2D-Informationen eines vor der Arbeitsmaschine (100) liegenden Geländes (104) erfassen kann, dadurch gekennzeichnet, dass die Sensoreinrichtung (103) ein optischer Sensor ist oder einen optischen Sensor umfasst, wobei die Sensoreinrichtung Bestandshöhen (h) von auf dem vor der Arbeitsmaschine liegenden Gelände befindlichen Bestand messen kann und die Steuereinheit eine Arbeitshöhe des Arbeitsgeräts (102) in Abhängigkeit der Bestandshöhe (h) steuert und dass die Steuereinheit aus sämtlichen zu einem Zeitpunkt ermittelten Bestandshöhen (h1, hi, hn) eines bestimmten Bereichs des Geländes eine optimale Arbeitshöhe (463) für das Arbeitsgerät errechnen kann, wobei das Erfassen von 2D-Informationen sich auf Informationen des Geländes bezieht, die in einer Ebene senkrecht zur Fahrtrichtung des Fahrzeuges erfasst werden,
wobei die Bestandshöhe die Höhe einer auf dem Feld gewachsenen Pflanze bezeichnet."
Der unabhängige Anspruch 8 des Hilfsantrags 1 beruht auf dem erteilten Anspruch 1 gemäß Hauptantrag im Einspruchsverfahren und hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch die Kammer):
"Verfahren zum Steuern eines Arbeitsgeräts einer landwirtschaftlichen Arbeitsmaschine (100), wobei 2D-Informationen eines vor der Arbeitsmaschine (100) liegenden Geländes (104) erfasst werden und wenigstens eine Funktion des Arbeitsgeräts (102) in Abhängigkeit der 2D-Informationen gesteuert wird, dadurch gekennzeichnet, dass mittels eines optischen Sensors Bestandshöhen (h) von auf dem vor der Arbeitsmaschine liegenden Gelände (104) befindlichen Bestand gemessen werden und die Arbeitshöhe des Arbeitsgeräts (102) in Abhängigkeit der Bestandshöhen (h) eingestellt wird und dass aus den zu einem Zeitpunkt ermittelten Bestandshöhen (h1, hi, hn)eines bestimmten Bereichs des Geländes (104) eine optimale Arbeitshöhe (463) ermittelt und die Arbeitshöhe des Arbeitsgeräts(102) entsprechend dieser optimalen Arbeitshöhe (463) eingestellt wird, wobei das Erfassen von 2D-Informationen sich auf Informationen des Geländes bezieht, die in einer Ebene senkrecht zur Fahrtrichtung des Fahrzeuges erfasst werden,
wobei die Bestandshöhe die Höhe einer auf dem Feld gewachsenen Pflanze bezeichnet."
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 8 des von der Einspruchabteilung aufrecht erhaltenen Hilfsantrags 1' beruhen auf denen des ursprünglich im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 03.03.2019 eingereichten Hilfsantrags 1 und haben folgende zusätzliche Merkmale gegenüber dem aktuellen Hilfsantrag 1 (Hervorhebung durch die Kammer):
" ... [Informationen des Geländes bezieht, die in einer Ebene senkrecht zur Fahrtrichtung des Fahrzeuges erfasst werden,] wobei die optimale Arbeitshöhe als Mittelwert oder als gewichteter Mittelwert aller ermittelten Bestandshöhen (h1, ... , hn) festgelegt wird,
[wobei die Bestandshöhe die Höhe einer auf dem Feld gewachsenen Pflanze bezeichnet.]"
IV. Nachfolgend wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:
D8: US 2011/0266365 A1.
Das Verfahren vor der Einspruchsabteilung
V. Die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 3. Mai 2021 fand per Videokonferenz statt. Laut Niederschrift wurde zunächst das Patent in der erteilten Fassung als Hauptantrag erörtert und mangels Neuheit zurückgewiesen. Daraufhin reichte die Patentinhaberin per E-mail einen eingeschränkten Antrag als Hilfsantrag 1' ein. Dieser wurde für gewährbar erachtet. Daraufhin verkündete die Einspruchsabteilung eine entsprechende Zwischenentscheidung.
VI. Am 10. Mai 2021 stellte die Patentinhaberin einen Antrag auf Berichtigung nach Regel 140 EPÜ, hilfsweise nach Regel 139 EPÜ. Sie beantragte die Berichtigung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des dem Antrag beigefügten Hilfsantrags 1. Der Antrag auf Berichtigung nach Regel 139 EPÜ zielte darauf ab, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag 1' durch Hilfsantrag 1 des Berichtigungsantrags zu ersetzen. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die nachfolgend dargestellten und auch in der Beschwerde vorgetragenen Tatsachen und Ereignisse angeführt.
VII. Die Einsprechende reagierte auf den Antrag auf Berichtigung mit Schreiben vom 7. Juni 2021 und nahm wie folgt Stellung: "Die Einsprechende bestätigt hiermit die von der Patentinhaberin im Schriftsatz vom 10.05.2021 vorgetragenen Tatsachen und insbesondere, dass auch die Einsprechende bei der Einreichung der geänderten Patentansprüche gemäß Hilfsantrag I davon ausgegangen ist, dass es sich um eine Fassung handelt, die gegenüber dem bisherigen Hauptantrag nur um das letzte Merkmal betreffend die Definition der Bestandshöhe geändert wurde.
Unter Berücksichtigung des Aspekts der Verfahrensökonomie und der Möglichkeit der Verhinderung eines unnötigen Beschwerdeverfahrens unterstützt die Einsprechende damit den Antrag der Patentinhaberin zur Durchführung einer entsprechenden Korrektur."
VIII. In der am 22. Juni zur Post gegebenen Entscheidung wurde der Antrag auf Berichtigung nicht erwähnt. Die Beschwerde und die Beschwerdebegründung erfolgten am 2. September 2021 und am 22. Oktober 2021.
IX. Mit Mitteilung vom 3. November 2021 teilte die Einspruchsabteilung der Patentinhaberin mit, dass sie nach Erlass der Entscheidung nicht mehr für die Berichtigung zuständig sei, und dass außerdem die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach Regel 140 oder 139 EPÜ nicht erfüllt seien. Die von der Patentinhaberin im Berichtigungsantrag vorgetragenen Tatsachen wurden weder ausdrücklich bestätigt noch bestritten, abgesehen von einer Bemerkung, dass der behauptete Fehler der falschen Unterlagen plausibel erscheine. Die drei Unterschriften der Mitglieder datieren vom 14. bzw. 18. Oktober 2021.
Das Vorbringen der Beschwerdebeteiligten
X. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung per email eingereichte Hilfsantrag 1' beruhe versehentlich auf dem damaligen Hilfsantrag 1, obwohl klar beabsichtigt war, dass der Hauptantrag Grundlage für den neuen Hilfsantrag 1 sein sollte. Davon gingen alle Beteiligten und die Einspruchsabteilung aus, weil die Patentinhaberin das ausdrücklich so vorgetragen habe. Es wurde auch lediglich die gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügte Definition der "Bestandshöhe" diskutiert.
Aufgrund der Fehlannahme, der während der mündlichen Verhandlung diskutierte Hilfsantrag sei identisch mit dem schriftlich eingereichten Hilfsantrag 1' entschied die Einspruchsabteilung am Ende der mündlichen Verhandlung auf eingeschränkte Aufrechterhaltung im Umfang des schriftlich eingereichten Hilfsantrags 1'.
Auf umgehend eine Woche nach der mündlichen Verhandlung eingereichte Anträge auf Berichtigung der Entscheidung nach Regel 140 EPÜ oder der eingereichten Unterlagen nach Regel 139 EPÜ habe die Einspruchsabteilung ebenso wenig reagiert, wie auf eine Eingabe vom 7. Juni 2021, in der die Einsprechende den vorgetragenen Sachverhalt bestätigte und eine Berichtigung befürwortete, um ein Beschwerdeverfahren zu vermeiden. Stattdessen habe die Einspruchsabteilung in Kenntnis des Sachverhalts in ihrer schriftlichen Entscheidung vom 22. Juni 2021 auf Aufrechterhaltung im Umfang des schriftlich eingereichten, aber nicht diskutierten Hilfsantrags 1' entschieden, auch hier ohne auf die Berichtigungsanträge einzugehen.
Die Fehlentscheidung der Einspruchsabteilung und die fehlende Begründung für die offensichtliche Ablehnung der Berichtigungsanträge rechtfertigten die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung sowie die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund erheblicher Verfahrensfehler.
XI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden) beschränkt sich auf die oben in Punkt II und VII zitierten Mitteilungen.
1. Zulässigkeit der Beschwerde, Vorliegen einer Beschwer
1.1 Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Aufrechterhaltung in einer Form, die auf von der Patentinhaberin eingereichten Unterlagen beruht, wobei die Zurückweisung des höherrangigen Hauptantrags kein Gegenstand der Beschwerde ist. Rein formell liegt damit keine Beschwer der Patentinhaberin vor (siehe dazu RdBK V.A.2.4.2). Wie weiter unten ausgeführt wird, hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die aufrecht erhaltene Anspruchsfassung nicht dem von der Patentinhaberin zum Zeitpunkt der Entscheidung subjektiv gewünschten Anspruchssatz entspricht. Abzustellen ist für die Beschwer auf eine Diskrepanz zwischen dem Begehren des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Entscheidung, und der Entscheidung selbst, T 0735/13, Punkt 2 der Gründe. Wie im Weiteren ausgeführt wird, sieht es die Kammer als erwiesen an, dass die Diskrepanz zwischen dem feststellbaren Willen der Patentinhaberin und dem rechtswirksamen Entscheidungstenor jedenfalls bereits in der mündlichen Verhandlung und auch im Zeitpunkt der Verkündung der Entscheidung bestand. Nach Auffassung der Kammer ist dies ausreichend, um das Vorliegen einer Beschwer im Sinne des Artikels 107 EPÜ zu befürworten. Analog zu einem fehlerhaften Erteilungsbeschluss im Prüfungsverfahren (siehe RdBK 10. Auflage 2022, III.L.2.1, fünfter Absatz, G 1/10, Punkt 12 der Entscheidungsgründe) ist die Patentinhaberin im Einspruchsverfahren durch eine Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwert, die einen Fehler enthält, so dass die aufrechterhaltene Fassung nicht mit der von der Patentinhaberin beabsichtigten übereinstimmt.
1.2 Die Beschwerde ist auch form- und fristgerecht erhoben worden und daher zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit landwirtschaftlichen Arbeitsmaschinen mit Arbeitsgeräten, beispielsweise Feldspritzen, deren Arbeitshöhe auf die Höhe von zu bearbeitenden Pflanzen eingestellt werden muss, sowie mit einem entsprechenden Verfahren zum Steuern der Arbeitsgeräte.
Um eine effektive Anpassung der Arbeitshöhe auf (Höhen-)Änderungen in der Umgebung des Arbeitsgeräts zu ermöglichen (siehe Absatz [0004] des Patents), soll nach den erteilten unabhängigen Ansprüchen 1 und 8 die Bestandshöhe auf dem Gelände vor der Arbeitsmaschine mittels Sensoren erfasst und zur Einstellung einer optimalen Arbeitshöhe verwendet werden.
Die unabhängigen Ansprüche 1 und 8 der Hilfsanträge 1 und 1' definieren die Bestandshöhe als (absolute) Höhe der Pflanzen vom Boden.
3. Mündliche Verhandlung und Entscheidung im Einspruchsverfahren - Verfahrensfehler
3.1 Der von der Beschwerdeführerin dargelegte Sachverhalt und Ablauf der mündlichen Verhandlung wird weder von der Beschwerdegegnerin, noch von der Einspruchsabteilung in ihrer nach Eingang der Beschwerdebegründung abgegebenen Stellungnahme vom 3. November 2021 bestritten. Für die Kammer ist von besonderer, wenn nicht sogar entscheidender Bedeutung, dass die Einsprechende den vorgetragenen Sachverhalt nicht nur kommentarlos unwidersprochen gelassen, sondern ausdrücklich bestätigt hat. Demnach gingen alle Beteiligten irrtümlich davon aus, bei dem per E-Mail eingereichten Hilfsantrag 1' handele es sich um einen geänderten Hauptantrag, dessen erteilter Anspruch 1 lediglich um die Definition der Bestandshöhe ergänzt wurde.
In ihrer Einlassung zu Regel 80 EPÜ (siehe Abschnitt 6 des Protokolls, Seiten 1 - 3 des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 10. Mai 2021 und Schreiben vom 7. Juni 2021 der Beschwerdegegnerin) trug die Beschwerdeführerin dies nach eigenen, unwidersprochenen Angaben so vor, gab die Offenbarungsgrundlage für die hinzugefügte Definition und als Grund für die Hinzufügung an, damit den Gegenstand des Anspruchs 1 von der Offenbarung der D8 abgrenzen zu wollen. D8 offenbart nämlich in den Absätzen [0009], [0027], [0033] und Fig. 4 eine Messung der relativen Höhe zwischen Arbeitsgerät und Pflanzen. Dass die Einspruchsabteilung diese zuvor als Bestandshöhe im Sinne des erteilten Anspruchs 1 angesehen hatte, war letztendlich ausschlaggebend für die Feststellung der mangelnden Neuheit gewesen (siehe Abschnitte 2.6, 3 des Protokolls und 14.2 der angefochtenen Entscheidung). Im folgenden wurden Ausführbarkeit, Neuheit und erfinderische Tätigkeit ausschließlich im Hinblick auf diese neu eingeführte Definition als Unterscheidungsmerkmal diskutiert, wie aus den Abschnitten 6.2, 7.1 und 8.1 des Protokolls hervorgeht.
3.2 Das zusätzliche Merkmal des schriftlich eingereichten Hilfsantrags 1' bezüglich der Berechnung der Arbeitshöhe als Mittelwert blieb, zumindest nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin und dem Protokoll der mündlichen Verhandlung, gänzlich unbeachtet. Dies mag zwar teilweise damit erklärbar sein, dass bereits die Definition des Bestandshöhe Neuheit und erfinderische Tätigkeit gegenüber D8 sicherstellte. Es ist aber zumindest davon auszugehen, dass die ursprüngliche Offenbarung des darüber hinaus hinzugefügten "Mittelwert"-Merkmals eingehender thematisiert worden wäre, wenn denn tatsächlich der schriftlich eingereichte Hilfsantrag 1' Gegenstand der Diskussion gewesen wäre.
3.3 Die Kammer hat zwar keine festen Anhaltspunkte dafür, dass auch die Einspruchsabteilung den Gegenstand ihrer eigenen Entscheidung verkannt hat, denn die schriftliche Entscheidung behandelt das zusätzliche Merkmal des Mittelwerts, wenn auch nur sehr kurz (siehe Punkt 15.4 der Entscheidung, Merkmal a). Dies muss aber nicht zwangsläufig zu dem Schluss führen, dass die Abteilung dieses Merkmal bereits in der mündlichen Verhandlung wahrgenommen hat. Wäre dies nämlich der Fall gewesen, so wäre auch zu erwarten gewesen, dass die Einspruchsabteilung bei der Erörterung des Berichtigungsantrags ihre eigene Auffassung und Sichtweise des Verlaufs der mündlichen Verhandlung und insbesondere der wahrgenommenen Anträge entsprechend dargestellt hätte.
3.4 Aufgrund dieses von der Beschwerdeführerin dargelegten, unbestrittenen und durchaus nachvollziehbaren Sachverhalts und Ablaufs der mündlichen Verhandlung kommt die Kammer zum Schluss, dass zumindest die Patentinhaberin und die Einsprechende am Ende der mündlichen Verhandlung dem Irrtum unterlagen, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung den diskutierten, auf dem Hauptantrag beruhenden Hilfsantrag 1 betraf.
3.5 Das Verständnis der Einspruchsabteilung bezüglich der Anträge ist nicht eindeutig. Einerseits ist es denkbar, dass sie demselben Irrtum unterlag wie die Parteien und über den erörterten, aber nicht eingereichten Antrag entschied. Andererseits ist es auch möglich, dass sie tatsächlich über den schriftlich eingereichten Hilfsantrag 1' entschieden hat, der auf dem früheren Hilfsantrag 1 basierte und zu dem sich die Beteiligten in Wirklichkeit nicht geäußert hatten.
Somit beruht die Entscheidung entweder auf unstreitig falschen Tatsachen (davon ausgehend, dass alle Beteiligten einschließlich der Einspruchsabteilung einen anderen als den schriftlich eingereichten Antrag erörtert haben) und gibt die schriftliche Entscheidung daher nicht die tatsächlich getroffene Entscheidung wieder oder die Entscheidung beruht auf einem Antrag, zu dem weder die Patentinhaberin noch die Einsprechende angehört wurden (davon ausgehend, dass die Einspruchsabteilung den eingereichten Antrag von Anfang an vor Augen hatte und auch darüber entschieden hat).
3.6 Daher ist die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben. In der Sache hat sie bereits über die Patentierbarkeit des Hilfsantrags 1 entschieden. Denn die maßgeblichen Begründungen in der schriftlichen Entscheidung hinsichtlich Ausführbarkeit, Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Abschnitte 15.3 - 15.5) beziehen sich ausschließlich auf das den unabhängigen Ansprüchen 1 und 8 jeweils hinzugefügte Merkmal der Bestandshöhen-Definition. In Abwesenheit von Gegenargumenten der Beschwerdegegnerin schließt sich die Kammer den entsprechenden Befunden der Einspruchsabteilung an und sieht den auf dem Hauptantrag beruhenden Hilfsantrag 1 als den Erfordernissen des EPÜ genügend an.
4. Rückerstattung der Beschwerdegebühr
4.1 Nach Regel 103(1)a) EPÜ wird die Beschwerdegebühr zurückerstattet, wenn der Beschwerde stattgegeben wird und dies der Billigkeit entspricht.
4.2 Der wesentliche Verfahrensfehler, die Nichtberücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung diskutierten, auf dem Hauptantrag beruhenden Hilfsantrags 1 und dessen "Ersatz" durch den "formal" eingereichten, jedoch inhaltlich nicht diskutierten Hilfsantrag 1' führte offensichtlich unmittelbar zur aufzuhebenden Entscheidung und begründete damit die Notwendigkeit einer Beschwerde (siehe dazu auch unten Punkt 5).
4.3 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Fehler, wie oben dargelegt, in erster Linie auf ein Versehen der Patentinhaberin zurückgeht. Der wesentliche Verfahrensmangel liegt darin, dass entweder über einen zumindest konkludent gestellten Antrag nicht entschieden wurde oder aber die Entscheidung auf einem nicht erörterten Antrag beruht, zu dem die Parteien nicht gehört wurden. Beide Fehler fallen eindeutig in die Zuständigkeit und damit in die Verantwortung der Einspruchsabteilung, und wurden durch die Verkündung der Entscheidung unkorrigierbar (siehe ebenfalls unten Punkt 5). Daher kommt der Kammer zu der Auffassung, dass im vorliegenden Fall die Rückzahlung der Beschwerdegebühr in voller Höhe der Billigkeit im Sinne von Regel 103(1)a) EPÜ entspricht.
5. Anträge auf Berichtigung
5.1 Die Kammer ist aus den nachstehenden Gründen der Ansicht, dass die einmal in der mündlichen Verhandlung verkündete Entscheidung auf Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des schriftlich eingereichten Hilfsantrags 1' im Nachhinein nicht mehr auf Grundlage der Regeln 139 und 140 EPÜ korrigierbar, sondern lediglich mit einer Beschwerde anfechtbar war.
5.2 Der schriftlich eingegangene Hilfsantrag 1' ist integraler Bestandteil der von der Einspruchsabteilung verkündeten Entscheidung geworden. Trotzdem ist eine Berichtigung seiner Ansprüche 1 und 8 nicht unter Regel 140 EPÜ möglich, die nur Berichtigungen offenbarer Unrichtigkeiten in Entscheidungen, wie bibliografischer Fehler gestattet, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, III.L.2 und 2.1, G1/10.
5.3 Zudem ist die Voraussetzung einer offensichtlichen Unrichtigkeit im Sinne eines auch für einen unbeteiligten Dritten sofort erkennbaren Fehlers vorliegend nicht gegeben. Denn objektiv betrachtet ist für einen Unbeteiligten aus dem Protokoll nicht offenkundig, dass die Entscheidung auf einem "falschen" Hilfsantrag beruht. Weder ist der per E-Mail eingereichte Hilfsantrag 1' als Anhang einzusehen, noch ist der genaue Inhalt des diskutierten Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 erwähnt, insbesondere nicht das zusätzliche Merkmal der Bestandshöhen-Definition als einzige Hinzufügung zu Anspruch 1 des Hauptantrags identifiziert. Auch die Kurzinformation zum Ausgang des Einspruchsverfahrens (auf Formblatt 2341.07.16) enthält keinen Anhang mit dem Text der aufrechterhaltenen Fassung, also Hilfsantrag 1'.
Ferner ist aus dem schriftlichen Hilfsantrag 1' selbst kein offensichtlicher Fehler erkennbar, geschweige denn, wie dieser offensichtlich zu beheben wäre. Dies gilt auch im Vergleich mit dem ursprünglichen Hilfsantrag 1, der nach Angaben der Beschwerdeführerin auf Seite 4 ihres Schreibens vom 10. Mai 2021 zu Hilfsantrag II umnummeriert und weiter verfolgt wurde. Denn es ist nicht ungewöhnlich, dass niederrangige Hilfsanträge mit breiterem unabhängigen Anspruch (hier ohne die Bestandshöhe-Definition) zumindest so lange nicht zurückgezogen werden, bis die Zulassung eines später eingereichten, höherrangigen Hilfsantrags zum Verfahren geklärt ist.
5.4 Dass im schriftlich eingereichten Hilfsantrag 1' weder Fehler, noch deren Berichtigung für den Fachmann objektiv und offensichtlich erkennbar sind, führt auch dazu, dass eine Berichtung unter Regel 139, 2. Satz EPÜ nicht möglich war, siehe RdBK, 10. Auflage II.E.4.2.
Die Beschwerdeführerin behauptet, es handle sich vorliegend nicht um den im 2. Satz behandelten speziellen Fall einer Berichtigung von Patentansprüchen, sondern um den im 1. Satz der Regel 139 EPÜ angesprochenen, allgemeinen Fall einer Berichtigung von eingereichten Unterlagen, für den eine Offensichtlichkeit nicht erforderlich sei. Dafür gibt sie jedoch weder Gründe an, noch kann die Kammer solche erkennen. Die Kammer hat keinen Zweifel, dass ein Hilfsantrag, der Ansprüche enthält, unter Satz 2 der Regel 139 EPÜ fällt.
5.5 Zusammenfassend stand deshalb der Einspruchsabteilung nach Verkündung ihrer fehlerhaften Entscheidung in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit einer Berichtigung unter den Regel 139 oder 140 EPÜ nicht mehr offen. Dies hat sie insoweit korrekt in ihrem Bescheid vom 3. November 2021 nach Eingang der Beschwerde begründet.
5.6 Allerdings hat die Einspruchsabteilung diese Begründung weder zeitnah nach Eingang des Antrags auf Berichtigung vom 10. Mai 2021, noch nach Eingang der Bestätigung durch Einsprechende vom 7. Juni 2021 gegeben.
Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass in einem solchen Fall eine zügige Behandlung des Berichtigungsantrags, und zwar möglichst noch vor oder zumindest gleichzeitig mit dem Erlass der schriftlichen Endentscheidung, geboten ist. Dies ermöglicht es der betroffenen Partei eine Stellungnahme der Einspruchsabteilung zum Verlauf der mündlichen Verhandlung in ihrer Beschwerde zu berücksichtigen. Ob die Verzögerung im vorliegenden Fall einen schwerwiegenden Verfahrensfehler wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin darstellt, kann aber dahingestellt bleiben. Denn ein solcher Fehler wäre nicht ursächlich für die Notwendigkeit der vorliegenden Beschwerde, die bereits durch den nicht mehr im Einspruchsverfahren korrigierbaren ersten Verfahrensfehler gegeben war, siehe oben Punkte 4.2, 5.1.
5.7 Mit der Stattgabe der Beschwerde wird im Ergebnis die gleiche Rechtswirkung erreicht, die mit den Berichtigungsanträgen nach Regel 139 oder 140 EPÜ angestrebt wurde. Die Patentinhaberin macht geltend, dass die Interessen Dritter nicht berührt seien, weil diese zum einen zum Zeitpunkt der Einreichung des Berichtigungsantrags den fraglichen Anspruchssatz nicht zu Gesicht bekommen hätten und zum anderen der Berichtigungsantrag bereits vor Erlass der schriftlichen Entscheidung der Einspruchsabteilung im Europäischen Patentregister verfügbar und der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei.
5.8 Die Kammer ist sich durchaus bewusst, dass eine Berichtigung einer prozessualen Erklärung schon wegen des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Schutzes von Interessen Dritter grundsätzlich unerwünscht ist, siehe insbesondere die Rechtsprechung zur Berichtigung einer Rücknahme der Patentanmeldung, RdBK IV.3.8.3. Im vorliegenden Fall sind die Interessen Dritter jedoch nicht ernsthaft gefährdet. Auch ohne weitere Akteneinsicht konnten Dritte nicht darauf vertrauen, dass der Schutzbereich des Patents nicht mehr über die aufrechterhaltene Fassung hinausgeht. Allein die Entscheidung der Einspruchsabteilung enthält hierfür ausreichende Anhaltspunkte. Weil der Hauptantrag der Patentinhaberin die Zurückweisung des Einspruchs war, hätten Dritte damit rechnen müssen, dass die Patentinhaberin im Beschwerdeverfahren gegebenenfalls auf die erteilte Fassung zurückkommen würde. Ein solcher Beschwerdeantrag wäre ohne weiteres zulässig gewesen.
6. Ergebnis
Da die Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des schriftlich eingereichten Hilfsantrags 1' auf einem schweren Verfahrensfehler beruht, ist sie aufzuheben. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspricht der Billigkeit.
Gegen den mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrag 1 hat die Beschwerdegegnerin im schriftlichen Verfahren keine weiteren Einwände erhoben. Die Kammer vermag auch keine Mängel zu erkennen, die der Aufrechterhaltung des Patents in dessen eingeschränktem Umfang im Wege stünden. Die Beschreibung ist an den geänderten Anspruchssatz angepasst worden. Die Kammer stellt somit fest, dass unter Berücksichtigung der nach dem Hilfsantrag 1 vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen. Infolgedessen kann das Patent in geänderter Fassung gemäß Artikel 101(3)(a) EPÜ aufrechterhalten werden.
Der Termin für die hilfsweise von der Beschwerdeführerin beantragte, für den 29. August 2023 anberaumte mündliche Verhandlung wird aufgehoben, da den höherrangigen Anträgen der Beschwerdeführerin stattgegeben wird.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geänderter Fassung mit folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:
Beschreibung
Absätze 1, 5 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung
Absätze 2 - 4, 6 - 42 der Patentschrift
Ansprüche
Nr. 1 - 14 eingereicht mit Beschwerdebegründung
Zeichnungen
Figuren 1, 2, 3a - 3e, 4a, 4b der Patentschrift
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.