T 1991/21 30-04-2024
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PULVERLACK IN PARTIKULÄRER UND AUSGEHÄRTETER FORM MIT EFFEKTPIGMENTEN SOWIE VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON PULVERLACK MIT EFFEKTPIGMENTEN
Axalta Coating Systems Germany GmbH
TIGER COATINGS GMBH & CO. KG
Änderung des Beschwerdevorbringens - Stand des Verfahrens
Änderung des Beschwerdevorbringens - Komplexität der Änderung
Neuheit
Erfinderische Tätigkeit
Klarheit
I. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Beschwerden der Patentinhaberin und beider Einsprechenden gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung (angefochtene Entscheidung), dass das europäische Patent Nr. 3 094 691 (Patent) in geänderter Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.
Da jede der Parteien zugleich Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin ist, werden sie im Folgenden der Einfachheit halber weiterhin als Patentinhaberin bzw. Einsprechende bezeichnet.
II. Die folgenden vor der Einspruchsabteilung eingereichten Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D3 WO 2010/103019 A1
D4 US 2009/0264575 A1
D14 WO 2005/063897 A2
III. Gemäß der angefochtenen Entscheidung war der in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichte Hilfsantrag 2 gewährbar.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Patentinhaberin einen Anspruchssatz eines Hauptantrags ein.
V. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin Anspruchssätze der Hilfsanträge 4', 5' und 6 ein.
VI. In Vorbereitung der auf Antrag der Parteien anberaumten mündlichen Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK.
VII. Die mündliche Verhandlung fand am 30. April 2024 in Anwesenheit aller Parteien als Videokonferenz statt. Im Laufe der mündlichen Verhandlung entschied die Kammer
- das Vorbringen der Patentinhaberin, dass der Masterbatch der D14 kein Pulverlack sei, nicht zuzulassen
und
- die Hilfsanträge 4', 5' und 6 zuzulassen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende den Tenor der vorliegenden Entscheidung.
VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Anträge der Parteien am Ende der mündlichen Verhandlung lauteten wie folgt.
Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Basis der Ansprüche des Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdebegründung. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis eines der folgenden Anspruchssätze:
- Hilfsantrag 2 auf dem die angefochtene Entscheidung basiert, entsprechend der Zurückweisung der Beschwerden der Einsprechenden,
- Hilfsantrag 4', 5' oder 6, jeweils eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.
Beide Einsprechenden beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im gesamten Umfang.
IX. Zusammenfassungen des für die vorliegende Entscheidung relevanten Parteivorbringens sowie wesentlicher Aspekte der angefochtenen Entscheidung finden sich in den Entscheidungsgründen.
Hauptantrag - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
1. Anspruch 8 hat folgenden Wortlaut (mit aufgenommen ist die von den Parteien verwendete Merkmalsgliederung B1 bis B6):
"(B1) Verfahren zur Herstellung von Pulverlack mit
Effektpigmenten (1), insbesondere nach einem
der Ansprüche 1 bis 6,
(B2) wobei die Effektpigmente ausgewählt sind aus
der Liste umfassend Metalleffektpigmente,
Perlglanzpigmente oder Interferenzpigmente,
Leuchtpigmente, Edelstahlpigmente,
Kupferpigmente, Goldbronzepigmente,
Glasflakes, Glashohlkugeln,
Aluminiumpigmente,
(B3) wobei mittels eines Extruders (10) eine
homogene thermoplastische Lackmasse aus den
Ausgangsstoffen, insbesondere umfassend
Bindemittel, Additive, Farbmittel und/oder
Füllstoffe, hergestellt wird
(B4) und die Lackmasse nach dem Verlassen des
Extruders (10) vermahlen wird,
(B5) dadurch gekennzeichnet, dass die
Effektpigmente (1) in einem Endbereich des
Extruders (10) zugegeben und in der viskosen
Lackmasse dispergiert werden und
(B6) wobei die Effektpigmente (1) gravimetrisch
oder volumetrisch dosiert zugegeben werden."
Da der Rückbezug auf den Pulverlack nach einem der Ansprüche 1 bis 6 in Merkmal B1 nur fakultativ ist, sind die Merkmale dieses Pulverlacks für die Beurteilung der Patentierbarkeit des Gegenstands von Anspruch 8 nicht relevant.
2. Beide Einsprechenden trugen Neuheitseinwände gegen Anspruch 8 basierend auf D3 vor.
3. D3 (Anspruch 1) offenbart ein Verfahren zur Herstellung eines Pulverlacks (vgl. Merkmal B1). Bei diesem Verfahren wird ein Premix, der ein Harz umfasst, einem Schmelzextruder zugeführt (vgl. Merkmal B3). Das extrudierte Material wird gekühlt und anschließend zu feinen Partikeln zerkleinert (vgl. Merkmal B4). Gekennzeichnet ist dieses Verfahren dadurch, dass 1 bis 25 Gew.-% (bezogen auf das Gewicht des Premix) einer Suspension eines partikelförmigen Materials in Wasser dem Schmelzextruder zugegeben werden. Dabei ist das Wasser mit mindestens dem Harz des Premix nicht mischbar und wird innerhalb des Schmelzextruders als überhitzte, unter Druck stehende Flüssigkeit gehalten. Das Wasser verdampft erst, wenn der Premix den Extruder verlässt. Dabei verbleibt das partikelförmige Material innerhalb des extrudierten Materials. Bei dem partikulären Material kann es sich um Aluminiumflakes handeln (D3, Anspruch 10; vgl. Merkmal B2).
4. Wie auch schon in der angefochtenen Entscheidung festgestellt (Seite 8, Absatz 3), offenbart somit D3 die Merkmale B1 bis B4 von Anspruch 8. Insbesondere sind die in D3 offenbarten Aluminiumflakes Effektpigmente im Sinne von Anspruch 8. Ferner stellt der in D3 offenbarte und ein Harz enthaltende Premix, wenn er im Extruder vorwärts bewegt wird, eine viskose Lackmasse im Sinne von Anspruch 8 dar.
Dass D3 die Merkmale B1 bis B4 von Anspruch 8 offenbart, wurde im Übrigen auch nie von der Patentinhaberin bestritten. Sie vertrat vielmehr die Ansicht, dass D3 die Merkmale B5 und B6 nicht offenbare. Die Kammer hält dies aus den folgenden Gründen nicht für überzeugend.
5. Das Merkmal B5 sieht vor, dass die Effektpigmente (i) in einem Endbereich des Extruders zugegeben und (ii) in der viskosen Lackmasse dispergiert werden.
5.1 B5(i) Zugabe der Effektpigmente in einem Endbereich des Extruders
5.1.1 D3 (Seite 5, Absatz 2) offenbart nicht nur in allgemeiner Art und Weise die Zugabe der Suspension des partikulären Materials in Wasser an einem oder mehreren Punkten entlang des Extruders, wie von der Patentinhaberin betont. D3 offenbart in Abbildung 1 darüber hinaus die Durchführung des Verfahrens wie folgt (in der einzigen weiteren Abbildung 2 ist eine bezüglich der folgenden Diskussion gleichwertige Ausführungsform dargestellt):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Der Premix wird durch einen Einlass (12) dem Extruder (10) zugeführt. Das Extrudat verlässt den Extruder (10) an einer Austrittsöffnung (16). Die Zugabe der Suspension des partikulären Materials in Wasser erfolgt an einem weiteren Einlass (14), wobei die Strecke s den Abstand des Einlasses (14) bis zur Austrittsöffnung (16) bezeichnet. Zwischen dem Einlass (12) und der Austrittsöffnung (16) durchläuft das zu extrudierende Material nacheinander verschiedene Zonen (11a, 11b, 11c, 11d).
Wie von den Einsprechenden vorgebracht, offenbart D3 somit unmittelbar und eindeutig die Zugabe der Suspension des partikulären Materials in Wasser in einem Endbereich des sich vom Einlass (12) bis zur Austrittsöffnung (16) erstreckenden Extruders (10).
5.1.2 An dieser Schlussfolgerung ändert sich auch dann nichts, wenn man zugunsten der Patentinhaberin davon ausgeht, der anspruchsgemäße Begriff "Endbereich" bedürfe einer Auslegung basierend auf Absatz [0023] des Patents. Dieser Absatz definiert den Endbereich folgendermaßen (Hervorhebung hinzugefügt):
"Dabei wird unter einem Endbereich des Extruders derjenige Bereich verstanden, welcher sich in unmittelbarer Nähe zur Austrittsöffnung des Extruders befindet und eine Effektpigmentzudo-sierung noch ermöglicht. Der Abstand zwischen Effektpigmentzudosierung und der Düsenaustrittsöf-fnung kann, gemessen an der Gesamtlänge der Extruderwelle kleiner oder gleich der Hälfte, insbesondere kleiner oder gleich einem Drittel, bevorzugt kleiner oder gleich einem Viertel der Gesamtlänge betragen."
Dem Argument der Patentinhaberin nach sei entgegen dieser Definition der in Abbildung 1 von D3 gezeigte Einlass (14) nicht in unmittelbarer Nähe zur Austrittsöffnung (16) des Extruders (10) angeordnet (vgl. erster Satz im obigen Zitat). Die Zugabe des Effektpigments erfolge mithin nicht in einem Endbereich des Extruders und das Merkmal B5 sei nicht in D3 offenbart.
Selbst wenn man zugunsten der Patentinhaberin davon ausgeht, dass die Beschreibung zur Auslegung des Begriffs "Endbereich" herangezogen werden kann, darf diese Auslegung jedoch nicht ausschließlich basierend auf dem ersten Satz im obigen Zitat erfolgen. Denn der darin eingeführte Begriff "in unmittelbarer Nähe" wird im darauffolgenden Satz präzisiert. In seiner bevorzugtesten Ausgestaltung mag er einem sehr geringen Abstand zwischen Effektpigmentzudosierung und Austrittsöffnung entsprechen. Wie von den Einsprechenden vorgetragen, stellt obige Definition aber ebenso klar, dass dieser Abstand auch kleiner oder gleich der Hälfte der Gesamtlänge der Extruderwelle sein kann, um noch als Endbereich im Sinne des Patents zu gelten. Diese Maßgabe ist in D3 erfüllt, wie aus der oben gezeigten Abbildung 1 ersichtlich ist.
5.2 B5(ii) Dispergierung der Effektpigmente in der viskosen Lackmasse
Die Dispergierung der Effektpigmente in der viskosen Lackmasse ist wortsinngemäß gleichbedeutend mit der Verteilung der Effektpigmente in der viskosen Lackmasse. Wie in der angefochtenen Entscheidung (Seite 8, Absatz 2) und von den Einsprechenden herausgestellt, wird jedoch genau dies in D3 offenbart (D3, Seite 6, Absatz 3: "Under these conditions, the particulate material borne by aqueous phase can become highly distributed - even at the nanoscale - throughout the molten resin."; Übersetzung durch die Kammer: "Unter diesen Bedingungen kann sich das von der wässrigen Phase getragene partikuläre Material in der gesamten Harzschmelze stark verteilen - sogar im Nanomaßstab.", Hervorhebung hinzugefügt).
Dass das partikuläre Material im Extruder in Wasser suspendiert vorliegt und somit unter Umständen nicht in unmittelbaren Kontakt mit der Harzschmelze kommt, wie von der Patentinhaberin herausgestellt, steht dieser Schlussfolgerung nicht entgegen. Denn der Wortlaut von Anspruch 8 ist nicht auf einen derartigen unmittelbaren Kontakt bei der Dispergierung beschränkt.
6. Das Merkmal B6 sieht vor, dass die Effektpigmente gravimetrisch oder volumetrisch dosiert zugegeben werden.
Laut der angefochtenen Entscheidung (Seite 8, Absatz 3), der der Kammer diesbezüglich zustimmt, ist dieses Merkmal schon in Anspruch 1 von D3 offenbart. Wie oben schon ausgeführt, sieht dieser Anspruch die Zugabe einer bestimmten Menge des in Wasser suspendierten partikulären Materials vor, ausgedrückt in Gew.-% in Bezug auf das Gewicht des Premix. Die Zugabe muss also zwangsweise das Gewicht der Suspension und damit auch das Gewicht des partikulären Materials berücksichtigen, mit anderen Worten erfolgt die Zugabe zwangsweise gravimetrisch.
Selbst wenn D3 im Hinblick auf die Zugabe des in Wasser suspendierten partikulären Materials die Druckverhältnisse im Extruder als wesentlich herausstellt, wie von der Patentinhaberin in Bezug auf die angefochtene Entscheidung betont, so schließt dies eine auch gravimetrische Zugabe mitnichten aus. Dieses Argument steht somit obiger Schlussfolgerung nicht entgegen.
Ganz unabhängig davon merkt die Kammer an, dass zumindest eine kontrollierte Zugabe einer Substanz zu einer anderen - wie sie in D3 unstrittiger Weise vorliegt - zwangsweise gravimetrisch und volumetrisch erfolgt, denn die Qualifikation der Zugabe einer Substanz in dieser Hinsicht besteht lediglich auf gedanklicher Ebene (vgl. dazu T 2191/13, Punkte 12.3 und 12.4 der Entscheidungsgründe).
7. Zusammengefasst ist somit der Gegenstand von Anspruch 8 nicht neu gegenüber D3. Zum gleichen Schluss gelangte auch die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung. Der Hauptantrag ist nicht gewährbar.
Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
8. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut (mit aufgenommen ist die von den Parteien verwendete Merkmalsgliederung A1 bis A6):
"(A1) Pulverlack in partikulärer Form
(A2) umfassend eine filmbildende Lackmatrix,
(A3) wobei die Lackmatrix die zusammenvermischten
Ausgangsstoffe des Pulverlacks ausgenommen
Effektpigmente ist,
(A4) und Effektpigmente (1), wobei die
Effektpigmente ausgewählt sind aus der Liste
umfassend Metalleffektpigmente,
Perlglanzpigmente oder Interferenzpigmente,
Leuchtpigmente, Edelstahlpigmente,
Kupferpigmente, Goldbronzepigmente,
Glasflakes, Glashohlkugeln,
Aluminiumpigmente,
(A5) wobei die Effektpigmente (1) wenigstens zu
50%, insbesondere wenigstens zu 75%,
bevorzugt wenigstens zu 90% mit der
filmbildenden Lackmatrix benetzt und umhüllt
sind,
(A6) wobei die Grösse der Effektpigmente (1) einer
Normalverteilung mit einem Mittelwert und
einer Standardabweichung kleiner oder gleich
50%, insbesondere kleiner oder gleich 30%,
bevorzugt kleiner oder gleich 10%, des
Mittelwerts entspricht."
Das Merkmal A6 wird in der Folge der Einfachheit halber als Größenverteilung der Effektpigmente bezeichnet.
9. Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 verwies die Einsprechende 1 in ihrer Beschwerdebegründung unter anderem auf Beispiel 10 von D14. Entsprechend erfolgte die Diskussion der erfinderischen Tätigkeit des Hilfsantrags 2 in der mündlichen Verhandlung ausgehend von Beispiel 10 von D14.
10. D14 offenbart mit Bindemitteln vollständig beschichtete Metalleffektpigmente, die in Form eines Pulvers vorliegen und welche beispielsweise in einem Pulverlack eingesetzt werden können (Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, erster Absatz; Seite 6, Absätze 4 und 5; Seite 7, Absatz 4; Seite 8, Absatz 3). In Beispiel 10 wird eine Lösung eines Bindemittels in Aceton mit dem kommerziell erhältlichen Pigment Aloxal 3010 versetzt. Die erhaltene Suspension wird sprühgetrocknet und ein mit dem Bindemittel vollständig beschichtetes Pigment erhalten.
11. In ihrer Beschwerdeerwiderung (Ziffern 24, 36, 37, 50, 51 und 56 bis 61) nahm die Patentinhaberin nur Stellung zu Einwänden beider Einsprechenden basierend auf der allgemeinen Offenbarung von D14 und des nach Ansicht aller Parteien dazu äquivalenten US-Dokuments D4. Diesbezüglich stellte die Patentinhaberin lediglich das Merkmal A6 (Größenverteilung der Effektpigmente) als Unterscheidungsmerkmal heraus.
Die Einwände der Einsprechenden 1 basierend auf Beispiel 10 der D14 wurden von der Patentinhaberin bis zur mündlichen Verhandlung hingegen nicht adressiert.
12. Zum ersten Mal in der mündlichen Verhandlung führte die Patentinhaberin aus, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem in Beispiel 10 von D14 hergestellten Pigment neben der Größenverteilung der Effektpigmente (Merkmal A6) auch durch das Merkmal A1 (Pulverlack in partikulärer Form) unterscheide. Dies begründete sie damit, dass das Pigment von Beispiel 10 für sich alleine genommen nur ein Masterbatch sei. Da ein Masterbatch erst noch zu einem Pulverlack weiterverarbeitet werden müsse, sei zu folgern, dass er sich nicht für die Verwendung als Pulverlack eigne. Ein Masterbatch wie das Pigment von Beispiel 10 alleine sei deshalb kein Pulverlack im Sinne von Merkmal A1 von Anspruch 1.
12.1 Die Tatsachenbehauptung, dass ein Masterbatch, wie beispielsweise der von Beispiel 10 von D14, kein Pulverlack sei und - damit gleichbedeutend - das Herausstellen von Merkmal A1 als Unterscheidungsmerkmal gegenüber D14 stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin dar, deren Zulassung im Ermessen der Kammer liegt.
12.2 Die Beurteilung dieser Tatsachenbehauptung wirft jedoch komplexe Fragen auf. Denn entgegen der Behauptung der Patentinhaberin kann die Eignung eines Masterbatches zur Verwendung als Pulverlack nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. Der Grund dafür ist, dass - wie von den Einsprechenden vorgetragen - die zur Umhüllung der Effektpigmente eingesetzten Bindemittel gemäß D14 (Seite 6, Absatz 4) vorteilhafterweise die gleichen sind, die in einem Pulverlack als Bindemittel eingesetzt werden.
Erschwerend kommt vorliegend hinzu, dass die Änderung des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin erst zum spätestmöglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren erfolgte, nämlich in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Dies ist im vorliegenden Fall schon alleine deswegen nicht entschuldbar, weil die Einsprechende 1 bereits in ihrer Beschwerdebegründung vorgetragen hatte (Seite 8, Punkt 4.1.1), dass der Gegenstand von Anspruch 1 durch das in Beispiel 10 der D14 hergestellte Pigment neuheitsschädlich vorweggenommen sei oder diesem Beispiel gegenüber zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Dieser Neuheitseinwand impliziert, dass sich das in Beispiel 10 hergestellte Pigment für sich alleine genommen zur Verwendung als Pulverlack eignet. Somit hätte das Tatsachenvorbringen der Patentinhaberin, dass ein Masterbatch (wie das Pigment von Beispiel 10 von D14) kein Pulverlack ist, bereits in Reaktion auf die Beschwerdebegründung der Einsprechenden 1 erfolgen müssen.
Auf Antrag der Einsprechenden 2 entschied die Kammer daher in der mündlichen Verhandlung, das Vorbringen der Patentinhaberin nicht zuzulassen, dass ein Masterbatch (wie das Pigment von Beispiel 10 von D14) kein Pulverlack ist (Artikel 13 (1) VOBK).
13. Somit muss bei der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit davon ausgegangen werden, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 hinsichtlich des Merkmals A1 nicht von D14 (Beispiel 10) unterscheidet.
14. Daraus folgt, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 lediglich hinsichtlich des Merkmals A6 von D14 (Beispiel 10) unterscheidet.
15. Bezüglich eines mit dem Unterscheidungsmerkmal A6 verbundenen technischen Effekts verwies die Patentinhaberin auf Absatz [0015] des Patents. Dort wird ausgeführt, dass durch die anspruchsgemäße Größenverteilung der Effektpigmente sichergestellt werden kann, dass der gewünschte Effekteindruck auf einer beschichteten Fläche möglichst gleichmäßig zum Ausdruck kommt.
Die Einspruchsabteilung war diesem Vorbringen gefolgt und erkannte in der Folge die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 an.
Dieser vermeintliche Effekt wird jedoch, wie von der Einsprechenden 2 herausgestellt, im Patent nicht belegt. Er kann somit nicht für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden.
16. Wie in der mündlichen Verhandlung diskutiert, kann die objektive technische Aufgabe mithin lediglich in der Bereitstellung eines alternativen Pulverlacks in partikulärer Form gesehen werden.
17. Ohne einen mit der anspruchsgemäßen Größenverteilung der Effektpigmente verbundenen technischen Effekt ist diese jedoch willkürlich ausgewählt. Solch eine willkürliche Auswahl beruht vorliegend schon alleine deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil Effektpigmente mit einer anspruchsgemäßen Größenverteilung kommerziell erhältlich sind. Dies war zwischen den Parteien unstrittig. Der Fachmann hätte lediglich das in Beispiel 10 von D14 eingesetzte gegen ein solches kommerziell erhältliches Effektpigment austauschen müssen. Da die Herstellung des Pigments von Beispiel 10 durch eine schonende Sprühtrocknung erfolgt, ist nicht ersichtlich, weshalb die Größenverteilung des Effektpigments nach der Beschichtung anders sein sollte als vor der Beschichtung. Dass im Zuge der Sprühtrocknung eine Veränderung der Größenverteilung des Effektpigments erfolgen würde, wurde im Übrigen von der Patentinhaberin auch nicht vorgetragen. Somit ist davon auszugehen, dass die Größenverteilung des besagten kommerziell erhältlichen Effektpigments sowohl vor als auch nach der Beschichtung anspruchsgemäß ist. Der Fachmann wäre so zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen.
18. Die Patentinhaberin trug in diesem Zusammenhang vor, dass der Masterbatch von Beispiel 10 von D14 erst noch zu einem Pulverlack verarbeitet werden müsse. Im Zuge der Herstellung des Pulverlacks werde das beschichtete Effektpigment sowohl einer Extrusion als auch einer Vermahlung unterzogen. Die durch diese Prozesse bedingte Veränderung der Größenverteilung der Effektpigmente sei nicht abzuschätzen/vorhersehbar, so dass der Fachmann eben nicht in naheliegender Weise zu einem Pulverlack mit der anspruchsgemäßen Größenverteilung der Effektpigmente gekommen wäre.
Dieses Argument impliziert jedoch, dass sich der Masterbatch von Beispiel 10 von D14 nicht zur Verwendung als Pulverlack eignet, dass also ein Masterbatch kein Pulverlack ist. Dieses Vorbringen hat die Kammer jedoch wie oben ausgeführt nicht zugelassen. Ohne dieses Vorbringen vermag das darauf gestützte Argument der Patentinhaberin nicht zu überzeugen.
19. Zusammengefasst ist Hilfsantrag 2 daher nicht gewährbar.
Hilfsanträge 4', 5' und 6 - Zulassung
20. In der mündlichen Verhandlung entschied die Kammer, die Hilfsanträge 4', 5' und 6 zuzulassen. Im Hinblick auf die Endentscheidung, d. h. den Widerruf des Patents, sind die Einsprechenden durch die Zulassung dieser Hilfsanträge letztlich nicht beschwert. Eine Begründung für die Zulassung dieser Hilfsanträge ist daher entbehrlich.
Hilfsantrag 4' - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
21. Anspruch 1 von Hilfsantrag 4' hat folgenden Wortlaut:
"(B1)/ Verfahren zur Herstellung von partikulärem
(A1) Pulverlack,
(A2) umfassend eine filmbildende Lackmatrix,
(A3) wobei die Lackmatrix die
zusammenvermischten Ausgangsstoffe des
Pulverlacks ausgenommen Effektpigmente ist,
und Effektpigmente (1),
(A5) wobei die Effektpigmente (1) wenigstens zu
50%, insbesondere wenigstens zu 75%,
bevorzugt wenigstens zu 90% mit der
filmbildenden Lackmatrix benetzt und
umhüllt sind,
(A6) wobei die Grösse der Effektpigmente (1)
einer Normalverteilung mit einem Mittelwert
und einer Standardabweichung kleiner oder
gleich 50%, insbesondere kleiner oder
gleich 30%, bevorzugt kleiner oder gleich
10%, des Mittelwerts entspricht,
(B2)/ wobei die Effektpigmente ausgewählt sind
(A4) aus der Liste umfassend Metalleffekt-
pigmente, Perlglanzpigmente oder Inter-
ferenzpigmente, Leuchtpigmente, Edelstahl-
pigmente, Kupferpigmente, Goldbronzepig-
mente, Glasflakes, Glashohlkugeln,
Aluminiumpigmente,
(B3) wobei mittels eines Extruders (10) eine
homogene thermoplastische Lackmasse aus den
Ausgangsstoffen, insbesondere umfassend
Bindemittel, Additive, Farbmittel und/oder
Füllstoffe, hergestellt wird
(B4) und die Lackmasse nach dem Verlassen des
Extruders (10) vermahlen wird,
(B5) dadurch gekennzeichnet, dass die Effekt-
pigmente (1) in einem Endbereich des
Extruders (10) zugegeben und in der
viskosen Lackmasse dispergiert werden und
(B6) wobei die Effektpigmente (1) gravimetrisch
oder volumetrisch dosiert zugegeben werden,
(B7) wobei die Effektpigmente (1) unter Schutz-
gas, insbesondere unter Stickstoff, zuge-
geben werden."
Neben den Merkmalen B1 bis B6 von Anspruch 8 des Hauptantrags und den Merkmalen A1 bis A6 von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, welche zur leichteren Bezugnahme oben nochmals wiedergegeben sind, weist Anspruch 1 von Hilfsantrag 4' das zusätzliche Merkmal B7 auf, wonach die Effektpigmente unter Schutzgas zugegeben werden.
22. Die Einsprechenden trugen einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D3 vor. Die Offenbarung von D3 wurde oben schon umrissen.
23. Unterscheidungsmerkmale
23.1 Es bestand Einigkeit zwischen den Parteien darüber, dass D3 die Merkmale B1/A1, A2, A3, A5, B2/A4, B3 und B4 offenbart.
Uneinigkeit bestand nur hinsichtlich der Offenbarung der Merkmale A6, B5, B6 und B7.
23.2 Soweit es die Merkmale B5 und B6 betrifft, kann auf die Diskussion von Anspruch 8 des Hauptantrags verwiesen werden. Die Merkmale B5 und B6 sind in D3 offenbart.
23.3 Mithin unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 4' von D3 nur hinsichtlich der Merkmale A6 (Größenverteilung der Effektpigmente) und B7 (Zugabe der Effektpigmente unter Schutzgas).
23.4 In Bezug auf das Merkmal B7 vertrat die Patentinhaberin die Ansicht, dass die Zugabe unter Schutzgas einen weiteren Unterschied gegenüber D3 impliziere, nämlich die Zugabe der Effektpigmente in Pulverform. Eine Zugabe der Effektpigmente in Form einer Suspension, wie in D3 offenbart, sei von Merkmal B7 hingegen nicht umfasst. Bei einer Suspension seien die Effektpigmente schon von einer kontinuierlichen Phase umgeben, und eine Zugabe unter Schutzgas ergebe sprachlogisch keinen Sinn.
Im vorliegenden Fall sieht die Kammer jedoch in Übereinstimmung mit den Einsprechenden keinen Anlass, das Merkmal B7 in der von der Patentinhaberin vorgeschlagenen Weise eng auszulegen. Denn der Wortlaut des Merkmals B7 ist in dieser Hinsicht nicht eingeschränkt und umfasst durchaus auch die Zugabe der Effektpigmente in Form einer Suspension unter Schutzgas. Es ist für die Kammer auch nicht ersichtlich, und die Patentinhaberin hat hierzu nichts vorgetragen, weshalb die Zugabe einer Suspension von Effektpigmenten technisch unter Schutzgas unmöglich sein sollte und daher von der Fachperson als vom Wortlaut des Anspruchs 1 ausgeschlossen verstanden werden würde.
Da die Kammer dem Vorbringen der Patentinhaberin, das Merkmal B7 impliziere neben der Zugabe unter Schutzgas den zusätzliche Unterschied der Zugabe der Effektpigmente in Pulverform, nicht folgt, erübrigte sich in der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung über die Zulassung dieses Vorbringens.
24. Technische Effekte
24.1 Unterscheidungsmerkmal A6
Wie oben schon ausgeführt, hat die Patentinhaberin keinen Beleg dafür erbracht, dass das Unterscheidungsmerkmal A6 mit einem technischen Effekt verbunden ist, sei es der in Absatz [0015] vom Patent genannte Effekt oder ein anderer.
24.2 Unterscheidungsmerkmal B7
24.2.1 In Bezug auf das Unterscheidungsmerkmal B7 berief sich die Patentinhaberin auf zwei Effekte.
a) Die Zugabe der wässrigen Effektpigmentsuspension im Verfahren der D3 habe den Nachteil, dass das in der Pulverlackmasse eingeschlossene Wasser beim Verlassen des Extruders schlagartig verdampfe. Dies habe ein Zerreißen des Extrudats zur Folge. Dies sei nachteilig. Die korrekte Auslegung des Merkmals B7 impliziere die Zugabe der Effektpigmente in Pulverform. Die Verwendung von pulverförmigem Effektpigment habe den Vorteil, dass beim Verlassen des Extruders keine Flüssigkeit schlagartig aus dem Extrudat verdampfe. Mithin werde das Extrudat auch nicht zerrissen.
b) In Absatz [0025] des Patents werde ausgeführt, dass die Zugabe unter Schutzgas das Explosionsrisiko vermindere. Dies gewährleiste einen sicheren, kontinuierlichen Betrieb.
24.2.2 Der von der Patentinhaberin oben unter a) geltend gemachte technische Effekt - das fehlende Zerreißen des Extrudats beim Verlassen des Extruders - wird darauf zurückgeführt, dass das anspruchsgemäße Verfahren im Vergleich zu dem in D3 offenbarten Verfahren einen zusätzlichen Unterschied impliziert, nämlich die Zugabe der Effektpigmente in Pulverform. Wie oben jedoch schon ausgeführt, akzeptiert die Kammer diesen zusätzlichen Unterschied nicht. Mithin kann auch dieser vermeintlich gegenüber D3 auftretende technische Effekt nicht geltend gemacht werden.
24.2.3 Der oben unter b) geltend gemachte technische Effekt (d. h. die Verminderung des Explosionsrisikos durch die Zugabe der Effektpigmente unter Schutzgas) wird in der Folge zugunsten der Patentinhaberin akzeptiert.
25. Objektive technische Aufgabe
Basierend auf dem vorhergehenden Punkt kann die objektive technische Aufgabe in der Reduktion des Explosionsrisikos des Verfahrens der D3 gesehen werden.
26. Naheliegen
Die Einsprechenden trugen vor, und die Kammer stimmt dem nicht zuletzt aus ihrer eigenen praktischen Erfahrung zu, dass das mit einem Verfahrensschritt verbundene Explosionsrisiko nach allgemeinem Fachwissen dadurch vermindert werden kann, dass der Verfahrensschritt unter Schutzgas durchgeführt wird. Vor diesem Hintergrund würde der Fachmann daher die Zugabe der wässrigen Effektpigmentsuspension in D3 unter Schutzgas durchführen, um das Explosionsrisiko zu reduzieren (vgl. Merkmal B7).
Ohne einen mit der anspruchsgemäßen Größenverteilung der Effektpigmente verbundenen technischen Effekt, ist diese willkürlich ausgewählt und kann ebenso keine erfinderische Tätigkeit begründen. Wie oben schon erläutert, sind Effektpigmente mit einer anspruchsgemäßen Größenverteilung kommerziell erhältlich. Ein solches bei dem Verfahren der D3 einzusetzen und dieses so durchzuführen, dass sich die Größenverteilung des Effektpigments wenn überhaupt nur geringfügig ändert und damit immer noch im anspruchsgemäßen Bereich bleibt, bedarf keiner erfinderischen Tätigkeit. Im Verfahren der D3 wird das Effektpigment im Endbereich des Extruders zugegeben. Laut Patent (Absatz [0023]) ist es genau dieses Vorgehen, welches eine Beschädigung des Effektpigments bei der Extrusion ganz oder zumindest weitestgehend verhindert und damit auch eine nennenswerte Veränderung der Größenverteilung. Ebenso weiß der Fachmann, wie von der Patentinhaberin in Bezug auf das patentgemäße Verfahren selbst vorgetragen (Beschwerdeerwiderung, Ziffer 17), wie die sich anschließende Vermahlung des Extrudats zum eigentlichen partikulären Pulverlack durchgeführt werden muss, um eine nennenswerte Veränderung der Größenverteilung zu verhindern (vgl. Merkmal A6).
27. Zusammengefasst ist daher Hilfsantrag 4' nicht gewährbar.
Hilfsanträge 5' und 6 - Klarheit (Artikel 84 EPÜ)
28. Anspruch 1 der Hilfsanträge 5' und 6 weist im Vergleich zu Anspruch 1 von Hilfsantrag 4' das folgende zusätzliche Merkmal auf:
"wobei die Effektpigmentzudosierung in einer Homogenisierungszone des Extruders (10) erfolgt, wo der Dispergierprozess der geschmolzenen Pulverlackmasse vollständig abgeschlossen ist"
Da dieses Merkmal nicht in den erteilten Ansprüchen enthalten ist, ist Anspruch 1 der Hilfsanträge 5' und 6, zumindest soweit es dieses Merkmal betrifft, einer Überprüfung hinsichtlich Artikel 84 EPÜ zugänglich (G 3/14, ABl. EPA, 2015, A102).
29. Wie von den Einsprechenden vorgetragen, führt dieses zusätzliche Merkmal zu einer Unklarheit. Denn es ist nicht ersichtlich, wie genau bestimmt werden soll, ob der Dispergierprozess der geschmolzenen Pulverlackmasse in der Homogenisierungszone vollständig abgeschlossen ist oder nicht.
Die bloßen Behauptungen der Patentinhaberin, der Fachmann wisse, wie er vorzugehen habe, um festzustellen, ob der Dispergierprozess abgeschlossen sei, oder dass er anhand der Schneckenkonfiguration des Extruders erkennen könne, wann dies der Fall sei, sind ohne entsprechende Belege nicht überzeugend.
30. Die Hilfsanträge 5' und 6 sind daher nicht gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.