T 0026/81 (Behälter) 28-10-1981
Download und weitere Informationen:
Verstoß gegen die für den Inhalt der Beschreibung geltenden Regeln
Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung
Beschreibung und technische Aufgabe
Erfindung löst mehr als eine Aufgabe
Einheitlichkeit der Erfindung
Technische Aufgabe und erfinderische Tätigkeit
I. Die Anmeldung wurde am 1. August 1978 eingereicht. Die Prüfungsabteilung wies sie durch Entscheidung vom 16. März 1981 zurück. Der Entscheidung lagen der am 11. August 1980 eingereichte geänderte Anspruch 1, die am 17. November 1979 eingereichten geänderten Ansprüche 2 bis 12, die am selben Tag eingereichte geänderte Beschreibung, die am 1. August 1978 eingereichten Zeichnungen und die am 17. November 1979 eingereichten geänderten Zeichnungen zugrunde. Anspruch 1 bezieht sich auf einen durch einen Deckel verschließbaren Behälter. Die beanspruchte Erfindung ist durch die geometrische Struktur des Behälters gekennzeichnet.
Der unabhängige Anspruch 9 bezieht sich auf ein Verfahren zur Herstellung eines Behälters nach Anspruch 1. Der unabhängige Anspruch 11 bezieht sich auf einen Kern, der bei dem Verfahren verwendet wird.
II. In ihrer Entscheidung stellte die Prüfungsabteilung fest, daß die in der Beschreibung dargelegte technische Aufgabe nur die Herstellung von Behältern durch Formen um einen Kern umfasse. Für solche Behälter sei also das Erfordernis der Regel 27 (1) d) EPÜ erfüllt, daß in der Beschreibung die Erfindung so darzustellen sei, "daß danach die technische Aufgabe... und deren Lösung verstanden werden können". Für Behälter, die nicht um einen Kern geformt würden, für die aber durch Anspruch 1 ebenfalls Schutz begehrt werde, sei jedoch keine technische Aufgabe in der Beschreibung genannt oder aus ihr abzuleiten. Für solche Behälter seien die Erfordernisse des Artikels 84 (Stützung der Ansprüche durch die Beschreibung) und der Regel 27 (1) d) EPÜ nicht erfüllt.
III. Die Frage, ob Regel 27 (1) d) die Ausführungsbestimmung zu Artikel 84 sei und ob die Kriterien des Artikels 52 erfüllt seien, erachtete die Prüfungsabteilung als für die Entscheidung unerheblich.
IV. Am 27. April legte die Anmelderin Beschwerde gegen die Entscheidung ein. Die Beschwerdeschrift und die Begründung gingen rechtzeitig ein, die Beschwerdegebühr wurde ordnungsgemäß entrichtet. Die Entscheidung wird angefochten, soweit sie die Ansprüche 1 bis 12 betrifft; es wird beantragt, auf die Anmeldung aufgrund der vorliegenden Ansprüche 1 bis 12 ein Patent in vollem Umfang zu erteilen (Begründung der Beschwerde, Seite 9). Die Anmelderin hat Änderungen zur Beschreibung vorgelegt (Seite 1 und 1a) und beantragt, die Beschwerde auf der Grundlage dieser Änderungen zu behandeln.
V. Die Anmelderin macht geltend, daß in der Beschreibung zwei voneinander unabhängige Aufgaben gestellt werden, nämlich erstens einen stapelfähigen Behälter und zweitens eine vereinfachte Formtechnik zu entwickeln. Die erste Aufgabe werde durch das in Anspruch 1 definierte Konzept einer besonderen geometrischen Anordnung gelöst, das in einem Bescheid der Prüfungsabteilung vom 10. Januar 1980 als neu und erfinderisch beurteilt worden sei.
VI. Die Anmelderin bringt ferner die im folgenden kurz zusammengefaßten Argumente vor:
Die Patentierbarkeit des Gegenstands von Anspruch 1 hänge nicht von dem spezifischen Herstellungsverfahren ab. Die Struktur des Behälters sei erfinderisch, da sie es ermögliche, die Behälter Wand an Wand zu stapeln und durch ein neues Verfahren herzustellen. Da alle Erfordernisse des Artikels 52 EPÜ erfüllt seien, müsse ein Patent erteilt werden.
Anspruch 1 sei nicht spekulativ, da er in vollem Umfang durch die Beschreibung gestützt werde und alle offensichtlichen Abwandlungen einschließe, so z. B. Behälter, die durch die übliche Blasformtechnik hergestellt würden. Damit entspreche die Anmeldung den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ.
Auch das Erfordernis der Regel 27 (1) d), das nicht als zwingend vorgeschrieben anzusehen sei, sei erfüllt. Regel 27 (1) d) verlange nicht, daß eine technische Aufgabe ausdrücklich genannt werden müsse; auch müsse sich der Umfang der technischen Aufgabe nicht mit dem der beanspruchten Erfindung decken. Die erste technische Aufgabe, die dadurch gelöst werde, daß die Behälter aufgrund ihrer besonderen Struktur Wand an Wand gestapelt werden könnten, sei klar und deutlich in der Beschreibung angeführt. Doch selbst wenn die erste und die zweite Aufgabe als eine einzige Aufgabe angesehen würden, stelle der Behälter mit den Merkmalen von Anspruch 1 eine Lösung dieser Aufgabe dar.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ und der Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Entscheidung legt Artikel 97 EPÜ insofern richtig aus, als eine Anmeldung nicht nur aufgrund mangelnder Patentierbarkeit des beanspruchten Gegenstands (Artikel 52 EPÜ), sondern auch aus anderen Gründen zurückgewiesen werden kann, etwa bei einem Verstoß gegen die für den Inhalt der Beschreibung geltenden Regeln.
3. Die Kernaussage der Entscheidung lautet:
"Für die in Anspruch 1 ebenfalls beanspruchten Behälter, die nicht um einen Kern geformt werden, läßt sich aus der Beschreibung keine technische Aufgabe ableiten. Damit entspricht die Anmeldung nicht den Erfordernissen des Artikels 84 des Übereinkommens und der Regel 27 (1) d) der Ausführungsordnung."
4. Was die Auslegung des Artikels 84 EPÜ anbelangt, ist zu bedenken, daß das Erfordernis dieses Artikels im Hinblick auf die Ansprüche und nicht auf die Beschreibung formuliert ist. Da die meisten Ansprüche Verallgemeinerungen der in der Beschreibung dargelegten Beispiele sind, soll mit dieser Bestimmung gewährleistet werden, daß die Ansprüche keinen Gegenstand enthalten, der auch nach dem Lesen der Beschreibung einem Fachmann noch nicht zugänglich wäre. Sicherlich kann in einigen Fällen aus der fehlenden Angabe einer technischen Aufgabe gefolgert werden, daß die Ansprüche nicht durch die Beschreibung gestützt werden. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Aufgabe, die Stapelfähigkeit zu verbessern, auch für Behälter dargelegt worden, die nicht durch das beanspruchte Verfahren hergestellt werden. Außerdem ist Anspruch 1 nicht spekulativ, da die geometrische Struktur des Behälters durch Anspruch 1 klar definiert und in der Beschreibung umfassend dargelegt wird. Auch ohne zusätzliche Angaben ist für den Fachmann sofort ersichtlich, daß der beanspruchte Behälter durch bekannte Verfahren, so z. B. durch ein Blasformverfahren, hergestellt werden kann. Deshalb ist davon auszugehen, daß Anspruch 1 in vollem Umfang durch die Beschreibung gestützt wird. Damit kann kein Einwand nach Artikel 84 EPÜ erhoben werden.
5. Im Hinblick auf die Anwendung der Regel 27 (1) d) EPÜ soll vorausgeschickt werden, daß die Beschwerdekammer sich der Auffassung der Anmelderin, diese Vorschrift sei nicht verbindlich, nicht anschließen kann. Nach Regel 27 (2) EPÜ darf von der in Absatz 1 beschriebenen "Form und Reihenfolge" der Offenbarung nur abgewichen werden, wenn dies "wegen der Art der Erfindung... zu einem besseren Verständnis oder zu einer knapperen Darstellung führen würde". Davon unberührt bleibt das grundlegende Erfordernis der Regel 27 (1) d), daß die Erfindung so darzustellen ist, daß danach die technische Aufgabe und ihre Lösung verstanden werden können.
6. Was jedoch die technische Aufgabe anbelangt, die durch den in Anspruch 1 definierten Behälter gelöst werden soll, so behandelt die Beschreibung sowohl das Herstellungsverfahren als auch die Stapelfähigkeit der Behälter; siehe beispielsweise Seite 1, Zeile 28 ("Ziel dieser Erfindung ist ein Behälter, der so neben einen anderen derselben Art gestellt werden kann, daß sich die Wände berühren, auch wenn die Behälter mit einem Deckel verschlossen sind...") und Seite 3, Zeile 29 ("Ein Behälter gemäß dieser Erfindung" usw).
7. Die Anmelderin macht also zu Recht geltend, daß die Anmeldung eine zweifache technische Aufgabe stelle. Die Patentfähigkeit kann nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß die Erfindung die Lösung mehr als einer Aufgabe ermöglicht, d. h. die Bestimmungen der Regel 27 (1) d) sind so zu verstehen, daß sie auch diese Möglichkeit beinhalten. Da die entsprechenden Aufgaben und die Art und Weise ihrer Lösung ohne weiteres aus der Beschreibung zu ersehen sind, kann ein Einwand gegen die Anmeldung hiermit nicht begründet werden.
8. Im Fall einer Lösung mehrerer Aufgaben kann möglicherweise mangelnde Einheitlichkeit der Erfindung eine Zurückweisung rechtfertigen, wenn die Anmeldung in dieser Hinsicht nicht beschränkt wird (Artikel 82 EPÜ). Von der Prüfungsabteilung ist jedoch kein Einwand nach diesem Artikel erhoben worden. Auch die Beschwerdekammer ist der Meinung, daß die Fassung der Ansprüche mit einem unabhängigen Anspruch für den Behälter selbst voll und ganz der Regel 30 EPÜ entspricht, die sich auf den obengenannten Artikel bezieht, da in diesem Fall das im unabhängigen Anspruch 9 beanspruchte Verfahren ein zur Herstellung des Erzeugnisses nach Anspruch 1 besonders angepaßtes Verfahren ist.
9. Die Prüfungsabteilung hat festgestellt, daß nicht über das Argument der Anmelderin, daß im vorliegenden Fall die Kriterien des Artikels 52 EPÜ erfüllt seien, entschieden werden muß. Nach Ansicht der Beschwerdekammer ist dieser Standpunkt nicht richtig. Die Bestimmungen der Regel 27 (1) d) verlangen, daß in der Beschreibung dargelegt wird, inwiefern die Erfindung als Lösung einer technischen Aufgabe anzusehen ist.
In der Tat kann die erfinderische Tätigkeit in dem Schritt von der technischen Aufgabe zu ihrer Lösung gesehen werden. Wenn die Erfordernisse der obengenannten Regel also weder durch die ursprüngliche Beschreibung noch durch eine auf Verlangen nachgereichte Änderung erfüllt werden, ergibt sich daraus, daß eine Erfindung im Sinne, des Artikels 52 EPÜ nicht vorliegt.
Andererseits muß es immer möglich sein, aus der Anmeldung eine technische Aufgabe abzuleiten, wenn der hinreichend offenbarte Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs als erfinderisch beurteilt wird. Wenn also die Prüfungsabteilung, wie die Anmelderin geltend macht, tatsächlich anerkannt hat, daß Anspruch 1 eine patentfähige Erfindung definiert, stellt eine Schlußfolgerung, daß die Bedingungen der Regel 27 (1) d) nicht erfüllt oder nicht erfüllbar seien, einen Widerspruch dar. Mit anderen Worten, ob das Erfordernis der Regel 27 (1) d) erfüllt ist, muß im Zusammenhang mit oder in Abhängigkeit von der Prüfung des entsprechenden Anspruchs auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit beurteilt werden; dieses Erfordernis kann nicht als gesondertes, von der erfinderischen Tätigkeit unabhängiges formales Kriterium aufgestellt werden.
10. Die Beschwerdekammer ist daher der Ansicht, daß die Bestimmungen des Artikels 84 und der Regel 27 (1) d) entgegen der Feststellung in der Entscheidung der Prüfungsabteilung eine Zurückweisung der Anmeldung nicht rechtfertigen.
11. Ohne weitere Prüfung insbesondere der jetzt in Anspruch 1 beanspruchten Erfindung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit kann jedoch auf die Anmeldung kein Patent erteilt werden. Die Feststellung der Anmelderin (siehe Seite 8 der Begründung der Beschwerde), die Prüfungsabteilung erkenne an, daß der Behälter neu sei, auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und gewerblich anwendbar sei, trifft nur insofern zu, als im Bescheid vom 10. Januar 1980 festgestellt wurde, daß in diesen Punkten keine Einwände erhoben würden. In voller Besetzung hat die Abteilung insgesamt zu dieser Frage nicht Stellung genommen. In ihrer Entscheidung hat sie im Gegenteil, wie bereits erwähnt, ausdrücklich festgestellt, daß diese Frage offengelassen werden könne. Ferner kann die in dem Bescheid enthaltene Feststellung auch so ausgelegt werden, daß sie an die Beschränkung des Patentanspruchs 1 auf die Erzeugnisse des Verfahrens geknüpft ist.
12. Das reguläre Verfahren sieht vor, daß zur Wahrung der Rechte der Anmelder die Frage der Patentierbarkeit - in diesem Fall der Patentierbarkeit der in Anspruch 1 der Anmeldung beanspruchten Erfindung - von der Prüfungsabteilung in erster Instanz zu behandeln ist.
Aus den von der Anmelderin in ihrer Anmeldung genannten und von der Prüfungsabteilung anerkannten Gründen hält die Beschwerdekammer die Ansprüche 9 bis 12 der Anmeldung für zulässig.
13. Bei der weiteren Prüfung sollte sich die Prüfungsabteilung besonders damit befassen, ob Anspruch 1, d. h. der Erzeugnisanspruch, die erforderliche erfinderische Tätigkeit aufweist, nachdem er sich als unabhängiger Anspruch nicht auf die nur im Verfahrensanspruch enthaltenen Merkmale stützt.
Die von der Anmelderin in der Begründung ihrer Beschwerde für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit in Anspruch 1 angeführten Gründe und die mit der Beschwerde eingereichten Änderungen müssen von der Prüfungsabteilung in dem oben geschilderten Zusammenhang geprüft werden.
14. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ ist nicht beantragt worden; sie wäre nach Auffassung der Beschwerdekammer durch die Umstände des Falls auch nicht gerechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 16. März 1981 wird aufgehoben. Die Anmeldung wird zur weiteren Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.