T 0115/85 (Computerbezogene Erfindung) 05-09-1988
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1. Das automatische optische Anzeigen von Zuständen, die in einer Vorrichtung oder einem System auftreten, ist im Grunde eine technische Aufgabe.
2. Selbst wenn man der Auffassung sein kann, dass die der Erfindung zugrunde liegende Idee, in einem Computerprogramm besteht, kann ein Anspruch, der auf die Verwendung dieses Programms zur Lösung einer technischen Aufgabe gerichtet ist, nicht als Schutzbegehren für das Programm als solches im Sinne des Artikels 52(2)(c) und (3) EPÜ angesehen werden.
Patentfähiger Gegenstand (bejaht)
Computerprogramm
I. Die am 20.10.1981 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 81 108 567.9 (Veröffentlichungsnummer 52757), die eine US- Priorität vom 20.11.1980 in Anspruch nimmt, wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung des EPA vom 23.11.1984 zurückgewiesen. Dieser Entscheidung lagen die am 24.12.1983 eingereichten Ansprüche 1 bis 8 zugrunde.
II. Diese Ansprüche beziehen sich auf ein Verfahren zur Decodierung gespeicherter Sätze und zur Anzeige von Ereignissen in einem Textverarbeitungssystem, bei dem ein Meldungsaufbauprogramm benutzt wird.
III. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß der einzige Beitrag, den der Gegenstand des Anspruchs 1 nach seiner Auslegung anhand der Anmeldungsunterlagen als Ganzem zum Stand der Technik leiste, in einem Computerprogramm als solchem im Sinne des Artikels 52 (2) c) und (3) EPÜ bestehe; er beziehe sich daher nicht auf eine patentfähige Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ.
Zu dieser Schlußfolgerung war die Prüfungsabteilung aufgrund folgender Überlegungen gelangt: Aus der Beschreibung und den Zeichnungen gehe eindeutig hervor, daß zur Ausführung des Gegenstands des Anspruchs 1 keine andere Hardware als ein herkömmliches Textverarbeitungssystem benötigt werde. Es werde kein Ausführungsbeispiel mit eigens konstruierter Hardware offenbart oder auch nur angedeutet. Außerdem würden die Programmroutinen, die in einem Speicher mit wahlfreiem Zugriff gespeichert seien, konventionell eingesetzt, um den Betrieb der Hardware zu steuern. Folglich definiere Anspruch 1 eine Zusammenstellung aus bekannter Hardware und neuer Software, zumal für eine anderslautende Auslegung keine Grundlage gegeben sei. Die Ausführung des beanspruchten Verfahrens bedinge keine Veränderung oder neue Verwendung der Hardware.
IV. Die Beschwerdeführerin legte gegen diese Entscheidung am 1.2.1985 unter Entrichtung der entsprechenden Gebühr Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 29.3.1985 nachgereicht.
V. In der Beschwerdebegründung brachte die Beschwerdeführerin im wesentliches folgendes vor: Weder der Anspruch 1 noch einer der abhängigen Ansprüche beziehe sich auf ein Computerprogramm im Sinne einer Befehlsfolge, sondern vielmehr auf ein neues Verfahren zum Betrieb eines Textverarbeitungssystems.
Außerdem seien die im Oberbegriff des Anspruchs 1 enthaltenen Hardwareteile zur Ausführung des neuen Verfahrens erforderlich, das den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 bilde. Selbst wenn dieses Verfahren mit einem Programm gleichgesetzt würde, könnten die Ansprüche nicht zurückgewiesen werden, da Artikel 52 (2) c) EPÜ Programme nur insoweit von der Patentierbarkeit ausschließe, als sich die Erfindung auf ein Programm als solches beziehe (Art. 52 (3) EPÜ).
Das beanspruchte Verfahren definiere eine unkonventionelle Betriebsart von Hardwareteilen. Diese Betriebsart, die auf einer originellen Speicherorganisation beruhe, führe zu einer neuen funktionellen Beziehung zwischen den Hardwareteilen oder einer neuen funktionellen Kombination dieser Teile.
Es liege auf der Hand, daß der Fachmann in der Lage sei, die Erfindung mit Hilfe von logischen Schaltungen als Spezialeinrichtung auszuführen. Derselbe Fachmann, der heutzutage ja auch über Programmierkenntnisse verfüge, sei ferner in der Lage, die Erfindung anhand der Lehre in der Beschreibung als Programm auszuführen. Obwohl heute der Trend eher zu Software- Anwendungen als zu logischen Schaltungen gehe, könne sich der Fachmann durchaus dazu entschließen, die Erfindung als Kombination aus logischen Schaltungen und Software zu verwirklichen.
VI. Mit Bescheid vom 15.9.1987 teilte der Berichterstatter der Beschwerdeführerin mit, daß nach der vorläufigen Auffassung der Kammer der gültige Anspruch im wesentlichen Schutz für ein Verfahren für eine gedankliche Tätigkeit (nämlich die Decodierung gespeicherter Sätze) begehre, das als Computerprogramm ausgedrückt sei. Sein Gegenstand sei deshalb gemäß Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen und könne nicht dadurch patentierbar werden, daß im Anspruch auch technische Mittel erwähnt seien. Die Anmeldung betreffe allerdings ein Verfahren zur Anzeige einer einzelnen aus einer Reihe vorgegebener Meldungen, die jeweils ein bestimmtes Ereignis anzeigten, das in der Ein-/Ausgabevorrichtung eines Textverarbeitungssystems eintreten könne; ein solches Verfahren beruhe im Grunde auf einer technischen Aufgabe.
VII. In ihrer Erwiderung vom 31.10.1987 bestritt die Beschwerdeführerin diese Auffassung der Kammer nicht. Sie legte einen Satz geänderter Ansprüche 1 bis 8 vor und beantragte die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage dieser Ansprüche. Anspruch 1 lautet wie folgt:
1. Verfahren zur optischen Anzeige einer einzelnen aus einer Reihe vorgegebener Meldungen, die aus einem Satz mit mehreren Wörtern bestehen, wobei jede Meldung ein bestimmtes Ereignis anzeigt, das in der Ein-/Ausgabevorrichtung (1) eines Textverarbeitungssystems auftreten kann, welcher außerdem einen Prozessor (2), eine Tastatur (6), eine Anzeigevorrichtung (8) und einen Speicher (4) umfaßt; dieses Verfahren umfaßt folgende Schritte:
- Nach Erhalt der Meldung des Ereignisses von der Ein-/ Ausgabevorrichtung (1) ruft der Prozessor (2) ein Meldungsaufbauprogramm (52) auf, das in dem Speicher (4) gespeichert ist;
- das Meldungsaufbauprogramm richtet eine Meldungsnummer an eine im Speicher (4) gespeicherte Meldungsrahmenindextabelle (56), um von dieser eine entsprechende Hinweisadresse für eine im Speicher (4) gespeicherte Satztabelle (57) zu erhalten;
- nach Erhalt der Meldung von der Meldungsindextabelle wird die Satztafelhinweisadresse zur nächsten Hinweisadresse weitergeschaltet, und die Position der ersten Hinweisadresse wird von der der zweiten abgezogen, um die im Satz enthaltene Bitzahl zu erhalten;
- die Bits, aus denen der Satz besteht, werden mit einer im Speicher (4) gespeicherten Decodiertabelle (58), die codierte und nach der Byte-Wert/Benutzungshäufigkeit geordnete Wörter enthält, verglichen, bis eine Übereinstimmung festgestellt und damit eine Worthinweisadresse erzeugt wird;
- die Worthinweisadresse wird an eine im Speicher (4) gespeicherte Worttabelle (59), die nach den Bedürfnissen des Benutzers codierte Wörter enthält, übermittelt, um den Anfang des darzustellenden Wortes zu definieren, das dann an einen Ausgabepuffer weitergeleitet wird;
- der Inhalt des Ausgabepuffers wird angezeigt, wenn aufgrund eines Tests festgestellt wird, daß das Satzende erreicht ist.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Die vorliegende Anmeldung betrifft ein Verfahren zur Anzeige einer einzelnen aus einer Reihe vorgegebener Meldungen, die aus einem Satz mit mehreren Wörtern bestehen und jeweils ein bestimmtes Ereignis angeben, das in der Ein-/Ausgabevorrichtung eines Textverarbeitungssystems auftreten kann, das außerdem einen Prozessor, eine Tastatur, eine Anzeigevorrichtung und einen Speicher umfaßt.
3. Damit dieses Verfahren in der Praxis ausgeführt werden kann, bedarf es eines Mittels zur Ermittlung dieser Ereignisse und eines zur optischen Wiedergabe einer Anzeige (Meldung) des ermittelten speziellen Ereignisses. Zwischen diesen beiden müssen Mittel vorhanden sein, mit denen die Information, daß ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist, so umgewandelt wird, daß sie optisch angezeigt werden kann.
4. Bei der vorliegenden Anmeldung wird die Information in Form eines einzelnen aus einer Reihe vorgegebener Sätze angezeigt, die codiert in einem Speicher (Satztabelle) gespeichert sind. Der jeweils anzuzeigende Satz wird dann programmgesteuert aus einer in einer Worttabelle gespeicherten festen Sammlung von Wörtern zusammengesetzt.
5. Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung die Auffassung vertreten, daß sich die ihr vorliegenden Ansprüche auf ein Computerprogramm als solches bezögen, da dies der einzige Beitrag zum Stand der Technik sei.
6. In der vorliegenden Beschwerde ist deshalb zu klären, ob der Gegenstand, auf den sich die Ansprüche in ihrer nunmehr geänderten Form beziehen, nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ von der Patentierbarkeit ausgenommen sind.
7. Die Kammer vertritt generell die Auffassung, daß die automatische optische Anzeige von in einem Gerät oder System herrschenden Zuständen im Grunde eine technische Aufgabe ist.
8. Die Anmeldung schlägt eine Lösung für ein ganz bestimmtes Problem dieser Art vor, nämlich die Bereitstellung einer optischen Anzeige von Ereignissen, die in der Ein-/ Ausgabevorrichtung eines Textverarbeitungssystems auftreten. Die Lösung schließt die Verwendung eines Computerprogramms und bestimmter in einem Speicher gespeicherter Tabellen zum Aufbau der anzuzeigenden Sätze ein.
9. Selbst wenn man der Auffassung sein kann, daß die der vorliegenden Erfindung zugrunde liegende Idee in diesem Computerprogramm und der Art und Weise besteht, wie die Tabellen strukturiert sind, kann ein Anspruch, der auf ihre Verwendung zur Lösung einer technischen Aufgabe gerichtet ist, nach Auffassung der Kammer nicht als Schutzbegehren für ein Programm als solches im Sinne des Artikels 52 (2) c) und (3) EPÜ angesehen werden.
10. Wie die Kammer bereits in ihrer Entscheidung in der Sache T 208/84 (ABl. EPA 1987, 14 - 23) festgestellt hat, darf eine Erfindung, die nach den herkömmlichen Kriterien der Patentierbarkeit patentfähig ist, nicht allein deshalb vom Schutz ausgeschlossen werden, weil für ihre Durchführung moderne technische Mittel in Form eines Computerprogramms verwendet werden.
Diese Beschwerdekammer hält es jedoch in diesem Zusammenhang für angebracht, darauf hinzuweisen, daß aus dieser Feststellung nicht der Umkehrschluß gezogen werden darf, daß ein Computerprogramm unter allen Umständen als technisches Mittel angesehen werden kann.
11. Die derzeit gültigen Ansprüche sind unter Verwendung von funktionellen Begriffen formuliert worden. Diese können sich nur auf die technischen Mittel beziehen, die zur Durchführung der Funktionen (einschließlich eines geeigneten Programms) erforderlich sind. Die Ansprüche sind in dieser Hinsicht nicht zu beanstanden, solange der Fachmann der Beschreibung in Verbindung mit seinem allgemeinen Fachwissen entnehmen kann, welche Mittel benötigt werden (vgl. auch die Entscheidungen T 68/85, ABl. EPA 1987, 228 - 236 und T 208/84, ABl. EPA 1987, 14 - 23).
12. Aus diesen Gründen ist die Kammer zu dem Schluß gelangt, daß der Gegenstand des jetzigen Anspruchs 1 nicht unter das Schutzverbot des Artikels 52 (2) c) und (3) EPÜ fällt.
13. Die Prüfungsabteilung hat sich bei der Prüfung der Anmeldung auf die Gewährbarkeit der Ansprüche nach Artikel 52 (2) c) und (3) EPÜ beschränkt. Dementsprechend hat die Kammer nur über diese Frage entschieden und hält es für angebracht, die Sache zur Prüfung auf alle übrigen Erfordernisse nach dem EPÜ an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung der Prüfung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.