T 0271/85 (Zulässigkeit der Beschwerde eines Einsprechenden) 09-03-1988
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Zulässigkeit der Beschwerde eines Einsprechenden
Vorlage an Grosse Beschwerdekammer
I. Gegen das europäische Patent 6 613 erhob die Beschwerdeführerin Einspruch mit dem Antrag, das Patent wegen mangelnder Patentfähigkeit zu widerrufen.
II. Mit Schreiben vom 21.02.84 wurde den Beteiligten eine erste Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ zugestellt. Innerhalb der gesetzten Monatsfrist teilte die Beschwerdeführerin mit, daß sie mit der Fassung, in der das Patent aufrechterhalten werden solle, nicht einverstanden sei. Daraufhin setzte die Einspruchsabteilung das Einspruchsverfahren gemäß Regel 58 (5) EPÜ fort.
III. Die Einspruchsabteilung schlug mit Bescheid vom 09.07.84 unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Einsprechenden eine ihr möglich erscheinende Fassung des Patentanspruchs vor. Die Einsprechende und Beschwerdeführerin teilte daraufhin mit Schreiben vom 30.07.84 mit, daß sie zu diesem Bescheid keine Stellungnahme abgeben wolle. Die Patentinhaberin erklärte sich mit dem Vorschlag der Einspruchsabteilung einverstanden.
IV. Daraufhin stellte die Einspruchsabteilung eine zweite Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ vom 15.10.84 zu, mit der sie den Beteiligten mitteilte, daß sie das europäische Patent in der vorgeschlagenen Form aufrechterhalten wolle. Die Beteiligten wurden gebeten, innerhalb einer Frist von 1 Monat nach Zustellung der Mitteilung Stellung zu nehmen, wenn sie mit der Fassung, in der das europäische Patent aufrechterhalten werden solle, nicht einverstanden sind. Die Hinweise unter Nr. 3 dieser Mitteilung lauten wie folgt: "3. Erhebt keiner der Beteiligten innerhalb der genannten Frist Einwendungen gegen die Fassung, in der das Patent aufrechterhalten werden soll, so ergeht die Aufforderung gemäß Regel 58 (5) EPÜ. Wird dieser Aufforderung entsprochen, beschließt die Einspruchsabteilung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang (Artikel 102 (3) EPÜ). Der Einsprechende, der keine Einwendungen gegen die mitgeteilte Fassung erhoben hat, ist durch die Aufrechterhaltung in geändertem Umfang nicht beschwert. Ihm steht daher keine Beschwerde gegen diese Entscheidung mehr zu (Artikel 107 Satz 1 EPÜ)."
V. Mit Bescheid vom 17.04.85 erging die Mitteilung gemäß Regel 58 (5) EPÜ, mit der der Patentinhaberin mitgeteilt wurde, daß auf die Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ vom 15.10.84 kein Beteiligter Einwendungen gegen die Fassung erhoben hat, in der das Patent aufrechterhalten werden solle. Die Patentinhaberin wurde gebeten, innerhalb einer Frist von 3 Monaten nach Zustellung der Mitteilung die Druckkostengebühr zu entrichten und Übersetzungen der geänderten Patentansprüche einzureichen.
VI. Mit einem am 19.04.85 eingegangenen Schreiben der Einsprechenden und Beschwerdeführerin vom 16.04.85 bat diese "um umgehende Zustellung der anstehenden Entscheidung der Einspruchsabteilung in dieser Sache, damit die gesetzliche Frist des Artikel 108 in Verbindung mit Artikel 106 (1) EPÜ gewahrt werden kann."
VII. Mit Schreiben vom 16.07.85 reichte die Patentinhaberin die Übersetzungen der geänderten Patentansprüche ein und entrichtete die Druckkostengebühr.
VIII. Der Leiter der Formalprüfungsstelle erließ am 17.10.85 eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents in dem geändertem Umfang gemäß Artikel 102 (3) EPÜ. Ein Hinweis über diese Aufrechterhaltung wurde im Europäischen Patentblatt 1985/49 am 4.12.85 bekanntgemacht.
IX. Gegen die Entscheidung vom 17.10.85 erhob die Einsprechende am 02.11.85 unter Einbeziehung einer Begründung in die Beschwerdeschrift und gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde mit dem Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin hält die Beschwerde für unzulässig (vgl. Schriftsätze vom 14.04. und 12.06.86), die Einsprechende und Beschwerdeführerin hält demgegenüber an ihrer Beschwerde fest (vgl. Schriftsätze vom 23.03. und 18.09.87).
1. Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde hängt davon ab, ob die Beschwerdeführerin durch die angefochtene Entscheidung im Sinne des Artikels 107 EPÜ beschwert ist.
2. Der Einsprechenden und Beschwerdeführerin ist im Einspruchsverfahren die Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ zugestellt worden mit der Bitte um Stellungnahme innerhalb einer Frist von einem Monat, sofern die Beschwerdeführerin mit der Fassung, in der das europäische Patent aufrechterhalten werden soll, nicht einverstanden ist. Die Beschwerdeführerin hat sich innerhalb der Monatsfrist, die am 26.11.84 endete, nicht geäußert. Erst mit Schreiben vom 16.04.85 bat die Beschwerdeführerin um Zustellung einer beschwerdefähigen Entscheidung.
3. Die Frage, ob die Beschwerde eines Einsprechenden zulässig ist, der sein Nichteinverständnis mit der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang innerhalb der Monatsfrist der Regel 58 (4) EPÜ nicht erklärt hat, war bereits Gegenstand der Entscheidung der Beschwerdekammer 3.3.2 vom 23.01.87 - T 244/85 "Aluminiumtrihydroxid/VAW", deren Veröffentlichung im Amtsblatt vorgesehen ist.) Diese Entscheidung hat die Beschwerde des Einsprechenden mangels Beschwer als unzulässig verworfen.
4. In ihrem Zwischenbescheid vom 11.03.87 hat sich die Beschwerdekammer auf die Entscheidung vom 23.01.87 bezogen und zum Ausdruck gebracht, daß die Beschwerde unzulässig sein dürfte.
5. Die Kammer ist der Auffassung, daß es sich bei der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde eines Einsprechenden, der sich innerhalb der Monatsfrist der Regel 58 (4) EPÜ nicht äußert, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, weil sie in einer größeren Zahl gleichgelagerter Fälle entscheidungserheblich ist und daher nicht nur für die Beteiligten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens, sondern für die Allgemeinheit von großem Interesse ist. Die Beantwortung der Rechtsfrage ist aber nicht nur für die Benutzer des europäischen Patentsystems bedeutsam, sondern auch für das EPA selbst, nämlich für alle Beschwerdekammern, aber auch für die erste Instanz des Einspruchsverfahrens. Es kommt hinzu, daß nach Erlaß der Entscheidung vom 23.01.87 die Regel 51 (4) EPÜ mit Wirkung vom 01.10.87 geändert worden ist. Diese Änderung könnte auch für das Verständnis der unveränderten Regel 58 (4) EPÜ von Bedeutung sein.
6. Aus diesen Gründen hält die Kammer eine Entscheidung der Rechtsfrage durch die Große Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) Buchstabe a EPÜ für erforderlich.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
"Ist die Beschwerde eines Einsprechenden zulässig, der nach Zustellung der Mitteilung gemäß Regel 58 (4) EPÜ es unterläßt, innerhalb eines Monats Stellung zu nehmen, wenn er mit der Fassung, in der das Patent aufrechterhalten werden soll, nicht einverstanden ist?"