T 0385/86 (Nicht-invasive Messwertermittlung) 25-09-1987
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Verfahren zur nichtinvasiven Ermittlung von Messwerten innerhalb eines lebenden Körpers
1. Als Diagnostizierverfahren sind nur solche Verfahren vom Patentschutz auszunehmen, deren Ergebnis unmittelbar gestattet, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse liefern, sind noch keine Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52(4) Satz 1 EPÜ, selbst wenn sie beim Stellen einer Diagnose verwertbar sind.
2. Ein Verfahren, bei dem eine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper auftritt, ist gewerblich anwendbar, wenn es der technisch vorgebildete Fachmann ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit dem gewünschten Erfolg anzuwenden vermag.
3. Am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen im Sinne des Artikels 52(4) Satz 1 EPÜ wird ein Diagnostizierverfahren nur dann, wenn sowohl die Untersuchungsphase als auch die Feststellung des Symptoms anhand des Untersuchungsergebnisses am lebenden menschlichen oder tierischen Körper erfolgt.
Diagnostizierverfahren - Zwischenergebnisse
Auslegung von Rechtssätzen - Ausnahmevorschrift
I. Die am 17. Mai 1983 eingereichte europäische Patentanmeldung 83 104 834.3 mit der Veröffentlichungsnummer 0 095 124 ist am 3. Juni 1986 von der Prüfungsabteilung 061 zurückgewiesen worden. Der Entscheidung lagen gemäß Hauptantrag die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 14 zugrunde, von denen die beiden unabhängigen Ansprüche 1 und 2 lauten:
"1.Verfahren zur nicht-invasiven Ermittlung chemischer und/oder physikalischer Zustände innerhalb des gesamten, unversehrten, lebenden, tierischen oder menschlichen Körpers unter Verwendung Magnetischer Resonanz mit einem homogenen Konstantmagnetfeld und einem Hochfrequenzmagnetfeld, wobei einzelne Bereiche des Körpers durch eine hochauflösende Magnetische-Resonanz-Messung ausgemessen werden und frei wählbare, an beliebigen Orten innerhalb des lebenden Körpers liegende Meßpunkte durch Anwendung einer auf auswählbare Volumenbereiche begrenzten magnetischen Resonanz (LMR, Local Magnetic Resonance, Lokalisierte Magnetische Resonanz) untersucht werden, dadurch gekennzeichnet, daß aus einem Parameter des gemessenen Kernresonanzspektrums die Temperatur innerhalb der ausgewählten Volumenbereiche ermittelt wird.
2. Verfahren zur nicht-invasiven Ermittlung chemischer und/oder physikalischer Zustände innerhalb des gesamten, unversehrten, lebenden, tierischen oder menschlichen Körpers unter Verwendung Magnetischer Resonanz mit einem homogenen Konstantmagnetfeld und einem Hochfrequenzmagnetfeld, wobei einzelne Bereiche des Körpers durch eine hochauflösende Magnetische-Resonanz-Messung ausgemessen werden und frei wählbare, an beliebigen Orten innerhalb des lebenden Körpers liegende Meßpunkte durch Anwendung einer auf auswählbare Volumenbereiche begrenzten magnetischen Resonanz (LMR, Local Magnetic Resonance,Lokalisierte Magnetische Resonanz) untersucht werden, dadurch gekennzeichnet, daß aus einem Parameter des gemessenen Kernresonanzspektrums der pH-Wert innerhalb der ausgewählten Volumenbereiche festgestellt wird."
Die Ansprüche 3 bis 14 sind von mindestens einem der Ansprüche 1 oder 2 abhängig. In dem der Entscheidung der Prüfungsabteilung zugrundeliegenden, am 13. Juli 1985 eingegangenen Hilfsantrag ist das erste Wort der obigen Ansprüche 1 und 2 jeweils von "Verfahren" in "Verwendung eines Kernspintomographen zum Herstellen einer Einrichtung zum Durchführen eines Verfahrens" abgeändert. Die Ansprüche 3 bis 14 sind unverändert aufrecht erhalten.
II. Die Zurückweisung des Hauptantrags wurde mit Artikel 52 (4) EPÜ begründet. Wie sich aus der Anspruchsformulierung, dem Aufgabenwortlaut und weiteren Angaben in der Beschreibung ergebe, seien die Ansprüche 1 und 2 jeweils auf ein Diagnostizierverfahren abgestellt, das am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werde. Denn die beanspruchten Verfahren gäben dem untersuchten lebenden Körper eigene Werte als Meßwerte wieder und deckten somit Normabweichungen auf. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Hilfsantrags verletze die Vorschrift des Artikels 123 (2) EPÜ. Aufgrund der oben genannten Änderungen gehe er über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr am 10. Juli 1986 Beschwerde eingelegt und diese in einem am 2. Oktober 1986 eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie hält hierin den der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Haupt- und Hilfsantrag aufrecht und beantragt ferner hilfsweise mündliche Verhandlung, sowie die Große Beschwerdekammer zu befassen. Im Rahmen dieser Hilfsanträge erklärte sie sich bereit, bei einem entsprechenden Hinweis der Kammer in die Ansprüche 1 und 2 ihres Hauptantrags jeweils entweder vor die Worte "nicht-invasiven" das Wort "gewerblichen" oder vor die Worte "unter Verwendung" die Worte "ausgenommen nicht-gewerbliche Verwendungen in der Heilkunde" einzufügen.
IV. Die Beschwerdeführerin erachtet ihren Hauptantrag im wesentlichen aus folgenden Gründen für gewährbar: Ein Verfahren, bei dem wie im vorliegenden Fall Meßwerte physischer Größen eines lebenden menschlichen oder tierischen Körpers ermittelt würden, müsse dem Patentschutz grundsätzlich zugängig sein, sofern auch seine gewerbliche Anwendung außerhalb des Bereichs der Heilkunde möglich und sinnvoll sei. Sie stützt diese Auffassung insbesondere auf die amtliche Begründung des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen der Bundesrepublik Deutschland in der Bundesrats-Drucksache 220/75, Seite 408 sowie auf den Beschluß des deutschen Bundespatentgerichts "Diagnostizierverfahren" (GRUR 1985, 60). So sei die Temperaturmessung gemäß Anspruch 1 bei der Untersuchung der Tropentauglichkeit und die pH-Wert-Messung gemäß Anspruch 2 im wissenschaftlichen Bereich gewerblich anwendbar. Überdies fehle es bisher an der Möglichkeit den nach dem beanspruchten Verfahren ermittelten pH-Wert einem bestimmten Krankheitsbild zuzuordnen.
1. Die Beschwerde entspricht den Bestimmungen der Artikel 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrages weisen ihre ursprünglich eingereichte Fassung auf. Sie sind daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden.
3. Es ist zunächst zu untersuchen, ob der sachliche Inhalt der unabhängigen Ansprüche 1 und 2 unter den Wortlaut des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ fällt, wonach Diagnostizierverfahren, die am menschlichen Körper vorgenommen werden, als nicht gewerblich anwendbare Erfindungen gelten und somit nicht patentierbar sind.
3.1. Im Hinblick auf Diagnostizierverfahren gibt die Entstehungsgeschichte des Artikels 52 (4) EPÜ folgende Anhaltspunkte für die Ermittlung von Sinn und Zweck dieser Vorschrift:
Nach einem ersten Vorschlag sollten Verfahren, die im Labor für Diagnosezwecke verwendet werden, soweit sie eine ärztliche Behandlung umfaßten, auf keinen Fall patentfähig sein (Dokument BR/135/71, Seite 48, Punkt 93). Der demnach zunächst vorgesehene generelle Ausschluß sämtlicher Diagnostizierverfahren führte zu Einwendungen beteiligter Kreise dahingehend, daß die Entwicklung der Technik sehr wohl zu Diagnostizierverfahren geführt habe, die keinen spezifisch medizinischen Charakter hätten (Dokument BR/169/72, Seite 9, Absatz 2). Später wurde dann, einem Vorschlag der französischen Delegation folgend, der Begriff "Diagnostizierverfahren" noch durch den Zusatz "die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden" präzisiert (Dokument BR/177/72, Seite 5, Punkt 9c). Ferner wird in den "Begründungen anläßlich der Ratifizierung internationaler Patentübereinkommen" festgestellt, daß die in Artikel 52 (4) EPÜ vorgesehene Ausnahme mit der geltenden Rechtsprechung und Literatur in Einklang stehe und aus ethischen Gründen vorgesehen worden sei (Dokument R/1181d/74, Seite 18, Absatz 3). Schließlich wurde auf der Münchner Diplomatischen Konferenz durch eine Neuformulierung klargestellt, daß es sich bei den in Artikel 52 (4) genannten Verfahren um eigentliche Erfindungen handelt, denen nur die gewerbliche Anwendbarkeit fehlt, vgl. "Berichte der Münchener Diplomatischen Konferenz über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens" (München, 10. September bis 5. Oktober 1973) herausgegeben von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, Seite 28, insbesondere Nr. 24.
3.2. Aus alledem geht hervor, daß durch die Vorschrift des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ nur solche Verfahren von der Möglichkeit eines Patentschutzes ausgenommen werden sollen, die Heilzwecken dienen, damit niemand an der Ausübung der Heilkunst durch Patentrechte gehindert werden kann. Artikel 52 (4) Satz 1 ist, wie jede Ausnahmeregelung, eng auszulegen, was hier durch den Satz 2 dieses Absatzes noch unterstrichen wird, wonach das Patentierungsverbot nicht für Erzeugnisse gelten soll, die in solchen Verfahren zur Anwendung kommen.
Nach Überzeugung der Kammer sind deshalb als Diagnostizierverfahren nur solche Verfahren vom Patentschutz auszunehmen, deren Ergebnis unmittelbar gestattet, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Verfahren ein Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) Satz 1 ist, muß daher geprüft werden, ob das beanspruchte Verfahren alle Schritte enthält, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen sind. Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse liefern, sind noch keine Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikel 52 (4) Satz 1, selbst wenn sie beim Stellen einer Diagnose verwertbar sind.
3.3. Die systematische Auflistung der einzelnen zu einer Diagnose führenden Verfahrensschritte in der einschlägigen Literatur umfaßt sowohl die Aufnahme der Krankheitsgeschichte, das Betrachten, Betasten und Abhorchen von Körperpartien, sowie die Vielzahl der medizinisch-technischen Untersuchungen und Tests (Untersuchungsphase, Datensammlung), als auch den Vergleich der gewonnenen Untersuchungsdaten mit Normwerten, die Feststellung einer signifikanten Abweichung (Symptom) bei diesem Vergleich und schließlich die Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild (deduktive medizinische Entscheidungsphase); vgl. Brockhaus Enzyklopädie, Band 4, 1968, Seite 684; The New Encyclopaedia Britannica, Macropaedia, 1977, Band 5, Seite 684; La Grande Encyclopédie Larousse, 1973, Band 7, Seite 3833. Fehlt wenigstens einer der drei letzten Verfahrensschritte, so liegt kein Diagnostizierverfahren vor, sondern allenfalls ein Verfahren, zum Beispiel der Datenermittlung oder - verarbeitung, das in einem Diagnostizierverfahren verwendbar ist.
3.4. Im vorliegenden Fall ist das Ergebnis der beanspruchten Maßnahmen ein quantitativer Wert einer isolierten physikalischen Zustandsgröße, nämlich der Temperatur oder des pH-Wertes innerhalb eines ausgewählten Volumenbereichs in einem menschlichen oder tierischen Körper. Die Vorinstanz hat es für den Tatbestand eines Diagnostizierverfahrens als hinreichend angesehen, daß die beanspruchten Verfahren dem Körper eigene Werte als Meßwerte wiedergeben und somit Normabweichungen aufdecken können, die beim Stellen einer Diagnose verwendbar sind. Dem kann sich die Kammer aus den oben dargelegten Gründen nicht anschließen. Vielmehr ist zu untersuchen, ob diese Meßwerte bereits unmittelbar die Diagnose liefern.
3.4.1. Die im Anspruch 1 enthaltenen Maßnahmen führen zu einem bestimmten quantitativen Wert der Körpertemperatur. Der Vorinstanz ist zwar darin zuzustimmen, daß ein solcher Meßwert eine zum Stellen einer Diagnose verwendbare Information implizit enthält. Es kommt jedoch nicht auf die außerhalb des Anspruchs liegenden Möglichkeiten an, die der Meßwert eröffnet, sondern entscheidend ist, ob bereits der Meßwert selbst die Krankheit explizit erkennen läßt. Das ist im vorliegenden Fall zu verneinen. Allein anhand des gemessenen Istwerts der Körpertemperatur ist noch nicht das Vorhandensein oder die Abwesenheit einer bestimmten Krankheit feststellbar. Hierzu müßte erst noch festgestellt werden, ob der gemessene Temperatur-Istwert eine signifikante Abweichung von einem als normal, d.h. nicht- pathologisch geltenden Temperatur-Sollwert darstellt, und welchem Krankheitsbild der quantitative Wert der Soll-Ist- Abweichung zugeordnet werden kann. Erst bei Einbeziehung derartiger Differenzier- und Vergleichsschritte in den Anspruch, würde aus dem beanspruchten Meßverfahren für eine am menschlichen oder tierischen Körper gemessene, physikalische Zustandsgröße (Temperatur) ein Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ werden, und zwar unabhängig davon, ob die zuletzt genannten Schritte von einem Arzt oder etwa in einer Datenverarbeitungsanlage vorgenommen werden.
3.4.2. Die voranstehenden Ausführungen gelten ebenso für den Patentanspruch 2. Das Verfahrensprodukt ist auch hier ein reiner Meßwert, der über die quantitative Größe des pH-Werts innerhalb eines auswählbaren Bereichs des Körpervolumens Auskunft gibt, aber nicht über das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandenseins einer bestimmten Krankheit. Darüberhinaus sind gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin aus heutiger Sicht in der klinischen Medizin nicht einmal irgendwelche Möglichkeiten einer solchen Zuordnung von pH-Werten zu bestimmten Krankheitsbildern erkennbar.
3.5. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man, ausgehend davon, daß Art. 52 (4) Satz 1 EPÜ verhindern soll, daß der Arzt bei der Ausübung seiner Heilkunst durch Patentrechte behindert werden kann, untersucht, ob die Merkmale der Ansprüche 1 bzw. 2 Verfahren definieren, die nicht als gewerblich anwendbar gelten können, weil sie ausschließlich von einem Arzt in Ausübung seiner Heilkunst ausführbar sind.
3.5.1. Das vorliegend verwendete Konstantmagnetfeld und das Hochfrequenzmagnetfeld stellen Naturkräfte dar, die kausal den Erfolg - die Kernresonanz - auslösen. Aus diesem Grunde hat die Einwirkung auf die lebende Substanz technischen Charakter. Die Wechselwirkung der technischen Maßnahmen mit dem Körper, d.h. das Umklappen der Kernspins in der lebenden Materie stellen keinen Eingriff in die lebende Substanz dar. Sie führen zu keinerlei bleibenden Veränderungen der Körpermaterie. Ferner hinterlassen sie, soweit bisher bekannt, auch keine schädlichen Nebenwirkungen. Aus diesem Grunde ist die Kammer überzeugt, daß ein Fachmann für magnetische Kernresonanzspektroskopie die beanspruchten Maßnahmen im gewerblichen Rahmen eines Laborbetriebes ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten auszuführen vermag.
3.5.2. Die Verfahrensschritte, für die Schutz begehrt wird, umfassen somit keinerlei Maßnahmen, die den Charakter einer ärztlichen Behandlung haben oder die zu ihrer Durchführung einen Arzt erfordern. Der Techniker ist vielmehr in der Lage, mit Hilfe der beanspruchten Maßnahmen selbständig eine Arbeitsgrundlage für die nachfolgende Diagnosetätigkeit des Arztes zu schaffen. Da während der Untersuchungsphase die Anwesenheit eines Arztes nicht erforderlich ist und ihm ferner ein vom lebenden Körper losgelöstes Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt wird, sind die beanspruchten Verfahren ebenso wie Laboruntersuchungen an dem Körper entnommenen Blut-oder Gewebeproben, gewerblich anwendbar.
Ein Verfahren, bei dem eine Wechselwirkung mit dem menschlichen oder tierischen Körper auftritt, ist gewerblich anwendbar, wenn es der technisch vorgebildete Fachmann ohne medizinische Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit dem gewünschten Erfolg anzuwenden vermag. Das ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
3.6. Aus den vorstehend in Punkt 3.2 bis 3.5.2 dargelegten Gründen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, daß die in den unabhängigen Ansprüchen 1 und 2 enthaltenen Merkmale kein Diagnostizierverfahren sondern ein, u.a. vielleicht auch in Diagnostizierverfahren einsetzbares, technisches Meßverfahren kennzeichnen.
3.7. Auch die Ansprüche 3-14 enthalten kein Merkmal das zwingend und unmittelbar eine medizinische Diagnose liefert. Durch sie wird somit gleichfalls kein Schutz für ein Diagnostizierverfahren begehrt.
3.8. Dieses Ergebnis ist auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Patentamts. So ist in der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des EPA "zweite medizinische Indikation" vom 5. Dezember 1984 (ABl. EPA, 1985, Seite 60, 63) unter Punkt 22 der Begründung ausdrücklich betont, daß es der Zweck des Artikels 52 (4) EPÜ sei, nur die nicht-kommerziellen und nicht-industriellen Tätigkeiten auf dem Gebiet der Human-und Veterinärmedizin von patentrechtlichen Beschränkungen freizuhalten.
Ferner hat sich die Technische Beschwerdekammer 3.2.1 des EPA in ihren unveröffentlichten Entscheidungen T 61/83, T 208/83, T 18/84 und T 45/84 dahingehend geäußert, daß ein Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ nicht nur das Untersuchungsverfahren, das die Grundlage für die Diagnose liefert, sondern auch das die Diagnose bildende Ergebnis enthalten muß.
3.9. Die oben dargelegte Auffassung der Kammer steht auch nicht im Widerspruch zu einer einheitlichen Rechtsauffassung in den Vertragsstaaten. Ein Vergleich der jüngeren Rechtsprechung in den Vertragsstaaten läßt nämlich keine einheitliche Auslegung des Begriffs "Diagnostizierverfahren" erkennen.
Während die Cour d'Appel de Paris (PIBD, 1983, Nr. 329, Seite III - 189) den Begriff Diagnostizierverfahren eng auslegt, zeigen Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (GRUR International 1983, Seite 316), des Deutschen Bundespatentgerichts (GRUR 1985, Seite 278), und des Schwedischen Patentbeschwerdegerichts (vgl. Törnroth et al. -Patentlagsstiftningen, 1980, Seite 54 und GRUR International 1985, Seite 617) eher eine weite Auslegung dieses Begriffs.
4. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Entscheidung nur begründet, warum ihrer Meinung nach die beanspruchten Maßnahmen den Charakter eines Diagnostizierverfahrens aufweisen. Sie hat jedoch nicht im einzelnen dargelegt, ob und warum das beanspruchte Verfahren "am menschlischen oder tierischen Körper vorgenommen" wird. Offensichtlich geht sie davon aus, daß dieses Tatbestandsmerkmal durch die Einwirkung der Magnetfelder auf den Körper zur Erzeugung einer magnetischen Resonanz vorhanden ist. Die Kammer hält es, obwohl sie in den beanspruchten Verfahren keine Diagnostizierverfahren sieht, dennoch für angebracht zu prüfen, ob bereits die bei einem derartigen Meßverfahren vorhandene Wechselwirkung von Naturkräften mit dem lebenden Körper, den Tatbestand "am ... Körper vorgenommen" erfüllt.
4.1. Als Ausnahmevorschrift ist Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ, wie schon oben dargelegt, eng auszulegen. Aus der Sicht der Kammer führt dies zu der Forderung, daß bei einem unter den Wortlaut des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ fallenden Tatbestand sowohl die Untersuchungsphase (Istwert-Ermittlung) als auch die Feststellung des Symptoms anhand des Untersuchungsergebnisses (d.i. die Abweichung der ermittelten Istwerte von Normwerten) am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden müssen.
4.2. Es ist deshalb zu überprüfen, ob die mit den Maßnahmen nach Anspruch 1 ermittelte Temperatur oder der gemäß Anspruch 2 ermittelte pH-Wert ohne weiteres direkt an Körperpartien ablesbar sind.
Bei den Maßnahmen der Ansprüche 1 bzw. 2 wirken ein Konstantmagnetfeld und ein Hochfrequenzmagnetfeld auf die Körperpartie ein. Entspricht ein Energiequant des Hochfrequenzmagnetfeldes der Energiedifferenz zwischen zwei benachbarten Kernspinstellungen der Körpermaterie (Resonanz), so wird es vom Kern absorbiert und bewirkt eine Änderung der Kernspinstellung im Konstantmagnetfeld. Dieses Umklappen des Kernspins ist entweder als Absorptionslinie im Frequenzspektrum des Hochfrequenzmagnetfeldes nach seinem Durchdringen durch den Körper oder als induziertes Spannungssignal in einer außerhalb des Körpers angeordneten Spule meßbar. Die Kernumgebung führt zu einer Schwächung des Konstantmagnetfeldes am Kernort, die die Resonanzfrequenz um einen Betrag verschiebt, der einen für die Temperatur bzw. für den pH-Wert charakteristischen Wert hat. Die Maßnahmen der unabhängigen Ansprüche 1 bzw. 2 führen zu einem Meßwert, der erst außerhalb des Körpers im hochaufgelösten Resonanzspektrum, das auf einem Bildschirm oder Schreiberblatt in der Endstufe des Untersuchungsgerätes erscheint, wahrnehmbar ist.
Die gesammelten Daten über Temperatur und pH-Wert sind also auf einem vom Körper losgelösten Datenträger erst nach weiteren technischen Schritten, die außerhalb des Körpers vorgenommen werden, wahrnehmbar. Jeder weitere Schritt der gegebenenfalls durch Vergleiche mit einem Normwert eine anormale Abweichung aufdeckt, setzt hier nicht die Präsenz des Körpers voraus. Aus diesem Grunde definieren nach Meinung der Kammer die Merkmale des Anspruchs 1 ebensowenig wie die des Anspruchs 2 ein Verfahren "das am menschlichen Körper vorgenommen wird".
4.3. Die Vornahme eines Diagnostizierverfahrens am menschlichen oder tierischen Körper im Sinne des Artikels 52 (4) Satz 1 EPÜ setzt voraus, daß auch die als Krankheitssymptom zu wertende Abweichung von einem Normwert unmittelbar am Körper selbst wahrnehmbar ist.
4.3.1. Ein direkt am Körper vorgenommenes Verfahren würde dann vorliegen, wenn es darauf ankäme, den Umklappprozeß des Kernspins selbst zu beobachten. Typische Beispiele für ein am Körper vorgenommenes Verfahren sind nach Auffassung der Kammer: ein Allergietest, bei dem die anormale Abweichung anhand einer Hautveränderung feststellbar ist; ein Verfahren zur Feststellung der Durchgängigkeit einer Körperröhre, bei dem mit einem Katheter Flüssigkeit in die Gebärmutter injiziert und der Druckaufbau in der Gebärmutter beobachtet wird; ein Verfahren, bei dem Scharlachflecken direkt betrachtet oder photographiert werden; oder eine Körperspiegelung zur Feststellung von Leberschäden.
4.3.2. Hingegen reicht es nach Auffassung der Kammer nicht aus, daß lediglich irgendeine Untersuchung zur Ermittlung des Zustands eines menschlichen oder tierischen Körpers für medizinische Zwecke durchgeführt wird; vgl. die Richtlinien für die Prüfung im EPA, Kapitel CIV, 4.3. Der ermittelte Zustand muß ohne weiteres die pathologische Abweichung darstellen. Ein gemessener Blutdruck ist ein Absolutwert, der erst nach einem Vergleich mit einem Normwert eine Abweichung erkennbar macht. Erst der Vergleich sowie die explizite Angabe, wie groß die Abweichung sein muß, um für eine bestimmte Krankheit oder Gruppe von Krankheiten charakteristisch zu sein, machen aus dem Meß- ein Diagnostizierverfahren. So macht etwa eine Durchleuchtung mittels Röntgenstrahlen den inneren Zustand nicht am Körper selbst sondern erst nach einer außerhalb des Körpers vorgenommenen Bildwandlung der Röntgenquanten in sichtbares Fluoreszenzlicht auf einem Bildschirm wahrnehmbar. Auch hier ist ein pathologischer Zustand erst durch Vergleich der Schwärzungsstruktur mit Normwerten feststellbar.
5. Da die Prüfungsabteilung bereits bezüglich der Ansprüche 1 und 2 zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen war, hatte sie nicht mehr geprüft, ob die Anmeldung die weiteren Patentierungsvoraussetzungen des EPÜ erfüllt. Diese Prüfung wird nunmehr nachzuholen sein.
Die Kammer hält es deshalb für geboten, von der ihr durch Artikel 111 EPÜ gegebenen Möglichkeit Gebrauch zu machen und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
6. Bei dieser Sachlage brauchte auf die Hilfsanträge nicht mehr eingegangen zu werden. Insbesondere sieht die Kammer keine Veranlassung, die Große Beschwerdekammer mit der Angelegenheit zu befassen. Sie sieht in ihren Schlußfolgerungen keine grundsätzlichen Unterschiede zu der in den bisher ergangenen Beschwerdeentscheidungen des EPA erfolgten Auslegung des Artikel 52 (4) Satz 1 EPÜ, soweit diese Diagnostizierverfahren betreffen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung auf der Grundlage der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 14 zurückverwiesen.