T 0807/98 25-04-2002
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Verfahren und Einrichtung zum Detektieren einer Folge von anormalen Ereignissen in einem elektrischen Signal, insbesondere dem Depolarisationssignal eines Herzens
Biotronik Meß- und Therapiegeräte GmbH & Co. Ingenieurbüro
Berlin
Diagnostizierverfahren (ja: Hauptantrag)
Neuheit (ja: erster Hilfsantrag)
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende Biotronik Meß- und Therapiegeräte GmbH & Co. Ingenieurbüro Berlin) hat gegen die am 5. Juni 1998 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das Patent Nr. 0 402 508 die am 5. August 1998 eingegangene Beschwerde eingelegt und am selben Tag die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 25. September 1998 eingegangen.
II. Mit dem Einspruch war das gesamte Patent auf der Grundlage der Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ mit der Behauptung angegriffen worden, der patentierte Gegenstand sei nicht neu bzw. beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, die Verfahrensansprüche beträfen Diagnostizierverfahren im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ und das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne.
Die Einspruchsabteilung befand, daß der Einspruch nur im Hinblick auf die Einwände der mangelnden Neuheit und des Diagnostizierverfahrens im Sinne von Regel 55 c) EPÜ ausreichend substantiiert sei und befand den Einspruch nur im Rahmen dieser Gründe als zulässig.
Im Beschwerdeverfahren hielt die Beschwerdeführerin ihre Einwände mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie eines im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ unzulässigen Diagnostizierverfahrens aufrecht.
Sie stützte sich dabei auf folgende, bereits im Einspruchsverfahren genannte Druckschriften:
E1: US-A-3 861 387
E2: US-A-4 523 595
E3: DE-A-2 643 907.
III. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin, St. Jude Medical AB) einen neuen Anspruchssatz als ersten Hilfsantrag ein. Am 25. April 2002 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, an deren Ende die der Entscheidung zugrundliegende Antragslage wie folgt war:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäisches Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geändertem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 7 nach erstem Hilfsantrag, eingereicht am 22. März 2002 mit Schreiben vom 21. März 2002
- vollständige Beschreibung (Seiten 2 bis 8), eingereicht in der mündlichen Verhandlung
- Zeichnungen wie erteilt.
IV. Die unabhängigen Ansprüche 1, 5 und 8 nach dem Hauptantrag haben folgenden Wortlaut:
Anspruch 1
"Verfahren zum Detektieren einer Folge von anormalen funktionsstörungsbedingten Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen in einem elektrophysiologischen Signal (IS) eines eine Funktionsstörung aufweisenden Organs, welches Verfahren die folgenden Verfahrensschritte aufweist:
a) das Signal (IS) wird hinsichtlich eines Signalparameters (t) mit einem definierten Schwellwert (tD) verglichen, den das Signal (IS) sowohl beim Auftreten eines normalen als auch eines anormalen Ereignisses überschreitet,
b) für jedes Ereignis wird der Maximalwert (tT) des Signalparameters (t) gemessen, dadurch gekennzeichnet, daß
c) für das jeweils zuletzt aufgetretene Ereignis und eine definierte Anzahl von aufeinanderfolgend unmittelbar vor diesem aufgetretenen Ereignissen eine der statistischen Verteilung der gemessenen Maximalwerte (tT) entsprechende Kenngröße (S) ermittelt, und
d) die ermittelte Kenngröße (S) mit einem definierten Sollwert (DVA) verglichen wird."
Anspruch 5
"Einrichtung zum Detektieren einer Folge von anormalen funktionsstörungsbedingten Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen in einem elektrophysiologischen Signal (IS) eines eine Funktionsstörung aufweisenden Organs, welche Einrichtung aufweist:
a) Mittel (2;17,18,19) zum Vergleichen des Signals (IS) hinsichtlich eines Signalparameters (t;T) mit einem definierten Schwellwert (tD;TD), den das Signal (IS) sowohl beim Auftreten eines normalen als auch eines anormalen Ereignisses überschreitet,
b) Mittel (3;17,18,19) zur Messung des Maximalwertes (tT;TT) des Signalparameters (t;T) des jeweiligen Ereignisses, gekennzeichnet durch
c) Mittel (5,7) zum Ermitteln einer der statistischen Verteilung der für das jeweils zuletzt aufgetretene Ereignis und eine definierte Anzahl von aufeinanderfolgend unmittelbar vor diesem aufgetretenen Ereignissen gemessenen Maximalwerten (tT;TT) entsprechenden Kenngröße (S), und
d) Mittel (8) zum Vergleichen der ermittelten Kenngröße (S) mit einem definierten Sollwert (DVA), welche bei einer Abweichung zwischen ermittelter Kenngröße (S) und Sollwert (DVA) ein Signal (AS) erzeugen."
Anspruch 8
"Verwendung einer Einrichtung nach einem der Ansprüche 5 bis 7 zum Detektieren einer Folge von anormalen Ereignissen im Depolarisationssignal (IS) eines eine Funktionsstörung aufweisenden Herzens (9)."
Im Hilfsantrag sind die Verfahrens- und Verwendungsansprüche gestrichen.
V. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:
Ausschluß der Patentfähigkeit (Artikel 52 (4) EPÜ)
Beim Verfahren von Anspruch 1 müßten ein Sollwert und ein Schwellwert vorgegeben werden, deren Werte nur ein medizinischer Fachman festlegen kann. Das Ausgangssignal AS steuere unmittelbar den Defibrillator an, der automatisch eine medizinische Behandlung einleite. Mit dem Ergebnis des letzten Merkmals des Anspruchs stehe als Ausgangssignal eines Komparators ein Diagnosesignal bereit, das unmittelbar und ohne Interpretation eine Therapie auslösen könne (vgl. Anspruch 11). Bei sachgerechter Auslegung des Anspruchs 1 im Sinne der Beschreibung werde damit jedem Arzt der Einsatz des Verfahrens untersagt.
Neuheit
Der Oberbegriff von Anspruch 1 sei unstreitig bekannt. In Spalte 9 ab Zeile 52 der Druckschrift E2 werde im Hinblick auf eine Fourier-Analyse auf eine statistische Verteilung hingewiesen, die eine Kenngröße liefere, die mittels des Quantizers 15 mit einem definierten Sollwert 14 verglichen werde. Dadurch seien die Schritte c) und d) der Ansprüche 1 bzw. 5 auch neuheitsschädlich vorweggenommen.
Nach dem aus der Druckschrift E3 bekannten Verfahren erfolge eine statistische Verarbeitung in Form einer Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion, die einer Kenngröße entspreche, und ein Vergleich mit einem definierten Sollwert (Anspruch 12 von Druckschrift E3). Alle Schritte des Anspruchs 1 des Streitpatents seien damit gleichfalls von dem bekannten Verfahren neuheitsschädlich vorweggenommen.
Erfinderische Tätigkeit
Im Einspruchsschriftsatz vom 13. Dezember 1995 sei zu Anspruch 9 im Hinblick auf die erfinderischer Tätigkeit ausführlich Stellung genommen worden, und diese Stellungnahme gelte auch für die unabhängigen Ansprüche 1 und 5. Außerdem würde für den Fall, in dem der Gegenstand eines Anspruchs offensichtlich nicht neu sei, die Einsprechende an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie zusätzliche Argumente über mangelnde erfinderische Tätigkeit liefere.
VI. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:
Ausschluß der Patentfähigkeit (Artikel 52 (4) EPÜ)
Durch das Verfahren gemäß Anspruch 1 könne wohl eine Arrhythmie festgestellt, aber daraus noch keine Behandlung hergeleitet werden, da das beanspruchte Verfahren nur ein Zwischenergebnis liefere. So gebe es auch Arten von Arrhythmien, deren Behandlung durch Defibrillation zu lebensbedrohlichen Zuständen der Patienten führen könne. Das beanspruchte Verfahren detektiere nur eine Folge von anormalen funktionsstörungsbedingten Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen und das Signal AS gestatte es nicht, unmittelbar über eine medizinische Behandlung zu entscheiden.
Neuheit
Die Verfahrenschritte c) und d) des Anspruchs 1 seien weder aus der Druckschrift E2 noch aus der Druckschrift E3 bekannt. Abgesehen davon, daß Druckschrift E2 keine Einzelheiten über die Fourier-Analyse enthalte, sei diese jedoch keinesfalls mit der Ermittlung einer statistischen Verteilung vergleichbar. Der gemäß Druckschrift E2 beschriebene Vergleich von 64 Koeffizienten eines Schieberegisters sei nicht mit dem patentgemäßen Schritt d) gleichzusetzen.
Bei dem aus der Druckschrift E3 bekannten Verfahren werde die Zeit, die ein Signal innerhalb einer Amplitude Bandbreite verweile, in Form einer Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion gemessen. Es werde jedoch kein Maximalwert eines Signalparameters oder eine statistische Verteilung ermittelt. Ferner werde der Wert des Integrators nicht mit einem Sollwert verglichen.
Erfinderische Tätigkeit
Im Einspruchsschriftsatz müßte gemäß der Entscheidung G 9/91 (ABl. EPA 1993, 408) der rechtliche und faktische Rahmen festgelegt werden, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs gegen die Ansprüche grundsätzlich durchzuführen sei, sonst habe der Patentinhaber keine Möglichkeit, seine Lage schon in dieser frühen Verfahrensphase zu beurteilen. Diese Bedingungen würden vom Einspruchsschriftsatz im Hinblick au den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht erfüllt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag der Beschwerdegegnerin
2.1. Ausschluß der Patentfähigkeit (Artikel 52 (4) EPÜ)
Artikel 52 (4) EPÜ schließt Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, vom Patentschutz aus. Diesem Ausschluß liegt die grundsätzliche Überlegung zugrunde, daß diejenigen, die diese Verfahren als Teil der medizinischen Behandlung von Menschen oder Tieren anwenden, darin nicht durch Patente behindert werden sollen (vgl. T 116/85 (ABl. EPA 1989, 13, Nr. 3.7 der Entscheidungsgründe).
Implantierbare Herztherapiegeräte sind dazu ausgebildet, aufgrund einer Auswertung der aktuellen Herztätigkeit eine Fehlfunktion des Herzens zu erkennen und selbsttätig, ohne jedes Zutun eines Arztes, eine spezifische Therapie einzuleiten. Das Betriebsverfahren solcher Geräte umfaßt beispielsweise eine Registrierung der Zeitabhängigkeit der Herzrate (Messung), deren Prüfung nach vorbestimmten Kriterien (Anamnese), die Zuordnung einer speziellen manifesten Fehlfunktion, wie etwa ventrikulärer Tachykardie oder ventrikularer Fibrillationen (Diagnose), und die Auslösung einer Stimulationsimpulsfolge oder eines Defibrillationsschocks (Therapie).
Anspruch 1 des Streitpatents definiert ein Verfahren zum Detektieren einer Folge von anormalen funktionsstörungsbedingten Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen in einem elektrophysiologischen Signal, welches Verfahren den Schritt a) enthält, wonach ein definierter Schwellwert festgelegt werden soll, und den Schritt d), wonach ein definierter Sollwert festgelegt werden soll. Die Festlegung sowohl des Schwellwerts als auch des Sollwerts erfordert das Wissen eines Arztes über den jeweiligen Patienten und die Herzfunktion und kann nur nach ärztlicher Anweisung erfolgen.
Außerdem erkennt nur ein Arzt, die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe und Lösung, nämlich, daß zur Detektion einer Folge von anormalen Ereignissen im Depolarisationssignal eines eine Funktionsstörung aufweisenden Herzens, durch Ermittlung geeigneter Signalparameter, durch Ermittlung einer geeigneten statistischen Kenngröße und durch Festlegung eines geeigneten Sollwertes für die Kenngröße das Auftreten bestimmter Funktionsstörungen, insbesondere Arrhythmien, zuverlässig detektiert werden kann.
Somit umfaßt das Verfahren nach Anspruch 1 wesentliche Schritte, die von medizinisch geschultem Personal oder unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden müssen.
2.2. Das patentgemäße Verfahren erfüllt darüber hinaus alle Kriterien eines Diagnostizierverfahrens im Sinne der Entscheidungen T 385/86 (ABl. EPA 1988, 308).
In der Entscheidung T 385/86 stellte die Kammer folgendes fest:
"3.2 Aus alledem geht hervor, daß durch die Vorschrift des Artikels 52 (4), Satz 1 EPÜ nur solche Verfahren von der Möglichkeit eines Patentschutzes ausgenommen werden sollen, die Heilzwecken dienen, damit niemand an der Ausübung der Heilkunst durch Patentrechte gehindert werden kann. Artikel 52 (4), Satz 1 ist, wie jede Ausnahmeregelung, eng auszulegen, was hier durch den Satz 2 dieses Absatzes noch unterstrichen wird, wonach das Patentierungsverbot nicht für Erzeugnisse gelten soll, die in solchen Verfahren zur Anwendung kommen. Nach Überzeugung der Kammer sind deshalb als Diagnostizierverfahren nur solche Verfahren vom Patentschutz auszunehmen, deren Ergebnis unmittelbar gestattet, über eine medizinische Behandlung zu entscheiden. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Verfahren ein Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4), Satz 1 ist, muß daher geprüft werden, ob das beanspruchte Verfahren alle Schritte enthält, die beim Stellen einer ärztlichen Diagnose auszuführen sind. Verfahren, die lediglich Zwischenergebnisse liefern, sind noch keine Diagnostizierverfahren im Sinne des Artikels 52 (4), Satz 1, selbst wenn sie beim Stellen einer Diagnose verwertbar sind.
3.3. Die systematische Auflistung der einzelnen zu einer Diagnose führenden Verfahrensschritte in der einschlägigen Literatur umfaßt sowohl die Aufnahme der Krankheitsgeschichte, das Betrachten, Betasten und Abhorchen von Körperpartien sowie die Vielzahl der medizinisch-technischen Untersuchungen und Tests (Untersuchungsphase, Datensammlung) als auch den Vergleich der gewonnenen Untersuchungsdaten mit Normwerten, die Feststellung einer signifikanten Abweichung (Symptom) bei diesem Vergleich und schließlich die Zuordnung der Abweichung zu einem bestimmten Krankheitsbild (deduktive medizinische Entscheidungsphase). Fehlt wenigstens einer der drei letzten Verfahrensschritte, so liegt kein Diagnostizierverfahren vor, sondern allenfalls ein Verfahren, zum Beispiel der Datenermittlung oder -verarbeitung, das in einem Diagnostizierverfahren verwendbar ist."
Wenn, wie im vorliegenden Fall das Ergebnis der beanspruchten Maßnahmen ein quantitativer Wert einer isolierten physikalischen Zustandsgröße ist, hielt es die Kammer letztlich für "entscheidend..., ob bereits der Meßwert selbst die Krankheit explizit erkennen läßt".
In T 385/86 wurde das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens verneint, da dort weder ein Vergleich der gewonnenen Untersuchungsdaten mit Normwerten unternommen, noch eine signifikante Abweichung (Symptom) festgestellt wurde. Im Gegensatz dazu wird beim Streitpatent eine statistische Verteilung aus der Schaltung 7, die die Standardabweichung ermittelt, mittels des Vergleichers 8 mit einem entsprechenden Sollwert bzw. einem diesem entsprechenden Signal DVA verglichen. Der Vergleicher 8 ist so aufgebaut, daß er ein Ausgangssignal AS erzeugt, wenn das der ermittelten statistischen Kenngröße entsprechende Signal einen entsprechenden Sollwert übersteigt, unterschreitet oder einen fensterartigen Sollwertbereich verläßt. Dieser Schritt ist durch das Merkmal d) von Anspruch 1 repräsentiert.
Darüber hinaus wird in T 385/86 ein quantitativer Wert (Temperatur oder pH Wert, Punkt 3.4) bestimmt. Im vorliegenden Fall dagegen sind die quantitativen Werte zu dem Signal AS verarbeitet, das die qualitative Information darstellt, ob eine Arrhythmie vorhanden ist oder nicht. Die Auflistung der Kriterien in Punkt 3.2 von T 385/86 ist jedoch insoweit ergänzungsbedürftig weil nicht nur eine spezifische positive Feststellung einer Krankheit, sondern auch die negative Feststellung, daß eine bestimmte Krankheit auszuschließen ist, eine Diagnose darstellt.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Detektieren einer Folge von anormalen Ereignissen unter einer Vielzahl von normalen Ereignissen in einem elektrophysiologischen Signal. Wenn das Herzsignal eine Folge von anormalen Ereignissen bzw. ausschließlich anormale Ereignisse enthält, bewirkt dies eine Abweichung einer ermittelten statistischen Kenngröße von dem Sollwert. Infolgedessen ist die Einrichtung in der Lage, ein Ausgangssignal AS abzugeben, sobald ein krankhafter Zustand vorliegt. Umgekehrt aber, wenn kein krankhafter Zustand vorliegt, gibt die Einrichtung das Signal AS nicht ab. Die Abwesenheit des Signals AS schließt mit Sicherheit aus, daß eine Arrhythmie vorhanden ist, was von der Kammer auch als eine Diagnose angesehen wird.
Somit ist bereits die Tatsache, daß das beanspruchte Verfahren in der Lage ist, das Vorliegen einer Arrhythmie, also einer Fehlfunktion des Herzens, auszuschließen ein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen eines Diagnostizierverfahrens. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, daß es verschiedene Typen von Arrhythmien gibt, die bei positivem Befund unterschiedliches ärztliches Handeln erfordern.
2.3. In der Entscheidung T 964/99 stellte die Kammer folgendes fest:
"4.4 Aus diesen Gründen und in Einklang mit dem in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern fest verankertem Grundsatz, wonach das EPÜ "nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung" auszulegen ist (Art. 31 (1) des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, vgl. G 1/83 (ABl. EPA 1985, 60, Nrn. 4 und 5), ist die Kammer der Auffassung, daß Artikel 52 (4) EPÜ alle am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommenen Verfahren vom Patentschutz ausschließen soll, die sich auf die Diagnose beziehen oder für Diagnosezwecke von Nutzen sind".
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents wird am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen, wobei es sich auf eine Diagnose bezieht. Außerdem sind für die Feststellung einer Arrhythmie die Festlegung des Schwellwerts und des Sollwerts wesentliche Schritte, die diagnostischen Charakter aufweisen und als grundlegende diagnostische Tätigkeit anzusehen sind, denn für sie trägt letzlich ein Arzt die Verantwortung. Demnach steht die vorliegende Entscheidung auch mit T 964/99 im Einklang.
2.4. Da somit Anspruch 1 die Kriterien eines Diagnostizierverfahrens im Sinne von Artikel 52 (4) EPÜ erfüllt, ist der Hauptantrag der Beschwerdegegnerin nicht gewährbar.
3. Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin
3.1. Neuheit
3.1.1. Aus der Druckschrift E2 ist ein Verfahren bekannt, bei dem von den Maximalwerten durch Quotientenbildung abgeleitete Verhältniszahlen (siehe Blöcke 2, 3, und 6 von Figur 1) in einem Addierer 13 verarbeitet und mit einem Sollwert aus dem Widerstand 14 verglichen werden. Die in Spalte 9 ab Zeile 55 erwähnte Fourier-Transformation und digitale Autokorrelation liefern keine statistische Verteilung, da eine Fourier-Transformation nur eine Frequenzverteilung eines Signals darstellt, und eine Autokorrelation lediglich einen Vergleich von Einzelwerten darstellt. Um die Ähnlichkeit zweier Signale zu bestimmen, wird hier die Stabilität der Koeffizienten der Signale im Laufe der Zeit bestimmt, oder durch die Autokorrelation ermittelt.
In der Druckschrift E2 wird das elektrophysiologische Signal nicht hinsichtlich eines Signalparameters mit einem definierten Schwellwert verglichen (entsprechend Merkmal a) des Hilfsantrags), da hier (z. B. in Figur 1) kein Vergleicher vorhanden ist. Es wird auch keine statistische Verteilung der gemessenen Maximalwerte ermittelt (entsprechend Merkmal c) des Hilfsantrags), und die ermittelte Kenngröße wird auch nicht mit einem definierten Sollwert verglichen (entsprechend Merkmal d) des Hilfsantrags).
Damit sind die Merkmale a), b), und d) nicht durch die Druckschrift E2 vorweggenommen.
3.1.2. Aus der Druckschrift E3 ist ein Verfahren zum Anzeigen von Abnormalitäten einer Herzfunktion bekannt, bei dem aus einem Herzstromsignal eine Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion erzeugt und überwacht wird. Wenn ein Herzflattern beginnt, ist die Verweilzeit des Herzstromsignals innerhalb eines Durchlaßbereichs kurz und die Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion klingt ab.
Die in den Figuren 6a) bis 6e) gezeigten Kurvenbilder sind von einem vorherigen Maximalwert eines Ereignisses unabhängig. Es wird auch hier keine statistische Verteilung der gemessenen Maximalwerte ermittelt oder diese mit einem Sollwert verglichen.
Damit sind die Merkmale b) bis d) nicht durch die Druckschrift E3 vorweggenommen.
3.1.3. Aus diesen Gründen folgt, daß keine der Druckschriften E2 oder E3 die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hilfsantrags in Frage stellen kann.
3.4. Erfinderische Tätigkeit
In dem Einspruchsschriftsatz vom 12. Dezember 1995 macht die Einsprechende geltend, daß dem Gegenstand der Ansprüche die Neuheit im Sinne von Artikel54 EPÜ fehle und daß er zumindest nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhe. Die Einsprechende gibt eine ausführliche Begründung zur fehlenden Neuheit der unabhängigen Ansprüche 1 und 5 in Bezug auf die Druckschriften E1 bis E3 und eine ausführliche Begründung zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit des abhängigen Anspruchs 9. Sie geht jedoch mit keinem Wort auf die fehlende erfinderische Tätigkeit der unabhängigen Ansprüche 1 und 5 ein.
Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach der Grund mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Einspruchsschriftsatz ausreichend substantiiert sei, da sie zu Anspruch 9 ausführlich Stellung genommen habe, ist nicht stichhaltig, denn dadurch wurde der rechtliche und faktische Rahmen noch nicht festgelegt, innerhalb dessen die materiellrechtliche Prüfung des Einspruchs gegen die Ansprüche 1 und 5 grundsätzlich durchzuführen ist. Diese zweite Voraussetzung ist insofern von besonderer Bedeutung, als sie dem Patentinhaber eine gute Gelegenheit bietet, seine Lage schon in einer frühen Verfahrensphase beurteilen zu können.
Wie in den Entscheidungen G 7/95 (ABl. EPA 1996, 626) und G 10/91 (ABl. EPA 1993, 420) klargestellt ist, stellen der Einwand mangelnder Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit unterschiedliche Einspruchsgründe dar. Die Einspruchsabteilung prüft grundsätzlich nur diejenigen Einspruchsgründe, die gemäß Artikel 99 (1) in Verbindung mit Regel 55 c) EPÜ ordnungsgemäß vorgebracht und begründet worden sind. Ausnahmsweise kann die Einspruchsabteilung in Anwendung des Artikels 114 (1) EPÜ auch andere Einspruchsgründe prüfen, die prima facie der Aufrechterhaltung des europäischen Patents ganz oder teilweise entgegenzustehen scheinen.
Ein von der Einspruchsabteilung berechtigterweise nicht berücksichtigter, verspätet vorgebrachter Einspruchsgrund, der im Beschwerdeverfahren erneut vorgebracht wird, stellt einen neuen Einspruchsgrund dar, der im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden darf.
Es ist daher nur zu prüfen, ob die erste Instanz ihr Ermessen, eine Berücksichtigung des Grundes fehlender erfinderischer Tätigkeit abzulehnen, richtig angewandt hat. Letzteres wäre der Fall, wenn z. B. prima facie erkennbar wäre, daß eine erfinderische Tätigkeit vorliegt.
Das ist hier der Fall, da die Druckschriften E1 bis E3 für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit, wie unten dargelegt, prima facie nicht relevant sind. Insbesondere beruht jede der drei Druckschriften auf einem vollständig verschiedenen Wirkungsprinzip als das im Streitpatent verwandte Prinzip zum Feststellung einer Tachykardie.
Das Streitpatent beruht auf der Erkenntnis, daß die Standardabweichung eines aus mehreren Ereignissen ermittelten Parameters eines Herzsignals eine Arrhythmie andeuten kann. Die Standardabweichung ist im Falle eines Sinus-Rhythmus wesentlich geringer als im Falle einer Fibrillation. Es wird somit deutlich, daß durch Vergleich der Standardabweichung mit einem geeigneten Sollwert erkennbar ist, ob ein Depolarisationssignal eine Folge von auf Fibrillation hindeutenden Ereignissen enthält bzw. vollständig aus solchen Ereignissen besteht. Gleiches gilt für andere statistich gewonnene Verteilungen.
Dieses Prinzip ist aus keiner der Druckschriften E1 bis E3 bekannt. In Druckschrift E1 wird, statt die ermittelte statistische Kenngröße mit einem definierten Sollwert zu vergleichen, irgendein Parameter (Amplitude) des jüngsten Ereignises mit der ermittelten Kenngröße (Mittelwert) verglichen. In Druckschrift E2 werden, wie oben dargelegt, von den Maximalwerten durch Quotientenbildung abgeleitete Verhältnisse in einem Addierer verarbeitet und mit einem Sollwert aus dem Widerstand verglichen.
In Druckschrift E3 wird zwar eine statistische Verteilung (Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion eines Herzstromsignals) benutzt, um eine Herzrhythmusstörung festzustellen, jedoch auf eine ganz andere Weise als beim Streitpatent. Beim letzteren wird jedes Ereignis (QRS Komplex) des Signals im einzelnen untersucht um zumindest einen Parameter aus jedem Ereignis herzuleiten, und eine statistische Verteilung des Parameters aus mehreren Ereignissen berechnet. Diese wird dann mit einem Sollwert verglichen. Bei Druckschrift E3 dagegen wird das ganze Signal untersucht und nicht die darin enthaltenen einzelnen Ereignisse, um aus jedem Ereignis ein Parameter herzuleiten. In Druckschrift E3 wird also untersucht, wie lange das Signal innerhalb einer vorgegebenen amplituden Brandbreite verweilt und ein Signal abgegeben wird, wenn diese Zeit einen bestimmten Sollwert überschreitet.
Daher sind die Druckschriften E1 bis E3 für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit prima facie nicht relevant, und die Einspruchsabteilung hat zu Recht diesen Grund im Einspruchsverfahren nicht berücksichtigt.
Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß eine detaillierte Erörterung zur erfinderischen Tätigkeit im Einspruchsschriftsatz von der Annahme der Neuheit hätte ausgehen müssen, da sonst ihre Argumente zur Neuheit an Durchschlagskraft verloren hätten. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn ein trivialer, leicht zu übersehender Unterschied zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem Stand der Technik besteht. Bei richtiger Auslegung der Ansprüche und des Standes der Technik im vorliegenden Fall stellt sich heraus, daß die Unterschiede schwerwiegend und nicht leicht zu übersehen sind. Die Argumentation der Beschwerdeführerin ist daher nicht zutreffend.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anweisung, das Patent in geändertem Umfang mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
- Ansprüche 1 bis 7 nach erstem Hilfsantrag, eingereicht am 22. März 2002 mit Schreiben vom 21. März 2002
- vollständige Beschreibung (Seiten 2 bis 8), eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2002
- Zeichnungen wie erteilt.