T 0389/87 10-05-1988
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Verfahren zur Schmelzreduktion von Metallerz
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Deutlichkeit/Stützung des Anspruchs durch Beschreibung
Funktionelle Definition
Angabe einer Ausführungsform im einzelnen (bejaht)
Erfordernis "wo angebracht" eines Ausführungsbeispiels
Sufficient disclosure (yes); Clarity/support of the
claim by the description; functional definition;
working example
I. Die am 23. September 1983 mit deutschen Prioritäten vom 7. Oktober und 4. November 1982 eingereichte europäische Patentanmeldung 83 109 472.7 (Veröffentlichungsnummer 108 232) wurde von der Prüfungsabteilung 016 mit Entscheidung vom 15. Juni 1987 auf der Grundlage von vier Patentansprüchen zurückgewiesen, von denen der einzige unabhängige Anspruch 1, wie folgt, lautet:
"Verfahren zur Herstellung von Metallen oder Metallegierungen durch Schmelzreduktion von Erz oder Erzgemischen mit Hilfe von Kohle und/oder Prozeßgas in einem Reaktionsgefäß, wie einem Konverter oder Schachtofen, dadurch gekennzeichnet, daß die zur Reduktion des Erzes benötigte Kohle bzw. das Reduktionsgas mit Sauerstoff in eine im Reaktionsgefäß erzeugte flüssige Erzsäule eingebracht wird und zwar in einer solchen Höhe oberhalb des sich im Reaktionsgefäß bildenden Metallschmelzbades, daß die reduzierten nach unten absinkenden Metalltropfen kohlenstoffarm in das Metallschmelzbad gelangen, wobei das Erz bis zu einer solchen Höhe im Reaktionsgefäß oberhalb der Einbringstelle für Kohlenstoff und Sauerstoff verflüssigt wird, daß Kohlenstoff nur vollständig oxidiert, d.h. als CO2 aus dem Reaktionsgefäß entweicht."
II. Die Zurückweisung erfolgte im Hinblick auf Artikel 83, 84 und Regel 27 (1) f) EPÜ wegen mangelnder Klarheit und unzureichender Offenbarung. Wichtige Parameter (die Höhe der Einbringstelle und die Höhe der Flüssigerzsäule) des beanspruchten Verfahrens seien nicht durch echte Verfahrensmerkmale definiert, sondern durch das gewünschte Ergebnis. Der Fachmann könne die beanstandeten Parameter bei der Vielzahl in Betracht kommender, sehr unterschiedlicher Reaktionsgefäße auch nicht durch wenige Versuche leicht ermitteln. Dies gelte umso mehr, als kein Ausführungsbeispiel angegeben wurde. Weiterhin könne der Fachmann der Schemazeichnung die wesentlichen Merkmale des Verfahrens nicht entnehmen.
III. Gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung hat die Anmelderin am 5. August 1987 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 2. Oktober 1987, etwa wie folgt, begründet: Der Anspruch gebe dem Fachmann eine klare Lehre zum technischen Handeln; nach wenigen Versuche könne er durch Feststellung der im Anspruch 1 gegebenen Parameter das erfindungsgemäße Verfahren verwirklichen.
IV. Die Anmelderin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der ursprünglichen Unterlagen zu erteilen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Anmeldung betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Metallen oder Metallegierungen durch Schmelzreduktion von Erz oder Erzgemischen mit Hilfe von Kohle und/oder Prozeßgas in einem Reaktionsgefäß, wie einem Konverter oder Schachtofen. Kennzeichnende Verfahrensmaßnahmen sind:
a) die zur Reduktion des Erzes benötigte Kohle bzw. das Reduktionsgas wird mit Sauerstoff in die in einem Reaktionsgefäß erzeugte flüssige Erzsäule eingebracht, b) das Einbringen erfolgt dabei in einer solchen Höhe oberhalb des sich im Reaktionsgefäß bildenden Metallschmelzbades, daß die reduziert nach unten absinkenden Metalltropfen kohlenstoffarm in das Metallschmelzbad gelangen; c) das Erz wird bis zu einer solchen Höhe im Reaktionsgefäß oberhalb der Einbringstelle für Kohlenstoff und Sauerstoff verflüssigt, daß Kohlenstoff nur vollständig oxidiert, d.h. als CO2, aus dem Reaktionsgefäß entweicht.
3. In der Entscheidung T 68/85, "Synergistische Herbizide/ Ciba-Geigy", ABl EPA 1987, 228, hat die Kammer bereits entschieden, daß funktionelle Merkmale, die ein technisches Ergebnis definieren, im Patentanspruch dann zulässig sind, wenn diese Merkmale
1) ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre anders nicht objektiv präziser umschrieben werden können und
2) dem Fachmann eine ausreichend klare technische Lehre offenbaren, die er mit zumutbarem Denkaufwand - wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört - ausführen kann.
Nach Auffassung der Kammer sind diese zwei Bedingungen in der Streitanmeldung erfüllt.
3.1. Merkmal b) (Höhe der Einbringstelle von Kohle und Sauerstoff) und Merkmal c) (Höhe der Flüssigerzsäule) sind von wesentlicher Bedeutung bei dem erfindungsgemäßen Verfahren. Merkmal b) dient dazu, daß einerseits das Metall möglichst kohlenstoffarm in das Metallschmelzbad gelangt und andererseits kein Kohlenstoff in die Metallschmelze eingebracht wird. Zweck des Merkmals c) ist die Volloxydierung der eingebrachten Kohle. Diese beiden Parameter sind durch das zu erreichende Ergebnis definiert, weil es wegen der unterschiedlichen Gefäßabmessungen und Gefäßformen nicht möglich ist, die beiden Höhen, die ja von den Abmessungen der jeweiligen Reaktionsgefäße abhängig sind, konkreter, d.h. z.B. zahlenmäßig anzugeben. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, wie diese Höhen ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre präziser als geschehen anzugeben wären. Die Unmöglichkeit einer konkreten Feststellung der beiden Höhen ist kein Anzeichen einer Undeutlichkeit, sondern zeigt im Gegenteil die Notwendigkeit einer funktionellen Formulierung.
3.2. Der Fachmann kann die erfinderische Lehre auch mit zumutbarem Aufwand ausführen. In ihrer Bescheidserwiderung vom 23. Oktober 1986 (vgl. Seite 3, 2. und 3. Absatz) hat die Anmelderin zurecht geltend gemacht, daß die beiden maßgeblichen Parameter sich durch wenige Versuche leicht ermitteln lassen:
3.2.1. Nach allgemeinem Fachwissen ist Kohlenstoff in vielen Metallen, z.B. in Eisen, löslich, so daß er, soweit er nach dem Einbringen nicht bei der Reduktion des oxidischen Erzes und durch seiner Oxidation mit dem ebenfalls eingebrachten Sauerstoff verbraucht wird, mit der Metallschmelze in das Schmelzbad gelangt. Nach dem einleuchtenden Vortrag der fachmännischen Beschwerdeführerin (Eingabe vom 23. Oktober 1986, Seite 2 Absatz 2) läßt sich auf Grund dieses Wissens die genaue Höhe der Einbringstelle am jeweiligen Reaktionsgefäß ermitteln, indem der Kohlenstoffgehalt des Metallschmelzbades gemessen wird; ist er zu hoch, vergrößert man die Höhe der Einbringstelle. Diese Höhenlage muß übrigens für jedes Reaktionsgefäß nur einmal bestimmt werden. Ist sie einmal ermittelt, so bleibt sie bei jedem gleichartigen Gefäß konstant.
3.2.2. Ebenso einfach ist es hinsichtlich der Verfahrensmaßnahme c). Es ist nämlch ebenfalls allgemeines Fachwissen, daß die eingebrachten Kohlenstoff und Sauerstoff zunächst miteinander unter Bildung von Kohlenmonoxid (CO) reagieren, das dann das oxidische Erz reduziert und dabei seinerseits zu Kohlendioxid (CO2) weiteroxidiert wird. Es hängt somit von der Höhe der Erzaufschüttung oberhalb der Einbringungsstelle ab, ob und wie weit das Abgas noch CO enthält. Der Vortrag der fachmännischen Beschwerdeführerin überzeugt daher, daß sich die Höhe der Erzaufschüttung durch Vergrößerung bzw. Verringerung der Nachchargierung leicht variieren, und die erforderliche Minimalhöhe sich durch Messen des CO- bzw. CO2-Gehalts des Abgases ermitteln läßt. Die dazu nötigen Meßgeräte sind ohnehin schon aus Überwachungsgründen vorhanden. Stellt man also durch Messen der Zusammensetzung des Abgases fest, daß darin CO enthalten ist, so vergrößert man die Höhe der Erzaufschüttung, bis kein CO mehr festgestellt wird. Auch diese Untersuchung braucht für jedes Reaktionsgefäß nur einmal vorgenommen zu werden und liegt dann für alle gleich gemessenen großen Gefäße fest (vgl. hierzu Eingabe vom 23. Oktober 1986, Seite 2, Absatz 3).
3.3. Somit ist den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ Genüge getan.
4. Des weiteren ist gemäß Artikel 83 EPÜ die Erfindung in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Nach Überzeugung der Kammer stellt die Erfindungsdefinition des Anspruchs 1 in Verbindung mit den Ausführungen von Seite 3, Zeile 16, bis Seite 4, Zeile 16, der Beschreibung eine solche dem Artikel 83 EPÜ genügende Offenbarung dar.
5. Zu prüfen bleibt, ob die Streitanmeldung auch den Erfordernissen der Regel 27 (1) (f) EPÜ entspricht.
5.1. Nach Regel 27 (1) (f), erster Halbsatz ist in der Beschreibung wenigstens ein Weg zur Ausführung der beanspruchten Erfindung im einzelnen anzugeben; wo es angebracht ist, soll dies gemäß Regel 27 (1) (f) zweiter Halbsatz, durch Beispiele und gegebenenfalls unter Bezugnahme auf Zeichnungen geschehen.
5.2. Die vorliegende Beschreibung erläutert nun, wenn auch in abgekürzter Form, einen solchen Weg, nämlich die Herstellung von Eisen; vgl. Seite 5, Zeilen 23 bis 25, in Verbindung mit der Zeichnung, insbesondere auch den dort wiedergegebenen Reaktionsgleichungen.
5.3. Ein regelrechtes Ausführungsbeispiel ist freilich in der Beschreibung nicht enthalten. Ein solches wird jedoch von Regel 27 (1) (f) nur gefordert, "wo es angebracht ist". Zudem läßt Regel 27 (2) EPÜ eine von Regel 27 (1) abweichende Form zu, u.a. dann, wenn dies zu einer knapperen Darstellung führt. Ein solcher Fall liegt hier nach Auffassung der Kammer vor, weil die einfache Natur der Erfindung auch ohne ausführlichere Erläuterungen deren vollkommenes Verständnis gestattet. Die Kammer sieht daher die Erfordernisse von Artikel 27 (1) (f) EPÜ als erfüllt an.
5.4. Die Rechtslage in der vorliegenden Anmeldung ist nicht mit derjenigen zu vergleichen, die der von der Prüfungsabteilung angezogenen Entscheidung T 134/82 (nicht veröffentlicht) zugrundelag. Nach Ansicht der dort entscheidenden Kammer war eine beantragte Korrektur des einzigen Beispiels im Hinblick auf Regel 88 und Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig; als einzige Möglichkeit verblieb die Streichung des Beispiels; und nach einer solchen verstieß die Beschreibung nicht nur gegen Regel 27 (1) (f), sondern auch gegen Art. 83 EPÜ. Im vorliegenden Falle ist jedoch von einem Verstoß gegen Art. 83 EPÜ keine Rede (vgl. Abschnitt 4 vorliegender Entscheidung); somit ergeben sich andere Schlußfolgerungen.
6. Hinsichtlich der materiellen Patenterfordernisse hat sich die Vorinstanz bisher mit der Auswahl des nach ihrer Ansicht relevantesten unter den recherchierten Dokumenten und einigen allgemeinen Feststellungen hierzu begnügt (Prüfungsbescheid vom 23. August 1985), ohne daß es zu einer Ermittlung der demgegenüber objektiv bestehenden technischen Aufgabe,der erfindungsgemäß tatsächlich erfolgten Aufgabenlösung sowie einer abschließenden Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gekommen ist (vgl. auch die Bescheide vom 14. Juli 1986, Punkt 3, und vom 27. März 1987, Punkt 2). Es ist somit noch keine vollständige Prüfung erfolgt. Die Kammer macht daher von der ihr nach Artikel 111 (1) EPÜ eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Sache zur weiteren Prüfung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Sachprüfung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.