T 0198/88 (Betonsanierung) 03-08-1989
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1. Das Einspruchsverfahren ist ein selbständiges, dem Erteilungsverfahren nachgeschaltetes Verfahren. Ein im Prüfungsverfahren berücksichtigtes Dokument ist deshalb nicht automatisch Gegenstand des Einspruchs- oder des Einspruchsbeschwerdeverfahrens, auch wenn es im angefochtenen europäischen Patent zitiert und gewürdigt wird.
2. Wird das Dokument verspätet in das Einspruchsverfahren eingebracht, wird seine Relevanz im Rahmen der Ermittlung von Amts wegen (Artikel 114 (1) EPU) geprüft.
In der europäischen Patentschrift angegebenes Dokument nicht automatisch im Einspruchsverfahren zu berücksichtigen
Befassung der Grossen Beschwerdekammer - abgelehnt
I. Auf die am 16. November 1982 eingereichte europäische Patentanmeldung 82 110 545.9 wurde das europäische Patent 108 828 mit zwei Patentansprüchen erteilt. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde im Patentblatt 86/33 am 13. August 1986 veröffentlicht. Der erteilte unabhängige Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
(...)
II. Gegen die Erteilung dieses Patents wurden am 31. März und 12. Mai 1987 zwei Einsprüche eingelegt. Unter Hinweis auf mehrere Druckschriften, darunter
(6) DE-A-2 412 475
(7) Korrosions-Schutz durch Lacke und Pigmente, J. Ruf (1972), Seiten 132-161.
wurde der Widerruf des Patents wegen Mangels an Neuheit und erfinderischer Tätigkeit beantragt.
III. Mit Entscheidung vom 8. März 1988 hat die Einspruchsabteilung die Einsprüche zurückgewiesen. ...
IV. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer am 6. Mai 1988 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 5. Juli 1988 damit begründet, daß der Gegenstand des angefochtenen Patents u.a. im Hinblick auf (6) nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. ...
In der mündlichen Verhandlung am 3. August 1989 stützte sich der Beschwerdeführer außerdem auf
(11) DE-A-2 458 149,
eine Druckschrift, die im angegriffenen Patent als Stand der Technik gewürdigt, im gesamten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren bisher aber nicht aufgegriffen worden war.
(...)
VI. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragt er, falls die in der mündlichen Verhandlung zitierte Druckschrift (11) von der Kammer als verspätet vorgebrachtes Beweismittel angesehen werden sollte, der Großen Beschwerdekammer die folgende Rechtsfrage vorzulegen:
"Befindet sich ein im Streitpatent zitiertes und gewürdigtes Dokument im Einspruchs(beschwerde)verfahren, auch wenn es innerhalb der Einspruchsfrist nicht aufgegriffen worden ist?"
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
(...)
(...)
2. Hinsichtlich der in der mündlichen Verhandlung zitierten Druckschrift (11) und des in diesem Zusammenhang hilfsweise gestellten Antrages auf Befassung der Großen Beschwerdekammer ist folgendes auszuführen:
2.1. Das Einspruchsverfahren ist dem Erteilungsverfahren als selbständiges Verfahren nachgeschaltet. Es ist ein gesondertes Verfahren, in dem eine Beschränkung oder ein Widerruf des zu Unrecht erteilten Patents erwirkt werden kann. Hierzu bedarf es nicht nur der Angabe der Einspruchsgründe, sondern des Vorbringens der diese rechtfertigenden Tatsachen und Beweismittel innerhalb der Einspruchsfrist (Artikel 99 (1) und 100 sowie Regel 55 (c) EPU). Folglich ist das Einspruchsverfahren kein Verfahrensabschnitt des Erteilungsverfahrens. Aus diesem Grunde kann sich ein Dokument keinesfalls im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren befinden, wenn es lediglich im angefochtenen Patent zitiert und gewürdigt ist. Die Druckschrift (11) befand sich somit nicht im Einspruchsverfahren.
2.2. Die von der Kammer aufgrund von Artikel 114 (1) EPU von Amts wegen durchgeführte Ermittlung hat ergeben, daß die Druckschrift (11) im Hinblick auf die Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstandes des angefochtenen Patents zu keiner anderen Entscheidung führen würde. Diese Druckschrift ist mithin unerheblich und deshalb in diesem Verfahren nicht weiter zu berücksichtigen.
(...) Dieses Ergebnis ist grundsätzlich nicht näher zu begründen. Wer nämlich verspätet Umstände oder Einwände vorträgt, die im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung zudem noch unerheblich sind, hat keinen Anspruch, daß die entscheidende Instanz darauf sachlich eingeht.
2.3. Die Kammer ist der Auffassung, daß die Antwort auf die im Antrag auf Befassung der Großen Beschwerdekammer (gemäß Artikel 112 (1) EPU) gestellte Rechtsfrage sich direkt und eindeutig (wie in Abschnitt 2.1 hiervor dargelegt) aus den Vorschriften des EPU ableiten läßt. Andererseits sind keine gegenteiligen Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage bekannt, die im Hinblick auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung (im Sinne von Artikel 112 (1) EPU) eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer rechtfertigen würden. Eine solche Entscheidung ist daher im vorliegenden Fall nicht erforderlich (vgl. Artikel 112 (1) a) EPU). Der Antrag wird deshalb zurückgewiesen.
(...)
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.