T 0532/90 18-05-1993
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Pulverförmiger Spritzwerkstoff auf Nickel-Chrom-Basis
Höganäs AB
VTP Schweissmaterial GmbH & Co.KG
VOEST-ALPINE STAHL AG
Erfinderische Tätigkeit (bejaht), trotz verschiedener Annahmen zugunsten der Einsprechenden
Inventive step (yes) - problem and solution
I. Auf die am 20. Juni 1984 eingereichte europäische Patentanmeldung Nr. 84 902 331.2, in der die Priorität der schweizerischen Patentanmeldung Nr. 3532/83 vom 28. Juni 1983 beansprucht wurde, ist am 8. April 1987 das europäische Patent Nr. 0 147 440 erteilt worden (Patentblatt 87/15).
Der einzige unabhängige Anspruch 1 dieses Patents lautet:
"Pulverförmiger, eine selbstfliessende Legierung auf Nickel-Chrom-Basis aufweisender Spritzwerkstoff zur Herstellung von erosions-, korrosions- und oxydationsbeständigen Schutzschichten durch thermisches Spritzen und Einschmelzen mit folgender Legierungszusammensetzung in Gew.%:
C 0,01-2,0
Fe 0,1-25,0 mit Ausnahme des Bereiches von 1,5-6
B 0,5-4,5
Si 0,6-5,5
Cr 20,0-28,0
Nb bis zu 2,0
Mo bis zu 15,0
Ni Rest,
wobei der Borgehalt, mit einer maximalen Abweichung von ±10%, jeweils 75% des Siliziumgehaltes beträgt."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 geben eingeschränkte Legierungsvorschriften für die gemäß Anspruch 1 verwendeten Legierungen an.
II. Gegen das erteilte Patent wurden drei Einsprüche mit dem Antrag auf Widerruf des Patents im wesentlichen wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) eingelegt.
Die Einsprüche wurden unter anderem auf folgende Druckschriften gestützt:
(1) Automatic Welding, Band 30, No. 5, Mai 1977, Seiten 30-33; und
(7) "Hartlegierungen zum Verschleißschutz" von Knotek u.a., Verlag Stahleisen mbH., Düsseldorf, 1975, Seiten 77-79.
III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurde unter Beibehaltung der Ansprüche in ihrer erteilten Fassung eine durch Streichung von Beispielen geänderte Beschreibung vorgelegt. Die Einspruchsabteilung stellte mit Zwischenentscheidung vom 15. Mai 1990 fest, daß unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.
In der angefochtenen Entscheidung wird zunächst die Neuheit des Gegenstands des Streitpatents als gegeben angesehen. Nächstkommender Stand der Technik sei Dokument (1) oder (7).
Aufgabe sei der Vorschlag eines pulverförmigen Spritzwerkstoffes auf Ni-Cr-Fe-Basis mit Gehalten von Si, C und B, mit dessen Hilfe die Gesamtheit der Eigenschaften einer daraus hergestellten, verschleißfesten Schutzschicht verbessert werde. Diese Aufgabe werde patentgemäß durch einen Spritzwerkstoff gelöst, bei dem - im Gegensatz zu den in (1) als optimal bezeichneten Legierungen und der aus (7) bekannten Legierung Nr. 85 - ein B:Si-Verhältnis von 75 % mit einer maximalen Abweichung von ± 10 % eingestellt sei. Die Einstellung gerade dieses B:Si-Verhältnisses im Rahmen der patentgemäßen Zusammensetzung sei durch keines der in Betracht zu ziehenden Dokumente nahegelegt und gewährleiste ein Minimum des Benetzungswinkels, was sich glaubhafterweise positiv auf die Gesamtheit der Eigenschaften der Schutzschicht auswirke, insbesondere deren Duktilität und Rißfreiheit sicherstelle.
IV. Gegen diese Entscheidung haben die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende II und III) am 13. Juli 1990 bzw. 29. Juni 1990, jeweils unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr, Beschwerde eingelegt. Die entsprechenden Beschwerdebegründungen wurden am 13. September 1990 (Einsprechende II) bzw. am 6. September 1990 (Einsprechende III) eingereicht.
Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende I) hat weder Beschwerde eingelegt, noch hat sie eine sachliche Stellungnahme eingereicht und ist, obwohl ordnungsgemäß geladen, auch nicht zu der mündlichen Verhandlung erschienen.
V. Die Beschwerdeführerinnen brachten im wesentlichen folgende Argumente vor:
(i) Der patentgemäße Gegenstand unterscheide sich von Legierung Nr. 24 aus (1) bei in den beanspruchten Rahmen fallendem B:Si-Verhältnis lediglich durch einen um 1,9 % größeren Cr-Gehalt, was keine erfinderische Tätigkeit begründen könne;
(ii) Der geltend gemachte Effekt des reduzierten Benetzungswinkels sei, weil nicht aus den Unterlagen des Patents entnehmbar, in unzulässiger Weise nachgebracht worden, und sei außerdem nicht ausreichend belegt;
(iii) Die Patentinhaberin habe die im Streitpatent angesprochene verbesserte Temperaturbelastbarkeit durch keinen aussagekräftigen Vergleich mit dem nächstkommenden Stand der Technik glaubhaft gemacht.
VI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) bestritt in ihrer Eingabe vom 9. Juli 1992 die Argumente der Beschwerdeführerinnen an Hand von experimentellen Daten, die einen technischen Effekt für den beanspruchten Spritzwerkstoff, vor allem in bezug auf eine verbesserte Temperaturbelastbarkeit sowie einen minimalen Benetzungswinkel, belegen sollten.
VII. Am 8. Mai 1993 hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) erstmals sieben weitere Dokumente genannt.
In ihrer Eingabe vom 10. Mai 1993 bezog sich die Beschwerdegegnerin gutachtlich ebenfalls auf ein neues Dokument.
VIII. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 18. Mai 1993 waren ausschließlich die Einsprechende II als Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin vertreten.
Die andere Beschwerdeführerin (Einsprechende III), die ordnungsgemäß geladen worden war, ist - wie mit Schreiben vom 9. April 1993 angekündigt - nicht erschienen.
Sowohl das von der erschienenen Beschwerdeführerin als auch das von der Beschwerdegegnerin kurz vor der mündlichen Verhandlung genannte Material wurden von der Kammer wegen verspäteter Nennung und fehlender Relevanz nicht zugelassen.
IX. In der mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdeführerin wiederum ein neues Dokument vor, und zwar:
(25) "Vakuumeingeschmolzene Oberflächenschichten aus Carbid-Hartlegierung-Pulvermischungen" O. Knotek u. a., Metallwissenschaft und Technik, 34. Jahrgang; Heft 8; August 1980, Seiten 711 - 715.
Dieses Dokument wurde von der Kammer wegen seiner hohen Relevanz in das Verfahren eingeführt.
Nach Meinung der erschienenen Beschwerdeführerin stellt die in Tabelle 1 dieses Dokuments beschriebene Legierung Nr. 28 den nächstkommenden Stand der Technik dar; diese Legierung weise einen Wert für die Temperaturbelastbarkeit (TDmax) von 1050° oder 950°C auf, was die bisher geltend gemachte Verbesserung beim patentgemäßen Spritzwerkstoffe widerlege; es bestehe daher die Notwendigkeit, weitere Vergleichsversuche durchzuführen.
Was den behaupteten minimalen Benetzungswinkel anbelangt, bestritt die erschienene Beschwerdeführerin die Existenz dieses Effekts; wenn es ihn gäbe, müßte er zwangsläufig auch bei der Legierungszusammensetzung Nr. 24 aus (1) bestehen, welche als Stand der Technik ebenfalls das patentgemäße B:Si-Verhältnis aufweise.
Die Beschwerdegegnerin bestritt dagegen die für Dokument (25) behaupteten Werte der Temperaturbelastbarkeit und bekräftigte ihre bisher vorgebrachte Argumentation, wonach eine Verbesserung der Gesamtheit der Eigenschaften der patentgemäßen Schichten, einschließlich Temperatur (TDmax) und Dauer der Belastbarkeit, erreicht worden sei.
X. Die Beschwerdeführerinnen beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Hilfsweise beantragte die zur mündlichen Verhandlung erschienene Beschwerdeführerin den Übergang in das schriftliche Verfahren.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Artikel 123 EPÜ
Die im Einspruchsverfahren entstandene, als Grundlage für das jetzige Beschwerdeverfahren geltende geänderte Form des Streitpatents unterscheidet sich von der erteilten Form lediglich durch die Streichung der nicht unter Anspruch 1 fallenden Legierungen Nr. 4 und 5 sowie die Umnumerierung der Legierung Nr. 6 der Patentschrift in Nr. 4.
Ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) bzw. 123 (3) EPÜ liegt somit nicht vor.
3. Nächstkommender Stand der Technik
3.1. Das Streitpatent betrifft einen pulverförmigen, eine selbstfließende Legierung auf Nickel-Chrom-Basis aufweisenden Spritzwerkstoff zur Herstellung von erosions-, korrosions- und oxydationsbeständigen Schutzschichten durch thermisches Spritzen und Einschmelzen (siehe Streitpatent, Seite 2, Zeilen 1-5).
3.2. Solche Spritzwerkstoffe gehören zum Stand der Technik. Laut Streitpatent weisen die bekannten, auf dem Markt befindlichen Spritzwerkstoffe Nickel-Chrom-Basis- Legierungen mit Chromgehalten zwischen 0,5 und 17,0 Gewichtsprozenten auf. Der Anwendungsbereich solcher Hartlegierungs-Werkstoffe liege in der Erzeugung von sehr verschleißfesten Schutzschichten, die Korrosions- und Oxydationsbelastungen aussetzbar seien (Streitpatent, Seite 2, Zeilen 6-9).
Solche üblichen Zusammensetzungen gewährleisten zufolge Seite 2, Zeilen 10 ff. der Streitpatentschrift eine Oxydationsbeständigkeit der daraus hergestellten Schutzschichten bis maximal 600-700°C., verglichen mit 750-850°C. gemäß den Beispielen des Streitpatents.
3.3. Das erst in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin vorgelegte Dokument (25), insbesondere die in Tabelle 1 auf Seite 712 mit Nr. 28 bezeichnete Legierung, wird von ihr als nächstkommender Stand der Technik angesehen. Tabelle 1 zeigt einige zum Stand der Technik gehörende Hartlegierungen auf Nickelbasis mit Angaben über Schmelzbereiche und (teilweise) Arbeitstemperaturen.
Die obengenannte Legierung Nr. 28 hat folgende Zusammensetzung in Gew.-%:
Leg. Nr. 28
Cr 26,0
Si 4,0
B 3,5
C 0,95
Fe 1,0
Ni Rest
Der Schmelzbereich ist mit "1050°C" angegeben.
Somit kommt die Legierung Nr. 28, die der beanspruchten Zusammensetzung in den Einzelwerten aller Legierungsbestandteile entspricht, dem beanspruchten Gegenstand insofern näher als der im Patent anerkannte Stand der Technik, als sie einen Cr-Gehalt von mehr als 17 Gew.-% aufweist.
3.4. Eine nähere Überprüfung der Tabelle 1 zeigt jedoch, daß die Legierung Nr. 28 im Rahmen der Legierungen dieser Tabelle als Ausnahme anzusehen ist.
3.5. Das Dokument (25) befaßt sich mit einer Untersuchung, ob zur Steigerung der Verschleißfestigkeit von Hartlegierungsschichten auf Nickelbasis eine Erhöhung des Hartstoffanteils der Schichten geeignet wäre. Pulvermischungen aus Hartlegierungen auf Nickelbasis mit Carbiden des Chroms und Wolframs werden nach der Lehre dieses Dokuments im Vakuumofen so zu Oberflächenschichten eingeschmolzen, daß bewußt thermodynamische Ungleichgewichtszustände erreicht werden (Seite 711, linke und mittlere Spalte, "Einleitung").
In diesem Zusammenhang werden Legierungen mit weniger als 10% Cr wegen geringer Anteile an Hartphasen vorrangig zum Korrosions- und Zunderschutz, weniger zum Verschleißschutz eingesetzt. Legierungen mit höheren Cr-Gehalten gepaart mit höheren Gehalten an B, Si und C haben hervorragende Benetzungseigenschaften auf Eisenbasiswerkstoffen. Im Bereich der Legierungen 7 bis 27 der Tabelle 1 liegen die klassischen Hartlegierungen, die zum Verschleißschutz eingesetzt werden. Chromgehalte über 20% dagegen führen zu einer außerordentlichen Erhöhung an Boriden und Carbiden, womit die Sprödbruchanfälligkeit solcher Legierungen gesteigert wird (Seite 711, mittlere und rechte Spalte, "Stand der Technologie", erster Absatz).
Somit stellt die Legierung Nr. 28, die in Tabelle 1 als einzige einen Cr-Gehalt von mehr als 20% aufweist und im Dokument (25) nicht näher erörtert wird, eindeutig eine Legierung dar, für die nach der Lehre von (25) eine beträchtliche Sprödbruchanfälligkeit zu erwarten ist. Es ergibt sich daher, daß gerade die Legierung Nr. 28 durch ihre unvorteilhafte Zusammensetzung zur Herstellung einer verschleißfesten Schutzschicht nicht geeignet erscheinen mußte.
Die für diese Zwecke als geeignet angesehenen Legierungen haben hingegen die in Tabelle 1 unter den Ziffern 7 bis 27 genannten Zusammensetzungen. Diese wiederum entsprechen, mit einem Cr-Gehalt jeweils zwischen 10 und 17 Gew.%, ziemlich genau dem im Streitpatent anerkannten Stand der Technik (siehe oben in Absatz 3.1).
3.6. Obwohl aus diesen Gründen erhebliche Zweifel angebracht sind, ob Legierung Nr. 28 aus Dokument (25) tatsächlich als nächstkommender Stand der Technik angesehen werden kann, ist die Kammer bereit, zur Ermittlung der objektiven technischen Aufgabe versuchsweise von diesem Stand der Technik auszugehen.
3.7. Wie oben ausgeführt, geht es im Dokument (25) um Korrosions-, Zunder- und Verschleißschutz. Zwar sind der Schmelzbereich für jede Legierung (siehe Tabelle 1) sowie ein Phasendiagramm des thermischen Zustands bei 950°C (siehe Seite 712, linke Spalte, in Zusammenhang mit Abb. 2) angegeben; die daraus entnehmbaren Werte entsprechen jedoch nicht dem im Streitpatent angesprochenen Effekt der verbesserten Temperaturbelastbarkeit TDmax, der mit der Entstehung einer Oxidschicht zusammenhängt. Die Behauptung der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, wonach der obenerwähnte Schmelzbereich oder thermische Zustand der Temperaturbelastbarkeit TDmax gleichzusetzen sei, ist offensichtlich unbegründet.
3.8. Der Einwand, die Beschwerdegegnerin habe es versäumt, aussagekräftige Vergleichsversuche mit einer tatsächlich existierenden, als nächstkommender Stand der Technik anzusehenen Legierung zu liefern, greift nicht. Die Beschwerdegegnerin hat durch die in der Streitpatentschrift aufgeführten Beispiele dargelegt, daß die TDmax-Werte mit der beanspruchten Legierung gegenüber dem in der Patentschrift genannten Stand der Technik verbessert werden. Diese Werte sind von den Beschwerdeführerinnen bisher unbestritten oder jedenfalls unwiderlegt.
Dagegen sind der Entgegenhaltung (25), wie bereits dargelegt, keine Angaben über die Temperaturbelastbarkeitswerte TDmax zu entnehmen. Vielmehr befaßt sich Entgegenhaltung (25) mit ganz anderen Aspekten der Legierungszusammensetzung.
Somit hat die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht, daß das Dokument (25) den Effekt besonders hoher Temperaturbelastbarkeitswerte TDmax tatsächlich zeigt.
Bei dieser Sachlage kann der Beschwerdegegnerin nicht zugemutet werden, in diesem späten Stadium des Verfahrens eine weitere erhebliche Verfahrensverzögerung in Kauf zu nehmen, um der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu Vergleichsversuchen zu geben. Eher würde die Kammer ihren weiteren Erwägungen die obenerwähnten unwiderlegten, in den Beispielen der Streitpatentschrift aufgeführten verbesserten TDmax-Werte zugrundelegen.
3.9. Wenn man aber unabhängig von Dokument (25) zugunsten der Beschwerdeführerinnen die in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdegegnerin vorgenommene Schätzung als zutreffend unterstellt, wonach die im Falle von Legierung Nr. 28 zu erwartende Temperaturbelastbarkeit TDmax bei 750-800 C liege, d. h. den im Streitpatent beanspruchten Zusammensetzungen entspreche, so käme dies einer Widerlegung des geltend gemachten Effekts gleich. Die Kammer folgt dieser Annahme, wonach die maximale Temperaturbelastbarkeit TDmax im Falle der Legierung Nr. 28 weder besser noch schlechter wäre als die einer Legierung gemäß dem Streitpatent.
4. Die Aufgabe und deren Lösung
4.1. Ausgehend hiervon und von der genannten Legierung Nr. 28 als nächstkommendem Stand der Technik, kann man die bestehende Aufgabe in der Suche nach einem pulverförmigen Spritzwerkstoff auf Ni-Cr-Fe-Basis mit Gehalten von Si, C und B sehen, mit dessen Hilfe die Eigenschaften einer daraus hergestellten verschleißfesten Schutzschicht bei erhöhter Temperatur, insbesondere deren Rißfreiheit und Duktilität, verbessert werden können, ohne daß dabei die maximale Temperaturbelastbarkeit TDmax eine Einbuße erleidet.
4.2. Diese Aufgabe wird patentgemäß durch einen Spritzwerkstoff gelöst, bei dem - im Gegensatz zu der Legierung Nr. 28 - ein B:Si-Verhältnis von 75% mit einer maximalen Abweichung von ±10% vorgesehen ist.
4.3. Das von der Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 7. Oktober 1988 vorgelegte Diagramm zeigt, daß gerade das patentgemäße B:Si-Verhältnis bei der patentgemäßen Zusammensetzung des Spritzwerkstoffes ein Minimum des Benetzungswinkels sicherstellt.
Nach Darstellung der Beschwerdegegnerin erlaubt der patentgemäß erzielte kleine Benetzungswinkel die Herstellung einer gleichmäßig guten Verbindung der aufgetragenen Schicht mit dem Grundkörper. Dadurch wird eine "Inselbildung" zwischen Schicht und Grundkörper, also das Auftreten von Diskontinuitäten in der Verbindungsfläche, vermieden, und die Schicht kann in wesentlich grösserem Ausmaß die durch die unterschiedlichen Ausdehnungskoeffizienten von Schicht und Grundkörper auftretenden elastischen Spannungen aufnehmen. Dies bewirkt wiederum, daß die Schicht auch bei hohen Temperaturbelastungen nicht vom Grundkörper abplatzt und keine Risse in ihr auftreten (siehe Schriftsatz vom 9. Juli 1992, Seite 4).
Der aus dem gleichen Diagramm für die Legierung Nr. 28 mit einem B:Si-Verhältnis von 87,5 % ermittelte Benetzungswinkel beträgt dagegen fast das Zehnfache des obengenannten Minimums.
Bei einem so viel größeren Benetzungswinkel ist daher eine erheblich größere Tendenz zum Auftreten von Rissen bzw. zum Abplatzen der Schicht bei Temperaturbelastung zu erwarten. Diese Überlegung wird durch die Lehre des Dokuments (25) bestätigt, die einen Zusammenhang zwischen solchen Legierungen mit über 20% Cr und hohen Metalloidanteilen einerseits und erhöhter Sprödbruchanfälligkeit andererseits herstellt (siehe Seite 711, rechte Spalte), da die Legierung Nr. 28 (26 % Cr; 4.0 % Si; 3,5 % B) gerade eine solche Zusammensetzung aufweist.
4.4. Aus den obigen Gründen erscheint es für die Kammer glaubhaft, daß sich der minimale Benetzungswinkel, wie dies die Beschwerdegegnerin vorträgt, positiv auf die Gesamtheit der Eigenschaften der Schutzschicht auswirkt und insbesondere deren Duktilität und Rißfreiheit sicherstellt. Die gegenteilige Behauptung der Beschwerdeführerin (zuletzt im Schriftsatz vom 7. Mai 1993) ist hingegen durch kein Beweismittel gestützt und kann daher die Kammer nicht überzeugen.
4.5. Nach allem muß die bestehende Aufgabe als glaubhaft gelöst gelten. Da die objektive Aufgabe nicht im Vergleich zum gesamten, sondern im Vergleich zum nächstkommenden Stand zu ermitteln ist, d. h. im vorliegenden Fall im Vergleich zur Legierung Nr. 28 von (25), liegt der Einwand der Beschwerdeführerin, ein eventuell durch das beanspruchte B:Si-Verhältnis bewirkter positiver Effekt müsse auch bereits durch die Legierung Nr. 24 von (1) erzielt worden sein, jedenfalls insoweit neben der Sache, als es um die tatsächliche Aufgabenlösung durch den beanspruchten Vorschlag geht. In anderem Zusammenhang wird auf diesen Stand der Technik noch einzugehen sein.
4.6. Dem Argument der Beschwerdeführerin, wonach die Effekte der Duktilität und Rißfreiheit in unzulässiger Weise nachgebracht worden seien, kann nicht gefolgt werden.
4.6.1. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist die Aufgabe anhand objektiv festgestellter Sachverhalte zu bestimmen, die sich insbesondere aus dem im Laufe des Verfahrens ermittelten Stand der Technik ergeben, der sich von demjenigen unterscheiden kann, der dem Anmelder zum Einreichungszeitpunkt bekannt war. Eine dadurch bedingte Neuformulierung der Aufgabe wird durch Artikel 123 (2) EPÜ nicht ausgeschlossen, wenn die Aufgabe vom Fachmann unter Berücksichtigung des nächsten Standes der Technik aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung abgeleitet werden kann (vgl. beispielsweise Punkt 11 der Entscheidung T 13/84 vom 15. Mai 1986, ABl. EPA 1986, 253).
4.6.2. Dieser Sachverhalt trifft im vorliegenden Fall insbesondere im Hinblick auf das erst am Tag der mündlichen Verhandlung vorgelegte Dokument (25) und die darin beschriebene Legierung Nr. 28 zu.
Sowohl aus der Gesamtoffenbarung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Anmeldung als auch aus dessen erteilter Fassung geht klar hervor, daß es um die Herstellung einer verschleißfesten Schutzschicht geht, die eine erhöhte Temperaturbelastbarkeit, sowie eine sehr gute Erosions- und/oder Korrosions- und/oder Oxydationsbeständigkeit haben soll (siehe Erstunterlagen, Seite 1, vorletzter Absatz, sowie Streitpatentschrift, Seite 2, Zeilen 14-16). Um solche allgemeine Beständigkeiteigenschaften zu gewährleisten, darf die Schutzschicht bei Temperaturbelastung selbstverständlich nicht - wie die im Dokument (25) beschriebenen hochchromigen Legierungen - spröd und brüchig sein. Sie muß vielmehr duktil und rißfrei sein.
Die neuformulierte Aufgabe ist daher aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung unter Berücksichtigung des nächstkommenden Standes der Technik direkt abzuleiten.
5. Auslegung des Anspruchs 1
Die Kammer folgt der Auslegung der Einspruchsabteilung, wonach das beanspruchte B:Si-Verhältnis von 75 % "mit einer maximalen Abweichung von ±10 %" im Sinn eines Bereiches von 67,5 bis 82,5 % zu verstehen ist, und zwar aus den gleichen, in Abschnitt II/5 der angefochtenen Entscheidung angegebenen Gründen.
6. Neuheit
Keine der im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren zitierten Druckschriften offenbart eine Legierungszusammensetzung, die sowohl die Einzelwerte aller Legierungsbestandteile, als auch das B:Si-Verhältnis der im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchten Legierungszusammensetzung aufweist.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.
7. Erfinderische Tätigkeit
7.1. Ausgehend von der Legierung Nr. 28, die ein B:Si-Verhältnis von 87,5 % aufweist, stellt sich die Frage, ob der Fachmann vom gesamten im Verfahren befindlichen Stand der Technik die Anregung hätte entnehmen können, daß eine Verbesserung der vom Benetzungswinkel abhängigen Eigenschaften (Rißfreiheit, Duktilität) einer daraus hergestellten Schutzschicht durch gezielte Änderung des genannten B:Si-Verhältnisses auf 67,5 - 82,5 % zu erreichen ist.
7.2. Dokument (25) selbst gibt dafür keine Anregung, da die Benetzungsfähigkeit der dort beschriebenen Legierungszusammensetzungen nicht in Zusammenhang mit einem bestimmten Wert des B:Si-Verhältnisses gebracht wird.
Folgt der Fachmann der Lehre dieses Dokuments, z. B. um möglichst gute Benetzungseigenschaften zu erzielen, so gelangt er zu Legierungen mit einem Cr-Gehalt von weniger als 20 %, insbesondere zu den speziell angesprochenen Legierungen 7 bis 27, die einen Cr-Gehalt von nur 10 bis 17 % aufweisen (vgl. (25), Seite 711, Teil "Stand der Technologie", erster Absatz der rechten Spalte, in Verbindung mit Tabelle 1).
7.3. Ebensowenig ist eine solche Anregung dem übrigen im Verfahren befindlichen Stand der Technik zu entnehmen.
7.3.1. Dokument (1) betrifft die Entwicklung eines hitzebeständigen Chrom-Nickel-Stahls zur Herstellung von Dichtungsflächen für Wasserdampfdruckvorrichtungen. Die Entwicklung wurde mit Hilfe einer Experimentierstrategie durchgeführt, wobei die optimale Zusammensetzung mit kleinstmöglicher Anzahl von Versuchen ermittelt wurde. Im Hinblick darauf wurden verschiedene, nach dem "Hartley Plan" entworfene Legierungszusammensetzungen in Form von plasmagespritzten Schichten in bezug auf Härte, Hitze- und Korrosionsbeständigkeit getestet (siehe Seite 30). Die Ergebnisse der getesteten Legierungen sind in Tabelle 1 angegeben (siehe Seite 31), wobei die Benetzbarkeitseigenschaften nicht direkt angesprochen werden.
7.3.2. Diejenige Zusammensetzung, die in Dokument (1) als optimal bezeichnet wird (siehe den die Seiten 31 und 32 verbindenden Satz) hat folgende Zusammensetzung in Gew.-%:
Cr 26
Si 5
B 0,9
C 0,46
Fe 7,9
Ni Rest.
Sie weist somit ein B:Si-Verhältnis <20 % auf.
Da die Benetzungfähigkeit überhaupt nicht angesprochen, geschweige denn in einen Zusammenhang mit dem B:Si- Verhältnis gebracht wird, kann (1) keine Anregung entnommen werden, einen diesbezüglichen Vorteil durch Einstellung gerade dieses B:Si-Werts zu erzielen. Es sind auch keine anderen Gründe ersichtlich, warum ein derart niedriger Wert des B:Si-Vehältnisses eine Anregung für den Wert-Bereich der beanspruchten Lösung geben könnte.
7.3.3. Die 27 Zusammensetzungen in Tabelle 1 des Dokuments (1) treten demgegenüber in den Hintergrund, weil nicht ersichtlich ist, warum gerade die eine oder andere von ihnen einen Vorteil gegenüber der als optimal bezeichneten Zusammensetzung bieten sollte.
Dies gilt insbesondere auch für die von den Beschwerdeführerinnen mehrfach erwähnte Legierung Nr. 24, die nach der Information der Tabelle 1 u. a. eine ausgesprochen schlechte Hitzebeständigkeit ("thermal endurance N") aufweist. Die Tatsache, daß diese Legierung dem Lösungsvorschlag des Streitpatents hinsichtlich des B:Si-Verhältnisses mit etwa 79 % entspricht, kann hieran nichts ändern; im Gegenteil müßte der Fachmann, der auf irgendeine - nicht ersichtliche - Weise auf die mögliche Bedeutung dieses Verhältnisses aufmerksam geworden sein sollte, durch die erwähnte schlechte Hitzebeständigkeit dieser Legierung eher von der Wahl eines Verhältnisses im umgebenden Bereich abgehalten worden sein.
7.3.4. Ähnliches trifft auch für die 86 Zusammensetzungen der Tafel 20 in Dokument (7) einschließlich der von den Beschwerdeführerinnen hervorgehobenen Legierung Nr. 85 zu, wobei dieses Dokument außerdem schon von der Aufgabe her dem Streitpatent ferner liegt als das Dokument (1).
7.3.5. Die übrigen im Verfahren befindlichen Dokumente liegen dem beanspruchten Gegenstand noch ferner.
7.4. Was die im Laufe des Einspruchsverfahrens gestrichenen Beispiele 4 und 5 angeht, ist es für die Patentierbarkeit ohne Bedeutung, daß gerade für diese Legierungszusammensetzungen noch höhere Werte für die Temperaturbelastbarkeit TDmax angegeben wurden. Diese Werte gehören nicht zum Stand der Technik und können daher nicht zu einem Angriff auf die Patentierbarkeit herangezogen werden.
Angesichts der Gesamtheit des im Verfahren befindlichen Standes der Technik ergibt sich die beanspruchte Lösung der bestehenden Aufgabe somit nicht in naheliegender Weise.
7.5. Man gelangt auch zu keinem für die Beschwerdeführerinnen günstigeren Ergebnis, wenn man, wie im Bescheid vom 3. März 1993 angekündigt, von der Druckschrift (1) als nächstkommendem Stand der Technik ausgeht, und zwar von der dort als optimal empfohlenen Legierung (siehe Punkt 7.3.2). Der Unterschied zum beanspruchten B:Si-Verhältnis wäre dann noch größer als gegenüber Legierung Nr. 28 von Dokument (25). Ferner fehlte ebenfalls eine Anregung, dieses Verhältnis auf den beanspruchten Wert einzustellen, und zwar aus den unter den Punkten 7.2 bis 7.4 erwähnten Gründen.
8. Nach allem beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 und damit auch die Gegenstände der davon abhängigen Ansprüche 2-6 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.