T 0713/90 17-10-1991
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Drehanode für Röntgenröhren
Inventive step (no)
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 209 163 (Anmeldenummer 86 200 625.1).
Ansprüche 1 und 3 dieses Patents lauten:
"1. Drehanode für Röntgenröhren, mit einem Grundkörper aus einer Molybdän-Legierung, dadurch gekennzeichnet, daß die Molybdän-Legierung aus 0,1 - 15 Gew. % Hafnium, 0,1 - 15 Gew. % Zirkon, 0,01 - 1,0 Gew. % Kohlenstoff, Rest Molybdän besteht.
3. Vorrichtung mit einer Drehanode nach Anspruch 1 oder2 und einer Drehanodenwelle, dadurch gekennzeichnet, daß die Molybdän-Legierung für den Grundkörper auch für die Drehanodenwelle verwendet wird."
Anspruch 2 ist auf Anspruch 1 rückbezogen.
II. Die Beschwerdeführerin hat unter Nennung der Dokumente:
D1: AT-B-257 751;
D2: Dr. R. Eck: "Neue Technologien in der Verarbeitung von Refraktärmetallen", Metall, 36. Jahrgang 1982, Heft 10, Seiten 1068 - 1072;
D3: R. Eck und J. Tinzl: "Mechanical properties of advanced molybdenum based Ti-Zr-Hf-C alloys", Modern Developments in Powder Metallurgy, Band 17, Toronto, Canada, Juni 1984, Seiten 129 - 143;
D4: DE-A-2 613 060 im Hinblick auf Artikel 100 (a) EPÜ Einspruch erhoben.
Nach Ablauf der Einspruchsfrist wurde noch das Dokument D5: R. Eck und Tinzl: "Mechanische Eigenschaften von neuen Molybdän-Basislegierungen Ti-Zr-Hf-C", 11. Plansee Seminar, 20. bis 26. Mai 1985, Seiten 131 - 150, genannt.
III. Während des Einspruchsverfahrens hat die Beschwerdegegnerin auf das Dokument D6: R. Eck: "Festkörperreaktionen bei der pulvermetallurgischen Herstellung und Verarbeitung der Molybdänlegierung TZM", 7. Plansee Seminar, 21. bis 25. Juni 1971, Seite 6 hingewiesen.
IV. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch zurückgewiesen.
V. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und in ihrer Beschwerdebegründung zur weiteren Stützung ihrer Argumentation auf die Entscheidung T 21/82 (ABl. EPA 1983, S. 15) hingewiesen, wobei man darunter T 21/81 statt T. 21/82 verstehen muß.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
VII. Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Zur Begründung ihres Antrags trägt die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgende Argumente vor:
Aus Dokument (D1) ist eine Drehanode für Röntgenröhren bereits bekannt, die mit einem Grundkörper aus der Molybdän-Legierung TZM versehen ist. Die Dokumente (D2) und (D3) weisen aber auf die Vorteile der Zirkon, Hafinium und Kohlenstoff enthaltenden Molybdän-Legierungen ZHM gegenüber TZM hin. Aus (D2) lernt man insbesondere, daß die Legierungen ZHM eine höhere Rekristallisationstemperatur und bei hohen Temperaturen höhere Zugfestigkeit sowie Kriechstabilität als TZM aufweisen. Hinsichtlich der verbesserten Kriechstabilität wird außerdem in (D3) auf die 0,72 % Zirkon, 0,14 % Hafnium und 0,05-0,1 % Kohlenstoff enthaltende ZHM Legierung hingewiesen, wobei man bemerkt, daß die Mengenanteile der einzelnen Bestandteile dieser Legierung innerhalb der in Ansprüchen 1 und 2 des Streitpatents angegebenen Intervalle liegen. Wohl hat die Patentinhaberin vorgebracht, daß TZM im Gegensatz zu ZHM eine nicht-aushärtbare Legierung sei, woraus folge, daß TZM weniger kerbempfindlich als ZHM sei. Diese Behauptung trifft jedoch nicht zu, denn sie wird vom Dokument (D5) widerlegt. Man liest dort nämlich, daß TZM ein durch Karbid-Dispersion ausgehärtetes Material ist. Der Fachmann, der Drehanoden mit verbesserten mechanischen Eigenschaften bei hohen Temperaturen herzustellen versucht, würde die Lehre der Dokumente (D2, D3) deshalb anwenden, um diese Aufgabe zu lösen.
Der zusätzliche Vorteil der ZHM Legierungen, neben den verbesserten Zugfestigkeit und Kriechstabilität sowie der höheren Rekristallisationstemperatur auch eine herabgesetzte Kerbempfindlichkeit aufzuweisen, ist dabei nur als "Bonus-Effekt" anzusehen. Hinsichtlich dessen wird auf die Entscheidung T 21/81 hingewiesen, nach der man davon ausgehen muß, daß es zur normalen Tätigkeit eines Fachmanns gehört, aus den Materialien, die ihm als für einen bestimmten Zweck geeignet bekannt sind, das geeignetste auszuwählen. Schließlich wäre noch zu bemerken, daß das Problem der Kerbempfindlichkeit im Streitpatent nicht erwähnt ist.
IX. Die Beschwerdegegnerin argumentierte während des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung im wesentlichen wie folgt:
Eine gute Kriechfestigkeit einer Legierung bei hoher Temperatur ist eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung dieser Legierung bei Drehanoden, denn sie wirkt sich insbesondere auf die Vermeidung von Verzugserscheinungen aus. Sie ist aber nicht die einzige Eigenschaft, die das den Grundkörper einer Drehanode bildende Material aufweisen muß. Vor allem ist eine verminderte Kerbempfindlichkeit bei hohen Temperaturen notwendig um Rißbildung an Drehanoden zu vermeiden.
Bei TZM und ZHM handelt es sich um dispersionsgehärtete Werkstoffe, d. h. um Werkstoffe in deren Gefüge harte Teilchen verteilt sind und Festigkeitssteigerungen bewirken. Eine gute Zugfestigkeit eines dispersionsgehärteten Werkstoffes ist dennoch keinesfalls mit einer verminderten Kerbempfindlichkeit automatisch verbunden, denn die letztere wird vor allem von der Kerbwirkung der Dispersoide im Gefügeaufbau bestimmt. Beispielsweise hat die Form der Dispersoide einen wesentlichen Einfluß auf die Kerbempfindlichkeit, während sie für die Zugfestigkeit praktisch bedeutungslos ist. Demgegenüber wird die Zugfestigkeit durch Anteile der Legierungselemente, die in der Matrix gelöst sind, ganz wesentlich beeinflußt, während die Kerbempfindlichkeit davon unbeeinflußt bleibt.
Jetzt ist mit dem Wort "dispersionsgehärtet" über Art und Weise, wie die Dispersoide gebildet werden, noch nichts ausgesagt. Im Gegensatz dazu ist durch den Begriff "Aushärtung" klar ausgesagt, daß durch eine spezielle Glühbehandlung Festigkeitssteigerungen eines Werkstoffes erreicht werden. Bei ZHM, wo Hafnium und Kohlenstoff während des Sinterns in Lösung sind, führt eine anschließende Glühbehandlung zu einer Dispersionshärtung durch Karbidausscheidung, und damit zu einer Festigkeitssteigerung, während TZM - wie aus (D6) bekannt - nicht aushärtbar ist.
Die Ausscheidung von Hafniumkarbid ließ den Fachmann aufgrund der Kerbwirkung der dispergierten Körner eine höhere Kerbempfindlichkeit gegenüber TZM erwarten. Überraschenderweise weist jedoch ZHM gegenüber TZM eine wesentlich herabgesetzte Kerbempfindlichkeit bei hohen Temperaturen auf. Diese Eigenschaft läßt sich vermutlich darauf zurückführen, daß die Hafniumkarbide sehr feinkörnig ausgeschieden werden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit
2.1. Die Entgegenhaltung (D1) bezieht sich auf eine Drehanode für Röntgenröhren - siehe Titel. Der Grundkörper dieser Anode besteht aus einer Molybdän-Legierung, die 0,05 - 1,5 Gew.-% Titan und gegebenenfalls noch bis zu 0,5 Gew.-% Zirkon und/oder 0,3 Gew.-% Kohlenstoff enthält - siehe Seite 1, Zeilen 14 bis 25, sowie Patentanspruch.
Somit weist die bekannte Anode sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 auf.
2.2. Da die Verwendung von Hafnium enthaltenden Molybdän- Legierungen in (D1) nicht berücksichtigt wird, so besteht das Neue der beanspruchten Drehanode darin, daß die ihren Grundkörper bildende Molybdän-Legierung Hafnium statt Titan enthält, also eine ZHM- Legierung statt einer TZM- Legierung ist.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Die von der Beschwerdeführerin herangezogene Entscheidung T 21/81 (ABl. EPA 1983, S. 15 - 21) stellt fest, daß es zur normalen Tätigkeit eines Fachmanns gehört, aus den Materialien, die ihm als für einen bestimmten Zweck geeignet bekannt sind, das geeignetste auszuwählen - siehe Punkt 5 der Entscheidungsgründe. Die Kammer teilt deshalb die Auffassung der Beschwerdeführerin, gemäß der keine erfinderische Tätigkeit erforderlich ist, um die Verwendung einer anderen Molybdän-Legierung zur Herstellung von Grundkörpern für Drehanoden in Erwägung zu ziehen als derjenigen, die aus (D1) bekannt ist. Dies gilt im vorliegenden Falle um so eher als im Streitpatent sogar eingeräumt wird, daß der Verzug der Brennbahn bei aus (D1) bekannten Drehanoden mit einem Grundkörper aus TZM- Legierung ein bekanntes Problem ist - siehe Spalte 1, Zeile 50 bis Spalte 2, Zeile 12.
3.2. Die Kammer teilt ebenfalls die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach der für die Herstellung von Drehanoden für Röntgenröhren zuständige Fachmann bei seiner Suche nach Materialien, die besser geeignet als TZM-Legierungen sind, auf die Dokumente (D2, D3) stoßen und somit erfahren würde, welche Vorteile ZHM-Legierungen gegenüber TZM-Legierungen aufweisen.
Dem Dokument (D2) entnimmt man, daß bei Verwendung einer ZHM-Legierung statt einer TZM-Legierung, eine etwa 20 %-ige Verbesserung der Warmfestigkeit und damit eine entsprechende Zunahme der Kriechbruchzeit erreicht werden kann, und daß ein zusätzlicher Vorteil der Legierung ZHM die zu noch höheren Temperaturen verschobene Rekristallisationstemperatur ist - vgl. Seite 1071, zweite Spalte sowie Abbildung 11.
Im Dokument (D3) wird auf zwei ZHM-Legierungen hingewiesen, die gegenüber TZM-Legierungen eine verbesserte Kriechstabilität aufweisen und deren Zusammensetzungen Mo-0,72 Zr-0,14 Hf-0,05 % C, bzw. Mo- 0,72 Zr-0,14 Hf-0,1 % C sind - siehe Zusammenfassung sowie Seite 132, vierter und fünfter Absatz. Zwar wird in (D3) nicht expressis verbis zum Ausdruck gebracht, ob diese Angaben in Gew.-% zu verstehen sind. Es ist in der Metallurgie dennoch der Brauch, Zusätze-Gehalte der Legierungen in Gew.-% anzugeben und die Beschwerdegegnerin hat eigentlich nie versucht, hinsichtlich dessen eine abweichende Interpretation durchzusetzen. Ebenso wie die Beschwerdeführerin ist die Kammer deshalb der Auffassung, daß die obenerwähnten, aus (D3) bekannten ZHM-Legierungen innerhalb der in Ansprüchen 1 und 2 des Streitpatents angegebenen Intervalle fallen.
3.3. Jetzt stellt sich die Frage, ob der im vorliegenden Falle zuständige Fachmann vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents die Verwendung einer der aus (D2) sowie (D3) bekannten ZHM-Legierungen zur Herstellung von Grundkörpern für Drehanoden in Erwägung gezogen hätte.
Die Beschwerdegegnerin bringt zur Stützung einer abschlägigen Beantwortung dieser Frage vor, daß die Ausscheidung von Hafniumkarbid den Fachmann aufgrund der Kerbwirkung der Dispersoide im Gefügeaufbau eine höhere Kerbempfindlichkeit der ZHM-Legierungen gegenüber TZM- Legierungen erwarten ließe. Sie räumt jedoch ein, daß die Form der Dispersoide einen wesentlichen Einfluß auf die Kerbempfindlichkeit dispersionsgehärteter Werkstoffe hat.
Nach Ansicht der Kammer zeigt ein derartiges Zugeständnis, daß, den Ausführungen der Beschwerdegegnerin entgegen, der Fachmann vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents keinen überzeugenden Grund hatte, bei anderen dispersionsgehärteten Legierungen auf Molybdän-Basis eine höhere Kerbempfindlichkeit als bei TZM-Legierungen zu erwarten. Da auch ZHM-Legierungen dispersionsgehärtete Molybdän-Legierungen sind - siehe (D5), Seite 135 -, wurde dem besagten Fachmann eine Anregung gegeben, die Verwendbarkeit der wegen ihrer beträchtlich erhöhter Warmfestigkeit, bzw. Rekristallisationstemperatur, bzw. Kriechstabilität vielversprechenden, aus (D2) und (D3) bekannten ZHM-Legierungen zur Herstellung von Grundkörpern für Drehanoden zu erforschen. Dies gilt eigentlich um so eher als der Fachmann weiß, daß die mechanischen Eigenschaften der Legierungen nicht nur von der Aushärtbarkeit sondern von ziemlich vielen Parametern sowie von dem die Form und Abmessungen der Dispersoide beeinflussenden Verfahren zu ihrer Herstellung abhängen und meistens nur experimentell festgestellt werden können. Zur gutachtlichen Stützung dieser Auffassung kann das der Beschwerdegegnerin erteilte Patent (D1) herangezogen werden, denn man entnimmt dieser Entgegenhaltung, daß vor dem Anmeldedatum der darin offenbarten Erfindung auch die Eignung der TZM-Legierungen, die Neigung zur Rißbildung an Wolframanoden herabzusetzen, nicht erwartet werden konnte - siehe Seite 1, Zeilen 21 bis 32. Somit sieht man, daß der Fachmann wegen fehlender Erkenntnisse hinsichtlich der aus (D2) und (D3) bekannten ZHM-Legierungen im vorliegenden Falle zum Experiment gezwungen war - vgl. die Entscheidung T 69/83 (ABl. EPA 1984, S. 357 bis 368), Punkt 7 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz - wobei die Feststellung, daß auch die genannten ZHM-Legierungen zur Herabsetzung der Neigung zur Rißbildung an Wolframanoden geeignet sind, nicht als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit angesehen werden kann.
3.4. Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 des Streitpatents beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Dasselbe gilt aus denselben Gründen auch für den Gegenstand des von der Beschreibung nicht gestützten Anspruchs 3.
4. Die Ansprüche 1 bis 3 des Streitpatents genügen nicht den Erfordernissen des Artikels 52 (1) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ. Darüber hinaus ist im genannten Patent nichts zu erblicken, das einem gewährbaren Anspruch zugrunde liegen könnte. Daher kann das Patent nicht aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent 0 209 163 wird widerrufen.