T 0294/91 26-05-1997
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Verfahren zur Herstellung staubfreier Olaquindox-haltiger Futtermittelmischungen
Neuheit (ja)
Novelty (yes)
I. Auf die europäische Patentanmeldung 86 108 094.3 wurde das europäische Patent Nr. 0 207 344 auf der Grundlage von vier Ansprüchen erteilt. Der Hauptanspruch lautet wie folgt:
"Verfahren zur Herstellung Olaquindox-haltiger staubfreier Tierfuttermittelvormischungen dadurch gekennzeichnet, daß man
a) 35 bis 98,5 Gew.-% eines für die Ernährung von Tieren zugelassenen anorganischen Trägermaterials mit einem Maximum der Korngrößenverteilung zwischen 0,1-1,0 mm mit
b) 0,5-10 Gew.-% eines nichttoxischen Öles und/oder einem zur Tierernährung zugelassenen Emulgator mischt und dieser Mischung
c) 1-55 Gew.-% Olaquindox und gegebenenfalls weitere Hilfsstoffe zugibt."
Ansprüche 2 bis 4 sind vom Hauptanspruch abhängig und betreffen besondere Ausführungsformen des Hauptanspruchs.
II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) aufgrund von Artikel 100 a) und 54 (3) EPÜ Einspruch ein.
III. In ihrer Entscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, daß der Gegenstand des Hauptanspruchs des Streitpatents dem Erfordernis des Artikels 54 (3) EPÜ nicht genüge, also nicht mehr neu sei, im Lichte der Gesamtoffenbarung des als Stand der Technik geltenden älteren europäischen Patents EP-A-0 197 188.
IV. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, daß unter dem Inhalt einer europäischen Anmeldung die gesamte Offenbarung zu verstehen sei, also die Beschreibung, die Zeichnungen und die Patentansprüche, einschließlich etwaiger Merkmale, auf die ausdrücklich verzichtet worden sei und des eigens beschriebenen Standes der Technik. Alle Merkmale des erteilten Hauptanspruchs, z. B. staubfreies Tierfuttermittel, anorganisches Trägermaterial, Emulgator, Olaquindox sowie die Korngrößenverteilung und die Mengen der Bestandteile seien der Entgegenhaltung zu entnehmen.
Die Einspruchsabteilung konnte sich insbesondere nicht dem von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argument anschließen, daß die Reihenfolge der Schritte des Verfahrens gemäß Hauptanspruch der Entgegenhaltung nicht unmittelbar zu entnehmen sei. Sie war weiterhin der Ansicht, daß die nachträgliche Feststellung, daß das beanspruchte Verfahren gegenüber anderen denkbaren Verfahrensvarianten der Entgegenhaltung besondere Wirksamkeit besäße, kein die Neuheit begründendes Merkmal darstelle. Eine die Neuheit begründende Auswahl sollte ein neues Element, das eine andere technische Lehre beschreibt, hinzufügen.
V. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und eine Beschwerdebegründung eingereicht.
VI. Im schriftlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand des Hauptanspruchs des Streitpatents stelle gegenüber der Gesamtoffenbarung der Entgegenhaltung eine neue Auswahl dar. Die Entgegenhaltung beschreibe für jedes der Ausgangsprodukte des Verfahrens zahlreiche alternative Möglichkeiten. Konkret werde das Verfahren zwar nur mit einer Alternative beschrieben, doch seien andere Alternativen denkbar. Aus einer unübersehbar großen Vielzahl von Wirkstoffen betreffe das Patent einen bestimmten Wirkstoff, nämlich Olaquindox.
Ein weiterer Unterschied zwischen dem Hauptanspruch des Streitpatents und der Entgegenhaltung bestehe darin, daß gemäß Hauptanspruch als Trägermaterial ausschließlich anorganische Mittel eingesetzt würden, wohingegen die Entgegenhaltung ganz allgemein von organischen oder anorganischen Trägermaterialien spreche und in den Beispielen ausschließlich Mischungen dieser Komponenten eingesetzt würden.
Als Herstellungsverfahren der in der Entgegenhaltung beschriebenen Mischungen seien zwar in allgemeiner Form mehrere Möglichkeiten genannt, darunter auch die Sequenz von Verfahrensschritten gemäß Hauptanspruch des Streitpatents; wieder werde aber in den Beispielen lediglich nach einer Verfahrensvariante gearbeitet, die dem Verfahren des Streitpatents nicht entspreche.
Der Gegenstand des Hauptanspruchs des Patents sei somit eine sehr spezielle Kombination aus drei variablen, als solche in der Entgegenhaltung allgemein erwähnten Parametern, nämlich dem Wirkstoff, dem Trägermaterial und der Verfahrensschritte. Auf diese Art einer Auswahlerfindung träfen eine Reihe von Beschwerdekammerentscheidungen zu, z. B. T 12/81 (ABl. EPA 1982, 296), T 7/86 (ABl. EPA 1988, 381) und T 296/87 (ABl. EPA 1990, 195).
VII. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Hinsichtlich der Verwendung des Trägermaterials und des Emulgators im Hauptanspruch des Streitpatents könne schon alleine deshalb kein Auswahlelement vorliegen, weil diese nur in sehr allgemeiner Form beansprucht würden. Im übrigen sei jedes einzelne Element des Hauptanspruchs aus der Entgegenhaltung bekannt, nämlich Olaquindox, anorganisches Trägermaterial, z. B. Calciumcarbonat, dessen Korngrößeverteilung, der Emulgator sowie die Abfolge der Verfahrensschritte, und letztlich werde in der Entgegenhaltung ein Produkt gewonnen mit den gleichen guten Eigenschaften, wie sie für das Streitpatent beschrieben werden, nämlich "staubfrei".
Die von der Beschwerdeführerin genannten Entscheidungen bezögen sich auf neue Verbindungen per se und seien somit für den vorliegenden Sachverhalt nicht relevant.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in seiner erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Hilfsweise wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Es wurde kein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.
1. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Neuheit des Hauptanspruchs des Streitpatents gegenüber dem Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung EP-A-0 197 188 (Artikel 54 (3) EPÜ).
2. Die Entgegenhaltung beschreibt gemäß seinem Hauptanspruch ein Verfahren zum Herstellen von staubfreien Mischungen, bestehend aus Additiven, insbesondere antibakteriellen Mitteln, zur Verwendung in der Tierfutterherstellung auf einem Träger oder Trägern mit der physikalischen Form eines Mehls, das löslich oder nicht-löslich ist, wobei der Träger oder die Träger in einen Pulvermischer eingebracht wird/werden, der/die mit einem Additiv gemischt und mit einem Antistaubadditiv, das ein physiologisch verträgliches, nicht-ionisches, oberflächenaktives Mittel enthält, besprüht wird/werden. Gemäß Anspruch 2 der Entgegenhaltung wird dem gewählten Träger oder den Trägern erst das oberflächenaktive Mittel zugesetzt und anschließend das Additiv zugegeben. Auf Seite 3, in Spalte 3, Zeilen 5 bis 8 der Beschreibung ist offenbart, daß "vor, während oder nach" dem Zusatz des oberflächenaktiven Mittels zu dem Trägermaterial das aktive Mittel in Pulverform zugegeben wird.
In der Beschreibung werden in einer beispielhaften Auflistung aller geeigneter Trägermaterialien gemahlene anorganische Pulver erwähnt (Seite 2, Spalte 2, Zeile 57).
Als antibakterielles Additiv ist neben vier weiteren Substanzen Olaquindox genannt (Seite 3, Spalte 3, Zeile 30 der Beschreibung).
Weiterhin wird eine große Anzahl an Emulgatoren erwähnt (Seite 3, Spalte 3, Zeilen 9 bis 22).
3. Die Kammer stimmt der Entscheidung der Einspruchsabteilung bezüglich der Feststellung zu, daß die einzelnen Elemente des Hauptanspruchs des Streitpatents (siehe Absatz I. oben) in der unter Punkt 2 oben geschilderten Weise in der Entgegenhaltung zu finden sind. Bezüglich der Frage der Neuheit des Hauptanspruchs des Streitpatents stellt sich aber die Frage, inwieweit diese Aufzählung allgemeiner Art in der Entgegenhaltung die spezielle Kombination der im Hauptanspruch genannten Verfahrens- und Produktparameter neuheitsschädlich vorwegnimmt.
4. Dazu ist zu prüfen, ob das Verfahren des Hauptanspruchs des Streitpatents eine technische Lehre vermittelt, die für den Fachmann aus der Entgegenhaltung nicht zu entnehmen war, weil eine Kombination einzelner Merkmale ein und derselben Entgegenhaltung für den Fachmann aus dieser Druckschrift nicht zu entnehmen war (siehe hierzu auch beispielsweise die Entscheidung T 739/93 vom 06.04.1995). Im Rahmen dieser Beurteilung mißt die Kammer den Beispielen eine wichtige Bedeutung zu.
5. Bezüglich der beanspruchten Sequenz der Verfahrensschritte ist im Beispiel 1 der Entgegenhaltung konkret beschrieben, daß in einen Mischer 840 kg eines Trägermaterials eingebracht werden, bestehend aus 40 % Maisfuttermehl, 40 % Sojabohnenmehl und 20 % Calciumcarbonat und 102,5 kg Carbadox als antibakterielles Additiv. Dieser Mischung werden 15 kg Glycerinpolyethylenglykolricinoleat, vorgemischt mit 35. kg 1,2-Propandiol, und 10 kg Propionsäure durch Aufsprühen hinzugefügt. Der Sprühvorgang wird während der Mischer läuft durchgeführt und der Mischvorgang anschließend noch weitere 20 Minuten weitergeführt (siehe Seite 3, Spalte 3, Zeilen 54 bis 65 und Spalte 4, Zeilen 1 bis 3). Sämtliche weiteren Beispiele (Beispiele 2 bis 4) beziehen sich auf das in Beispiel 1 geschilderte Verfahren bezüglich der Sequenz der Verfahrensschritte.
6. In keinem Beispiel wird Olaquindox als antibakterielles Additiv verwendet.
7. Alle Beispiele verwenden die im Beispiel 1 angegebene Mischung als Trägermaterial.
8. Dieser konkreten technischen Lehre der Beispiele der Entgegenhaltung steht die Lehre des Streitpatents gegenüber, wonach als antibakterielles Additiv ausschließlich Olaquindox und als Trägermaterial ausschließlich ein anorganisches Material zu verwenden ist und die Reihenfolge der Verfahrensschritte so angeordnet ist, daß das Trägermaterial mit dem Emulgator gemischt und erst dieser Mischung das Additiv Olanquindox zugegeben wird.
9. Nach Auffassung der Kammer erschließt sich dem Fachmann einerseits diese Lehre nicht in unmittelbarer und eindeutiger Weise aus der in den Beispielen der Entgegenhaltung dargestellten konkreten Lehre und andererseits auch nicht im Zusammenlesen dieser konkreten Lehre mit den pauschalen Auflistungen der Einzelbestandteile und Verfahrensschritte im allgemeinen Teil der Beschreibung der Entgegenhaltung (siehe Punkt 2 oben).
10. In Übereinstimmung mit der entsprechenden Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Punkt 4 oben) kommt die Kammer daher zu dem Schluß, daß das Zusammenfügen der diskutierten Merkmale im Verfahren des Hauptanspruchs des Streitpatents eine technische Lehre vermittelt, die die Neuheit im Sinne des Artikels 54 EPÜ herstellt.
11. Die Beschwerdegegnerin hat keinen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, so daß diese Entscheidung schriftlich ergeht.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung das Patent in seiner erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.