T 0296/87 (Enantiomere) 30-08-1988
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Neufassung der Ansprüche im Einspruchsverfahren
Formulierungsversuch nicht Teilverzicht
Neuheit (bejaht) - Enantiomere bekannter Racemate
Erfinderische Tätigkeit verneint - überraschendes Ergebnis
Überraschendes Ergebnis naheliegender Versuche (mehr als doppelte Aktivität eines Enantiomeren gegenüber dem Racemat)
Nichtberücksichtigung des Einwands unzureichender Offenbarung (verspätet)
I. Auf die europäische Patentanmeldung 78 101 792.6, die am 20. Dezember 1978 mit deutscher Priorität vom 24. Dezember 1977 angemeldet worden war, wurde am 2. Dezember 1981 das europäische Patent 2 800 auf der Grundlage von neun Ansprüchen für die Vertragsstaaten BE, DE, FR, GB, NL, SE (im folgenden "erste Vertragsstaatengruppe" genannt) bzw. von elf Ansprüchen für den Vertragsstaat IT erteilt. Anspruch 1 für die erste Vertragsstaatengruppe lautete, wie folgt:
"1. D-"-Phenoxy-propionsäure-derivate der Formel I
(FORMEL)
in der
R eine Gruppe der Formel
(FORMEL)
R1 Wasserstoff, Halogen oder CF3
R2 Wasserstoff, (C1-C4)-Alkyl, Halogen oder NO2, mit der Maßgabe, daß, falls R einen Rest der Formel II, III, VI bedeutet, R1 nicht Wasserstoff ist,
Z eine Gruppe der Formel
(FORMEL)
R3 H, (C1-C12)-Alkyl, das gegebenenfalls durch 1-6 Halogenatome und/oder OH, (C1-C6)-Alkoxy, (C1-C4)- Alkylthio, (C1-C6)-Alkoxy-(C2-C6)-alkoxy, Halogen-(C1-C2)- alkoxy, Methoxy-äthoxy-äthoxy, (C1-C4)-Alkylamino, D-(C1- C4)-alkylamino, Phenyl, Oxiranyl und Phenoxy substituiert ist, wobei letzteres ebenfalls ein- bis zweifach durch Halogen und/oder (C1-C4)-Alkyl substituiert sein kann, (C5-C6)-Cycloalkyl oder Halogen-(C5-C6)-cycloalkyl, (C3-C6)-Alkenyl, Halogen-(C3-C6)-alkenyl oder (C5-C6)- Cycloalkenyl,
(C3-C4)-Alkinyl, das gegebenenfalls ein oder zweifach durch (C1-C6)-Alkyl, Phenyl, Halogen bzw. (C1-C2)-Alkoxy substituiert ist, Phenyl, das gegebenenfalls ein- bis dreifach durch (C1-C4)-Alkyl, (C1-C4)-Alkoxy, Halogen, NO2 oder CF3 substituiert ist, Furfuryl, Tetrahydrofurfuryl oder ein Kationäquivalent einer organischen oder anorganischen Base,
R4 (C1-C6)-Alkyl, das gegebenenfalls durch (C1-C4)-Alkoxy, Halogen oder Phenyl substituiert ist, wobei letzteres ebenfalls ein- bis dreifach durch (C1-C4)-Alkyl und Halogen substituiert sein kann; (C3-C6)-Alkenyl oder Phenyl, das gegebenenfalls ein- bis dreifach durch (C1-C4)-Alkyl und/oder Halogen substituiert ist,
R5 und R6 gleich oder verschieden sind und H, (C1-C6)- Alkyl, Hydroxy-(C1-C6)-alkyl, (C5-C6)-Cycloalkyl oder Phenyl, das gegebenenfalls ein- bis dreifach durch (C1- C4)-Alkyl, (C1-C4)-Alkoxy, Halogen oder CF3 substitiuert ist (mit der Maßgabe, daß R5 und R6 nicht gemeinsam Phenyl sind), bedeuten oder gemeinsam eine Methylenkette mit 2, 4 oder 5 Gliedern bilden, in der eine CH2-Gruppe gegebenen falls durch O, NH oder N(CH3) ersetzt sein kann,
R7 H oder CH3,
R8 H, CH3 oder C2H5,
R9 H, CH3, C2H5- oder Phenyl
bedeuten mit der Einschränkung, daß in Verbindungen, in denen R die Gruppe der Formel II ist, R3 nur dann H oder unsubstituiertes Alkyl sein kann, wenn R1 oder R2 Cl in para-Stellung bedeutet."
Anspruch 1 für den Vertragsstaat IT unterschied sich hier von lediglich durch eine weniger weitgehende "Einschränkung" am Schluß des Anspruches, die hier folgendermaßen lautete:
"... mit der Einschränkung, daß wenn R1 Trifluormethyl, R2 Wasserstoff und R eine Gruppe der Formel II sind, R3 nicht Wasserstoff ist".
Auf den jeweiligen Anspruch 1 folgten unabhängige Ansprüche 2 bis 4, die auf ein Verfahren zur Herstellung von Verbindungen der Formel I (in zwei Varianten, a und b) bzw. auf herbizide Mittel, gekennzeichnet durch einen Gehalt an einem Wirkstoff der Formel I bzw. auf die Verwendung von Verbindungen der Formel I zur Bekämpfung von unerwünschtem Pflanzenwuchs, abgestellt waren. Schließlich schlossen sich noch Ansprüche 5 bis 9 bzw. 5 bis 11 an, die auf individuelle unter die Formel I fallende Verbindungen gerichtet waren.
II. Gegen die Patenterteilung legten die vier jetzigen Beschwerdegegnerinnen am 10., 27. und 30. August bzw. 2. September 1982 Einsprüche ein, die sie mit mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie im Fall einer Einsprechenden (Ciba-Geigy) noch zusätzlich mit mangelnder Offenbarung hinsichtlich Variante b des Verfahrens nach Anspruch 2 begründeten. Sie stützten sich dabei auf eine Reihe vorveröffentlichter Dokumente, von denen zuletzt nur noch die folgenden von Bedeutung waren:
(1) DE-A-2 546 251,
(2) EP-A-483,
(3) DE-A-2 623 558,
(4) Ann. Appl. Biol. 39 (1952), 295-307 und
(9) DE-A-2 531 643 (im wesentlichen inhaltsgleich mit
(6) BE-A-831 469);
sowie auf die folgenden nicht vorveröffentlichten, aber prioritätsälteren Dokumente:
(7) EP-A-1 473 und
(8) EP-A-2 925.
III. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Einspruchsverfahrens wurde die Frage der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit ausführlich diskutiert, wobei die Patentinhaberin (jetzige Beschwerdeführerin) durch diverse Änderungen hinsichtlich der Bedeutungen sowie teilweise der stellungsmäßigen Fixierung der Substituenten R, R1 und R2 im jeweiligen Anspruch 1 bemüht war, sich von den Entgegenhaltungen abzugrenzen (vgl. hierzu angefochtene Entscheidung Seite 14, Zeile 8, bis Seite 15, Zeile 18). Die Einspruchsabteilung beanstandete die Form der Abgrenzung als Verstoß gegen Art. 123 (2) EPU; da diese unverändert verteidigt wurde, widerrief sie schließlich mit Entscheidung vom 10. Juni 1987 das Patent allein aus diesem Grunde, ohne die materielle Patentfähigkeit des Streitpatentgegen standes, insbesondere die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit, abschließend zu beurteilen (vgl. angefochtene Entscheidung, Seite 11, letzter Absatz).
IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die unterlegene Patentinhaberin am 7. August 1987 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerdee erhoben und hierzu am 8. September 1987 eine Begründung zusammen mit vier neuen Anspruchssätzen (Haupt- und Hilfsantrag, jeweils für die erste Vertragsstaatengruppe und IT) eingereicht. Ohne sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, gab die Beschwerdeführerin die im Einspruchsverfahren erster Instanz enger gefaßten Ansprüche auf und versuchte sich vom Stande der Technik mittels Disclaimern abzugrenzen. Sie hält sich hierzu für berechtigt, weil sie auf die seinerzeit gestrichenen Teile nicht verzichtet habe; vielmehr habe es sich nur um Formulierungsversuche gehandelt (Seite 4, Absatz 2, der Beschwerdebegründung). Die Frage der materiellen Patentfähigkeit hat sie schriftlich nicht mehr angesprochen.
V. Von den vier Beschwerdegegnerinnen haben sich zwei (ICI und BASF) im Beschwerdeverfahren nicht mehr zur Sache geäußert; eine (Ciba-Geigy) hat wohl im schriftlichen Verfahren die formale Zulässigkeit der geänderten Ansprüche bestritten, ist aber zur mündlichen Verhandlung, zu der ordnungsgemäß geladen wurde, ebensowenig erschienen wie die beiden Erstgenannten. Im schriftlichen Verfahren hat auch die vierte Beschwerdegegnerin (Dow) die formale Zulässigkeit und die materielle Patentfähigkeit der Ansprüche gemäß den damals geltenden Anträgen wohl summarisch, aber nicht erneut in substantiierter Form bestritten. Die Kammer hat vor der mündlichen Verhandlung noch per Telefax darauf hingewiesen, daß in dieser nicht nur die formale Zulässigkeit der Ansprüche, sondern auch die materiellen Patenterfordernisse abschließend diskutiert werden sollten.
VI. In der mündlichen Verhandlung am 30. August 1988, in der nur die Beschwerdeführerin und die Beschwerdegegnerin Dow (im folgenden kurz "Beschwerdegegnerin") vertreten waren, wurde im wesentlichen das folgende vorgebracht:
A. Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen eines neuen Hauptantrages neue Ansprüche vor, die sich von der erteilten Fassung in den folgenden Punkten unterscheiden:
Im Anspruch 1 für die erste Vertragsstaatengruppe tritt anstelle des Schlußteils "..... mit der Einschränkung, daß ..... bedeutet." der folgende Text:
"..... jedoch mit folgenden Einschränkungen:
a) wenn R die Gruppe der Formel II ist, ist R3 nur dann H oder unsubstituiertes Alkyl, falls
gleichzeitig R1 oder R2 Cl in para-Stellung bedeutet,
(FORMEL)
b) wenn R ein Rest der Formel
(FORMEL)
ist, bedeutet R3 nicht Wasserstoff, (C1-C9)- Alkyl, das gegebenenfalls durch ein oder mehrere Halogen oder Hydroxy substituiert ist; (C3-C4)- Alkenyl, Cyclohexyl, das ggf. durch ein oder mehrere Halogenatome substituiert ist; Phenyl, das gegebenenfalls durch ein oder mehrere Halogen oder Methyl substituiert ist; Benzyl oder ein Kationäquivalent,
(FORMEL)
c) Formel II bedeutet nicht (FORMEL) mit n = 0 oder 1,
mit einem Gehalt an mindestens 80% D-Form.";
- im zugehörigen Anspruch 2, Formel IX, wird Y zu H korrigiert;
- an die sich anschließenden Ansprüche 5 bis 8 wird jeweils angefügt "mit einem Gehalt an mindestens 80% D-Form";
- in Anspruch 1 für IT tritt anstelle des Schlußteils "..... mit der Einschränkung, daß ..... ist" der folgende Text:
"jedoch mit folgenden Einschränkungen:
Cln
a) Formel II bedeutet nicht (FORMEL) mit n = 0 oder 1,
b) ..... (wie für die erste Vertragsstaatengruppe) .....,
mit einem Gehalt an mindestens 80% D-Form.";
- Ansprüche 2 sowie 5 bis 10 für IT werden wie Ansprüche 2 bzw. 5 bis 8 für die erste Vertragsstaatengruppe korrigiert.
B. Nach dem Hilfsantrag der Beschwerdeführerin sollen - gleichlautend für sämtliche benannten Vertragsstaaten -die folgenden beiden Ansprüche gelten:
"1. Verbindung der Formel
(FORMEL)
mit einem Gehalt von mindestens 80% D-Form.
2. Verbindung der Formel
(FORMEL)
mit einem Gehalt an mindestens 80% D-Form."
C. Zugunsten ihres Hauptantrags macht die Beschwerdeführerin geltend, nach ständiger Praxis des EPA seien Enantiomere gegenüber vorbekannten Racematen entsprechender Struktur als neu anzusehen. Zahlreiche derartige Patente seien erteilt worden, darunter sogar - in Kenntnis von (9) - solche für Enantiomere gewisser in diesem Dokument genannter Racemate. Zur erfinderischen Tätigkeit beruft sie sich auf den am 17. Mai 1985 vorgelegten Versuchsbericht, woraus hervorgehe, daß für eine erfolgreiche Unkrautbekämpfung bei Verwendung des D-Enantiomeren im allgemeinen nur ein Viertel der erforderlichen Menge des entsprechenden Racemats benötigt werde. Selbst wenn man unterstellte, es habe nahegelegen, die gesamte Aktivität des Racemats dem D-Enantiomeren zuzuschreiben, so habe man für dieses allenfalls die doppelte, keinesfalls aber die vierfache Aktivität des Racemats erwarten können. Sie verweist ferner darauf, daß es sich bei den Herbiziden von (4), für die dort eine höhere Aktivität der rechtsdehenden, verglichen mit den linksdrehenden Enantiomeren beschrieben werde, um Verbindungen mit anderer Struktur und anderem Wirkungsmechanismus handle; auch seien die d- (oder +) und die D-Form nicht automatisch gleichzusetzen. Nahegelegen hätte eine Untersuchung der D-Enantiomeren auf derart stark verbesserte Aktivität nur dann, wenn eine solche bei strukturnahen Verbindungen bereits bekannt gewesen wäre.
D. Bezüglich des Hilfsantrages verweist die Beschwerdeführerin darauf, daß aus dem Versuchsbericht vom 17. Mai 1985 für eine der beiden danach noch beanspruchten Verbindungen - Verbindung 20 - eine außerordentlich starke Erhöhung der Aktivität des D-Enantiomeren, verglichen mit dem Racemat, hervorgehe. Im übrigen seien die den beiden beanspruchten Verbindungen entsprechenden Racemate nicht Teil des vorveröffentlichten Standes der Technik, sondern bloß in einer prioritätsälteren europäischen Anmeldung der Beschwerdeführerin beschrieben und seien somit bloß für die Beurteilung der Neuheit, nicht aber der erfinderischen Tätigkeit zu berücksichtigen.
E. i) Die Beschwerdegegnerin beanstandet einmal die gemäß Hauptantrag erfolgte teilweise Wiedererweiterung des im Einspruchsverfahren erster Instanz vorgelegten Anspruchs 1; es habe sich - angesichts des Beharrens hierauf trotz Beanstandung durch die Einspruchsabteilung - nicht um einen bloßen Formulierungsversuch, sondern um einen Verzicht auf weitergehenden Schutz gehandelt.
(ii) Sie trägt ferner - erstmals - vor, daß gewisse Stoffe, die zu den Reaktionspartnern von Variante b) und zu den notwendigen Vorprodukten von Variante a) des Verfahrens nach Anspruch 2 des Hauptantrages gehören, am Prioritätstag der Fachwelt nicht zur Verfügung gestanden seien und daß daher gewisse Verbindungen nach Anspruch 1 mit R = III im Sinne der Entscheidung T 206/83 "Herbizide", ABl. EPA 1987, 5 nicht ausreichend offenbart seien.
(iii) Uberdies sei nach Wegfall des Beispiels 17 kein die Verbindungen mit R = III stützendes Beispiel mehr vorhanden, so daß diese Verbindungen auch aus diesem Grunde nicht mehr schutzfähig seien.
(iv) Während die Neuheit der Ansprüche gemäß geltendem Hauptantrag nicht mehr bestritten wird, wendet die Beschwerdegegnerin zur erfinderischen Tätigkeit bezüglich des Hauptantrages ein, das Vorliegen einer quantitativ besseren Wirkung der D-Enantiomeren sei weder durch den angezogenen Versuchsbericht hinreichend untermauert, noch genüge eine solche zum Nachweis erfinderischer Tätigkeit. Es sei nämlich allgemeines Fachwissen, daß sich Enantiomere häufig hinsichtlich ihrer Aktivität unterscheiden, da sie im allgemeinen über Enzyme der behandelten Organismen wirken und diese Enzyme ihrerseits optisch aktiv seien. Im konkreten Falle sei aus (4) nicht nur die höhere Aktivität der rechtsdrehenden, verglichen mit den linksdrehenden Enantiomeren der dort besprochenen Verbindungen bekannt (Seite 295, Absatz 2), sondern es werde auch das Vorliegen eines Antagonismus vermutet (Seite 295, Absatz 3), demzufolge auch ein Faktor > 2 hinsichtlich der Aktivität des d-Enantio meren, verglichen mit dem Racemat, nicht verwunderlich sei; ferner folge aus Seite 304, Fig. 4, daß es sich beim rechtsdrehenden (d-) Enantiomeren um die Verbindung mit absoluter D-Konfiguration handle. Aber auch für die strukturell näher kommenden Verbindungen nach (9) werde eine höhere Aktivität der d-Form offenbart. Daher habe es nahegelegen, zur Erzielung einer höheren Aktivität als der der zugrundeliegenden Racemate die D-Enantiomeren des Streitpatents (Hauptantrag) vorzuschlagen.
(v) Zum geltenden Hilfsantrag hat sich die Beschwerdegegnerin nicht geäußert.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche (Haupt- oder Hilfsantrag) aufrechtzuerhalten.
VIII. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
IX. Am Schluß der mündlichen Verhandlung verkündet der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPU und ist daher zulässig.
Zum Hauptantrag
2. Unter den vorliegenden Umständen ist die am 17. August 1983 eingereichte Anspruchsfassung als Formulierungsversuch und nicht als Verzicht auf weitergehenden Schutz zu werten.
2.1. Die am 17. August 1983 eingereichte Neufassung der Ansprüche zielte auf Abgrenzung gegenüber dem Einspruchsmaterial ab (vgl. Seite 2, Zeilen 5 bis 7, der begleitenden Eingabe). Ein Beschränkungsverlangen der Einspruchsabteilung lag nicht vor. Im Gegenteil blieb die Frage der Abgrenzung sowohl im Verlaufe des Verfahrens als auch in der Widerrufsentscheidung völlig offen; folglich kann auch kein Verzicht auf die von den geänderten Ansprüchen nicht mehr erfaßten Gegenstände vorgelegen haben.
2.2. Im übrigen hat eine Beschwerdekammer bereits entschieden (T 123/85 vom 23. Februar 1988; Abl.EPA 1989,336), daß das EPU im Einspruchsverfahren einen Verzicht des Patentinhabers auf sein Patent nicht vorsehe und dieser daher (selbst mit einer - hier nicht vorliegenden - ausdrücklichen Verzichtserklärung) auf sein Patent weder ganz noch teilweise verzichten könne. Er könne lediglich beantragen, sein Patent zu ändern, und könne einen solchen Antrag grundsätzlich jederzeit zurücknehmen oder ändern, mit dem Vorbehalt, daß kein verfahrensrechtlicher Mißbrauch vorliegen dürfe (vgl. Unterabschnitte 3.1.1 und 3.1.2 der angezogenen Entscheidung). Für einen solchen Mißbrauch bestehen im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte; viel mehr ist es angesichts der Kompliziertheit der Materie verständlich, daß bei der Beschwerdeführerin erhebliche Unsicherheit darüber bestand, welche Beschränkungsform das EPA für die Herstellung der Neuheit akzeptieren würde.
2.3. Die vorliegenden, wieder weitergefaßten Ansprüche sind daher in jedem Falle zu berücksichtigen.
3. Zur formalen Zulässigkeit der Ansprüche ist folgendes auszuführen:
3.1. Ein Verstoß gegen Art. 123 (3) EPU durch Erweiterung des Schutzbereiches gegenüber der erteilten Fassung liegt nicht vor. Vielmehr sind in der Fassung für die erste Vertragsstaatengruppe zu dem einzigen Disclaimer, mit dem erteilt wurde (jetziger Disclaimer "a"), zwei weitere ("b" und "c") hinzugekommen; in der Fassung für IT ist an die Stelle des einzigen Disclaimers, mit dem erteilt wurde, der weitergehende Disclaimer "a" getreten, und ein zweiter Disclaimer "b" ist angefügt worden.
3.2. Der Disclaimer "b" (gleichlautend für sämtliche Vertragsstaaten) dient der Abgrenzung gegenüber dem Dokument (8), für das eine Priorität vom 23. Dezember 1977 in Anspruch genommen ist und das u.a. D-Enantiomere einer Struktur offenbart, die sich mit der gemäß Formel I des Streit patents überschneidet. Die Uberschneidung besteht insoweit, als in Formel I des Streitpatents R der Formel II entspricht und -OR3 gewisse auf Seite 3, Zeilen 8 ff., von (8) für den dortigen Substituenten R1 genannte Bedeutungen hat. Eine Uberprüfung des Prioritätsdokuments zu (8) hat jedoch ergeben, daß von diesem Prioritäts dokument die auf Seite 3, Zeilen 18 bis 22, von (8) genannten Bedeutungen nicht erfaßt sind, daß (8) insofern kein früherer Anmelde- bzw. Prioritätstag zukommt als dem Streitpatent und die letztgenannten Bedeutungen vom Disclaimer "b" daher zu Recht nicht ausgeschlossen werden. Dieser nimmt jedoch die im Prioritätsdokument auf den Seiten 3 bis 4 offenbarte Stoffgruppe in zulässiger Weise aus.
3.3. Der Disclaimer "c" in Anspruch 1 für die erste Vertragsstaatengruppe und der ihm inhaltsgleiche Disclaimer "a" im Anspruch 1 für IT (der dasjenige mitausschließt, was bereits durch den einzigen Disclaimer in dem für IT erteilten Anspruch 1 ausgeschlossen wurde und diesen seinerzeitigen Disclaimer daher überflüssig macht) dienen der Abgrenzung gegenüber dem vorveröffentlichten Dokument (9). Auch wenn dieser Disclaimer wegen gewisser Unterschiede in den Bedeutungen von -OR3 gemäß Streitpatent einerseits und von R1 gemäß Anspruch 1 von (9) anderer seits nicht exakt der bestehenden Uberschneidung Rechnung trägt - so werden z.B. durch ihn auch die einschlägigen Verbindungen mit -OR3 = (C10-C12)-Alkoxy ausgeschlossen, obwohl (9) nur diejenigen mit (C1-C9)-Alkoxy vorwegnimmt - so ist er dennoch als zulässig anzusehen, weil er sämtliche Uberschneidungen beseitigt, nur in unwesentlichen Details über das streng genommen Erforderliche hinausgeht und diesem gegenüber den Vorzug erheblich besserer Übersichtlichkeit genießt.
3.4. Die Hinzufügung der Passage "mit einem Gehalt an mindestens 80% D-Form" jeweils am Schluß der Ansprüche 1 sowie 5 bis 8 für die erste Vertragsstaatengruppe und der Ansprüche 1 sowie 5 bis 10 für IT rechtfertigt sich aus Seite 6, Zeilen 11 bis 14, und Seite 10, Zeilen 29 bis 23, der Erstunterlagen, entsprechend Streitpatentschrift Seite 4, Zeilen 21 bis 23, bzw. Seite 5, Zeilen 56 bis 58.
3.5. Bei der Änderung in Formel IX von Anspruch 2 handelt es sich um eine zulässige Korrektur im Sinne von Regel 88 EPU, da offensichtlich ist, daß es dort "H" statt "Y" heißen muß.
3.6. Insgesamt unterliegen die Ansprüche keiner Beanstandung im Hinblick auf Art. 123 (2) EPU.
4. Der Einwand unzureichender Offenbarung im Hinblick auf die Entscheidung T 206/83 (vgl. Unterabschnitt VI. E (ii) vorliegender Entscheidung) wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung des Einspruchsbeschwerdeverfahrens erhoben und ist grundsätzlich als verspätet im Sinne von Art. 114 (2) EPU zu betrachten. Seine Berücksichtigung erübrigt sich außerdem schon deswegen, weil dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin aus anderen Gründen (vgl. unten Abschnitt 8) nicht stattgegeben werden kann. Dennoch sei angemerkt, daß von der Beschwerdegegnerin weder zur Uberzeugung der Kammer dargetan wurde, daß die in Rede stehenden Stoffe notwendige Vorprodukte auch der Variante a) gemäß Streitpatent Anspruch 2 sind, noch daß nicht zwischen dem Prioritätstag von (2) - Juli 1977 - und demjenigen des Streitpatents - Dezember 1977 - möglicherweise etwas zum allgemeinen Fachwissen erwachsen ist, was jene Stoffe der Fachwelt zugänglich machte.
5. Auch bei dem Einwand, nach Wegfall des Beispiels 17 fehle es an einer ausreichenden Stütze in der Beschreibung für Verbindungen mit R = III (vgl. Unterabschnitt VI. E (iii) vorliegender Entscheidung), handelt es sich um ein verspätetes Vorbringen; denn dieser Wegfall erfolgte bereits durch die am 17. August 1983 vorgelegten neuen Ansprüche (R1 = CF3, R2 = Wasserstoff oder Halogen) und ergibt sich gleichfalls aus dem Disclaimer "b" der am 8. September 1987 als damaligem Hilfsantrag eingereichten Anspruchsfassung. Uberdies ist Stütze der Ansprüche in der Beschreibung ein Erfordernis von Art. 84 EPU, der keinen Einspruchs- und daher auch keinen Beschwerdegrund darstellt (vgl. Art. 100 i.V.m. R. 66 (1) EPU). Der Einwand ist daher unerheblich.
6. Im Rahmen der Neuheitsprüfung ist zunächst zu untersuchen, ob das Bekanntsein einer chemischen Formel, die erkennbar ein (einziges) asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält, die Neuheit nicht nur der betreffenden Verbindung in Racemat form, sondern auch der zugrundeliegenden Enantiomeren (d- und l-Form bzw. D- und L-Form) zerstört; dies insbesondere im Hinblick auf die Dokumente (1) bis (3), die unstreitig Strukturen offenbaren, die sich mit denen gemäß Streit patent überschneiden, mit dem einzigen Unterschied, daß in diesem die D-Enantiomeren beansprucht werden, die dort mit keinem Wort erwähnt sind.
6.1. In dieser Frage läßt sich die Kammer von Uberlegungen leiten, die sie bereits in ihrer Entscheidung T 181/82 "Spiroverbindungen" (ABl. EPA 1984, 401) zur Neuheit von solchen chemischen Individuen angestellt hat, die zu einer formelmäßig bekannten Stoffgruppe gehören. Im Zusammenhang mit Reaktionsprodukten, die aus der Umsetzung bestimmter Spirovervindungen mit einem in Form eines Kollektivs definierten (C1-C4)-Alkylbromid resultierten, hat die Kammer dort streng unterschieden zwischen rein denkgesetzlichem Inhalt einer Information einerseits und deren Offenbarungsgehalt im Sinn einer konkreten Lehre zum technischen Handeln andererseits. Nur eine solche technische Lehre kann neuheitsschädlich sein. Dazu, daß eine solche vorliegt, bedarf es im Fall eines chemischen Stoffes dessen individualisierter Vorbeschreibung. So gehören - wie die Kammer dort ausgeführt hat - zum rein denkgesetzlichen Inhalt des Begriffs (C1-C4)-Alkyl die acht Reste Methyl (C1) Äthyl (C2), n- und iso-Propyl (je C3) sowie n-, sec.-, iso- und tert.-Butyl (je C4); in individualisierter Form offenbart ist dagegen nur die Methylgruppe, weil synonym mit dem unteren Eckwert C1- Alkyl, nicht dagegen - obwohl umfaßt, aber nicht aufgezählt - sind es die speziellen Alkylgruppen mit zwei oder drei Kohlenstoffatomen und auch nicht die vier vom oberen Eckwert (C4) umfaßten einzelnen Reste, weil dieser Eckwert eben Butylreste nur als generischen Begriff offenbart.
6.2. Die Kammer ist der Auffassung, daß dieses Prinzip auch auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, insoweit im Stand der Technik auf Grund fachmännischer Interpretation der angegebenen Strukturformeln und wissenschaftlichen Bezeichnungen lediglich Racemate beschrieben sind. Auf Grund des in der Formel enthaltenen asymmetrischen Kohlenstoffatoms können die betreffenden Stoffe zwar in einer Mehrzahl denkgesetzlich vorstellbarer Raumformen (D- und L-Enantiomeres) vorkommen; in individualisierter Form offenbart sind diese Raumformen hierdurch allein aber noch nicht. Deshalb wird die Neuheit der D- und der L- Enantiomeren durch die Beschreibung der Racemate nicht zerstört.
6.3. Anders verhält es sich, soweit durch den Stand der Technik die Enantiomeren - gleich mit welcher Bezeichnungsweise (D, d, L, l oder + oder -) - namentlich genannt sind und ihre Herstellung möglich ist.
6.4. Die hier vertretene Auffassung steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Kammer zur Neuheit chemischer Stoffe. Danach sind nur solche technische Lehren neuheitsschädlich, die den Stoff als zwangsläufiges Ergebnis eines vorbeschriebenen Verfahrens oder in spezifischer, d. h. individualisierter Form offenbaren (vgl. T 12/81 "Diastereomere" ABl. EPA 1982, 296; T 181/82, "Spiroverbindungen" a.a.O.; T 7/86 "Xanthine", ABl. EPA 1988, 381).
6.5. Die Kammer verkennt bei dieser Betrachtungsweise nicht, daß die beiden Enantiomeren nicht bloß denkgesetzlich unter die Definition der betreffenden Strukturangabe fallen, sondern im Racemat ungetrennt auch tatsächlich vorliegen. Dieses läßt sich üblicherweise auch dadurch trennen, daß man die Enantiomeren z. B. mittels optisch aktiver Stoffe in ein Gemisch von Diastereomeren überführt, dieses auftrennt und aus den anfallenden Produkten die Enantiomeren zurückgewinnt. Solche Uberlegungen können aber im Rahmen der Neuheit nicht Platz greifen. Sie bleiben vielmehr der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit vorbehalten.
7. Wendet man die vorstehend entwickelten Prinzipien auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich das folgende:
7.1. Die Dokumente (1) bis (3) erwähnen Enantiomere mit keinem Wort. Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, daß im Zuge der angegebenen Herstellungsverfahren - etwa wegen des Einsatzes optisch aktiver Ausgangsstoffe - die Enantiomeren anfallen könnten. Dies legt die Kammer so aus, daß in diesem Stand der Technik ausschließlich Racemate beschrieben sind, welche die Neuheit der im Streitpatent beanspruchten D-Formen nicht tangieren. Diese Beurteilung muß auch für Produkte nach dem Streitpatent gelten, die -wie zuletzt beansprucht - "einen Gehalt an mindestens 80 % D-Form" aufweisen; denn - wie in Abschnitt 6.5 ausgeführt - haben Uberlegungen über eine mögliche Racemat-Trennung oder Anreicherung eines Enantiomeren bei der Beurteilung der Frage der Neuheit auszuscheiden.
7.2. Die in (4) beschriebenen Strukturen sind von denjenigen des Streitpatents unstreitig verschieden, weshalb dieses Dokument ebenfalls nicht neuheitsschädlich ist.
7.3. Das nicht vorveröffentlichte Dokument (7) erwähnt zwar auf Seite 4, zweiter Absatz, namentlich die rechts- und links drehenden Formen von mit dem Streitpatent sich über schneidenden Strukturen. Die betreffende Stelle fehlt je doch in den zugrundeliegenden Prioritätsdokumenten. (7) ist daher insoweit nicht prioritätsälter und zerstört so mit die Neuheit des Streitpatents nicht, da im übrigen das zu (1) bis (3) Gesagte gilt.
7.4. Das ebenfalls nicht vorveröffentlichte Dokument (8) scheidet als neuheitsschädlich auf Grund des Disclaimers "b" aus (vgl. hierzu Unterabschnitt 3.2 vorliegender Entscheidung), der in richtiger Weise von den durch die breite allgemeine Formel I definierten Verbindungen gemäß Streit patent nicht nur die in den Beispielen und sonstwo in (8) konkret genannten Einzelverbindungen ausnimmt, sondern die ganze von der Offenbarung (allgemeine Formel) dieses Dokuments umfaßte Stoffgruppe, soweit dieser tatsächlich eine ältere Priorität als dem Streitpatent zukommt.
7.5. Das Gleiche gilt hinsichtlich (9) auf Grund des Disclaimers "c" für die erste Vertragsstaatengruppe bzw. des Disclaimers "a" für IT. Dieses Dokument ist daher gleichfalls nicht neuheitsschädlich.
8. Für die Untersuchung auf erfinderische Tätigkeit gemäß Art. 56 EPU ist von dem nicht vorveröffentlichten Stand der Technik nach (7) und (8) abzusehen; d.h. es sind nur (1) bis (4) und (9) in Betracht zu ziehen.
8.1. Als nächster Stand der Technik können die den beanspruchten D-Enantiomeren entsprechenden Racemate angesehen werden. Diese sind für diejenigen beanspruchten Verbindungen, in denen R = II oder III ist, je nach dem maßgeblichen Teilbereich in (1), (2), (3) oder (9) offen bart; die Racemate derjenigen Verbindungen, in denen R = IV, V oder VI ist, sind in den genannten Dokumenten zwar nicht offenbart, doch ist die erfinderische Tätigkeit hinsichtlich der entsprechenden D-Enantiomeren nicht getrennt zu untersuchen, weil die Beschwerdeführerin hierauf - wie die mündliche Verhandlung ergeben hat - keinen eigenen Antrag richten wollte.
8.2. Ausgehend von den Racematen gemäß (1) bis (3) und (9) als nächstem Stand der Technik kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, Verbindungen anzugeben, von denen eine wesentlich kleinere Menge für die Bekämpfung unerwünschten Pflanzenwuchses ausreicht. Als Lösung stellt das Streitpatent gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags die Verbindungen der Formel I bereit.
8.3. Auf Grund des am 17. Mai 1985 vorgelegten Versuchsberichtes ist es glaubhaft, daß die bestehende Aufgabe auch tatsächlich gelöst ist.
8.4. Zur erfinderischen Tätigkeit ist folgendes auszuführen:
8.4.1. Es gehörte schon lange vor dem Prioritätstag des Streitpatents zum allgemeinen Fachwissen, daß bei physiologisch aktiven Substanzen (z.B. Herbiziden, Fungiziden, Insektiziden, Wachstumsregulatoren, aber auch Pharmazeutika oder Nährstoffen), die ein asymmetrisches Kohlenstoffatom aufweisen und daher in Form eines Racemats oder eines von zwei Enantiomeren vorliegen können, häufig eines der Enantiomeren eine quantitativ höhere Wirkung aufweist als das andere bzw. als das Racemat. Stellt sich demnach - wie hier - die Aufgabe, ausgehend von einem physiologisch aktiven Racemat Wirkstoffe zu entwickeln, die die betreffende physiologische Aktivität in erhöhtem Ausmaß aufweisen, so liegt es nahe, zunächst einmal, d.h. bevor man etwa an die Synthese strukturell abgewandelter Produkte denkt, die beiden Enantiomeren in isolierter Form herzustellen und zu testen, ob das eine oder andere von ihnen aktiver ist als das Racemat ("obvious to try"). Solche Versuche sind übliche Routine. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Kammer, daß eine überlegene Wirkung dann keine erfinderische Tätigkeit begründen kann, wenn sie sich aus naheliegenden Versuchen ergibt. Da im vorliegenden Fall Versuche mit den Enantiomeren angesichts der bestehenden Aufgabe nahelagen, beruht das Auffinden der geltend gemachten Wirkung der D-Enantiomeren, verglichen mit entsprechenden Racematen, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
8.4.2. Es ist anzumerken, daß dieser Schluß nur begrenzt verallgemeinerungsfähig ist. So mag man sehr wohl zu einem anderen Resultat gelangen, wenn es um Verbindungen mit mehr als einem asymmetrischen Kohlenstoffatom geht, so daß sich die Zahl der in Frage kommenden Isomeren exponentiell vervielfacht. Ferner mag in einem Fall, wo schon das zugrundeliegende Racemat zwar bekannt ist, aber abseits des Entwicklungstrends liegt, die durch dessen Aufspalten erfolgende Bereitstellung der Enantiomeren erfinderisch sein. Auch sind weitere Fälle denkbar - z.B. Gewinnung aktiver oder qualitativ anders wirkender Enantiomeren aus im wesentlichen inaktiven bzw. verschieden wirkenden Racematen -, in denen sich ein anderes Ergebnis aufdrängt. Solche besonderen Gesichtspunkte wurden aber im vorliegenden Fall weder von den Beteiligten vorgebracht, noch sind sie für die Kammer ersichtlich.
8.4.3. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf den verschiedenen Wirkungsmechanismus der beanspruchten Verbindungen, verglichen mit denjenigen nach (4), rechtfertigt angesichts der allgemeinen Natur der obigen Uberlegungen ebensowenig eine andere Beurteilung, wie dies andererseits die Ausführungen der Beschwerdegegnerin zur Identität der d- mit den D-Enantiomeren in (4) und eventuell auch in (9) tun; denn lag es nahe zu versuchen, ob eines der Enantiomeren irgendeines gängigen Racemats mit physiologischer Aktivität aktiver ist als dieses Racemat selbst, so kommt es nicht mehr darauf an, welche Raumform sich dabei als aktiver erweist und ob dieses Ergebnis mit dem nächsten Stand der Technik lückenlos im Einklang steht.
8.4.4. Auch die - zugunsten der Beschwerdeführerin als zutreffend unterstellte - Tatsache, daß im vorliegenden Falle die D- Enantiomeren nicht bloß die doppelte, sondern etwa die vierfache Wirksamkeit der entsprechenden Racemate zeigen, können an der obigen Beurteilung nichts ändern; denn wenn es für den Fachmann nahelag, in Erwartung einer Lösung der bestehenden Aufgabe, d. h. einer erhöhten Aktivität, Versuche mit Enantiomeren anzustellen, so kann das zahlenmäßige Ausmaß der Aktivitätserhöhung in der Regel nicht dazu führen, solche naheliegenden Versuche nachträglich als erfinderisch zu bewerten. Dahingestellt bleiben mag, ob Extremfälle, in denen der Wirksamkeitsfaktor so hoch ist, daß sich der Sachverhalt dem der Gewinnung eines aktiven Enantiomeren aus einem inaktiven Racemat annähert, möglicherweise anders beurteilt werden könnten. Bei einem Faktor von bloß 4 erscheint dies jedenfalls nicht angebracht.
8.4.5. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Lösungsvorschlag nach Anspruch 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
9. Anspruch 2 betrifft ein Verfahren zur direkten Herstellung der D-Enantiomeren nach Anspruch 1, in zwei Varianten, a und b. Dieses Verfahren ist zwar im gesamten entgegen gehaltenen Stand der Technik nicht beschrieben, also neu; doch wurde seitens der Beschwerdeführerin kein Sachverhalt geltend gemacht und ist für die Kammer auch kein solcher ersichtlich, wonach dieses Verfahren als erfinderisch an zusehen wäre. Da im übrigen über einen Antrag nur als Ganzes entschieden werden kann, muß Anspruch 2 schon deswegen das rechtliche Schicksal des Anspruchs 1 teilen.
10. Das gleiche gilt für die Ansprüche 3 und 4, die nur eine andere Ausprägung der Lehre nach Anspruch 1 darstellen und daher ebenfalls nicht patentfähig sind.
11. Die Ansprüche 5 bis 8 für die erste Vertragsstaatengruppe bzw. 5 bis 10 für IT richten sich auf unter Anspruch 1 fallende Einzelverbindungen, für die - abgesehen von dem noch zu behandelnden Hilfsantrag - keine eigene Patentfähigkeit geltend gemacht wurde. Sie sind im Rahmen des Hauptantrages gleichfalls nicht rechtsbeständig.
12. Die Beschwerde hat daher im Umfang des Hauptantrags keinen Erfolg.
Zum Hilfsantrag
13. Die beiden Ansprüche entsprechen im wesentlichen den ursprünglichen Ansprüchen 9 und 10 bzw. den erteilten Ansprüchen 7 und 8 für die erste Vertragsstaatengruppe sowie 9 und 10 für IT. Zur Beschränkung auf "mindestens 80% D- Form" siehe Unterabschnitt 3.4 vorliegender Entscheidung. Die Ansprüche unterliegen somit keiner formalen Beanstandung.
14. Die Einwände unzureichender Offenbarung und Fehlens eines Beispiels für die Verbindungen, worin R = III (vgl. Abschnitte 4 und 5 vorliegender Entscheidung), sind von vornherein gegenstandslos, weil solche Verbindungen von den Ansprüchen des Hilfsantrages nicht umfaßt werden.
15. Gegenüber dem gesamten im Verfahren befindlichen Stand der Technik ist der Gegenstand beider Ansprüche neu, weil die beiden beanspruchten Verbindungen mit einer Benzthia zolyloxy- bzw. Benzoxazolyloxygruppe darin nicht offenbart sind.
16. Zur erfinderischen Tätigkeit ist folgendes auszuführen:
16.1. Als nächster vorveröffentlichter Stand der Technik, von dem bei der Untersuchung auf erfinderische Tätigkeit auszugehen ist, kommen nur die in (1), (2), (3) und (9) genannten Verbindungen in Frage, worin R = II oder III. Nach Auffassung der Kammer kommt insgesamt am nächsten die Verbindung 10 auf Seite 9 von (1), die mit beiden beanspruchten Verbindungen hinsichtlich der in Formel I gezeichneten Grundstruktur sowie der Bedeutung
(FORMEL)
übereinstimmt und als Substituenten R auch einen lediglich durch ein Chloratom substituierten Heterocyclyloxyrest enthält, bei dem es sich allerdings um einen Pyridyloxy rest handelt, wobei außerdem die Stereokonfiguration am asymmetrischen Kohlenstoffatom nicht angegeben ist, so daß davon auszugehen ist, daß es sich um das Racemat handelt (vgl. hierzu sinngemäß die Ausführungen der Abschnitte 6 und 7).
16.2. Für die Verbindung des Anspruchs 2, die mit derjenigen des Beispiels 20 der Streitpatentschrift identisch ist, wurde in dem Versuchsbericht vom 17. Mai 1985 zwar eine Überlegenheit gegenüber dem entsprechenden Racemat glaubhaft gemacht (Seite 3 der Tabelle, Verbindung 20); da dieses Racemat jedoch, soweit ersichtlich, nicht dem nachgewiesenen Stand der Technik angehört, ist dieser Effekt nicht relevant. Ein unerwarteter Effekt gegenüber dem nach Auffassung der Kammer nächsten Stand der Technik (Verbindung 10 von (1)) oder anderen vorveröffentlichten Stoffen wurde nicht geltend gemacht. Als Aufgabe des Streitpatents wird daher nur der Vorschlag weiterer Stoffe mit guter Herbizidaktivität angesehen. Die tatsächliche Lösung dieser Aufgabe durch Bereitstellung der beanspruchten Stoffe erscheint auf Grund der Angaben des Versuchsberichts vom 17. Mai 1985 zu Verbindung 20 ohne weiteres glaubhaft.
16.3. Auf der Suche nach weiteren Stoffen mit guter Herbizidaktivität wird der Fachmann in erster Linie solche Verbindungen ins Auge fassen, die der Substanz, von der er ausgeht - hier Verbindung 10 aus (1) - strukturell möglichst nahekommen; denn in dem begrenzten Rahmen, in dem physiologische, z.B. Herbizidaktivität, überhaupt "erwartet" werden kann, wird man Stoffe vergleichbarer Aktivität noch am ehesten unter den strukturell nächstkommenden vermuten. Dementsprechend wird der Fachmann, der ausgehend von Verbindung 10 aus (1) nach weiteren geeigneten Stoffen sucht, zunächst die an der allgemeinen Formel von (1)
(FORMEL)
gezeigten Substituenten R, R1 und X sowie deren Stellung im Gesamtmolekül variieren, ehe er die Struktur grundlegend abwandeln und z.B. den Pyridyloxy - durch einen anderen heterocyclischen Rest ersetzen wird. Entschlösse er sich aber dennoch hierzu, stünden ihm, auch abgesehen von der Auswahl des D-Enantiomeren, eine ganze Reihe von Möglichkeiten offen, ehe er gerade einen an einer ganz bestimmten Stelle durch Chlor substituierten Benzthiazolyloxy- oder Benzoxazolyloxyrest auswählt. Angesichts der Mehrzahl vorzunehmender gedanklicher Schritte, der großen Anzahl bestehender Variationsmöglichkeiten und der erheblichen strukturellen Verschiedenheit gegenüber Verbindung 10 aus (1) der beiden beanspruchten Stoffe kann es nicht nahegelegen haben, gerade diese als weitere Verbindungen mit guter Herbizidaktivität vorzuschlagen, zumal sich hierfür im entgegengehaltenen Stand der Technik weder eine Anregung, noch gar ein Vorbild findet (vgl. auch Entscheidung T 20/83 "Benzothiopyranderivate", ABl. EPA 1983, 419, insbesondere die Abschnitte 5 bis 7). Der beanspruchte Lösungsvorschlag beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit.
17. Dem Hilfsantrag ist daher stattzugeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Beschwerde im Umfange des Hauptantrages der Beschwerdeführerin wird zurückgewiesen.
3. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das europäische Patent auf Grund der Patentansprüche gemäß Hilfsantrag und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.