T 0231/92 (Mehrschichtmembran/GFT) 08-03-1994
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Mehrschichtige Membran und ihre Verwendung zur Trennung von Flüssigkeitsgemischen nach dem Pervaporationsverfahren
01) Mokhtari-Nejad, Esfandiar, Dr.
02) Akzo Faser AG
03) Metallgesellschaft AG, Frankfurt/M
04) Prof. Dr. Siegfried PETER
Ausreichende Offenbarung (bejaht)
Disclosure - sufficiency (yes)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 96 339 mit der Anmeldungsnummer 83 105 379.8 zu widerrufen. Diese Entscheidung wurde allein damit begründet, daß die Erfindung im Sinne von Artikel 100 b) bzw. Artikel 83 EPÜ nicht ausreichend offenbart wäre.
II. Es fand eine mündliche Verhandlung statt, in der nur die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) und die Einsprechende 3 (im folgenden Beschwerdegegnerin genannt) vertreten waren. Auch sonst äußerten sich die anderen Einsprechenden im Beschwerdeverfahren nicht zur Sache.
III. Entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin sollen dem Beschwerdeverfahren nur die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 des Einspruchsverfahrens vom 12. November 1991 (Verwendungsansprüche 1 bis 5) zugrundegelegt werden.
Der einzige unabhängige Anspruch lautet:
"1. Verwendung einer Komposit-Membran (1, 21) mit einer porenfreien Trennschicht (4, 25) aus einem ersten Polymeren und einer porösen Stützschicht (3, 23) aus einem zweiten Polymeren, wobei die porenfreie Trennschicht aus vernetztem Polyvinylalkohol mit einer Schichtdicke von 0,05 - 10 µm besteht, wobei die Vernetzung durch Veresterung mit Dicarbonsäuren, durch Veretherung unter der katalytischen Einwirkung der Säuren oder mittels Dihalogenverbindungen, durch Acetalisierung mittels Aldehyden oder Dialdehyden, oder durch eine Kombination dieser Verfahren erfolgt ist, und das für die Trennschicht der Membran verwendete Polymere nicht in die Poren der Stützschicht (3, 23) eingedrungen ist, für die Trennung von Flüssigkeitsgemischen nach dem Verfahren der Pervaporation."
Die Ansprüche 2 bis 5 sind vom Anspruch 1 abhängig.
IV. Folgende Druckschriften wurden neben anderen im Beschwerdeverfahren zitiert:
(1) = EP-A-47 953,
(12) = J. I. Dytnerski: "Membranprozesse zur Trennung flüssiger Gemische", VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1977, Seiteen 18, 132 - 135, 145, 154 - 158, 189 - 191 und 228 - 229,
(20) = Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl., Band 16, Weinheim, 1978, Seite 517,
(23) = S. Hwang und K. Kammermeyer: "Membranes in Separations", John Wiley & Sons, 1975, Inhaltsverzeichnis, Seiten 67 - 68, 99 - 123 und 421 - 435,
(24) = Kirk-Othmer; "Encyclopedia of Chemical Technology", John Wiley & Sons, third edition, 1981, Band 15 (Stichwort "Membrane Technology"), Seiten 92 - 98, 102 - 107 und 116 - 117,
(25) = Wissenschaftliche Forschungsberichte, Reihe II, Band 2: H. Strathmann: "Trennung von molekularen Mischungen mit Hilfe synthetischer Membranen", Darmstadt 1979, Seiten 36, 37, 42, 106 und 107.
V. Die Beschwerdeführerin trug im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ im wesentlichen folgende Argumente vor:
In wichtigen einschlägigen Standardwerken, die sich ausführlich mit porenfreien und porösen Membranen und Pervaporation befassen - z. B. (23) und (24) - sei der Begriff "porenfreie Membran/Trennschicht" anerkannt und ausreichend klar definiert. In den anderen von der Beschwerdegegnerin genannten Dokumenten - (1), (12), (20) - fehle der Hinweis auf die Pervaporation. Der letzte Absatz auf Seite 434 der Druckschrift (23) betreffe mikroporöse Membranen.
Aber selbst wenn gewisse Widersprüche durch abweichende Deutungen des Transportmechanismus in einer porenfreien Trennschicht in einigen Dokumenten entstünden, sei dies für die Erfordernisse der Offenbarung der Erfindung zweitrangig. Es komme nur darauf an, daß der Fachmann eine eindeutige Lehre zum Nacharbeiten erhalte. Hierzu sei zunächst festzustellen, daß es einfacher sei, dichte oder porenfreie Trennschichten aus Polymeren herzustellen als Trennschichten mit Poren mit bestimmtem Porendurchmesser. Ferner erhalte der Fachmann Hinweise für die Herstellungsbedingungen in den Unterlagen und Dokumenten, z. B. in (23) bis (25).
Insbesondere aber sei durch die gemäß Anspruch 1 erforderliche Eignung der Trennschicht für die Pervaporation dem Fachmann ein entscheidender Hinweis für die Herstellung einer porenfreien Trennschicht gegeben. Der Begriff "porenfreie Trennschicht" sei danach eng mit der Pervaporation verknüpft. Da die Pervaporation bekanntermaßen vor allem zur Trennung von azeotropen Gemischen verwendet werde, könne der Fachmann durch einfache Tests mit solchen Gemischen feststellen, ob die gewählten Herstellungsbedingungen wirklich für die Produktion einer porenfreien Trennschicht geeignet sind. Wäre die Trennschicht porös, könnten azeotrope Gemische nicht ausreichend getrennt werden.
Auch die Einsprechenden hätten eingeräumt, daß das Beispiel 6 des Streitpatents ein brauchbares Ergebnis liefere. Unter dem Gesichtspunkt, daß die Trennschicht für die Pervaporation geeignet sein müsse, werde dem Fachmann ein entscheidender Hinweis für die Herstellung der porenfreien Trennschicht gegeben.
VI. Die Beschwerdegegnerin brachte im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ im wesentlichen folgende Argumente vor:
Mehrere Dokumente belegten, daß der Begriff "porenfreie Trennschicht" ein schillernder Begriff sei. Aus (1) Seite 2 und (12) Seite 145 letzter Satz ergebe sich, daß eine Definition einer Membran durch ihre Verwendung (Umkehrosmose, Ultrafiltration, Pervaporation) eher willkürlich sei. Nach (20) Seite 517 letzte neun Zeilen würden für dichte Membranen Porendurchmesser von 5 bis 10 nm angenommen. Außerdem werde in (23) Seite 434 im ersten Absatz des Kapitels "Mikroporöse Membranen - flüssige Phase" festgestellt, daß die Bezeichnung "mikropröse Membranen" angreifbar sei, da strittig sei, ob die Trennwirkung dieser Membranen auf Mikroporosität oder einer sehr dünnen nichtporösen Schicht beruhe.
Das Beispiel 6 des Streitpatents enthalte keinen Hinweis auf die Porenfreiheit, allenfalls auf die Verwirklichung des Merkmals, das das Eindringen des Polymeren in die Stützschicht betrifft.
Folglich sei der Begriff "porenfreie Trennschicht" im Streitpatent nicht ausreichend definiert, und es resultiere daraus eine große Unsicherheit beim Benutzen der Membran.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens auf der Basis der geänderten Ansprüche.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Umfang der Prüfung
Da die erste Instanz den Widerruf allein damit begründete, daß die Erfindung nicht ausreichend offenbart wäre im Sinne von Artikel 100 b) bzw. Artikel 83 EPÜ und da der Streitgegenstand das Patent und nicht die Anmeldung ist, hat die Kammer - nach einer Prüfung, ob eine durch die Änderung der Ansprüche bedingte Verletzung des EPÜ vorliegt - nur über den in Artikel 100 b) genannten Einspruchsgrund zu entscheiden: Offenbart das Streitpatent die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann?
3. Zulässigkeit der Änderungen
Die Kammer sieht keinen Anlaß, an der Beurteilung der Einspruchsabteilung zu zweifeln, daß die Ansprüche nicht gegen die Absätze 2 und 3 des Artikels 123 EPÜ verstoßen. Auch wurden diesbezügliche Einwände von den Verfahrensbeteiligten nicht vorgebracht.
4. Offenbarung der Erfindung (Artikel 100 b) EPÜ)
4.1. Die Bedeutung des für eine Beurteilung der Offenbarung der Erfindung wesentlichen und strittigen Begriffes "porenfreie Polymer-Trennschicht" bzw. "porenfreie Polymer-Membran" erscheint auf den ersten Blick nicht eindeutig. Dies kommt offenbar daher, weil unklar ist, ob auch noch die Maschenabstände des Netzwerkes der Polymerketten, also Zwischenräume unter ca. 1 nm, die nach Ansicht der Anhänger der sog. Kapillartheorie als Kapillaren wirken (vgl. (12) Seiten 189 bis 191), als Poren anzusehen sind.
Das ist aber ohne Belang, da sich - unabhängig von der Definition dessen, was im Bereich unter 1 nm noch als Poren anzusehen sind - offensichtlich die folgende Bedeutung des genannten Begriffs auf dem Fachgebiet durchgesetzt hat:
Unter einer sog. porenfreien Trennschicht aus Polymer versteht der Fachmann eine homogene oder dichte Polymerschicht, die submikroskopische Poren allenfalls im Bereich der Größe der Maschenweite der Polymerketten, also unter etwa 1 nm, hat, so daß deren Verhalten zumindest angenähert dem Lösungsdiffusionsprinzip entspricht.
Letzteres bedeutet, daß die Struktur der Schicht derart sein muß, daß die permeierende Komponente (beim Streitpatent: Wasser) auf der Polymeroberfläche sorbiert wird, im Polymer in Lösung geht, durch die Polymermatrix diffundiert und von der anderen Polymeroberfläche desorbiert wird. Die Ausdrücke "homogene Polymer- Membran", "dichte Polymer-Membran", "Löslichkeitsmembran aus Polymer", "Lösungsdiffusionsmembran aus Polymer" und "porenfreie Polymer-Membran" bezeichnen den gleichen Membran- bzw. Trennschicht-Typ.
Daß diese Bedeutung des Begriffes "porenfreie Polymer- Trennschicht/Membran" dem Fachmann geläufig ist, belegen zum Beispiel folgende Stellen von Standardwerken:
Gemäß dem Kapitel "Fluß in nichtporösen Membranen" des Handbuchs (23), vorletzter Absatz, "existiert eine ungelöste Frage, ob eine beliebige Membrane, sei sie nun eine sog. poröse oder nichtporöse Membrane, in gewissem Umfange als mikroporöses Medium wirken wird. Sogar die Membranen, die wir "nichtporös" nennen, mögen eine Anzahl winziger Poren haben, deren Durchmesser im 5-10-A-Bereich liegt. Jedoch werden - zu Recht oder Unrecht - solche Strukturen als nichtporös angesehen, und ihr Verhalten scheint diese Ansicht zu bestätigen." Im gleichen Kapitel wird auf Seite 68, Absatz 2 ausgeführt, daß zwar eine gewisse Nichtübereinstimmung über das Konzept des Flusses bestehe, daß aber Übereinstimmung darüber bestehe, daß die Löslichkeit der permeierenden Komponente eine wichtige Rolle spielt und deshalb der Ausdruck "diffusiver Löslichkeitsfluß" vielleicht der am besten beschreibende ist. Auf Seite 434 folgt ein ganzes Kapitel "Nichtporöse Membranen" dem Kapitel "Mikropröse Membranen".
Im Handbuch (24) - vgl. insbes. Seite 93, Absatz 2, Seite 95, Absatz 2, Seite 98, Absatz 2 und Seite 102 vorletzter Absatz - wird deutlich zwischen porenfreien und porösen Membranen unterschieden und die gleiche Bedeutung von Membranen, die keine Poren enthalten, dichten Membranen und Lösungsdiffusionsmembranen festgestellt.
Ein gewisses Indiz dafür, daß dieser Begriff in der Fachwelt üblich ist, ist auch seine mehrfache und selbstverständliche Verwendung durch den als Experte anzusehenden Einsprechenden 4 in dessen Einspruchsschriftsatz.
Hinzu kommt, daß beim Streitpatent die poröse Trennschicht eng mit der Anwendung für die Pervaporation verknüpft ist und in der allein weiterverfolgten Alternative und gemäß allen Beispielen vernetzten PVA als Material verwendet wird.
Unter einer porenfreien Trennschicht gemäß dem Streitpatent versteht der Fachmann also eine aus vernetztem PVA hergestellte, sehr dünne Schicht, die die im dritten Paragraphen dieses Abschnitts angegebenen Merkmale hat und die für die Pervaporation geeignet ist.
4.2. Selbst wenn es jedoch gewisse Widersprüche durch abweichende Deutungen des Transportmechanismus in einer porenfreien Trennschicht in einigen Dokumenten gäbe, wäre dies für die Erfordernisse der Offenbarung der Erfindung zweitrangig. Wesentlich ist, daß der Fachmann durch das Streitpatent eine eindeutige Lehre zum Nacharbeiten erhält.
Die Herstellung einer solchen porenfreien Trennschicht aus vernetztem Polyvinylalkohol (PVA) bereitete dem Fachmann (auf dem Gebiet der für Gemischtrennungen geeigneten Polymermembranen) am Prioritätstag keine besonderen Schwierigkeiten - im Gegensatz wohl zur Herstellung von Schichten mit bestimmter vorgegebener Porengrößenverteilung. Er weiß, auf welche Parameter es besonders ankommt, z. B. die Konzentration des PVA in der Lösung, die Geschwindigkeit und Temperatur der Trocknung der Lösung und die Dicke der Schicht, vgl. hierzu auch (24) Seite 103, Absätze 5 und 6 und (25), Seiten 106 bis 107, Abschnitt 2.4 Neben diesen Zielangaben und seinem Fachwissen erhält er auch viele konkrete Hinweise auf Verfahrensschritte aus den ursprünglichen Unterlagen des Streitpatents, vgl. insbesondere die Beispiele. Nicht erwähnte Verfahrensparameter kann er durch einfache Versuche bestimmen.
Der Beschreibung sind auch weitere Angaben zur Herstellung der porösen Stützschicht (insbes. Spalte 4 ab Zeile 4), zur Dicke der Trennschicht (Spalte 5 ab Zeile 4), zur Vernetzung des PVA der Trennschicht (Spalte 3 ab Zeile 30) und zur Verhinderung des Eindringens (der Makromoleküle) des PVA in die poröse Stützschicht zu entnehmen.
Außerdem ist es offenbar unstreitig, daß mindestens mit dem Beispiel 6 zusammen mit weiteren Angaben in der Beschreibung und in den Ansprüchen ein Weg zur Ausführung des Anmeldungsgegenstandes angegeben ist (Regel 27 (1) e) EPÜ).
Ob eine solche Trennschicht der oben angegebenen Definition entspricht bzw. ob die Herstellbedingungen geeignet gewählt wurden, könnte folgendermaßen nachgeprüft werden: Da die Pervaporation bekanntermaßen vor allem zur Trennung azeotropischer Gemische benutzt wird, kann der Fachmann durch einfache Versuche mit solchen Gemischen feststellen, welche Bedingungen im Detail für die Produktion einer solchen patentgemäßen porenfreien Trennschicht geeignet sind.
Die Verwendung gemäß letztem Teilsatz des Anspruchs 1, also die Durchführung der Trennung von Flüssigkeitsgemischen mittels Pervaporation, ist für den Fachmann Routine.
4.3. Zum Argument der Beschwerdegegnerin, daß der Begriff "porenfreie Trennschicht" wegen der Passagen in (1), (12), (20) und (23) - vgl. VI. - schillernd sei, ist festzustellen: In (1), (12) und (20) fehlt der Hinweis auf die Pervaporation, während sich die einschlägigen Standardwerke (23) und (24) (die eine klare Definition des genannten Begriffes enthalten) ausführlich mit porenfreien und porösen Membranen und Pervaporation befassen. In (20) wird außerdem nur kurz auf dichte Membranen eingegangen und lediglich die Vermutung ausgesprochen, daß solche Membranen Porendurchmesser von 5. bis 10 nm haben ("Für ... dichte Membranen werden Porendurchmesser zwischen ... angenommen."). Der letzte Absatz auf Seite 434 von (23), auf den sich die Beschwerdegegnerin bezieht, betrifft mikroporöse Membranen.
5. Zusammenfassend stellt die Kammer fest, daß die Ansprüche Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht verletzen und der Gegenstand des Streitpatents im Sinne von Artikel 100 b) EPÜ ausreichend offenbart ist.
6. Eine Prüfung der Ansprüche auf andere Erfordernisse des EPÜ, wie insbesondere Neuheit und erfinderische Tätigkeit, erfolgte bisher nicht. Deswegen und um das Recht der Beschwerdeführerin auf Klärung aller Sach- und Rechtsfragen durch zwei Instanzen zu wahren, macht die Kammer von der Möglichkeit nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung mit der Aufforderung zurückverwiesen, das Verfahren unter Berücksichtigung der Entscheidung der Beschwerdekammer fortzuführen.