T 0412/92 18-07-1995
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Spülkasten-Ablaufventil
Kombination von Merkmalen (nicht nahegelegt)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Novelty - obvious combination of features
Inventive step (yes)
I. Auf die am 15. September 1982 angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 82 108 502.4 wurde am 30. Juli 1986 das europäische Patent Nr. 0 103 046 erteilt.
II. Der erteilte Anspruch 1 hat nachfolgenden Wortlaut:
"1. Spülkasten-Ablaufventil mit einem Ventilstück (7), das durch die Auslösebetätigung einer zugeordneten Betätigungseinrichtung (2, 3, 6, 14, 15) in die Offenstellung überführbar ist, sich in dieser bis zum Abschluß des Spülvorganges hält und dann in die Schließstellung fällt, wobei durch eine Unterbrechungsbetätigung der Betätigungseinrichtung (2, 3, 6, 14, 15) das Ventilstück (7) vorzeitig in die Schließstellung zurückbewegbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Betätigungseinrichtung (2, 3, 6, 14, 15) eine durch die mit der Auslösebetätigung verbundene Zustandsänderung im Spülkasten (1) in ihrer Wirkrichtung umkehrbare und durch die aus der Unterbrechungsbetätigung und der normalen Schließung resultierende weitere Zustandsänderung im Spülkasten (1) wieder rückschaltbare Umsteuervorrichtung (4, 4', 4", 5, 5' 5", 8, 9, 10, 16, 16', 17, 41, 41') aufweist."
Diesem Anspruch 1 schließen sich die erteilten Ansprüche 2 bis 13 als abhängige Ansprüche an.
III. Gegen vorgenanntes Patent hat die Fa. Geberit AG - nachfolgend Beschwerdegegnerin - einen u. a. auf die Druckschrift
(D1) DE-A-3 139 834
gestützten Einspruch eingelegt und beantragt das Streitpatent zu widerrufen.
IV. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 1988 hat die Einspruchsabteilung das Streitpatent widerrufen, weil ihrer Meinung nach dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anspruch 1 die erforderliche Klarheit fehle und sich dessen Gegenstand nicht ausreichend deutlich vom Stand der Technik abhebe. Die schriftlich begründete Entscheidung gemäß Artikel 102 (1) EPÜ trägt das Datum des 16. Dezember 1988.
V. Unter dem Aktenzeichen T 120/89 - 3.2.2 wurde die Beschwerde der Patentinhaberin - nachfolgend Beschwerdeführerin - gegen vorgenannte Entscheidung gemäß vorstehendem Absatz IV von der Kammer 3.2.2 des Europäischen Patentamts behandelt. In der dieses Beschwerdeverfahren abschließenden Entscheidung vom 28. Mai 1991 hat die Kammer 3.2.2 entschieden, die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und die Sache an sie zurückzuverweisen, mit der Auflage das Einspruchsverfahren auf der Basis des Anspruchs 1 wie in der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 1991 vorgelegt, fortzusetzen, vgl. Entscheidungsformel der Entscheidung T 120/89.
VI. Mit Entscheidung vom 12. März 1992 hat die Einspruchsabteilung das Streitpatent auf der Basis von (D1) und
(D3) DE-A-2 852 006 bzw.
(D6) CA-A-965 903
erneut gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen, weil der Gegenstand des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Anspruchs 1 vom 28. Mai 1991 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
VII. Gegen vorgenannte (insgesamt zweite) Widerrufsentscheidung gemäß vorstehendem Abschnitt VI der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin am 30. April 1992 unter rechtzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 11. Juli 1992 begründet.
VIII. Nach vorbereitender Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 11 (2) VOBK vom 16. Dezember 1994 fand am 18. Juli 1995 eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und darüber hinaus
- Aufrechterhaltung des erteilten Patents (Hauptantrag) bzw.
- Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Anspruchs 1 vom 28. Mai 1991 (Hilfsantrag 1) bzw.
- Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis des Anspruchs 1 vom 10. Juli 1992 (Hilfsantrag 2).
Die Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
IX. Die wesentlichen, zur Stützung der vorgenannten Anträge in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vorgetragenen Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden:
a) Beschwerdeführerin
Hauptantrag:
- Ausgangspunkt der Erfindung ist (D1), die einen gut funktionierenden Spülkasten offenbart;
- es liegt indes keine Umsteuervorrichtung vor, vielmehr muß die Bedienungsperson Überlegungen anstellen, wie umgesteuert werden soll, um die Wippe der (D1) in der richtigen Richtung zu betätigen;
- im Unterschied dazu schreibe Anspruch 1 vor, daß ein einziger Bedienungsknopf vorliege und die zweite Betätigung desselben (also nach Auslösung des Spülvorgangs) automatisch ein Schließen des Ablaufventils ergebe, weil nämlich innerhalb des Antriebszugs dieses Ablaufventils ein Umsteuervorgang erfolgt sei;
- Umsteuern im Sinne des Streitpatents bedeute Umkehren der Wirkrichtung;
- bei (D1) liege ein Umkehren der Wirkrichtung nicht vor, da die Betätigung der einen Seite der Wippe immer ein Auslösen und umgekehrt die Betätigung der anderen Wippenseite immer ein Schließen des Ablaufventils bewirke;
- möge die Fassung des erteilten Anspruchs 1 auch schwer lesbar sein, so stelle sie, wie die in der Verhandlung überreichte Merkmalsanalyse bestätige, dennoch das Wesen der beanspruchten Erfindung klar heraus;
- auch (D3) und (D6) könnten einzeln oder in Kombination mit (D1) den beanspruchten Spülkasten nicht patenthindernd nahelegen;
- (D3) sei gattungsfern, weil sie eine Druckarmatur lehre, bei der kein Spülvorgang ablaufe; selbst wenn dort die Einknopfbetätigung offenbart sei, verbiete die Kompliziertheit dieser Druckarmatur von vornherein in Kombination mit (D1) gesehen zu werden, weil es zudem bei Waschtischarmaturen gemäß (D3) keine Zustandsänderungen wie bei einem Spülkasten gebe;
- (D6) offenbare im Zusammenhang mit einem Badewannenablaufventil das Kugelschreiberprinzip, nämlich Einknopfbedienung für "Auf - Zu", welches aber der Erfindung fern liege, so daß ein Fachmann (D6) als für Spülkästen, die innere Zustandsänderungen berücksichtigten, ungeeignet verwerfe und dies auch schon deshalb, weil es ein "normales" Schließen des Ventils d. h. ein Schließen bei leerem Spülkasten, dort nicht gebe;
- zusammenfassend sei es aus den vorstehenden Überlegungen heraus unbeachtlich, wenn Einzelmerkmale des Anspruchs 1 im Stand der Technik realisiert seien, weil dessen tragendes Merkmal einer echten Umsteuervorrichtung in (D1), (D3) und (D6) fehle, so daß der beanspruchte Spülkasten den Rechtsbestand des Streitpatents in seiner erteilten Fassung sichern könne.
Hilfsantrag 1:
- dieser entspreche weitgehend dem Hauptantrag und sei nur bildhafter im Ausdruck, so daß auf vorstehende Argumentation zu verweisen sei;
Hilfsantrag 2:
- diese Anspruchsversion sei von dem Gedanken geleitet, den Unterschied zum Stand der Technik im Anspruch selbst zu verdeutlichen; ansonsten seien vorstehende Überlegungen anzustellen.
b) Beschwerdegegnerin
Hauptantrag:
- unter Hinweis auf die frühere Beschwerde T 120/89 - 3.2.2 wurde eingangs der mündlichen Verhandlung ein Neuheitseinwand im Hinblick auf (D1) gemacht, dieser Einwand später aber abgeschwächt in einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf die Kombinationen von (D1) mit (D3) bzw. mit (D6);
- (D1) offenbare ebenfalls ein Betätigungselement, nur werde es von verschiedenen Stellen aus betätigt;
- diese Betätigungsbewegung sei gleichgerichtet, so daß auch das Merkmal der ihre Wirkrichtung umkehrenden Umsteuervorrichtung bekannt sei d. h. Öffnen und Schließen des Ablaufventils mittels einer Betätigungseinrichtung;
- im Anspruch 1 fehle ein konkreter Hinweis auf die konstruktive Ausbildung der beanspruchten Umsteuervorrichtung und es werde seitens der Beschwerdeführerin nicht auf der Basis dieses Anspruchs 1, sondern auf der Basis des Ausführungsbeispiels argumentiert;
- wäre eine Umkehrung der Betätigungsrichtung gemäß (D1) nicht gegeben, könnte entweder nur gespült oder nur gefüllt werden;
- die Selbstschließung des Ablaufventils gemäß (D1) erfolge durch die Ausnützung einer Zustandsänderung im Spülkasten;
- Anspruch 1 lasse die Betätigungsrichtung offen, so daß selbst eine Drehbewegung als Betätigung denkbar sei;
- (D1) werde seitens der Beschwerdeführerin insgesamt unzutreffend interpretiert, da wohl auf das Bauteil "13" (Wippe) nicht aber auf das Bauteil "15", das als Umsteuervorrichtung diene, eingegangen werde;
- das im Anspruch 1 herausgestellte, allgemeine Prinzip sei mit (D3) bzw. (D6) bekannt, nämlich Einknopfbedienung mit der Funktion eines "elementaren Druckknopfs" von ein und derselben Stelle aus;
- die Übertragung der aus (D3) bzw. (D6) herleitbaren Lehre auf (D1) ergebe den Gegenstand des Anspruchs 1 in naheliegender Weise;
- vorstehende Argumente zusammenfassend, sei der Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde gerechtfertigt.
Hilfsanträge 1 bzw. 2
- der erste Hilfsantrag schaffe keinen weiteren Abstand zum Stand der Technik als der Hauptantrag, da auch (D1) schon so ausgelegt werden könne, daß eine gleichgerichtete, weil parallele Betätigungsrichtung vorliege;
- obwohl bei (D1) an verschiedenen Stellen ausgelöst werde, sei ein Betätigungselement für das Spülen bzw. Füllen verantwortlich;
- der zweite Hilfsantrag sei in Übereinstimmung mit der die mündliche Verhandlung vorbereitenden Mitteilung der Kammer schon aus formalen Gründen zu verwerfen;
- zusammenfassend könnten somit beide Hilfsanträge nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zum Bestehenlassen des Patents in geänderter Fassung führen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1. Nächstkommender Stand der Technik
Es war zwischen den Parteien nicht strittig, daß (D1) den nächstkommenden Stand der Technik wiedergibt. Es ist dort ein Spülkastenablaufventil offenbart, das vorzeitig schließbar ist, d. h. es muß nicht erst die volle Wassermenge des Spülkastens ausfließen bevor das Ablaufventil schließt. Das vorzeitige Schließen ist bei (D1) über eine Drückerplatte "13" (Wippe) möglich, indem diese von der Bedienungsperson in der zur Auslösebewegung entgegengesetzten Richtung betätigt wird (im konkreten Fall "oben" gedrückt wird).
Die Bedienungsperson entscheidet somit über den Erfolg bzw. Nichterfolg der Betätigung, indem sie die Wippe entweder oberhalb der Schwenkachse oder unterhalb derselben betätigt.
Ein ähnlicher Stand der Technik klingt bereits in der EP-B1-0 103 046 an, vgl. Spalte 1, Zeilen 11 bis 25, wobei aber sowohl im Falle einer linearen (Hin-Her- Bewegung) als auch im Falle einer Schwenkbewegung (Uhrzeiger-Gegenuhrzeiger-Sinn) die Bedienungsperson über den Erfolg/Nichterfolg einer vorzeitigen Unterbrechung des Spülvorganges entscheidet, indem das Betätigungselement in der zutreffenden Richtung betätigt wird.
2.2. Aufgabe der Erfindung
Die objektiv verbleibende technische Aufgabe, die dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 somit zugrundezulegen ist, ist darin zu sehen, die Gegebenheiten der (D1) dahingehend zu verbessern, daß die Bedienungsperson von der Überlegung befreit wird, zu entscheiden in welcher Richtung das Betätigungselement zur vorzeitigen Unterbrechung des Spülvorgangs zu aktivieren ist.
Die der EP-B1-0 103 046 entnehmbare Aufgabe, vgl. Spalte 1, Zeilen 49 bis 55, enthält bereits Lösungsansätze, indem sie vorschreibt, daß zur Unterbrechung (des Spülvorgangs) das Betätigungselement in derselben Richtung wie bei der Auslösebewegung zu aktivieren ist. Gemäß Entscheidung T 299/85, ABl. EPA 1987, 237 bzw. T 99/85, ABl. EPA 1987, 413 ist aber die technische Aufgabe so zu formulieren, daß sie keine Lösungsansätze enthält.
Mithin ist für die Frage der Beurteilung der Patentfähigkeit die eingangs als "objektiv verbleibende technische Aufgabe" umrissene Aufgabe zugrundezulegen.
Die Schwierigkeit der Bestimmung der zutreffenden Aufgabe der Erfindung hat ihre Ursache darin, daß (D1) bei der Patenterteilung nicht vorlag und daß die zweiteilige Fassung des erteilten Anspruchs 1 nicht diesen (nächstkommenden) Stand der Technik wiederspiegelt. Bei unveränderter Verteidigung des erteilten Patents (Hauptantrag) kann die Kammer lediglich in der Entscheidung die zutreffende, auf objektiver Basis ermittelte technische Aufgabe berücksichtigen.
2.3. Lösung der Aufgabe und Vorteile
Die Lösung der objektiv verbleibenden technischen Aufgabe beruht im wesentlichen darauf, daß eine einzige Betätigungsvorrichtung nur eine einzige Betätigungsrichtung aufweist, dergestalt, daß eine erste Betätigung (bei vollem Spülkasten) den Spülvorgang auslöst und daß eine zweite Betätigung an derselben Stelle und in gleicher Richtung den Spülvorgang beendet.
Es ist unmittelbar ersichtlich, daß mit dieser Aufgabenlösung die Bedienungsperson von jeglichen Überlegungen befreit ist, wie und wo ein Betätigungselement zu aktivieren ist, wenn der Spülvorgang vorzeitig beendet werden soll, da gemäß erteiltem Anspruch 1 nur eine Betätigungsstelle vorliegt - gemäß (D1) sind es zwei, nämlich Bereich oberhalb bzw. unterhalb der Schwenkachse der Wippe - und da erfindungsgemäß weiterhin nur eine Betätigungsrichtung vorliegt (Drücken und erneutes Drücken) - im Gegensatz zur (D1), gemäß deren Lehre entweder im Uhrzeiger- oder im Gegenuhrzeigersinn ausgelöst bzw. unterbrochen wird.
Hintergrund der beanspruchten Aufgabenlösung ist eine der Betätigungseinrichtung nachgeschaltete Umsteuervorrichtung, die aus der zweiten Betätigung der Betätigungseinrichtung eine Umkehr der Wirkrichtung des Auslöseventils macht.
2.4. Auslegung des erteilten Anspruchs 1
Die unter Abschnitt 3.3 herausgestellte Aufgabenlösung ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 selbst, vgl. auch Merkmalsanalyse desselben wie in der mündlichen Verhandlung überreicht und diskutiert, wie auch aus der Beschreibung des Ausführungsbeispiels, sofern der erteilte Anspruch 1 im Lichte der Beschreibung und der Zeichnung ausgelegt wird, vgl. EP-B1-0 103 046 Figur 1 (volle bzw. umrandete Pfeile für die erste bzw. zweite gleichgerichtete Auslösung an ein und demselben Ort zum Einleiten bzw. Schließen des Spülvorgangs). Zumindest bei Auslegung des erteilten Anspruchs 1 im Lichte der Beschreibung und der Zeichnung, Artikel 69 EPÜ, verbleibt keinerlei Zweifel daran, wo und wie das beanspruchte Ablaufventil betätigt wird und wo die Wirkrichtungsumkehr vorgesehen ist.
Damit wird auch an die Beschreibungseinleitung des Streitpatents angeknüpft, nämlich Spalte 1, Zeilen 26 bis 30, in der die Möglichkeit einer üblichen Fernbedienung diskutiert ist.
Der erteilte Anspruch 1 erfüllt somit auch die Erfordernisse der Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ, wobei im übrigen selbst ein Verstoß dagegen nicht unter die zulässigen Einspruchsgründe im Sinne von Artikel 100 EPÜ fallen würde und unbeachtlich wäre.
2.5. Abgrenzung
Bei unveränderter Verteidigung der Fassung des erteilten Patents ist der erteilte Anspruch 1 so zu nehmen wie er ist, auch wenn die (D1) möglicherweise eine andere Zweiteilung des Anspruchs 1 erfordert hätte.
2.6. Neuheit
Für die Kammer besteht kein Zweifel daran, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gegenüber (D1), (D3) und (D6) neu ist.
(D3/D6) wurden nie als neuheitsschädliche Druckschriften angesehen, so daß sich in diesem Zusammenhang weitere Erörterungen der Neuheitsfrage erübrigen.
Mit Blick auf (D1) ist herauszustellen, daß sie zumindest dann, wenn Anspruch 1 in seiner vollen Aussage ggf. unter Zuhilfenahme der Auslegung im Lichte der Beschreibung und der Zeichnung gemäß Artikel 69 EPÜ berücksichtigt wird, kein neuheitsschädliches Dokument darstellt, da die dortige Betätigungseinrichtung nicht an ein und derselben Stelle und auch nicht in ein und derselben Richtung betätigt wird, wobei auch keine die Wirkrichtung umkehrende Umsteuervorrichtung im beanspruchten Sinne gegeben ist; vielmehr ergibt bei (D1) die Betätigung der oberen Wippenseite stets eine Schließ- und die entgegengesetzte Betätigung stets eine Öffenbewegung des Ablaufventils.
Auch die Entscheidung T 120/89 hat, wenn auch mit Bezug auf eine andere Fassung des Anspruchs 1, den neuheitsbegründenden Unterschied der patentierten Erfindung im Vergleich zu (D1) in der Bewegungsrichtung der Umsteuervorrichtung erkannt (s. dort Gründe Nr. 4.2).
Die Interpretation der Beschwerdeführerin dergestalt, daß die Uhrzeiger- bzw. Gegenuhrzeigerauslösung gemäß (D1) als gleichgerichtete Auslösung anzusehen sei, ist gewollt und entbehrt einer nachprüfbaren Basis.
2.7. Erfinderische Tätigkeit
2.7.1. Bei gegebener Neuheit des Ablaufventils gemäß erteiltem Anspruch 1 ist nun noch zu prüfen, ob es von (D1) ausgehend, erfinderischen Zutuns bedurfte oder nicht, den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu schaffen.
Gemäß Entscheidung T 2/83, ABl. EPA 1984, 265 ist dabei zugrundezulegen, ob ein Durchschnittsfachmann, der Zugang zum gesamten Stand der Technik hätte, auf die beanspruchte Lösung gekommen wäre, oder ob er auf die gleiche Lösung hätte kommen können. Naheliegend ist demnach nur etwas, wenn der Fachmann tatsächlich auf diese Lösung gekommen wäre.
2.7.2. Bei einer Kombinationserfindung ist es weiterhin unbeachtlich, wenn einzelne oder mehrere Merkmale bekannt sind, sofern der Stand der Technik dem Fachmann keine Anregung gerade für die beanspruchte Kombination gegeben hat, vgl. T 37/85, ABl. EPA 1986, 86. (nur Leitsatz).
2.7.3. Gemäß Abschnitt 3.7.2 ist es nach Auffassung der Kammer unstrittig, daß der erteilte Anspruch 1 eine Kombination von Merkmalen, die funktionell zusammenhängen, definiert, da z. B. die Umsteuervorrichtung durch die Betätigungseinrichtung, aber auch durch eine Zustandsänderung im Spülkasten schaltbar bzw. rückschaltbar ist bzw. das Ventilstück entweder selbsttätig durch die Vorgänge im Spülkasten bzw. durch die Betätigungseinrichtung bewegbar ist.
2.7.4. Bei diesen Gegebenheiten ist es nicht hilfreich an der Gegenüberstellung von Einzelmerkmalen gemäß erteiltem Anspruch 1 und (D1) haften zu bleiben, vielmehr ist der angegriffene Anspruch summarisch und unter Einbeziehung seiner Summenfunktion der Einzelmerkmale zu sehen.
2.7.5. Wie im Abschnitt 3.3 herausgestellt wurde, ergibt die Betätigung der Wippe gemäß (D1) an ein und derselben Stelle immer ein Öffnen bzw. ein Schließen des Ablaufventils, wie oft die Betätigung auch erfolgen mag. Diese Lehre widerspricht dem Grundgedanken des erteilten Anspruchs 1 fundamental, da dort eine erneute Betätigung der Betätigungseinrichtung eine Änderung der Wirkrichtung des Ventilstößels zur Folge hat.
2.7.6. Mit Blick auf die im Abschnitt 3.2 formulierte objektiv verbleibende technische Aufgabe bedeutet dies, daß die Bedienungsperson von Überlegungen befreit wird, die darauf hinauslaufen, an welcher Stelle und damit in welche Richtung die Wippe der (D1) betätigt werden muß. Darüber hinaus eröffnet die "denkende", weil mit einer die Wirkrichtung des Ventilstößels umkehrende Umsteuervorrichtung versehene Betätigungseinrichtung gemäß erteiltem Anspruch 1 die Möglichkeit einer Fernbedienung, da es genügt immer in einer Richtung auszulösen, etwa mit einer Kette oder dgl..
2.7.7. Von (D1) ausgehend bedurfte es somit einer Abkehr von vorgezeichneten Wegen, um den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 zu erhalten.
2.7.8. Es ist nun noch zu untersuchen, ob (D1) im Kombination mit (D3) oder (D6) gesehen, auf die Lösung der Aufgabe gemäß erteiltem Anspruch 1 hinweist oder nicht.
2.7.9. Bezüglich (D3) hat die Beschwerdeführerin überzeugend auf die Unvereinbarkeit mit einem Spülkastenablaufventil hingewiesen, zum einen wegen der Kompliziertheit des der (D3) entnehmbaren Ventils mit über fünfzig Einzelteilen und zum anderen wegen des völlig anderen Wirkprinzips, nämlich allmähliches Schalten (Laufzeitbeeinflussung) des Ventils, bzw. wegen des anderen Druckbereichs. Bei (D3) steht der volle Leitungsdruck als "Motor" der Ventilbetätigung zur Verfügung, während beim Gegenstand des Streitpatents allenfalls Auftriebskräfte von ca. 20 - 30. cm Wasserstand zur Verfügung stehen.
2.7.10. Es ist nachvollziehbar, daß ein vor der Lösung der objektiv verbleibenden technischen Aufgabe stehender Fachmann, (D3) nicht in Kombination mit (D1) bringen würde.
2.7.11. Auch (D6), in der Verhandlung als "Kugelschreiberprinzip" tituliert, vermag nach Überzeugung der Kammer nicht auf den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 hinzulenken. Der bloße Hinweis auf das Vorliegen einer Einknopfauslösung - dies gilt auch für (D3) - vermag daran nichts zu ändern, weil (D6) schon von der Gattung her weit ab von einem Spülkastenablaufventil liegt, da bei (D6) Zustandsänderungen im Spülkasten nicht vorliegen und somit das Ventil in Abhängigkeit davon auch nicht geschaltet bzw. rückgeschaltet wird.
2.7.12. In der Zusammenfassung vorstehender Ausführungen ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht und der erteilte Anspruch 1 rechtsbeständig ist.
2.7.13. Die angefochtene Entscheidung war demnach aufzuheben und das Patent in seiner erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
3. Auch die weiteren Argumente der Beschwerdeführerin vermögen an der vorstehenden Beurteilung der Sachlage nichts zu ändern:
- wie im Abschnitt 3.6 ausgeführt wurde, hat die Kammer keinen Unterschied zwischen einer wörtlichen Auslegung des erteilten Anspruchs 1 und einer Auslegung im Sinne der Beschreibung und der Zeichnung (also des Ausführungsbeispiels) ausmachen können; es trifft somit nicht zu, daß die Beschwerdeführerin in Wirklichkeit das/die Ausführungsbeispiel(e) verteidigt hätte;
- es kann nicht in Abrede gestellt werden, daß bei (D1) eine Umkehrung der Betätigungsrichtung möglich ist und daß der Spülkasten auf Spülen bzw. Schließen schaltbar ist; wie die umfangreichen Ausführungen zur Lehre des Anspruchs 1 aber erhellen, ist dennoch bei (D1) nicht die Betriebsweise gemäß erteiltem Anspruch 1 möglich, so daß es dahingestellt bleiben mag, ob das eine oder andere Einzelmerkmal (D1) entnehmbar ist oder nicht;
- wie die summarische Gegenüberstellung von Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 und (D1) gezeigt hat, ist die Diskussion eines Einzelmerkmals z. B. des Bauteils "15" der (D1), dergestalt, daß es eine Umsteuervorrichtung im beanspruchten Sinne darstelle, nicht hilfreich, solange die Gesamtkombination von Merkmalen durch den Stand der Technik nicht patenthindernd nahegelegt ist;
- die Kammer kann dem Vorwurf der Beschwerdegegnerin, wonach die Anträge der Beschwerdeführerin in der Diskussion vermischt worden seien, nicht folgen, weil der Ablauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer dieser Feststellung widerspricht.
Hilfsanträge
Bei Vorliegen eines gewährbaren Hauptantrags erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfsanträge. Wie die Mitteilung der Kammer vom 16. Dezember 1994 erhellt, ist der Hilfsantrag 2 aber schon aus mehreren formalen Gründen nicht bestandsfähig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Fassung aufrechterhalten.