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T 0514/92 (Beschichtete chirurgische Klammer) 21-09-1995
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Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt:
"Ist gegen ein Patent gemäß Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung Einspruch eingelegt worden, daß die Patentansprüche gegenüber den in der Einspruchsschrift angeführten Entgegenhaltungen keine erfinderische Tätigkeit aufweisen, und behauptet der Einsprechende erst im Beschwerdeverfahren, daß sie gegenüber einer der früher angeführten Entgegenhaltungen oder einem im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftstück nicht neu sind, muß dann die Beschwerdekammer die neue Behauptung ausschließen, weil damit ein neuer Einspruchsgrund eingeführt wird?"
Im Beschwerdeverfahren eingeführter neuer Einspruchsgrund
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
I. Der mit dem Formblatt "Einspruch gegen ein europäisches Patent" vom 16. Juli 1990 gegen das europäische Patent Nr. 0 170 512 in seiner Gesamtheit eingelegte Einspruch wurde damit begründet, daß der Gegenstand des angefochtenen Patents nicht patentfähig sei (Art. 100 a) EPÜ), weil er nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Art. 52 (1), 56 EPÜ) und die Erfindung in diesem Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, daß ein Fachmann sie ausführen könne (Art. 100 b) EPÜ; s. Art. 83 EPÜ).
II. Die Einspruchsabteilung wies den Einspruch mit Entscheidung vom 2. April 1992 gemäß Artikel 102 (2) EPÜ zurück, da die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegenstünden.
III. Daraufhin legte der Beschwerdeführer (Einsprechende) ordnungsgemäß Beschwerde ein und beantragte die Aufhebung der Entscheidung sowie den Widerruf des Patents. Die Beschwerdegebühr wurde entrichtet und die Beschwerdebegründung fristgerecht eingereicht.
IV. In seinem Schreiben vom 17. Dezember 1993 erhob der Beschwerdeführer erstmals einen Einwand wegen mangelnder Neuheit (Art. 52 (1), 54 EPÜ) und legte vier neue Dokumente vor.
V. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) bezeichnete diesen neuen Einwand als neuen, unzulässigen Einspruchsgrund, da er drei Jahre nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebracht worden sei und sich zudem auf die Entgegenhaltung EP-A-0 092 383 (D4) stütze, die von Anfang an im Verfahren vorgelegen habe. Daher beantragte er, daß die Beschwerdekammer diesen Grund aus dem Beschwerdeverfahren ausschließen solle (s. Schreiben vom 2. November 1994, Nummer 5).
VI. Daraufhin erwiderte der Beschwerdeführer (s. Schreiben vom 13. Januar 1995), daß es ganz davon abhänge, was man unter einem "neuen" Grund verstehe; da sich der Ausgangspunkt (Entgegenhaltung D4) nicht geändert habe, könne von einem neuen Grund nicht die Rede sein. Die neuen Dokumente seien lediglich zur Erläuterung der Aussage auf Seite 2 (Zeilen 11 bis 14) der Entgegenhaltung D4 herangezogen worden.
VII. In ihrem Bescheid vom 23. Februar 1995 bezog sich die Beschwerdekammer auf die Zwischenentscheidung T 937/91 (ABl. EPA 1996, 25), mit der der Großen Beschwerdekammer die Frage vorgelegt wurde, ob ein auf Artikel 52 (2) EPÜ gestützter Einspruchsgrund in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden dürfe, obwohl der Einspruch ursprünglich auf die Artikel 54 und 56 EPÜ gestützt worden sei (Aktenzeichen G 1/95), und entschied sich dafür, das Verfahren auszusetzen, bis die Große Beschwerdekammer in der Sache T 937/91 entschieden habe.
VIII. Mit Schreiben vom 10. März 1995 beantragte der Beschwerdegegner, daß der Großen Beschwerdekammer zwei weitere Fragen vorgelegt werden sollten, damit alle drei Fragen gleichzeitig behandelt werden könnten.
IX. Auf den Bescheid der Beschwerdekammer hin verwies der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 12. April 1995 auf die Entscheidung T 796/90 und insbesondere auf die Nummer 2.1 der Entscheidungsgründe. Er argumentierte, daß die Entgegenhaltung D4, auf die er den neuen Einwand wegen mangelnder Neuheit gestützt habe, von Anfang an im Einspruchsverfahren vorgelegen habe und zur Stützung eines Einspruchsgrunds im Sinne des Artikels 100 a) EPÜ diene. Der vorliegende Fall unterscheide sich daher von den in den Entscheidungen T 937/91 und T 796/90 behandelten Fällen.
X. Mit Bescheid vom 27. Juni 1995 teilte die Beschwerdekammer mit, daß sie es für angemessen halte, die zweite der vorgeschlagenen Fragen mit einem Zusatz der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
XI. Die Beteiligten kamen überein, daß das Verfahren im vorliegenden Fall so lange ausgesetzt werden solle, bis die Große Beschwerdekammer die Frage beantwortet habe.
1. In der Stellungnahme G 10/91 (ABl. EPA 1993, 420) befand die Große Beschwerdekammer, daß in der Beschwerdephase grundsätzlich keine neuen Einspruchsgründe vorgebracht werden dürfen und daß neue Einspruchsgründe im Beschwerdeverfahren nur mit dem Einverständnis des Patentinhabers geprüft werden dürfen.
Der Begriff "Einspruchsgründe" wurde aber nicht näher erläutert.
2. In der Entscheidung T 937/91 wurden diesbezüglich zwei Auslegungsmöglichkeiten genannt (s. Nr. 3 bis 7 der Entscheidungsgründe).
Bei einer weiten Auslegung des Begriffs wären die Artikel 52 bis 57 als ein und derselbe Einspruchsgrund zu betrachten.
Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern (z. B. T 796/90, Nummer 2.1, T 18/93, Nummer 3.2 und T 646/91, Nummer 3) fallen nämlich sowohl ein Einwand wegen mangelnder Neuheit als auch ein Einwand wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit unter den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ.
Eine enge Auslegung des Begriffs hingegen könnte im vorliegenden Fall dazu führen, daß die Kammer über den erfinderischen Charakter des Gegenstands des Anspruchs 1 zu entscheiden hätte, ohne vorher geprüft zu haben, ob er neu ist oder nicht.
3. In der Einspruchsschrift selbst ist im Feld VI keine eindeutige Klassifizierung der Einspruchsgründe vorgenommen worden.
4. Die Kammer hält daher die Definition des Begriffs "Einspruchsgründe" für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 112 (1) EPÜ), die eine Befassung der Großen Beschwerdekammer rechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer wird gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfrage vorgelegt:
"Ist gegen ein Patent gemäß Artikel 100 a) EPÜ mit der Begründung Einspruch eingelegt worden, daß die Patentansprüche gegenüber den in der Einspruchsschrift angeführten Entgegenhaltungen keine erfinderische Tätigkeit aufweisen, und behauptet der Einsprechende erst im Beschwerdeverfahren, daß sie gegenüber einer der früher angeführten Entgegenhaltungen oder einem im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftstück nicht neu sind, muß dann die Beschwerdekammer die neue Behauptung ausschließen, weil damit ein neuer Einspruchsgrund eingeführt wird?"