T 0933/92 (Sensor) 06-12-1993
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Folgende Rechtsfragen werden der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ vorgelegt:
1. Hat eine Beschwerdekammer in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, in der eine Verletzung von einem oder mehreren explizit genannten Erfordernissen des EPÜ als Zurückweisungsgrund einer europäischen Patentanmeldung genannt ist, bei der Prüfung der Beschwerde gemäß Artikel 110 EPÜ entweder die Verpflichtung oder die Befugnis zu überprüfen, ob die Patentanmeldung auch denjenigen anderen Erfordernissen des EPÜ genügt, die die Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren als erfüllt ansah und die daher in ihrer Entscheidung nicht die Zurückweisungsgründe für die Patentanmeldung stützten?
2. Falls einer Beschwerdekammer keine derartige Verpflichtung, aber eine derartige Befugnis zuerkannt wird, unter welchen Bedingungen sollte sie von dieser Befugnis Gebrauch machen?
Vorlage an die Große Beschwerdekammer (ja)
Prüfung der Beschwerde - Umfang - reformatio in peius
I. Die vorliegende Patentanmeldung wurde ursprünglich als PCT- Anmeldung eingereicht und gemäß Kapitel II PCT vorläufig geprüft. Nach dem Eintritt in die nationale Phase vor dem EPA legte die Anmelderin eine geänderte Fassung der Anmeldungsunterlagen vor und beantragte die Patenterteilung auf der Grundlage dieser Änderungen.
Im Rahmen der Prüfung der Patentanmeldung gemäß Artikel 96 EPÜ erhob die Prüfungsabteilung in einem Bescheid vom 19. Dezember 1991 gegen die Änderung der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen Einwände aufgrund von Artikel 123 (2) EPÜ. Ferner stellte sie in diesem Bescheid fest:
"Zur Behebung des obigen Einwandes erscheint es nötig, auf den dem Abschlußbericht der vorläufigen Prüfung zugrunde liegenden Anspruch 1 zurückzukommen.
Gegen diesen Anspruch bestehen auch keine Einwände unter Artikel 52 (1) EPÜ (Neuheit und erfinderische Tätigkeit)."
In ihrer Stellungnahme bestritt die Anmelderin, daß die beantragte Fassung der Anmeldungsunterlagen Mängel in bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ aufweise.
Die Prüfungsabteilung erließ am 14. Mai 1992 eine Entscheidung, mit der sie die Patentanmeldung mit der Begründung zurückwies, daß die gültige Fassung der Anmeldungsunterlagen nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genüge.
Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung vertritt sie die Auffassung, daß die Zurückweisung der Patentanmeldung aufgrund von Artikel 123 (2) EPÜ sachlich ungerechtfertigt sei.
II. Im Rahmen der Prüfung der Beschwerde gemäß Artikel 110 EPÜ gelangte die Beschwerdekammer zu einer vorläufigen Auffassung, die zwar mit der Entscheidung der Prüfungsabteilung im Hinblick auf die Verletzung des Artikels 123 (2) EPÜ übereinstimmte, aber im Hinblick auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ zu einem gegenteiligen Ergebnis kam als die Prüfungsabteilung in ihrem oben genannten Bescheid vom 19. Dezember 1991. Es erging jedoch keinerlei Mitteilung an die Beschwerdeführerin.
1. Die Beschwerdekammer hat Kenntnis von den Entscheidungen T 60/91; T 96/92, ABl. EPA 1993, 551 sowie T 488/91 (die Vorlagefrage wurde im ABl. EPA 1993, 478 veröffentlicht), mit denen der Großen Beschwerdekammer als eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die folgende zweiteilige Rechtsfrage vorgelegt wurde:
"A. Darf die Beschwerdekammer die angefochtene Entscheidung zum Nachteil des Beschwerdeführers abändern?
B. Wenn ja, in welchem Umfang?"
Diese Rechtsfrage ist derzeit bei der Großen Beschwerdekammer unter den Aktenzeichen G 9/92 und G 4/93 anhängig.**
In den obigen Entscheidungen wurde diese Rechtsfrage der Großen Beschwerdekammer in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Einspruchsverfahren vorgelegt.
2. Die Große Beschwerdekammer hat zwar das Wesen und den Zweck des Beschwerdeverfahrens im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens in den Entscheidungen G 9/91 und G 10/91, ABl. EPA 1993, 408 und 420 abgehandelt, jedoch nur für das Einspruchsverfahren; vgl. Absatz 18.
3. Der für den vorliegenden Fall zuständigen Beschwerdekammer sind frühere Entscheidungen anderer Beschwerdekammern bekannt, in denen eine Patentanmeldung aus einem anderen Zurückweisungsgrund zurückgewiesen wurde als in der angefochtenen Entscheidung der Prüfungsabteilung.
Die zuständige Beschwerdekammer hält - im Rahmen der Prüfung einer Beschwerde gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung gemäß Artikel 110 EPÜ - den Umfang der Pflichten und Befugnisse einer Beschwerdekammer bei der Prüfung einer Patentanmeldung im Hinblick auf solche Erfordernisse des EPÜ für nicht ganz geklärt, die die Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren als erfüllt ansah und die daher in ihrer Entscheidung nicht die Zurückweisungsgründe für die Patentanmeldung stützten.
Diese Frage betrifft die grundsätzliche Funktion einer Beschwerdekammer bei der Prüfung einer Beschwerde gegen eine Entscheidung der Prüfungsabteilung und stellt damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Folgende Rechtsfragen werden der Großen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112 (1) a) EPÜ vorgelegt:
"1. Hat eine Beschwerdekammer in einem Beschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung einer Prüfungsabteilung, in der eine Verletzung von einem oder mehreren explizit genannten Erfordernissen des EPÜ als Zurückweisungsgrund einer europäischen Patentanmeldung genannt ist, bei der Prüfung der Beschwerde gemäß Artikel 110 EPÜ entweder die Verpflichtung oder die Befugnis zu überprüfen, ob die Patentanmeldung auch denjenigen anderen Erfordernissen des EPÜ genügt, die die Prüfungsabteilung im Prüfungsverfahren als erfüllt ansah und die daher in ihrer Entscheidung nicht die Zurückweisungsgründe für die Patentanmeldung stützten?
2. Falls einer Beschwerdekammer keine derartige Verpflichtung, aber eine derartige Befugnis zuerkannt wird, unter welchen Bedingungen sollte sie von dieser Befugnis Gebrauch machen?"