T 0382/93 (Papierimprägnierung/KÄMMERER) 19-09-1996
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Verfahren zur Herstellung von mit Kunstharzen in Form von Lösungen und Dispersionen imprägnierten Papierbahnen
Gebr. Buhl Papierfabriken GmbH & Co. KG
E. Holtzmann & Cie AG
Stora Feldmühle AG
Änderung der Ansprüche - Streichung von 'übliche' unzulässig (Punkt 2.1)
Vergleichsversuche - Relevanz anerkannt (Punkte 5.4 bis 5.6)
Beweislast des Einsprechenden (Punkte 5.6.2 und 5.6.4)
Erfinderische Tätigkeit - bejaht
Amendments
Novelty
Inventive step - comparative examples
Law of evidence - burden of proof
I. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 01, 02 und 03) haben gegen die am 22. Februar 1993 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das Patent Nr. 223 922, betreffend ein "Verfahren zur Herstellung von mit Kunstharzen in Form von Lösungen und Dispersionen imprägnierten Papierbahnen", in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann, Beschwerden eingelegt.
II. Mit den Einsprüchen war unter Berufung auf u.a.
(1) DE-A-2 949 306 und
(3) Kunstharz-Nachrichten Hoechst AG, Frankfurt/ Main, 43 (21), September 1984, Seiten 13-16
das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100(a) EPÜ angegriffen worden. Die Einsprechende 03 hatte weiters mangelnde Ausführbarkeit nach Artikel 100(b) EPÜ geltend gemacht.
Im Zuge des Einspruchsverfahrens sind u.a. noch die Dokumente
(20) EP-B-0 084 810,
(21) Firmenschrift "Basoplast 230 L", Sept. 1979,
(22) Telex der Fa. BASF vom 30. November 1992
angezogen worden.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die in Artikel 100(a) und (b) EPÜ genannten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß den in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 1993 überreichten geänderten Ansprüchen 1 bis 9 nicht entgegenstünden. Dies hat sie im wesentlichen damit begründet, daß
- die Neuheit des beanspruchten Verfahrens nicht mehr bestritten werde;
- der Ersatz des nach Dokument (1) als Imprägniermittelkomponente verwendeten Harnstoff-Formaldehydharzes durch ein Oberflächenleimungsmittel wie Basoplast für den Fachmann nicht nahegelegen habe, der hierfür eher marktgängige Hydrophobierungsmittel herangezogen hätte;
- der Einwand, die Ergebnisse der Beispiele des Streitpatents seien nicht nachvollziehbar, nur als Einwand unter Artikel 84 EPÜ anzusehen, dies aber kein Einspruchsgrund sei.
IV. Im Beschwerdeverfahren haben die Beschwerdeführerinnen u.a. noch die Dokumente
(24) DE-A-2 602 688,
(25) Kaltenbach "Die neuzeitliche Papierleimung" Verlag Dr. Martin Sändig GmbH, Walluf 1974, Seiten 16-18,
(27) US-A-3 726 822 und
(35) Handbuch der Papier- und Pappenfabrikation (Papierlexikon), 2. Aufl., Seiten 818, 1283 und 1284 (1971) Dr. Martin Sändig oHG, Niederwalluf
eingereicht und zur Begründung der Beschwerde schriftlich und mündlich im wesentlichen vorgetragen,
- daß das in Dokument (1) beschriebene Verfahren zur Herstellung von Dekorpapier den nächstkommenden Stand der Technik darstelle, der sich vom Gegenstand des Streitpatents lediglich durch den Austausch der Harnstoff-Formaldehydharzkomponente gegen ein Maleinsäure- bzw. Maleinsäureanhydrid-Copolymer im Imprägniermittel unterscheide;
- daß dem Fachmann die gegen Harnstoff-Formaldehydharze bestehenden gesundheitlichen Bedenken bekannt waren und sich ihm daher die Suche nach einem Ersatz aufdrängte;
- daß der Fachmann, an einen möglichen Ersatzstoff für das Harnstoff-Formaldehydharz des Dokuments (1) die Anforderungen gestellt hätte
- wasserlöslich,
- anionisch,
- bedruckbar,
- in der Leimpresse applizierbar und
- wasserabstoßend
zu sein, also die typischen Eigenschaften von Leimungsmitteln zu besitzen;
- daß die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) keine vorteilhaften Eigenschaften für die im beanspruchten Verfahren eingesetzten Imprägniermittel glaubhaft gemacht habe;
- daß der Vorgang der Oberflächenleimung nicht scharf von dem der Imprägnierung zu trennen sei und daß die Eindringtiefe des Imprägniermittels im wesentlichen von der Art des Rohpapiers und seiner Vorbehandlung nicht aber von der eingesetzten Imprägnierlösung abhänge;
- daß der Fachmann daher insbesondere übliche Leimungsmittel wie das aus Dokument (21) bekannte Basoplast 230 L, das auf gute Bedruckbarkeit abgestimmt gewesen sei, oder das aus Dokument (24) als Leimungsmittelkomponente bekannte Maleinsäureanhydrid-Styrol-Copolymer (Seite 9, vorletzter Satz) als Ersatzmittel in Betracht gezogen hätte;
- daß auch die zur Papierherstellung verwendeten Fasergemische sowie die Imprägnierung der Papierbahn in einer Leimpresse an sich bekannte Maßnahmen gewesen seien und daher erfinderische Tätigkeit ebensowenig begründen könnten wie die Mindestfilmbildungstemperatur von 30 C des in der anionische Dispersion eingesetzten Copolymers, bei der es sich um einen üblichen Parameter handle;
- daß in Dokument (27) bereits die Verwendung einer Kombination aus Maleinsäure-Copolymer und Acrylsäurepolymer-Latex als Leimungsmittel in einer Leimpresse beschrieben sei.
V. Die Beschwerdegegnerin hat, von der Kammer darauf hingewiesen, daß in Hinblick auf Artikel 123 EPÜ die Zulässigkeit der mit Schreiben vom 6. August 1996 vorgelegten Ansprüche fraglich sein könnte, in der mündlichen Verhandlung am 19. September 1996 zwei neue Sätze mit jeweils 9 Ansprüchen als Haupt- und Hilfsantrag eingereicht.
Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"1. Verfahren zur Herstellung von mit Kunstharzen imprägnierten Papierbahnen aus einem Zellstofffasergemisch hoher Saugfähigkeit und Festigkeit aus Eukalyptus-Zellstoff und Kiefernholzsulfat-Zellstoff im Verhältnis 50 : 50 bis 10 : 90, vorzugsweise 30 : 70 bis 15 : 85, das auf einen Mahlgrad von maximal 35 SR gemahlen oder einer schneidenden Mahlung bis zu einem Mahlgrad von 15 bis 25 SR unterworfen wird, gegebenenfalls in Kombination mit synthetischen Faserstoffen gebildet wird, wobei man auf die erhaltene Papierbahn eine Imprägnierflüssigkeit aus einem Gemisch wäßriger, anionischer Coplymerdispersionen auf der Basis von Acrylsäure, Acrylsäureesten, Acrylnitril, Vinylacetat und/oder Styrol einer mittleren Teilchengröße von kleiner als 0,2 µm von geringer bis mittlerer Filmhärte und einer Mindestfilmbildungstemperatur von unter 30 C und wäßrigen, anionischen Lösungen von Copolymerisaten auf Basis von Maleinsäureanhydrid bzw. Maleinsäure mit Styrol, Acrylsäure und/oder Acrylestern im Verhältnis 100 bis 10 : 1, auf die Wirksubstanz berechnet, mit einem pH-Wert zwischen 7,5 und 10 in einer Leimpresse in der Trockenpartie der Papiermaschine aufträgt."
Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von dem des Hauptantrags durch Änderung von "... unter 30 C und wäßrigen, anionischen Lösungen ..." in "... unter 30. C und üblichen wäßrigen, anionischen Lösungen...".
Zur Begründung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hauptantrags hat die Beschwerdegegnerin im wesentlichen vorgetragen,
- daß in der Papierindustrie zwischen Imprägnierung und Oberflächenleimung unterschieden werde, obwohl bei der Oberflächenleimung ein Teil des Leimungsmittels ebenfalls in die Papierbahn eindringe und dazu auf u.a. auf
(30) H. Lehmann, L. Richter "Werkstoffe der Papierverarbeitung" VEB Fachbuchverlag Leipzig, 1979, Seiten 103-105, 172-173, 192-193
verwiesen;
- daß Oberflächenleimung im allgemeinen zu erhöhter Steifigkeit und nicht zu verbesserter Flexibilität der Papierbahn führe;
- daß der Ersatz der aus (1) bekannten, Harnstoff-Formaldehydharze durch beliebige formaldehydfreie Polymerlösungen nicht zu der Eigenschaftsverbesserung der Papierbahnen führe, die sie in ihren Versuchen nachgewiesen habe (Seite 5. ihres Schriftsatzes vom 16. Dezember 1992);
- daß weder Dokument (21) noch Dokument(24) einen Hinweis auf bestimmte Eigenschaftsverbesserungen durch die dort beschriebenen Papierleimungsmittel enthielten.
VI. Die Beschwerdeführerinnen beantragen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die angefochtene Entscheidung aufzuheben und in geändertem Umfang mit den Ansprüchen des Hauptantrags, hilfsweise mit den Ansprüchen des Hilfsantrags, aufrechtzuerhalten.
VII. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer, dem Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin stattzugeben.
1. Die Beschwerden sind zulässig
2. Änderungen
2.1. Hauptantrag
Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich vom Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung im wesentlichen durch die Spezifizierung von Copolymerdispersion und Copolymerlösung sowie durch die Angabe von Mengenverhältnissen. Informationen zu den Merkmalen der Copolymerlösungen, die erfindungsgemäß eingesetzt werden können, finden sich in den ursprünglichen Unterlagen lediglich in Anspruch 5. Sie werden dort als übliche wäßrige, anionischen Lösungen von Copolymerisaten auf Basis von Maleinsäureanhydrid bzw. Maleinsäure mit z.B Styrol, Acrylsäure, Acrylestern und dergleichen bezeichnet.
Wie die Beschwerdeführerinnen zutreffend vorgetragen haben, richtet sich die Offenbarung einer Patentanmeldung bzw. eines Patents an den Fachmann des in Frage stehenden technischen Fachgebiets. Im vorliegenden Fall ist dies ein Fachmann der Papierherstellung, der den Ausdruck "üblich" als "bei der Papierherstellung üblich" verstehen wird. Somit könnten nach Streichung von "üblich" auch wäßrige, anionischen Lösungen von Copolymeren auf Basis von Maleinsäureanhydrid bzw. Maleinsäure mit z.B Styrol, Acrylsäure oder Acrylestern als Komponente des patentgemäßen Imprägniermittels eingesetzt werden, die bei der Papierherstellung unüblich sind. Da dies nicht ursprünglich offenbart war, verstößt der Anspruch 1 des Hauptantrags gegen die Vorschriften des Artikels 123(2) EPÜ; der Hauptantrag ist daher unzulässig.
2.2. Hilfsantrag
Im Anspruch 1 des Hilfsantrags wurde die Bezeichnung der Copolymerisatlösungen als "übliche" beibehalten (vgl. oben, Punkt V); die Kammer hat sich davon überzeugt, daß auch die anderen im Anspruchs 1 des Hilfsantrags genannten Merkmale durch die Unterlagen der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt sind. Die Ansprüche 2 bis 9 finden ihre Stütze in den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 4 bis 10 (entsprechend den erteilten Ansprüchen 2 bis 9).
Es ist weiters offensichtlich, daß, im Vergleich mit dem erteilten Patent, die Änderungen der Ansprüche nach dem Hilfsantrag zu einer Beschränkung des Schutzumfangs geführt haben; die Ansprüche des Hilfsantrags entsprechen daher den Erfordernissen des Artikels 123 EPÜ. Da dies nicht bestritten wurde, sind weitere Ausführungen hierzu nicht erforderlich.
3. Neuheit
Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags in keinem der ihr vorliegenden Dokumente beschrieben und daher neu ist. Da die Neuheit im Beschwerdeverfahren nicht mehr angegriffen wurde, sind auch hierzu keine näheren Ausführungen erforderlich.
4. Ausführbarkeit
4.1. Die Beschwerdeführerinnen haben zwar in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer im Zusammenhang mit der Diskussion der erfinderischen Tätigkeit vorgetragen, daß die Ausführungsbeispiele des Streitpatents wegen der unzureichenden Spezifikation der eingesetzten Copolymere nicht nacharbeitbar seien, sie haben aber im Beschwerdeverfahren die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung nicht mehr im Sinne eines auf Artikel 100 b) gestützten Einwands bestritten. Die Kammer hat daher keine Veranlassung von der Feststellung der Vorinstanz abzuweichen, daß die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ vom Streitpatent erfüllt werden.
4.2. Die Kammer hält es aber für zweckmäßig, in diesem Zusammenhang noch auf folgendes hinzuweisen: Die Angaben zu der in den Beispielen des Streitpatents erfindungsgemäß verwendeten Copolymerdispersion und -lösung sind in der Tat recht allgemein gehalten. So wird z.B. für die eingesetzte Kunststofflösung lediglich angegeben, daß es eine wäßrige, anionische Lösung eines carboxylgruppenhaltigen Copolymers auf Basis von Maleinsäureanhydrid mit einem Feststoffgehalt von ca. 12% sei (vgl. Rezeptur 3, Seite 4, Zeilen 48 bis 49 des Streitpatents). Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerinnen können aber diese kargen Angaben für den Fachmann kein Hindernis darstellen die Beispiele des Streitpatents nachzuarbeiten, in denen die genannte Copolymerlösung zum Einsatz kommen, da es ihm frei steht, jedes beliebige Copolymer zu verwenden, soweit es nur diesen Angaben entspricht und unter den Anspruch 1 des Streitpatents fällt.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von mit Kunstharzen imprägnierten Papierbahnen, die zur Beschichtung bzw. Umhüllung von Möbelteilen geeignet sind (Seite 2, Zeilen 3 bis 4 und Seite 3, Zeilen 61 bis 65). Solche Verfahren sind bereits bekannt, z. B. aus Dokument (1), das den nächstkommenden Stand der Technik beschreibt und das die Kammer daher als Ausgangspunkt zur Ermittlung der technischen Aufgabe heranzieht.
5.2. Dokument (1) offenbart ein Verfahren zur Herstellung eines Kunststoff-Furniers aus Papier-Fasermasse mit etwa gleichen Gewichtsanteilen an Lang- und Kurzfasern eines Mahlgrads von 30 bis 35 SR, das mit einem Gemisch einer Acrylharzdispersion mit einem Harnstoff-Formaldeharz imprägniert wird (Anspruch 9 in Verbindung mit den Ansprüchen 1, 4 und 7).
5.3. Demgegenüber macht die Beschwerdegegnerin geltend, das erfindungsgemäße Verfahren erlaube, Papierbahnen mit erhöhter Flexibilität herzustellen, ohne ein aus Gründen mangelnder Umweltverträglichkeit bedenkliches Harnstoff-Formaldehydharz einzusetzen.
In Hinblick auf Dokument (1) kann daher die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe darin gesehen werden, ein formaldehydfreies Verfahren bereitzustellen, das Papierbahnen mit erhöhter Flexibilität liefert.
5.4. Zur Glaubhaftmachung, daß dieser technische Effekt auch tatsächlich erfindungsgemäß erreicht wird, hat sich die Beschwerdegegnerin auf die mit Schreiben vom 16. Dezember 1992 eingereichten Ergebnisse eines Vergleichsversuchs berufen. Danach wurden die Doppelfalzzahlen, die nach ihren insoweit unbestrittenen Ausführungen ein Maß für die Flexibilität des Papiers sind, von zwei Papierproben eines Flächengewichts von 65 g/cm2 und gleichen Füllstoffgehalts bestimmt. Eine Probe (= Probe A) war entsprechend Dokument (1) mit einem Gemisch aus etwa 60 % Polymerdispersion und etwa 40 % Harnstoff-Formaldehyd-Tränkharz imprägniert worden, die andere Probe (= Probe B) mit einem Gemisch aus Polymerdispersion und Maleinsäurepolymer im Verhältnis 20. : 1, entsprechend Beispiel 1, Rezeptur 5 des Streitpatents. Für die Doppelfalzzahlen der Proben werden folgende Werte angegeben:
.............................Probe A..........Probe B........
Doppelfalzzahl - längs..........2................700
Doppelfalzzahl - quer...........4,,,,,,,,,,,,,,,1342
5.5. Die Beschwerdeführerinnen haben die Aussagekraft dieses Versuchs verneint und vorgetragen, daß die Probe A entgegen der Lehre des Dokuments (1) gefertigt worden sei, da dort zur Erhöhung der Flexibilität eine Steigerung der Menge des Acrylatgemisches empfohlen werde (Seite 10, Zeilen 11 bis 13). Sie haben weiters eingewandt, der Vergleich der Doppelfalzzahlen sei auch unstatthaft, weil das Verhältnis Polymerdispersion zu Maleinsäurepolymerlösung in Probe B 20 : 1 betrage, während das entsprechende Verhältis Polymerdispersion zu Harnstoff-Formaldehyd-Tränkharz der Probe A nur etwa 1,5 : 1 sei. Somit sei nicht glaubhaft, daß der festgestellte Effekt auf dem Austausch des Harnstoff-Formaldehyd-Tränkharzes gegen die Maleinsäurepolymerlösung beruhe, vielmehr sei anzunehmen, daß er durch die unterschiedlichen Mengenverhältnisse der Imprägniermittelkomponenten bedingt sei.
5.6. Diese Einwände, mit der die Beschwerdeführerinnen im Kern sowohl anzweifeln, daß ein Vergleich mit dem nächstkommenden Stand der Technik erfolgte als auch, daß er fachmännisch durchgeführt worden sei, überzeugen nicht.
5.6.1. Zunächst ist festzustellen, daß Dokument (1) konkrete Mengenverhältnisse von Polymerdispersion zu Harnstoff-Formaldehyd-Tränkharz nicht vorschreibt. Es ist daher nicht auszuschließen, daß das von der Beschwerdegegnerin bei Probe A angewandte Mengenverhältnis dieser Komponenten bereits einer gesteigerten Menge Polyacrylatdispersion im Sinne der Druckschrift (1) entspricht. Jedenfalls wurde Probe A nicht entgegen der Lehre des Dokuments (1) hergestellt, sondern dieser folgend.
5.6.2. Auch der Hinweis auf Dokument (3) kann die Argumentation der Beschwerdeführerinnen nicht stützen:
5.6.2.1. Nach Dokument (3) erfordern "hochflexible Ummantelungsfolien ... meist Festanteile von 70 - 90 % Mowilith VDM 7830 im Gesamtbindemittel" (Seite 15, der die mittlere und die rechte Spalte überbrückende Satz; Hervorhebung durch die Kammer). Mowilith VDM 7830 ist eine Acrylsäureester-Copolymer-Dispersion zur Elastifizierung wäßriger Harnstoff- und Melaminharzimprägnierungen (Dokument (3), Seite 15, mittlere Spalte, Zeilen 41 bis 48). Die Beschwerdeführerinnen schließen daraus, daß der Fachmann unter Beachtung von Dokument (3) zur Herstellung der Probe A wenigstens 70 % Acrylat-Copolymerdispersion in der Imprägnierflüssigkeit eingesetzt hätte.
5.6.2.2. Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Zum einen schreibt Dokument (3) für hochflexible Ummantelungsfolien einen Mindestgehalt von 70% Acrylatester-Copolymerdispersion nicht zwingend vor, sondern läßt auch die Möglichkeit offen, kleinere Mengen einzusetzen; daher läßt sich aus Dokument (3) nicht ableiten, daß der Vergleichsversuch unfachmännisch angelegt worden sei. Zum anderen haben die Beschwerdeführerinnen nicht gezeigt, warum der Fachmann die in Dokument (3) ausschließlich für Mowilith VDM 7830 gemachten Angaben auf das Harnstoff-Formaldehyd-Tränkharz des Beispiels (1) übertragen hätte. Schließlich haben sie auch keine Beweise dafür vorgelegt, daß allein durch die Erhöhung des Anteils der Copolymerdispersion im Imprägniergemisch von 60 % auf 70 % oder auch 90 % eine Steigerung der Doppelfalzzahl entsprechend hergestellter Proben auf mehr als das Dreihundertfache bewirkt werden kann.
5.6.3. Somit hat die Beschwerdegegnerin prima facie gezeigt, daß die Doppelfalzzahlen (quer und längs) einer erfindungsgemäß hergestellten Probe um mehr als das Dreihundertfache größer sind als die einer nach dem Verfahren der Druckschrift (1) erhaltenen Probe. Sie hat auch der Annahme widersprochen, der gezeigte Effekt sei auf die gewählten Mengenverhältnisse, nicht aber auf Natur der Polymerlösung zurückzuführen und vorgetragen, daß ein Vergleich der beiden Proben sachgerecht gewesen sei.
5.6.4. Die Beschwerdeführerinnen hatten unter diesen Umständen die Beweislast für ihre Behauptung, mit der sie die Relevanz dieses Vergleichsversuchs anzweifelten. Da sie sich dieser Beweislast nicht entledigt haben, wird diese Behauptung von der Kammer außer Betracht gelassen (vgl. T 219/83, Amtsblatt des EPA 1986, 211).
5.7. Die Beschwerdeführerinnen haben auch auf die Entscheidung T 197/86 (Amtsblatt des EPA 1989, 371) hingewiesen und die Ansicht vertreten, daß der von der Patentinhaberin vorgelegte Vergleichsversuch nicht den im dem Leitsatz dieser Entscheidung aufgestellten Kriterien entspreche und daher nicht zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden dürfe.
5.7.1. In der Entscheidung T 197/86 hatte eine Kammer erfinderische Tätigkeit photographischer Kuppler zu beurteilen. Es war fraglich gewesen, ob der zunächst von der Patentinhaberin vorgelegte Vergleichsversuch mit einem Kuppler des Standes der Technik, der die Überlegenheit einer bestimmten Substituentenkombination bei den erfindungsgemäßen Verbindungen belegte, auch ausreiche, um erfinderische Tätigkeit für den gesamten beanspruchten Bereich glaubhaft zu machen (Punkt 6.1.1 der Entscheidungsgründe). Zur Klärung dieser Frage hatte die Patentinhaberin freiwillig weitere Vergleichsversuche mit Kupplern eingereicht, die dem Stand der Technik nicht unmittelbar angehörten, sich aber von den beanspruchten Verbindungen nur mehr hinsichtlich eines einzigen Parameters unterschieden (einer CN-Gruppe in p-Stellung eines Phenylringes; Punkt 6.1.2 der Entscheidungsgründe).
5.7.2. Unter Berücksichtigung dieser Versuche hatte die Kammer erfinderische Tätigkeit für den Gesamtbereich des Anspruchs 1 anerkannt und in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß
"... wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein muß, daß die Wirkung auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung zurückgeführt wird. Hierzu kann es erforderlich sein, die Vergleichselemente so abzuwandeln, daß sie nur in diesem Unterscheidungsmerkmal von der Erfindung abweichen ..."
(Entscheidungsgründe Nr. 6.1.3; Hervorhebung durch die Kammer).
5.7.3. Somit war bei dem der Entscheidung T 197/86 zugrunde liegende Sachverhalt die Frage der Würdigung von Beweisen zu entscheiden, die zur Glaubhaftmachung eingereicht worden waren, daß ein für eine bestimmte Ausführungsform des Anspruchsgegenstands bereits nachgewiesener technischer Effekt darüber hinaus im gesamten Anspruchsbereich auftrete, nicht aber, wie im jetzt vorliegenden Fall, die Frage der Berücksichtigung von Vergleichsversuche mit dem Stand der Technik selbst. Wegen dieses unterschiedlichen Sachverhalts ist die Entscheidung T 197/86 für die hier zu treffende Entscheidung nicht relevant.
5.8. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß die bestehende technische Aufgabe durch das Verfahren des Anspruchs 1 des Streitpatents glaubhaft gelöst wird.
5.9. Es bleibt zu entscheiden, ob dieses Verfahren auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
5.9.1. Aus Dokument (21) ist unter dem Namen Basoplast 230 L eine anionische, wäßrige Lösungen des Ammoniumsalzes eines carboxylgruppenhaltigen Copolymers als Oberflächenleimungsmittel für Papier und Karton bekannt, das im alkalischen Bereich in einer Leimpresse auf das Rohpapier aufgebracht und mit anionischen und nichtionischen Produkten kombiniert werden kann und u. a. eine günstigere Druckfarbenaufnahme des behandelten Papiers bewirkt (Seite 2, Zeilen 1 bis 2, Zeilen 17 bis 18, Zeilen 27 bis 28 und Zeilen 33 bis 34 in Verbindung mit Seite 2, Zeilen 4 bis 9). Nach den Angaben des Dokuments (22) enthält Basoplast 230 L ein carboxylgruppenhaltiges Copolymer aus Styrol, Acrylsäure und Maleinsäure.
5.9.2. Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, daß es sich bei der Oberflächenleimung um einen Vorgang handle, der im wesentlichen an der Oberfläche der Papierbahn ablaufe und jedenfalls nicht mit der für eine Imprägnierung notwendigen, vollständigen Durchdringung der Papierbahn mit dem Imprägniermittel verglichen werden könne, auch wenn die Oberflächenleimung ebenfalls ein gewisses Eindringen des Leimungsmittels in die Papierbahn erfordere. Der Fachmann, der ausgehend von Dokument (1) eine Flexibilitätsverbesserung der imprägnierten Papierbahn anstrebe, hätte schon aus diesem Grund Dokument (21) nicht beachtet, weil dort ein Oberflächenleimungsmittel und kein Imprägniermittel beschrieben werde.
5.9.3. Dieser Ansicht kann die Kammer nicht zustimmen. Die von den Parteien zu diesem Punkt vorgelegten Dokumente zeigen lediglich, daß die Ausdrücke "Imprägnierung" und "Oberflächenleimung" nicht in einer allgemein anerkannten Weise scharf gegeneinander abgegrenzt sind. Zwar stellt z.B. Dokument (25) in den Vordergrund, daß die Vorgänge der Oberflächenleimung in erster Linie an der Papierbahnoberfläche stattfinden (Seite 18, Zeilen 3. bis 4), es wird aber auch eine ausreichende Saugfähigkeit der Papierbahn gefordert, damit diese das Leimungsmittel in der Leimpresse aufnehmen kann (der die Seiten 17 und 18 überbrückende Satz). In der Leimpresse wird das Leimungsmittel in die Papierbahn hineingepreßt, wobei der Liniendruck der Walzen die Durchtränkung des Papiers mit der Leimlösung reguliert (Dokument (35), Seite 1283, rechte Spalte, letzter Absatz und Seite 1284, rechte Spalte, Ende des ersten Absatzes). Die Kammer ist daher der Überzeugung, daß der Fachmann, der eine Oberflächenleimung vornimmt, zwar nicht in erster Linie eine Imprägnierung im Sinne einer vollständigen, mehr oder weniger gleichmäßigen Durchtränkung der Papierbahn mit dem Leimungsmittel anstrebt, aber weiß, daß er dabei eine kaum zu vermeidende partielle Imprägnierung vornimmt (wie dies von der Beschwerdegegnerin eingeräumt wurde) und, je nach den Gegebenheiten, auch eine vollständige Durchtränkung, d.h. eine Imprägnierung der Papierbahn mit dem Leimungsmittel bewirkt. Der Unterschied zwischen Oberflächenleimung und Imprägnierung ist jedenfalls nicht so schwerwiegend, daß ein Fachmann Oberflächenleimungsmittel keinesfalls als Imprägniermittel hätte in Betracht ziehen können.
5.9.4. Aber auch wenn der Fachmann die ihm bekannten, von den Beschwerdeführerinnen genannten Anforderungen an das Eigenschaftsprofil einer Copolymerlösung berücksichtigt hätte (vgl. oben, Punkt IV), so hätte dies allenfalls dazu geführt, daß er auch Oberflächenleimungsmittel nicht grundsätzlich aus seinen Überlegungen ausgeschlossen hätte, sofern er nur nach einem Ersatz der Harnstoff-Formaldehydharz-Komponente des Dokuments (1) suchte, um den z.B. aus Dokument (20) bekannten gesundheitlichen Bedenken Rechnung zu tragen (Dokument (20), Seite 2, Zeilen 11 bis 12). Einer Lösung der bestehenden technischen Aufgabe hätte ihn dies aber nicht nähergebracht. Er konnte auch dem Oberflächenleimungsmittel betreffenden Dokument (21) keine Anregung zur Lösung dieser Aufgabe entnehmen, da die für den vorliegenden Fall relevante Aufgabenstellung dort weder angedeutet, geschweige denn genannt wird. Daher hatte er keine Veranlassung, die Harnstoff-Formaldehydharz-Komponente des aus Dokument (1) bekannten Imprägniermittels gerade durch eine Copolymerlösung wie Basoplast 230 L zu ersetzen und sich davon die Lösung der technischen Aufgabe zu erwarten.
5.9.5. Dokument (24) betrifft die Verwendung scherstabiler, wäßriger (Meth)acrylat-copolymerdispersionen als Leimungsmittel für Papier, gegebenenfalls in Kombination mit einer anionischen Polymerlösung (Anspruch 1). Zutreffend stellen die Beschwerdeführerinnen fest, daß Dokument (24) sowohl Copolymerdispersionen beschreibt, die hinsichtlich ihres chemischen Aufbaus den Copolymerdispersionen des Anspruchs 1 des Streitpatents gattungsmäßig entsprechen (vgl. Dokument (24), Anspruch 1 in Verbindung mit Seite 3, Zeilen 1 bis 5 und 29 bis 31, Seite 6, Zeile 1 und Zeilen 33 bis 35), als auch Copolymerlösungen auf der Basis von z.B. Styrol und Maleinsäureanhydrid, mit denen die Copolymerdispersionen fakultativ gemischt werden können (Seite 9, Zeilen 28 bis 33). Sie schließen daraus, daß das Verfahren des Anspruchs 1 des Streitpatents dem Fachmann durch Dokument (24) nahegelegt worden sei, da dieser den beanspruchten Bereich der Mengenverhältnisse der Imprägniermittelkomponenten routinemäßig hätte bestimmen können.
Dem kann die Kammer nicht zustimmen. Auch in Dokument (24) wird die hier zu lösende technische Aufgabe nicht erwähnt; es enthält daher ebenfalls für den Fachmann keinen Hinweis, daß durch einen Austausch der Harnstoff-Formaldehydharz-Komponente im Imprägniermittel nach Dokument (1) gegen ein erfindungsgemäßes Maleinsäure(anhydrid)-Copolymer die bestehende Aufgabe gelöst werden könne.
5.9.6. Dokument (27) betrifft schließlich Papierleimungsmittel auf der Basis von Gemischen wasserlöslicher Salze von Copolymeren olefinisch ungesättigter Verbindungen wie u. a. Styrol und Maleinsäureimid (wobei mehr als 50 % der vorhandenen Dicarbonsäureeinheiten in der Imidform vorliegen müssen) mit einem Latex eines Copolymers aus u. a. einer aromatischen Vinylverbindung mit einem Acrylsäureester (Dokument (27), Seite 1, linke Spalte, Zeilen 13 bis 20 in Verbindung mit Seite 1, rechte Spalte, Zeilen 42 bis 44). Diese Druckschrift enthält für den Fachmann keinen Hinweis auf die jetzt beanspruchte Lösung der bestehenden Aufgabe, weil sie letztere nicht nennt und außerdem, im Gegensatz zum Streitpatent, zwingend die Anwesenheit von Imideinheiten in der Copolymerlösung vorschreibt.
5.10. Aus diesen Gründen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß dem Fachmann die Wahl der patentgemäßen, durch die Monomerkomponenten charakterisierten Copolymerlösungen als Imprägniermittelbestandteil - und damit der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents - weder durch Dokument (1) alleine noch in Kombination mit den Dokumenten (21) und (22), (24) oder (27) in Hinblick auf die zu lösende Aufgabe nahegelegt wurde. Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents beruht daher auf erfinderischer Tätigkeit und erfüllt die Erforderisse des Artikels 56 EPÜ. Bei dieser Sachlage ist es nicht mehr erforderlich auf die weiteren Merkmale des Anspruchs 1 wie Mindestfilmbildungstemperatur, Verwendung einer Leimpresse, usw. einzugehen.
5.11. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1 und werden ebenso von dessen Patentfähigkeit getragen wie der Verwendungsanspruch 9.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 9 gemäß des bei der mündlichen Verhandlung am 19. September 1996 eingereichten Hilfsantrags und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.