T 0888/94 (Zweikammerspritze/ALPHA THERAPEUTIC GMBH) 11-03-1998
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Zweikammerspritze mit einer Füllung aus aktivitätsempfindlichem humanen Protein als Wirkstoff
01) Behringwerke Aktiengesellschaft
02) Pharmacia & Upjohn AB
03) Novo-Nordisk A/S
Hauptantrag - Neuheit - nein
Erster und zweiter Hilfsantrag - verspätetes Vorbringen - unzulässig - Neuheitseinwand über einen Zeitraum von mehreren Jahren bekannt
I. Auf die europäische Patentanmeldung 89 103 600.6 wurde das europäische Patent Nr. 0 331 152 auf der Grundlage von 6 Ansprüchen erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung haben die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende) Einspruch eingelegt und diesen unter Artikel 100 (a) mit mangelnder Neuheit (Einsprechende 03) sowie mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Einsprechende 01, 02 und 03) des Gegenstandes des Streitpatentes begründet und unter Artikel 100 (c) angeführt (Einsprechende 03), daß der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Von der Vielzahl der herangezogenen Entgegenhaltungen ist lediglich die Entgegenhaltung
(7) EP-A-0 211 592
von Bedeutung geblieben.
III. Am 6. September 1994 hat vor der Einspruchsabteilung eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der die Beschwerdeführerin (Inhaberin des Streitpatents) einen Hauptantrag vorgelegt hat, dessen Anspruch 1 wie folgt lautet:
"1. Zweikammerspritze mit pyrogenfreiem, sterilen Lösungsmittel in der der Spritzennadel abgekehrten Kammer, dadurch gekennzeichnet, daß sie in der der Spritzennadel zugekehrten zweiten Kammer eine durch einmaliges Befüllen und Lyophilisieren in der Spritze selbst erhaltene Füllung aus Urokinase, Pro-Urokinase, tPA, Faktor VIII, Faktor IX oder Antithrombin III, in einer zur therapeutisch wirksamen, einmaligen Verabreichung erforderlichen Menge aufweist."
Die Einspruchsabteilung hat mit der am 23. September 1994 zur Post gegebenen Entscheidung das Patent gemäß Artikel 102 (1) EPÜ widerrufen.
Die Einspruchsabteilung begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß die beanspruchte Zweikammerspritze neu sei, da die im Verfahren genannten Entgegenhaltungen entweder die im Anspruch 1 spezifizierten therapeutisch wirksamen Substanzen zum Einsatz in einer Zweikammerspritze nicht offenbarten oder die Art der Befüllung und Lyophilisierung des Wirkstoffes in der Spritze dort nicht zu entnehmen sei.
Der Gegenstand des Anspruches 1 beruhe jedoch im Lichte des genannten Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da therapeutisch wirksame Konzentrationen der beanspruchten Wirkstoffe bereits zum Stand der Technik gehörten. Diese Argumentation gelte gleichermaßen für den Haupt- und den Hilfsantrag, der die Merkmale des Hauptantrages im Rahmen eines Verwendungsanspruches umfasse.
IV. Die Beschwerdeführerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde erhoben. Am 11. März 1998 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der die Beschwerdegegnerinnen 01 und 03 nicht teilgenommen haben.
Im Verlaufe der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin zwei Hilfsanträge überreicht, die sich vom Hauptantrag durch eine Quantifizierung der therapeutischen Menge in "I.U." der genannten pharmazeutischen Wirkstoffe (Hilfsantrag I) und eine zusätzliche Einschränkung auf Urokinase oder Pro-Urokinase als pharmazeutischen Wirkstoff (Hilfsantrag II) unterscheiden.
Der Vortrag der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefaßt werden:
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrages unterscheide sich vom Stand der Technik zweifelsohne dadurch, daß in der Entgegenhaltung (7) ein Lyophilisieren der Füllung in der Spritze selbst nicht offenbart sei und auch die Spritze nicht eine nach nur einmaligem Befüllen der Spritze erhaltene therapeutisch wirksame, für eine einmalige Verabreichung erforderlichen Menge aufweise. Dem Streitpatent liege die Aufgabe zugrunde, ein Mittel bereitzustellen, mit dem aktivitätsempfindliche humane Proteine in gewünschter hoher Konzentration rasch verabreicht werden könnten. Aus den herangezogenen Entgegenhaltungen seien zwar konzentrierte Lösungen einiger der jetzt beanspruchten Wirkstoffe beschrieben und auch der Prozeß der Lyophilisierung als solcher sei bekannt, es finde sich jedoch weder ein Hinweis auf die beanspruchten Mengen zur therapeutischen Wirksamkeit noch sei die vorausgegangene Lyophilisierung für die speziell beanspruchten aktivitätsempfindlichen Humanproteine vorbeschrieben.
Die Quantifizierung der therapeutisch wirksamen Menge sowie die Einschränkung auf Urokinase oder Pro-Urokinase gemäß den Hilfsanträgen I und II stellten eine zulässige Einengung des Schutzbegehrens dar.
V. Die Beschwerdegegnerinnen haben dem widersprochen. Insbesondere hat die Beschwerdegegnerin 02 vorgetragen, daß gemäß Beispiel 2 aus der Entgegenhaltung (7) eine Zusammensetzung mit 50 mg tPA in 5ml Lösung bekannt seien und demzufolge dieser Stand der Technik eine zur therapeutisch wirksamen, einmaligen Verabreichung erforderliche Menge tPA in einer Einheitsdosis offenbare. Da diese Entgegenhaltung auch alle übrigen Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrages beschreibe, sei der beanspruchte Gegenstand durch die Entgegenhaltung (7) neuheitsschädlich vorweggenommen.
Sinngemäß äußerte die Beschwerdegegnerin 02 in der mündlichen Verhandlung, daß ihr im Hinblick auf die Vielzahl der genannten Entgegenhaltungen und die Komplexität des geänderten Anspruchsbegehrens eine unmittelbare detaillierte technische Stellungnahme zu den neuen Merkmalen nicht möglich sei und eine Zulassung der Hilfsanträge zu einem so späten Zeitpunkt des Einspruchs-/Beschwerdeverfahrens ihr gegenüber als unangemessen anzusehen sei.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der als Hauptantrag am 6. September 1994 eingereichten Ansprüche 1 und 2 (Hauptantrag), hilfsweise auf Basis der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1,2 gemäß Hilfsantrag I oder Hilfsantrag II.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Anspruch 1 stützt sich auf die ursprünglich eingereichten und erteilten Ansprüche 1 und 2. Anspruch 2 entspricht dem ursprünglichen und erteilten Anspruch 3. Es bestehen daher keine Bedenken im Hinblick auf die Artikel 123 (2) und (3) EPÜ.
3. Mit Bezug auf den Einwand der Beschwerdegegnerin 02 ist die Neuheit des Gegenstandes von Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (7) zu prüfen.
3.1. Diese Entgegenhaltung ist auf eine pharmazeutische Formulierung gerichtet, die in der Anwendung als pharmazeutische Dosiseinheit zur thrombolytischen Therapie ausgestaltet ist. Es ist allgemein ausgeführt, daß die pharmazeutische Dosiseinheit gemäß der in (7) beschriebenen Erfindung so formuliert ist, um einem Patienten, insbesondere in der Humanmedizin für eine thrombolytische Therapie eine wirksame Menge tPA parenteral zuzuführen. Beschrieben wird ein sogenanntes "Kit" zur Bereitstellung einer Lösung enthaltend 0.1 bis 15 mg/ml tPA. Das Kit besteht in einer bevorzugten Ausführung aus einem sterilen Behältnis mit tPA in lyophilisierter Form und einem getrennten sterilen Behältnis mit einer Flüssigkeit zum Wiederinlösungbringen, wobei das gesamte tPA für eine Dosiseinheit in einem Behältnis untergebracht ist und sich die gesamte Flüssigkeit zum Wiederinlösungbringen in einem zweiten Behältnis befindet. Für eine praktische Anwendung des Kits mit einer pharmazeutischen Dosiseinheit wird auf eine Zweikammerausführungsform der Behältnisse verwiesen, bei der die beiden Kammern ("the two compartments"), von denen die eine das lyophilisierte tPA enthält und die andere die Flüssigkeit zum Wiederinlösungbringen, durch eine aufbrechbare Sperrwand derart getrennt sind, daß nach Aufbrechen der Sperre beide Kammerinhalte aseptisch gemischt werden können. Als eine konkrete Ausgestaltung der Zweikammerausführungsform wird eine Spritze ("syringe") genannt (vgl. Spalte 1, Zeilen 1 bis 4; Spalte 8, Zeilen 38 bis 43; Spalte 10, Zeilen 1 bis 8 und 34 bis 49). Der beschriebene Einsatz in der Humanmedizin besagt zwingend, daß das sterile Lösungsmittel pyrogenfrei ist, wobei dieses Erfordernis nichts anderes besagt, als daß das Lösungsmittel keine Verunreinigungen enthalten darf, die ungewollt Fieber hervorrufen. Ferner erfordert die in (7) beschriebene Funktion der genannten Ausführungsform als Zweikammerspritze zwingend, daß das Lösungsmittel in der der Spritzennadel abgekehrten Kammer enthalten ist und daß sich in der der Spritzennadel zugekehrten zweiten Kammer die Füllung aus lyophilisiertem tPA befindet.
3.2. Den voranstehend aufgezeigten Offenbarungsgehalt von (7) hat die Beschwerdeführerin nicht bestritten, jedoch ausgeführt, daß eine pharmazeutische Dosiseinheit nicht einer zur therapeutisch wirksamen, einmaligen Verabreichung erforderlichen Menge gleichgesetzt werden könne. Dem kann die Kammer nicht folgen, da, wie aufgezeigt, die Entgegenhaltung (7) auf eine pharmazeutische Dosiseinheit zur thrombolytischen Therapie gerichtet ist, wobei expressis verbis gesagt wird, daß die Dosiseinheit derart formuliert ist, daß dem Patienten durch sie (die Dosiseinheit) eine wirksame Menge zur thrombolytischen Therapie zugeführt wird ("so as to deliver to a patient...in need of thrombolytic therapy an effective amount of tPA....")(vgl. nochmals Spalte 8, Zeilen 38 bis 43).
3.3. Was das nach Ansicht der Beschwerdeführerin noch verbleibende Merkmal "...durch einmaliges Befüllen und Lyophilisieren in der Spritze selbst erhaltene Füllung..." betrifft, so könnte dies im vorliegenden Falle selbst bei einer Auslegung des Anspruchs 1 in Form eines sogenannten "product-by-process"-Schutzbegehrens nicht als gegenüber dem Stand der Technik nach (7) unterscheidendes Merkmal gewertet werden, da weder die Beschwerdeführerin vorgetragen hat, noch der Kammer technische Informationen vorliegen, daß das gemäß (7) in der der Spritzennadel zugekehrten Kammer befindliche tPA Lyophilisat von dem in Anspruch 1 genannten Lyophilisat unterscheidbar ist. Eine Unterscheidbarkeit des beanspruchten Produktes gegenüber dem Stand der Technik ist jedenfalls gleichermaßen ein Erfordernis für ein Schutzbegehren nach einem sogenannten "product-by-process-Anspruch" wie auch für ein Schutzbegehren nach einem Produktanspruch der chemische und/oder physikalische Parameter umfaßt.
3.4. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrages gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (7) nicht mehr neu ist, ist der Hauptantrag insgesamt unter Artikel 54 (1) EPÜ zurückzuweisen.
Erster und zweiter Hilfsantrag
4. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern und in Fortführung der Entscheidungen T 0153/85 (ABl. EPA 1988,1) sowie T 0406/86 (ABl. EPA 1989, 302), kann eine Beschwerdekammer ablehnen, geänderte Ansprüche in Betracht zu ziehen, wenn diese in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, z. B. während der mündlichen Verhandlung, eingereicht werden und durch diese ein sogenannter neuer technischer Fall geschaffen wird. Gleichfalls ist in Betracht zu ziehen, daß eine Zulassung zu einem sehr späten Zeitpunkt des Einspruchs-/Beschwerdeverfahrens unangemessen gegenüber dem Einsprechenden sein kann und insbesondere dem öffentlichen Interesse einer zügigen Durchführung des Einspruchs-/Beschwerdeverfahrens vor dem EPA entgegenstehen (vgl. auch die Entscheidung T 0747/93 der Kammer 3.4.1 vom 24. April 1997).
Alle voranstehend aufgeführten Gründe für eine Nichtzulässigkeit der verspätet eingereichten Hilfsanträge I und II treffen im vorliegenden Falle zu.
Die Kammer stellt demzufolge fest, daß ein Abschluß des Verfahrens mit Entscheidungsfindung nicht, wie von der Öffentlichkeit erwartet, am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer möglich gewesen wäre und die Zulassung der Hilfsanträge zu einem so späten Zeitpunkt des Einspruchs-Beschwerdeverfahrens einer zügigen Durchführung des Einspruchs-Beschwerdeverfahrens vor dem EPA entgegengestanden hätte.
Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung zwar zu dem Merkmal, das allgemein auf eine therapeutisch wirksame Menge zur einmaligen Verabreichung gerichtet ist, im Rahmen der Verneinung der erfinderischen Tätigkeit bereits Stellung genommen und hierzu auch auf Entgegenhaltungen zum Stand der Technik verwiesen, hat jedoch die gesamte Diskussion auf die Anwendung von tPA nach der Entgegenhaltung (7) ausgerichtet, was beispielhaft die Schlußfolgerung aufzeigt: "Es war zumindest für tPA naheliegend, entsprechend konzentrierte Lösungen herzustellen..." (Entscheidungsgründe, Seite 7, Seitenmitte). Somit hat die Einspruchsabteilung, unabhängig von ihrer Auffassung daß die Mengenangabe als neuheitsbegründendes Merkmal der beanspruchten Spritze herangezogen werden könnte, eine Konzentrationsangabe des Spritzeninhaltes als nicht erfinderisch zur Charakterisierung einer Spritze im Rahmen eines Vorrichtungsanspruches dargestellt.
Die Kammer hat nicht unberücksichtigt gelassen, daß die verspätet vorgelegten Hilfsanträge als Antwort auf einen im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Einwand gewertet werden könnten, möchte aber insbesondere hervorheben, daß die in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer anwesende Beschwerdegegnerin 02 bereits mit Schriftsatz vom 16. Juni 1995 einen Neuheitsmangel des Gegenstandes von Anspruch 1 des Hauptantrages gegenüber dem Stand der Technik nach der Entgegenhaltung (7) vorgetragen hat und die Beschwerdeführerin weder zu diesem Schriftsatz Stellung genommen noch vor besagter mündlichen Verhandlung in angemessener Frist zu Erkennen gegeben hat, daß ein neues Anspruchsbegehren im Rahmen von Hilfsanträgen zu erwarten gewesen wäre. Die in der mündlichen Verhandlung erörterte Sachlage war der Beschwerdeführerin somit innerhalb eines mehrere Jahre währenden Zeitraumes bekannt.
Demgegenüber würde die in den verspätet eingereichten Hilfsanträgen in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer aufgenommene Quantifizierung der therapeutisch wirksamen Menge durch die Aufnahmen konkreter Zahlenwerte in I.U. eine erstmalige Prüfung aller im Verfahren befindlicher Entgegenhaltungen einschließlich des im europäischen Recherchenbericht und im Prüfungsverfahren genannten Standes der Technik, erfordern. Besagte Zahlenwerte zur Einschränkung sind der Beschreibung zur Anmeldung entnommen und weder im ursprünglichen noch erteilten Anspruchssatz enthalten. An der Unvorhersehbarkeit des Inhaltes der Hilfsanträge ändert nichts, daß die Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung auf bekannte Zahlenwerte in I.U. einzelner Wirkstoffe verwiesen hat.
Die Hilfsanträge I und II waren daher als unzulässig zurückzuweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.