T 0406/86 (Trichlorethylen) 02-03-1988
Download und weitere Informationen:
1. Im Einspruchs-(Beschwerde-)verfahren hat der Patentinhaber keinen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen. Eine solche liegt vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen des betreffenden Entscheidungsorgans. Sie kann abgelehnt werden, wenn die Änderungen weder sachdienlich, noch erforderlich sind.
2. Insbesondere können Änderungsvorschläge unberücksichtigt bleiben, die in einem späten Verfahrensstadium vorgebracht werden, d. h., wenn die Prüfung des Einspruchs bzw. der Beschwerde schon weitgehend abgeschlossen ist (im Anschluß an die Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1, T 153/85, ABl. EPA 1988, 1).
Nichtzulassung von Änderungsvorschlägen im Einspruchs- (Beschwerde)verfahren - Ermessen - Sachdienlichkeit - Notwendigkeit von Änderungen
Offenkundige Vorbenutzung im Beschwerdeverfahren zum esten mal vorgelegt
I. Auf die europäische Patentanmeldung 81 109 072.9, die am 28. Oktober 1981 mit deutscher Priorität vom 4. März 1981 angemeldet worden war, wurde am 26. September 1984 das europäische Patent 59 251 auf der Grundlage von fünf Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 3 lauten, wie folgt:
"1. Mittel zur Stabilisierung von Trichlorethylen auf Basis von zumindest einem Amin, dessen Siedepunkt bei 1 bar zwischen 50 und 150° C liegt, Ethylacetat, N- Methylpyrrol und/oder zumindest einem Alkylphenol, dadurch gekennzeichnet, daß es als weitere Bestandteile einerseits Diisobutylen und/oder Cycloheptatrien und andererseits zumindest eine Verbindung aus der Gruppe der hydroxylgruppenfreien Ether enthält.
3. Stabilisiertes Trichlorethylen, dadurch gekennzeichnet, daß es ein Mittel nach mindestens einem der Ansprüche 1 und 2 enthält."
II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 18. Juni 1985 wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie wegen mangelnder Klarheit der Ansprüche (Art. 84 EPÜ) Einspruch ein. Sie stützte sich auf die folgenden Dokumente:
(1) US-A-2 371 645
(2) Triklorethylen. Skyddsblad Nr. 3, ed. Kemikontoret, Stockholm (1979).
III. Mit Entscheidung vom 23. September 1986 wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück und führte dazu im wesentlichen das Folgende aus: Das beanspruchte Mittel sei nicht nur neu, sondern es beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Ausgehend von (2) sei es Aufgabe der Erfindung gewesen, ein epoxidfreies Mittel zur Stabilisierung von Trichlorethylen zu finden, dessen Wirkung im Vergleich zu bekannten, epoxidhaltigen Stabilisierungsmitteln mindestens ebenbürtig ist. Das zur Lösung dieser Aufgabe vorgeschlagene Olefin-Ether-System weise eine synergistische Wirkung auf und sei durch die Gesamtheit der Entgegenhaltungen nicht nahegelegt; insbesondere sei (1) keine Anregung zu entnehmen, die Epoxide gerade durch hydroxylgruppenfreie Ether zu ersetzen.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) durch am 17. November 1986 brieflich bestätigtes Telex vom 13. November 1986 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und eine Begründung durch am 21. Januar 1987 brieflich bestätigtes Telex vom 19. Januar 1987 eingereicht. Darin wird im wesentlichen folgendes geltend gemacht:
Seit 1975 vertreibe die Beschwerdeführerin unter dem Namen Per-Plus ein Produkt zur Stabilisierung vor allem von Perchlorethylen mit folgender Zusammensetzung: a) N- Methylmorpholin; b) N-Methylpyrrol; c) 2,6-Di-tert.-butyl- 4-methylphenol; d) Butylacetat; e) Diisobutylen; f) 1- Allyloxy-2,3-epoxypropan. Die Komponente f) sei ebenfalls ein hydroxylgruppenfreier Ether, und es habe nahegelegen, für die Stabilisierung von Trichlorethylen das Butylacetat durch das Ethylacetat zu ersetzen.
V. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hebt demgegenüber hervor, daß die entgegengehaltene Stabilisatormischung ein Epoxid enthalte; Epoxide seien aber ausdrücklich als Bestandteile der erfindungsgemäßen Stabilisatoren ausgeschlossen.
VI. In weiteren Schriftsätzen, eingegangen am 24. Juni, 21. September und 16. November 1987, macht die Beschwerdeführerin geltend, daß der Wortlaut der strittigen Ansprüche einen Gehalt an Epoxiden nicht ausschließe. Die Beschwerdegegnerin beruft sich dagegen in ihren am 20. Juli und 8. Oktober 1987 eingegangenen Erwiderungen darauf, daß zur Auslegung der Ansprüche die Beschreibung heranzuziehen sei, aus der sich ein solcher Ausschluß eindeutig ergebe. In einer weiteren, am 30. Dezember 1987 eingegangenen Äußerung schlägt sie schließlich vor, zur Ausräumung der von der Beschwerdeführerin gerügten Unklarheit die Ansprüche zu ändern.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
2. In formaler Hinsicht ist zu den Ansprüchen in ihrer erteilten Fassung das Folgende auszuführen.
2.1. Der Beschwerdeführerin ist darin zuzustimmen, daß - für sich betrachtet -der Ausdruck "hydroxylgruppenfreier Ether" auch solche (hydroxylgruppenfreie) Ether umfaßt und also unter Schutz zu stellen scheint, die beliebige andere funktionelle Gruppen, einschließlich der Epoxygruppe, enthalten.
2.2. Andererseits ergibt sich schon aus der Definition der Aufgabe auf Seite 2, Zeilen 24 bis 25, sowie auch aus der eindeutigen Erklärung von Seite 2, Zeilen 40 bis 41, der Streitpatentschrift, daß das beanspruchte Stabilisierungsmittel (Ansprüche 1 und 2) und das damit stabilisierte Trichlorethylen (Ansprüche 3 bis 5) epoxidfrei sein müssen bzw. die verwendeten "hydroxylgruppenfreien Ether" keine Epoxide sein dürfen. Insoweit liegt ein Widerspruch zwischen Anspruchswortlaut und Beschreibung vor, der gegen Art. 84 EPÜ verstößt und im Rahmen des Prüfungsverfahrens zu beseitigen gewesen wäre.
2.3. Ähnliches gilt hinsichtlich des Oberbegriffs von Anspruch 1: Ein Mittel "auf Basis von zumindest einem Amin, ... Ethylacetat, N-Methylpyrrol und/oder zumindest einem Alkylphenol" ist nach den Gesetzen von Sprache und Logik ein solches, das eine oder mehrere der vier Komponenten Amin, Ethylacetat, N-Methylpyrrol und Alkylphenol enthält. Für sich betrachtet umfassen daher die Ansprüche 1 bis 4 - Anspruch 5 wird hiervon nicht berührt - Stabilisierungsmittel bzw. stabilisiertes Trichlorethylen, worin neben den beiden im Kennzeichen von Anspruch 1 genannten Bestandteilen nur mindestens eine der vier obengenannten Komponenten enthalten sein muß. Erst aus Seite 3, Zeilen 19 bis 21, der Streitpatentschrift in Verbindung mit sämtlichen Beispielen sowie Seite 2, Zeile 62, der Streitpatentschrift wird klar, was eigentlich gemeint ist:
Von den vier obengenannten Komponenten sollen die ersten beiden (Amin und Ethylacetat) zwingend vorgeschrieben sein, wogegen von den anderen beiden (N-Methylpyrrol und Alkylphenol) nur eines (N-Methylpyrrol oder Alkylphenol) erforderlich ist, aber auch beide zugleich zugelassen sind.
Auch hierin ist eine gegen Art. 84 EPÜ verstoßene Unklarheit zu erblicken, auf deren Beseitigung die Kammer bestehen müßte, wenn sich die Sache noch im Erteilungsverfahren befände.
2.4. Da jedoch Art. 84 EPÜ in der erschöpfenden Aufzählung der Einspruchsgründe von Art. 100 EPÜ nicht enthalten ist und eine die Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Art. 84 EPÜ erforderlich machende Anspruchsänderung während des Einspruchsverfahrens nicht erfolgt ist, sieht die Kammer im jetzigen Verfahrensstadium davon ab, auf einer klarstellenden Änderung von Anspruch 1 zu bestehen, und begnügt sich mit der Feststellung, daß die Ansprüche im Sinne der vorstehenden Erwägungen in eingeschränkter Weise auszulegen sind.
3. Nach dem am 30. Dezember 1987 eingegangenen "Vorschlag" der Beschwerdegegnerin, den die Kammer als Hauptantrag bei bestehen bleibendem Hilfsantrag gemäß Beschwerdeerwiderung auslegt, sollen nun die Ansprüche zur Beseitigung der in den Unterabschnitten 2.1 und 2.2, nicht aber der im Unterabschnitt 2.3 angegebenen Unklarheit neu gefaßt werden. Hierzu stellt sich die Frage, ob die vorgeschlagenen Änderungen im gegenwärtigen Verfahrensstadium zu berücksichtigen sind.
3.1. Während des Einspruchsverfahrens (einschließlich der Beschwerdeinstanz) liegt die Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen zur Beschreibung oder zu den Ansprüchen durch den Patentinhaber im pflichtgemäßen Ermessen der Einspruchsabteilung bzw. der Beschwerdekammer. Dies ist aus den maßgeblichen Bestimmungen des EPÜ, wie folgt, herzuleiten :
3.1.1. Die Prüfung eines Einspruches wird durch Artikel 101(2) EPÜ derart geregelt, daß sie
(i) nach Maßgabe der Ausführungsordnung durchzuführen ist und daß
(ii) "die Einspruchsabteilung die Beteiligten so oft wie erforderlich (aufzufordern hat,)... eine Stellungnahme zu ihren Bescheiden oder zu den Schriftsätzen anderer Beteiligter einzureichen".
3.1.2. Hiervon bezieht sich Punkt (ii) in erster Linie auf Stellungnahmen und nicht auf Änderungen der Unterlagen.
3.1.3. Was Punkt (i) anbelangt, so bestimmt Regel 57(1) EPÜ, daß die Einspruchsabteilung bei der erstmaligen Mitteilung des Einspruchs an den Patentinhaber diesen auffordert, innerhalb einer bestimmten Frist, "eine Stellungnahme und gegebenenfalls Änderungen der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen einzureichen". (Das Wort "gegebenenfalls" ist dabei im Sinne der englischen und französischen Fassung des Übereinkommens - "where appropriate" bzw. "s'il y a lieu" - etwa im Sinne von "wenn sachdienlich" zu verstehen.) Schon in diesem frühen Verfahrensstadium soll also zu Änderungen nur aufgefordert werden, wenn dies im Hinblick auf die vorgebrachten Einspruchsgründe sachdienlich erscheint.
3.1.4. Regel 58(2) EPÜ betrifft spätere Bescheide an den Patentinhaber nach Artikel 101(2) EPÜ. Sie bestimmt, daß der Patentinhaber "gegebenenfalls" - wieder zu verstehen als "wenn sachdienlich"; vgl. englische und französische Fassung - aufzufordern ist, "soweit erforderlich die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen in geänderter Form einzureichen". Die doppelte Einschränkung dieses Satzes durch "wenn sachdienlich" und "soweit erforderlich" betont die Zurückhaltung, die bei einer Aufforderung zu Änderungen während des Einspruchsverfahrens angebracht ist. Anders ausgedrückt, soll der Patentinhaber nur dann zu Änderungen aufgefordert werden, wenn eine solche Aufforderung "sachdienlich" ist, und die Änderungen sollten sich auf das beschränken, was - im Sinne der geltend gemachten Einspruchsgründe - "erforderlich" ist.
3.1.5. Obwohl sich die Regeln 57 und 58 EPÜ unmittelbar nur mit den Kriterien befassen, die von der Einspruchsabteilung anzuwenden sind, wenn es darum geht, möglicherweise zu Änderungen aufzufordern, so geht daraus nach Überzeugung der Kammer klar und zwingend hervor, daß auch ohne aus- drückliche Aufforderung durch die Einspruchsabteilung ein Patentinhaber mit der Berücksichtigung von ihm begehrter Änderungen nur dann rechnen darf, wenn die Einspruchsabteilung diese in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens als sachdienlich und/oder erforderlich im obigen Sinn ansieht. Eine Auslegung derart, daß die Einspruchsabteilung zu Änderungen nur auffordern dürfte, soweit solche sachdienlich und erforderlich sind, daß aber der Patentinhaber sogar den weitergehenden Rechtsanspruch auf Berücksichtigung nicht sachdienlicher und unnötiger Änderungen hätte, würde dem Sinn dieser Regeln zuwiderlaufen.
3.1.6. Artikel 102 EPÜ behandelt die Möglichkeiten, wie über einen Einspruch entschieden werden kann: Wenn die Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung dès europäischen Patents in unveränderter Form nicht entgegenstehen, so weist die Einspruchsabteilung den Einspruch gemäß Art. 102(2) EPÜ zurück; in einem solchen Falle wäre es eindeutig nicht sachdienlich und unnötig, Änderungen zuzulassen. Wenn dagegen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen (Art. 102(1) EPÜ), so ist es normalerweise sachdienlich, dem Patentinhaber Gelegenheit zu geben, durch Änderungen einem Widerruf des Patents zu entgehen und eine Aufrechterhaltung in geändertem Umfang gemäß Art. 102(3) EPÜ zu erreichen. Die Einspruchsabteilung hat jedoch nur dann die Aufrechterhaltung in geändertem Umfange zu beschließen, wenn die Änderungen "sachdienlich" und "erforderlich" im obigen Sinne sind.
3.1.7. Die nur beschränkte Berücksichtigung von Änderungen während des Einspruchsverfahrens dient einer zügigen und straffen Verfahrensführung und kann unter dem Aspekt gesehen werden, daß das europäische Patent, gegen das sich der Einspruch richtet, seiner Natur nach ein Bündel nationaler Patente im Sinne von Artikel 64 (1) EPÜ darstellt. Bei dem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt handelt es sich um die einzige Ausnahme von der Regel, daß ein einmal erteiltes europäisches Patent der nationalen Jurisdiktion der benannten Vertragsstaaten unterliegt.
3.1.8. Im Beschwerdestadium eines Einspruches erfolgt die Prüfung gemäß Artikel 110(2) EPÜ, dessen Bestimmungen denen des Artikels 101(2) EPÜ sinngemäß entsprechen (vgl. die Punkte (i) und (ii) von Unterabschnitt 3.1.1). Die Prüfung wird durch Regel 66(1) EPÜ näher derart geregelt, daß - soweit nichts anderes bestimmt ist - "die Vorschriften für das Verfahren vor (der Einspruchsabteilung)... im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden (sind)".
3.1.9. Nach Auffassung der Kammer folgt aus dem Vorstehenden, daß im Einspruchsbeschwerdeverfahren der Patentinhaber keinen Rechtsanspruch auf Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen hat; vielmehr unterliegt eine solche während der Prüfung der Beschwerde den oben besprochenen Einschränkungen, wonach die vorgeschlagenen Änderungen "sachdienlich" und "erforderlich" sein müssen. Bei der Entscheidung über die Beschwerde gemäß Artikel 111(1) EPÜ kann die Kammer in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens die Berücksichtigung von Änderungsvorschlägen ablehnen, wenn sie diese als nicht sachdienlich und nicht erforderlich erachtet.
3.2. Hinsichtlich späten Vorbringens sind die Ausführungen der Kammer in der Entscheidung T 153/85 "Alternativansprüche/Amoco" (ABl. EPA 1-2/1988, 1) zu beachten. Es heißt dort im Unterabschnitt 2.1, zweiter und dritter Absatz (amtliche Übersetzung):
"Im Beschwerdeverfahren gilt normalerweise folgende Regel: Wünscht ein Beschwerdeführer, daß die Gewährbarkeit eines alternativen Anspruchssatzes, der sich vom Gegenstand her von dem in erster Instanz vorgelegten unterscheidet, von der Beschwerdekammer bei der Entscheidung über die Beschwerde (nicht nur im Hinblick auf Art. 123 EPÜ) geprüft wird, so müssen diese alternativen Anspruchssätze zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht oder unverzüglich nachgereicht werden.
Bei der Entscheidung über eine Beschwerde in der mündlichen Verhandlung kann es die Kammer zu Recht ablehnen, Alternativansprüche zu berücksichtigen, wenn sie in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, z.B. in der mündlichen Verhandlung, eingereicht worden und nicht eindeutig gewährbar sind."
(Im Anschluß an die zitierte Stelle erklärte die genannte Entscheidung die Gründe hierfür.) Die angeführte Entscheidung betraf einen Fall, in dem der Patentinhaber der Beschwerdeführer war, wogegen er im vorliegenden Fall der Beschwerdegegner ist. Das geltende Prinzip ist jedoch klar und auch auf Einspruchsverfahren anwendbar.
3.3. Im vorliegenden Falle wurde die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin am 4. März 1987 mitgeteilt, die noch im gleichen Monat eine Stellungnahme einreichte. Weitere Äußerungen der Beschwerdeführerin wurden von der Beschwerdegegnerin im Juli und Oktober 1987 beantwortet. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung erfolgte von keiner Seite. Als die Beschwerdegegnerin am 30. Dezember 1987 ihren Änderungsvorschlag einreichte, war die Prüfung der Beschwerde gemäß Artikel 110 EPÜ praktisch abgeschlossen und ein Entscheidungsentwurf lag bereits vor. Die Zulassung des Änderungsvorschlages würde daher die zügige Verfahrensführung beeinträchtigen, möglicherweise auch die Rechte Dritter berühren und daher dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen.
3.4. Eine andere Beurteilung könnte sich in Ausnahmefällen aufdrängen, z.B. wenn die Gewährbarkeit der geänderten Fassung sofort erkennbar wäre. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor; vielmehr würde die Zulassung geänderter Ansprüche auch deren Prüfung im Hinblick auf Artikel 84 EPÜ erfordern, was angesichts des in Unterabschnitt 2.3 Ausgeführten zu einer Beanstandung und damit zu einer weiteren Verzögerung des Verfahrens führen müßte.
3.5. Nach Überzeugung der Kammer ist somit die vorgeschlagene Änderung unter Berücksichtigung der vorstehenden verfahrensrechtlichen sowie der materiellen Erwägungen des Abschnitts 2 weder sachdienlich noch erforderlich. Sie wird daher nicht zugelassen.
4. Erstmals in ihrer am 21. Januar 1987 eingegangenen Beschwerdebegründung beruft sich die Beschwerdeführerin auf weiteren Stand der Technik in Form des Verkaufs eines einschlägigen Handelsproduktes. Hierzu ist zu untersuchen, ob diese neue Tatsache zu berücksichtigen ist, sowie zutreffendenfalls, ob eine zeitlich und sachlich maßgebliche Verkaufshandlung vorliegt, durch die die betreffende Zusammensetzung der Öffentlichkeit zugänglich wurde.
4.1. Die neue Tatsache wurde beinahe zwei Jahre nach Ablauf der neunmonatigen Einspruchsfrist, also verspätet vorgebracht. Angesichts ihrer - bei sonst gegebenen Voraussetzungen - sachlichen Relevanz sieht sich die Kammer jedoch veranlaßt, von ihrem durch Art. 114(2) EPÜ eingeräumten Ermessen im Sinne von Art. 114(1) EPÜ Gebrauch zu machen und die geltend gemachte Verkaufshandlung zu berücksichtigen.
4.2. Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, sie habe ab 1975 ein Handelsprodukt von im einzelnen angegebener Zusammensetzung verkauft. Sie erbringt zwar keinerlei Nachweis für das erstmalige Verkaufsdatum oder die Zusammensetzung des Produktes (die Vorlage einer unveröffentlichten schwedischen Patentanmeldung aus dem Jahre 1975 ist unerheblich, weil hierdurch weder ein bestimmtes Verkaufsdatum, noch eine Übereinstimmung des in der Anmeldung beschriebenen mit dem gegebenenfalls verkauften Produkt belegt wird); die Verkaufshandlung kann jedoch in zeitlicher und sachlicher Hinsicht als zutreffend unterstellt werden, da sie von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten worden ist. Ihre Offenkundigkeit ist dann ebenfalls gegeben, da die chemische Zusammensetzung eines Mittels der angegebenen Art durch chemische Analyse ohne besonderen Aufwand zu ermitteln ist.
4.3. Somit gilt das Produkt Per-Plus mit der in Abschnitt IV angegebenen Zusammensetzung als bekannt.
5. Dieses Produkt ist nach Auffassung der Kammer als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Per-Plus ist zwar nach eigener Darstellung der Beschwerdeführerin "primär" ein Mittel zur Stabilisierung von Perchlorethylen und nicht von Trichlorethylen wie im Streitpatent. Es ist dem Fachmann aber bekannt, daß Perchlorethylen wesentlich beständiger als Trichlorethylen ist, so daß er - auf Grund seines allgemeinen Fachwissens - geringere Mengen an Stabilisatoren - zu unterstellen: der gleichen Stabilisatoren - anwenden wird (vgl. (3) Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl., Band 9 (1975), Seite 463, rechte Spalte, Absatz 3). Ferner soll - vgl. (3), Seite 458, linke Spalte, 4. Absatz - der Stabilisator etwa den gleichen Siedepunkt haben wie der zu stabilisierende Chlorkohlenwasserstoff, was erklärt, daß in Stabilisatoren für Perchlorethylen (Per-Plus) Butylacetat, in solchen für Trichlorethylen (erfindungsgemäß) dagegen das niedriger siedende Ethylacetat bevorzugt wird.
6. Gegenüber Per-Plus kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, ein von toxischen Epoxiden freies, epoxidhaltigen Mitteln etwa ebenbürtiges Stabilisierungsmittel für Trichlorethylen vorzuschlagen. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Kombination von folgenden Einzelkomponenten vor:
(I) ein Amin mit Siedepunkt zwischen 50 und 150°C bei 1 bar,
(II) Ethylacetat,
(III) N-Methylpyrrol, das ganz oder teilweise durch mindestens ein Alkylphenol ersetzt sein kann,
(IV) Diisobutylen und/oder Cycloheptatrien,
(V) einen hydroxylgruppenfreien Ether (unter Ausschluß von Epoxiden, vgl. Beschreibung Seite 2, Zeilen 41 - 42).
7. Daß die bestehende Aufgabe durch die vorgeschlagene Zusammensetzung auch tatsächlich gelöst wird, erscheint auf Grund der Beispiele 1 - 15 und der Vergleichsbeispiele 1 bis 8 (Seiten 3 bis 8 der Streitpatentschrift) glaubhaft: Die dort getesteten Mittel ergeben im Oxidationstest nach MIL-T-81533A als Zeit zum Erreichen der Aciditätsgrenze von 0,02 Gew.-% HCl unter standardisierten Bedingungen Standzeiten deutlich über 1 000 Stunden. Vergleichbare Oxidationstests für epoxidhaltige Mittel sind zwar in der Streitpatentschrift nicht angeführt, sind aber in der gutachtlich zu wertenden nachveröffentlichten Anmeldung EP-A2-0 085 949 der Beschwerdegegnerin zu finden; vgl. die Gesamtheit der dortigen Beispiele (Seiten 5 bis 9) einerseits und diejenigen des Streitpatents (Seiten 3 bis 8) andererseits. Die Beschwerdeführerin hat diesbezüglich auch keine Einwendungen vorgebracht.
8. Die Kombination der Komponenten (I) bis (V) des nach dem Streitpatent vorgeschlagenen Mittels ist keiner der Entgegenhaltungen zu entnehmen:
8.1. In (1) wird die Verwendung von - breit, die Epoxide einbeziehend definierten - Ethern, gegebenenfalls auch zusammen mit "bekannten Stabilisatoren", zur Stabilisierung von Trichlorethylen beschrieben (vgl. Ansprüche 1 und 4; Seite 3, rechte Spalte, Zeilen 12 -16; Seite 3, linke Spalte, Zeilen 10 -17). Es fehlt jedoch jeglicher Hinweis auf die gemäß Streitpatent vorgeschlagenen Komponenten (I) bis (IV).
8.2. Dokument (2) beschreibt die Verwendung der Komponenten (II), (III) und (IV) neben 1,2-Epoxybutan und Epichlorhydrin (vgl. Seite 2, Abschnitt "Sammansättningsuppgifter"), aber ohne Erwähnung der Komponente (V) sowie im gegebenen Zusammenhang auch der Komponente (I).
8.3. Per-Plus wiederum enthält neben den Komponenten (I), (III) und (IV) statt Ethylacetat das Butylacetat sowie 1- Allyloxy-2,3-epoxypropan statt eines "hydroxylgruppenfreien Ethers" im Sinne von Seite 2, Zeilen 24 bis 25 und 40 bis 41, d.h. eines epoxygruppenfreien Ethers.
8.4. Anspruch 1 sowie gleichermaßen Anspruch 3 sind somit neu.
9. Es ist daher zu untersuchen, ob das beanspruchte Mittel auf erfinderischer Tätigkeit beruht oder ob es für den Fachmann, der sich -ausgehend vom Produkt Per-Plus - die oben definierte Aufgabe gestellt hatte, auf Grund des gesamten vorliegenden Standes der Technik nahelag.
9.1. Das Produkt Per-Plus unterscheidet sich von dem Mittel nach Anspruch 1 des Streitpatents dadurch, daß Ethylacetat durch Butylacetat und 1-Allyloxy-2,3-epoxypropan durch einen hydroxyl- (und epoxid-) gruppenfreien Ether ersetzt sind und daß die Mischung "primär" zur Stabilisierung von Perchlorethylen und nicht von Trichlorethylen dienen soll. Ethylacetat ist eine übliche Komponente zur Stabilisierung von Trichlorethylen (vgl. (2)); sein Siedepunkt macht es nach der unwidersprochenen, durch die in Abschnitt 4 bereits angezogene Stelle von (3), Seite 458, bestätigten Aussage der Beschwerdeführerin (vgl. Beschwerdebegründung Seite 2, 2. Absatz) für die Stabilisierung von Trichlorethylen besser geeignet als das speziell auf das höhersiedende Perchlorethylen ausgerichtete Butylacetat. Zur Lösung der bestehenden Aufgabe lag es deshalb für den Fachmann nahe, Butylacetat durch Ethylacetat zu ersetzen. Zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit wäre daher vorrangig der Ersatz von 1-Allyloxy-2,3-epoxypropan durch einen "hydroxylgruppenfreien Ether" zu untersuchen.
9.2. Weder wird in Per-Plus ein "hydroxylgruppenfreier Ether" im erfindungsgemäßen Sinn verwendet, noch wird ein solcher in (2) erwähnt. In (2) - Seite 2, Abschnitt "Speciella egenskaper och risker" - werden zwar gesundheitliche Risiken erwähnt, die sich aus der Verwendung von Epoxiverbindungen, wie Epichlorhydrin und Epoxibutan ergeben; für besonders stabilisiertes ("extra stabiliserad") Trichlorethylen wird aber dennoch eine Zusammensetzung vorgeschlagen, die 1,2-Epoxibutan enthält (Abschnitt "Sammansättningssuppgifter"). Hierdurch wird zwar die Aufgabe nahegelegt, Ersatzstoffe zu suchen, die ähnlich wirksam wie das 1,2-Epoxibutan sind, ohne seine gesundheitsschädlichen Wirkungen aufzuweisen; aber eine Anregung, hierfür gerade "hydroxylgruppenfreie Ether" im Sinne der Definition des Streitpatents zu verwenden, ist (2) nicht zu entnehmen.
9.3. Auch (1) enthält keine solche Anregung. Dort werden ganz allgemein Ether (gegebenenfalls neben nicht im einzelnen spezifizierten weiteren Stabilisatoren) zur Stabilisation von Chlorkohlenwasserstoffen, wie Trichlorethylen, empfohlen; dabei werden Ether, die der Definition der "hydroxylgruppenfreien Ether" gemäß Streitpatentschrift entsprechen, unterschiedslos neben "inneren Ethern" (gemeint: Epoxiverbindungen) und solchen Ethern aufgezählt, die Hydroxylgruppen enthalten (siehe "Simple ethers", Seite 2, linke Spalte, Zeilen 35 ff.; "Inner ethers or oxides", Seite 2, linke Spalte, Zeilen 46 ff.; und die Formeln des Abschnitts "Complex ethers and oxides", Seite 2, rechte Spalte, Zeilen 5 ff. Auf Seite 2, linke Spalte, Zeilen 6 bis 10, befindet sich sogar ein möglicher Hinweis auf eine gewisse Bevorzugung hydroxylgruppenhaltiger Ether. Eine Anregung, gerade hydroxylgruppenfreie (und epoxigruppenfreie) Ether überhaupt zu verwenden, erst recht eine solche, sie als wirkungsmäßig gleichwertigen Ersatz für gesundheitsschädliche epoxigruppenhaltige Verbindungen zu verwenden, noch dazu in Kombination mit den weiteren Komponenten (I) bis (IV) nach dem Streitpatent, fehlt dagegen in (1). Auch durch Per-Plus in Verbindung mit (1) ist daher das Mittel nach Anspruch 1 nicht nahegelegt.
9.4. Unter diesen Umständen bedarf es des von der Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf Beispiel 1 und die Vergleichsbeispiele 1 und 2 der Streitpatentschrift geltend gemachten Synergismusses der Komponenten (IV) und (V) zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit gar nicht mehr. Es ergibt sich vielmehr schon aus den Ausführungen der vorausgegangenen Unterabschnitte, daß der Gegenstand von Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
10. Aus den Ausführungen von Abschnitt 7 folgt, daß der Gegenstand von Anspruch 3 ebenfalls neu ist. Da er auf der gleichen erfinderischen Idee beruht wie Anspruch 1, ergibt sich, daß ihm ebenso wie diesem erfinderische Tätigkeit zugrundeliegt.
11. Die abhängigen Ansprüche 2, 4 und 5 werden von der Patentfähigkeit der Ansprüche 1 und 3 getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.