T 0041/97 15-04-1998
Download und weitere Informationen:
MOTORFAHRZEUG
I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 92 909 750.9 (EP-A-0 559 848; WO 92/20563) wurde mit der am 7. Oktober 1996 zur Post gegebenen Entscheidung zurückgewiesen, in der die Prüfungsabteilung zu dem Ergebnis kommt, daß der damals geltende Anspruch 1 aufgrund fehlender Neuheit seines Gegenstandes nicht den Erfordernissen des Artikels 54 genüge.
II. Der Beschwerdeführer (Anmelder) hat gegen diese Entscheidung unter rechtzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr am 27. November 1996 Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 29. Januar 1997 eingegangen.
III. Der Beschwerdeführer (Anmelder) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents unter Zugrundelegung der am 29. Januar 1997 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 5 sowie der gleichzeitig eingereichten Beschreibung und Zeichnungen gemäß Anmeldungsteil A (Stammanmeldung). Außerdem wird die Ausscheidung eines ein einspuriges Motorfahrzeug (Einspurmotorkabine) betreffenden Anmeldungsteils B beabsichtigt, für den ebenfalls neue Unterlagen (Ansprüche 1 bis 3, Beschreibung, Zeichnungen) vorgelegt werden.
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß der neue Anspruch 1 der Stammanmeldung die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 4 zusammenfasse und somit die im ersten Bescheid der Prüfungsabteilung genannte Voraussetzung für einen gewährbaren Patentanspruch 1 erfülle.
IV. Am 18. Dezember 1996 hat die Prüfungsabteilung festgestellt, daß der Beschwerde nicht abgeholfen wird und daß sie unverzüglich der Beschwerdekammer vorzulegen sei.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie den Regeln 1 (1) und 64 EPÜ; sie ist zulässig.
2. Gemäß Artikel 109 (1) EPÜ entscheidet im Falle von Entscheidungen, in denen dem Beschwerdeführer kein anderer an dem Verfahren Beteiligter gegenübersteht, das Organ, dessen Entscheidung angefochten wird, über die Abhilfe einer Beschwerde, die immer dann stattzufinden hat, wenn das betreffende Organ die Beschwerde für zulässig und begründet erachtet.
Um eine Überprüfung der Zulässigkeit und Begründetheit durchführen zu können, müssen nach Einlegung einer gültigen Beschwerde dem entscheidenden Organ, im vorliegenden Fall der Prüfungsabteilung, die gemäß Artikel 108 EPÜ erforderlichen Schriftsätze (Beschwerdeschriftsatz, Beschwerdebegründung) vorliegen.
3. Die Prüfungsabteilung hat jedoch schon vor Eingang der Beschwerdebegründung bzw. Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist (Art. 108, Satz 3 EPÜ) aufgrund des am 27. November 1996 eingegangenen Beschwerdeschriftsatzes der Beschwerdeführerin entschieden, daß der Beschwerde nicht abgeholfen wird. Hierzu stellte sie auf dem Vordruck Form 2701 am 18. Dezember 1996 fest, daß der Beschwerde nicht abgeholfen werde und daß diese unverzüglich der Beschwerdekammer gemäß Artikel 109 (2) EPÜ vorzulegen sei, was auch umgehend erfolgte.
Die Beschwerdebegründung ist am 29. Januar 1997 und somit fristgerecht innerhalb der gemäß Artikel 108, Satz 3 EPÜ geltenden 4-Monatsfrist eingegangen.
4. Diese vermutlich auf einem Irrtum beruhende verfrühte Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Abhilfe stellt bereits für sich einen wesentlichen Verfahrensfehler dar.
Die Prüfungsabteilung konnte auch nicht die kurze Erklärung des Beschwerdeführers im zweiten Absatz des Beschwerdeschreibens als Beschwerdebegründung auffassen. Vielmehr hätte sie aufgrund der im Beschwerdeschriftsatz ausdrücklich angekündigten Beschwerdebegründung, für deren Einreichung noch fast die Hälfte der 4-Monatsfrist zur Verfügung stand, zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung über die Abhilfe erkennen müssen, daß die Beschwerdebegründung noch ausstand und hätte deren Eingang zum Ende der hierfür geltenden Frist abwarten müssen.
5. Durch die verfrühte Entscheidung der Prüfungsabteilung wurde dem Beschwerdeführer die ihm gemäß Artikel 109 EPÜ zustehende Möglichkeit einer das Verfahren verkürzenden Beschwerdeabhilfe vorenthalten, die nach der Rechtsprechung der Kammer dann stattzufinden hat, wenn, wie es im vorliegenden Fall geschah, die Einwände, auf die sich die Entscheidung gestützt hat, durch neue Anmeldungsunterlagen eindeutig gegenstandslos geworden sind (vgl. T 0139/87, Abl. 1990, 68 und T 0047/90, Abl. 1991, 486).
Der mit der Beschwerdebegründung vorgelegte Anspruch 1 der "Stammanmeldung" (A) enthält nämlich entsprechend dem Vorschlag der Prüfungsabteilung den vollständigen Text der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 4 und folgt auch im übrigen den Vorschlägen der Prüfungsabteilung für eine gewährbare Fassung des Anspruchs 1 im ersten Prüfungsbescheid vom 22. Februar 1995, Punkt 3 (worauf auch im zweiten Bescheid und in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wurde).
6. Da, wie in den vorstehenden Punkten dargelegt, durch die nunmehr geltenden Unterlagen zur vorliegenden Anmeldung der Zurückweisungsgrund entfallen ist, hält es die Kammer für geboten, von ihrer Befugnis gemäß Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch zu machen und die Sache ohne weitere Prüfung zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen.
7. Obwohl die verfrühte Entscheidung über die Abhilfe verfahrensfehlerhaft ist, entspricht es im vorliegenden Fall nicht der Billigkeit, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen (Regel 67 EPÜ), da der Verfahrensfehler nicht ursächlich für das Einlegen der Beschwerde war. Der Beschwerdeführer hat auch keinen derartigen Antrag gestellt. Im vorliegenden Fall lag der angefochtenen Entscheidung selbst offensichtlich kein Verfahrensfehler zugrunde, da sie sich auf einen in den Prüfungsbescheiden gerügten Mangel der Patentanmeldung gemäß Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1) stützt. Die zwangsläufig erst nach Einlegung der Beschwerde mögliche Überprüfung einer Abhilfe kann somit in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Beschwerdeinlegung stehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.