T 0645/97 08-09-1999
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Motor-Pumpen-Aggregat, insbesondere Kraftfahrzeug-Antiblockier-Bremsvorrichtung
(01) Robert Bosch GmbH
(02) Denso Corporation
Klarheit (nach Änderung - ja): offenbartes negatives Merkmal zur Klarstellung in den Anspruch 1 aufgenommen
Kein Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 123 (2),(3) EPÜ
Neuheit und erfinderische Tätigkeit (ja), Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer abgelehnt
I. Die Beschwerdeführerinnen haben gegen das europäische Patent Nr. 0 645 875 Einsprüche eingelegt. Ihre Beschwerden richten sich nun gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, daß unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das oben genannte Patent und die zugrundeliegende Erfindung den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.
II. Folgende zu den Einspruchsbegründungen genannte Druckschriften wurden im Beschwerdeverfahren zitiert:
D2: EP-A-432 283,
D3: DE-A-3 642 726,
D4: Patent Abstracts of Japan, Vol. 9, No. 318 (E-366) (2041), 13. December 1985 & JP-A-60 152 247,
D5: WO 94/27045 (veröffentlicht am 24. November 1994, Bestimmungsstaaten u. a.: DE, FR, IT), entspricht EP-A-698 183; Prioritätsdokument für den relevanten Sachverhalt: D5': DE-A-4 320 005 (Anmeldetag: 17.06.1993),
D6: WO 93/08050,
D7(= D1): EP-A-413 849,
D8: EP-A-472 746,
D9: EP-A-489 077, entspricht WO 91/03095,
D10: DE-A-3 142 151.
III. Im Beschwerdeverfahren wurden zusätzlich zitiert:
D11: EP-B-256 389 und
D12: JP-A-4 123 376 (mit englischer Teilübersetzung).
IV. Am 8. September 1999 fand eine mündliche Verhandlung statt. Die Beschwerdegegnerin reichte hierbei einen neuen Anspruch 1 und eine geänderte Beschreibungsseite 2a sowie eine Fremdfabrikatuntersuchung "Bosch-Motor" (2 Seiten) ein.
Von einer Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) wurde ein Auszug aus Dubbel, "Taschenbuch für den Maschinenbau", Seite K17, Abschnitt 2.10 "Dichtungen" und folgende Frage zur Vorlage an die Große Beschwerdekammer eingereicht:
Ist es zulässig (Artikel 84 EPÜ), in einen Patentanspruch einen Disclaimer aufzunehmen, der ausschließlich zu vermeidende Probleme beinhaltet, insbesondere dann, wenn diese Probleme selektiv aus einer Problemreihe herausgegriffen werden, deren Probleme in der Beschreibung nur als zusammengehörige Einheit offenbart sind (Artikel 123 (2) EPÜ).
V. Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Motor-Pumpen-Aggregat, insbesondere Kraftfahrzeug-Antiblockier-Bremsvorrichtung, enthaltend in axialer Hintereinanderanordnung ein Motorgehäuse (1), ein Pumpengehäuse (2) und ein Elektronikgehäuse (3) mit den Merkmalen:
a) Das Motorgehäuse (1) liegt mit seiner einen Stirnfläche dicht vor der einen Stirnfläche des Pumpengehäuses (2);
b) das Elektronikgehäuse (3) liegt mit seiner einen Stirnfläche dicht vor der anderen Stirnfläche des Pumpengehäuses (2);
c) die dicht voreinanderliegenden Stirnflächen sind durch zwischenliegende umlaufende Dichtungen (9;9) gegeneinander, insbesondere nach radial außen, abgedichtet;
d) durch Durchführungen in den dicht voreinanderliegenden Stirnflächen führen - unter Verzicht von Herausführungen aus der Mantelfläche des Motorgehäuses (1) und Wiedereinführungen in das Elektronikgehäuse (3) vom äußeren Umfang her - durch das Pumpengehäuse (2) Verbindungsleiter (6.1;6.2) als elektrische Versorgungs- bzw. Steuerleitungen zwischen dem Inneren des Motorgehäuses (1) einerseits und dem Inneren des Elektronikgehäuses (3) andererseits;
e) die elektrischen Verbindungsleiter (6.1;6.2) verlaufen radial innerhalb der umlaufenden Dichtungen (9;9) durch die dicht voreinanderliegenden Stirnflächen des Motorgehäuses (1) und des Pumpengehäuses (2) sowie des Pumpengehäuses (2) und des Elektronikgehäuses (3)."
Ansprüche 2 bis 4 sind vom Anspruch 1 abhängig.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Klarheit
In der Beschreibungseinleitung des Streitpatentes sei ausgehend von EP-A-472 746 (D8) dargelegt, daß durch die Erfindung ein voller Schutz gegen das Eindringen von Feuchtigkeit gewährleistet werden solle. Dies sei aber keine neue Aufgabe, sondern für jeden Fachmann bei einem Motor-Pumpen-Aggregat eine Selbstverständlichkeit. Für den Schutz gegen Feuchtigkeit seien gemäß Beschreibung Seite 2, Zeilen 34 bis 38, die dichtend voreinanderliegenden Stirnflächen verantwortlich, nämlich eine Stirnfläche aus härterem Material mit einem angeformten umlaufenden vorstehenden Kragen, der sich beim Gegendrücken des anderen Gehäuses in dessen Stirnfläche dichtend eindrücke. Gemäß Beschreibung Seite 2, Zeilen 39 bis 42, werde diese Dichtung zusätzlich durch zwischenliegende umlaufende Dichtungen verstärkt. Die Anwendung zweier Dichtungsmaßnahmen sei aber dem Anspruch 1 nicht entnehmbar, so daß dieser die in Artikel 84 und Regel 29 EPÜ geforderte klare und vollständige Angabe der wesentlichen Erfindungsmerkmale nicht erfülle. In Verbindung mit der Aufgabe sei im Streitpatent auch angegeben, daß der volle Feuchtigkeitsschutz mit einfachen fertigungs- und montagetechnischen Mitteln gewährleistet werden solle. Merkmale zur Lösung dieser Teilaufgabe, z. B. die aufgesteckte Kunststoffkappe 8 und die randseitig umlaufende Dichtung 9 gemäß Figur 1 fehlten aber im Anspruch 1. Der Begriff "Durchführung" sei unklar. Der Verbindungsleiter 6.1 gehe gemäß Figur 1 des Streitpatents nicht durch eine Stirnfläche des Pumpengehäuses, sondern außerhalb vorbei. Das Pumpengehäuse sei nämlich im Bereich der Verbindungsleiter 6.1 nicht gestrichelt gezeichnet, der Leiter befinde sich also im freien Raum zwischen Motorgehäuse 1 und Elektronikgehäuse 3. Der im Anspruch 1 verwendete Begriff "Dichtungen" decke alles mögliche ab, wie auch der in der Verhandlung eingereichte Abschnitt "Dichtungen" in Dubbel, "Taschenbuch für den Maschinenbau", belege. Die im Anspruch 1 verwendeten Begriffe "Durchführungen" und "Stirnflächen" seien zu allgemein. Bei einem stufenförmigen Anbau, wie er in Figur 1 des Streitpatents gezeigt sei, gäbe es Zweifel, wo die Stirnfläche beginne und ende. Die im Einspruchsverfahren vorgenommene Einfügung von "unter Verzicht von Herausführungen aus der Mantelfläche des Motorgehäuses (1) und Wiedereinführungen in das Elektronikgehäuse (3) vom äußeren Umfang her durch das Pumpengehäuse (2)" in den Anspruch 1 sei ein Disclaimer. Er umschreibe keine positiven Merkmale und gehöre nicht in den Anspruch 1. In diesem Zusammenhang sollte der Großen Beschwerdekammer die in Abschnitt IV definierte Frage vorgelegt werden. Der Anspruch 1 erfülle damit nicht die Erfordernisse des Artikel 84 EPÜ.
b) Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
In Zeile 39 der Beschreibungsseite 2 des Streitpatents sei im Einspruchsverfahren die Angabe, daß eine Dichtung zusätzlich vorhanden sei, gestrichen worden. Dadurch sei die Bedeutung und somit der Schutzbereich für den im Anspruch 1 verwendeten Begriff "Dichtungen" unzulässig verändert worden. Es liege ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ vor.
c) Neuheit
c1) Die Druckschrift D5 stehe dem Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Artikel 54 (3) EPÜ mit seiner Priorität (17. Juni 1993) - vgl. DE-A-4 320 005 (D5') - neuheitsschädlich entgegen. Gemäß den Prüfungsrichtlinien soll bei der Ermittlung der Neuheit ein früheres Dokument so interpretiert werden, wie es der Fachmann zum wirksamen Zeitpunkt des Dokuments verstanden habe. Auf Seite 3 von D5 bzw. Spalte 1, Zeile 19 von D5' sei die DE-A-4 132 609 als Stand der Technik gewürdigt und dabei auf die Nachteile der externen Verlegung der elektrischen Anschlüsse nach außen hingewiesen worden. Demgegenüber sei durch den Gegenstand von D5 (vgl. Seite 19, 2. Abschnitt) der Vorteil erzielt worden, daß nicht mehr peripher abgedichtet und das Kabel wegen der gewünschten kurzen Verkabelung nicht mehr über die Mantellinie geführt werden müsse. Die D5 beschreibe anhand der Figuren 9 und 10 (Figuren 1 und 2 von D5') zwei Ausführungsbeispiele mit axial voreinanderliegenden Motorgehäuse, Pumpengehäuse und Elektronikgehäuse. Gemäß Figur 9 befände sich ein elastisches und umlaufendes Dichtelement 54 zwischen Motorgehäuse und Pumpengehäuse. Ausgehend vom Motorgehäuse sei ein Kabel 90 durch eine Öffnung 92 zum Elektronikgehäuse abgedichtet geführt. Nirgends sei aber offenbart, daß das Kabel 90 innerhalb der Öffnung 92 abgedichtet sei. Wegen der geforderten abgedichteten Führung schließe der Fachmann entsprechend der Dichtung 54. zwischen Motorgehäuse und Pumpengehäuse auch auf eine Dichtung zwischen Pumpengehäuse und Elektronikgehäuse. Auch beim Ausführungsbeispiel gemäß Figur 10, bei dem die Anschlußkomponente 90 mit dem Material der Trägerplatte fest verbunden sei, sei zwischen den einzelnen anliegenden Stirnflächen eine Dichtung in ihrer allgemeinen Bedeutung vorhanden.
c2) Dem Gegenstand des Anspruchs 1 fehle auch gegenüber dem aus D6 bekannten Motor-Pumpen-Aggregat die Neuheit. Zwischen dem innerhalb der Abdeckung 24 gelegenen Elektronikgehäuse und dem Pumpengehäuse (Hydraulikblock 10) sei bereits eine Dichtung 28 vorhanden. Der Hydraulikblock 10 liege dicht am Elektronikgehäuse und das Steckerteil 62 befände sich bereits im Inneren des Motorgehäuses. Eine radiale Einführung der Anschlußlitze 49 in den Elektromotor 18, wie von der Beschwerdegegnerin und in der angegriffenen Entscheidung behauptet, sei D6 nicht zu entnehmen.
d) Erfinderische Tätigkeit
Wenn die vorstehenden Ausführungen zur mangelnden Neuheit nicht überzeugen sollten, stelle sich die Frage nach der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe und nach dem nächstliegenden Stand der Technik. Die Aufgabe des Streitpatents könne eventuell in dem Wunsch nach einer besseren Dichtung oder nach einer Vereinfachung der Gehäusegestaltung gesehen werden. Ein innenliegender Verbindungsleiter 8 zwischen einem Motorgehäuse, einem Pumpengehäuse und einem Elektronikgehäuse sei bereits aus Figur 7 von D4 bekannt. Die D3 weise in Spalte 6, Zeile 17 ff. in Verbindung mit der Figur 3 darauf hin, daß der Spannungsregler 34 am oberen Ende der Pumpe 27 liegen und durch ein Kabel 33 mit dem Stator des Motors 26 über eine innenliegende Leitung verbunden sein könne. Demgegenüber könnte dem Gegenstand des Patents lediglich die Aufgabe zugrundeliegen, ein Abdichtungsproblem zu lösen. Ausgehend von D6 würde der Fachmann ohne weiteres eine Dichtung vorsehen, wenn etwas gedichtet werden müsse. Die D12 zeige in Figur 2 einen Motor 12 und ein anliegendes Pumpengehäuse 13. Beide Gehäuse seien über O-Ringdichtungen 23 und 24. gegeneinander abgedichtet. Eine ringförmige Dichtung 51 zwischen einem Motorgehäuse und einem Pumpengehäuse sei auch aus D9 bekannt. Eine gemeinsame Betrachtung von D6 mit einem der Dokumente D3 bis D12 führe ohne weiteres zum Gegenstand des Streitpatents.
VII. Die Beschwerdegegnerin widersprach den Ausführungen der Beschwerdeführerinnen. Sie reichte zum Nachweis dafür, daß bei Motor-Pumpen-Aggregaten von Bosch, wie sie auch in D6 beschrieben sind, die elektrischen Verbindungsleiter üblicherweise von außen radial in die Mantelfläche des Motorgehäuses eingeführt würden, zwei Blätter einer Fremdfabrikatuntersuchung über einen Bosch-Motor ein. Im übrigen sei die von der im Streitpatent gewürdigten D8 ausgehende und dem Patent zugrundeliegende Aufgabe gemäß Seite 2, Zeilen 21 bis 25 der Patentschrift viel spezieller als von den Beschwerdeführerinnen geschildert worden sei. Es gehe beim Streitpatent um die prinzipielle Lage beliebiger Dichtungen im Verhältnis zu den Verbindungsleitern, aber nicht um die spezielle Ausbildung der Dichtungen. Die axiale Hintereinanderanordnung der Gehäuse des Motor-Pumpen-Aggregats sei durch den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Anspruch 1 klargestellt worden.
VIII. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 01 und 02) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 0 645 875. Wegen des Merkmales "unter Verzicht von Herausführungen aus der Mantelfläche ... durch das Pumpengehäuse" beantragte eine Beschwerdeführerin (Einsprechende 02), die in Abschnitt IV zitierte Frage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen.
IX. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, das Patent in geändertem Umfang in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Anspruch 1 und Seite 2a, überreicht während der mündlichen Verhandlung;
- Ansprüche 2 bis 4, Beschreibungsseiten 2, 2b und 3 sowie Zeichnungen, Figuren 1 und 2, wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Artikel 123 (2) und (3) EPÜ
Nach Meinung der Kammer verletzt die beantragte Fassung der Patentunterlagen Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht. Dem ursprünglich eingereichten und erteilten Anspruch 2 ist das Merkmal der zwischenliegenden umlaufenden Dichtungen ohne die Einschränkung "zusätzlich" zu entnehmen. Die axiale Hintereinanderanordnung der drei Gehäuse sowie das die Verbindungsleiter betreffende Merkmal d) gehen aus Figur 1 und Seite 2, Zeilen 16 bis 27. der ursprünglichen Anmeldung hervor. Die Zeilen 13 und 14 der Beschreibungsseite 2 verweisen hinsichtlich vorteilhafter Ausgestaltungen der Erfindung ausdrücklich auf die Unteransprüche. Der ursprüngliche Anspruch 2 enthält schon das Merkmal der Abdichtung voreinanderliegender Stirnflächen durch "zwischenliegende umlaufende Dichtungen". Artikel 123 (2) EPÜ ist mithin nicht verletzt. Die Streichung der Formulierung "nach einer Ausgestaltung der Erfindung sind zur zusätzlichen Dichtung" in Zeile 39 der Beschreibungsseite 2 der Patentschrift erweitert daher den Schutzbereich nicht und verstößt somit auch nicht gegen Artikel 123 (3) EPÜ.
3. Klarheit
3.1. Aufgabe
Gemäß Streitpatentschrift, Seite 2, Zeilen 15 bis 20, geht die Erfindung aus von einem Motor-Pumpen-Aggregat, bei dem an der dem Motorgehäuse abgewandten Stirnfläche des Pumpengehäuses ein Elektronikgehäuse angeordnet ist und Verbindungsleiter zwischen dem Elektronikgehäuse und dem Motor erforderlich sind. Das Streitpatent definiert auf Seite 2, Zeilen 21 bis 25, als Aufgabe der Erfindung, daß ein Motor-Pumpen-Aggregat mit elektrischen Verbindungsleitern zwischen dem Inneren des Motorgehäuses einerseits und dem Inneren des Elektronikgehäuses andererseits geschaffen werden soll, für das mit einfachen fertigungs- und montagetechnischen Mitteln ein voller Schutz gegen das Eindringen von Feuchtigkeit gewährleistet werden kann. Diese Aufgabe ist ohne weiteres klar.
3.2. Lösung
3.2.1. Die beanspruchte Lösung besteht gemäß Anspruch 1 im wesentlichen darin, daß bei der angegebenen axialen Hintereinanderanordnung der drei Gehäuse die voreinanderliegenden Stirnflächen durch zwischenliegende umlaufende Dichtungen gegeneinander, insbesondere nach radial außen, abgedichtet sind und die Verbindungsleiter durch Durchführungen in den dicht voreinanderliegenden Stirnflächen unter Verzicht auf Herausführungen aus der Mantelfläche des Motorgehäuses und Wiedereinführung in das Elektronikgehäuse vom äußeren Umfang her durch das Pumpengehäuse radial innerhalb der umlaufenden Dichtungen verlaufen. Dies geht aus der Beschreibung der Figuren 1 und 2 eindeutig hervor. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Figur 1 Teilschnitte zeigt. Es geht dabei nicht um eine spezielle Ausbildung der Dichtungen oder um sonstige fertigungstechnischen Details, sondern um die Lage der Dichtungen im Verhältnis zu den elektrischen Verbindungsleitern. Der Begriff "Durchführung" ist im einschlägigen Fachgebiet allgemein bekannt; vgl. D9, "Isolierstoffdurchführung 2".
3.2.2. Wie bereits im Abschnitt 2 oben dargelegt wurde, ist das Anspruchsmerkmal d) mit seiner "negativen" Definition "- unter Verzicht von Herausführungen aus der Mantelfläche des Motorgehäuses und Wiedereinführungen in das Elektronikgehäuse vom äußeren Umfang her -" sowohl in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als auch in der Patentschrift offenbart. Dieses "negative" Merkmal präzisiert lediglich den ursprünglichen Erfindungsgedanken, schließt aber nichts aus, was ursprünglich eindeutig zum Schutzbereich gehören sollte. Die Problematik, bei der ein bestimmter Gegenstand aus dem Stand der Technik durch einen Disclaimer vom Schutzbereich ausgenommen werden soll, wenn sich in den ursprünglichen Unterlagen keine Stütze für einen entsprechenden Ausschluß findet (vgl. T 4/80, ABl. EPA 1982, 149 und T 433/86, nicht veröffentlicht), stellt sich hier also nicht. Das o. g. negative Merkmal beinhaltet überdies nicht ausschließlich zu vermeidende Probleme, sondern stellt innerhalb des Merkmals d) klar, daß aufgrund der durch die Stirnflächen verlaufenden Leiterdurchführungen die Verbindungsleiter nicht aus der Mantelfläche des Motorgehäuses herausführen und wieder hineinführen. Es besteht also kein Grund dazu, der Großen Beschwerdekammer zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsfrage vorzulegen, ob es zulässig sei (Artikel 84 EPÜ), in einen Patentanspruch einen Disclaimer aufzunehmen, der ausschließlich zu vermeidende Probleme beinhaltet, insbesondere dann, wenn diese Probleme selektiv aus einer Problemreihe herausgegriffen werden, deren Probleme in der Beschreibung nur als zusammengehörige Einheit offenbart sind (Artikel 123 (2) EPÜ).
3.3. Zusammenfassend ist die Kammer daher der Auffassung, daß der Anspruch 1 eine vollständige und klare Lösung der gestellten Aufgabe beinhaltet.
4. Im Verfahren befindlicher Stand der Technik
Im Einspruchsverfahren und in der Beschwerdebegründung wurden zwar von der Einsprechenden 02 die Druckschriften D2 und D3 aus dem Prüfungsverfahren zitiert, deren Relevanz aber weder einzeln noch in Verbindung mit anderen Dokumenten kommentiert. Da die Einsprechende 02 erst während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Relevanz der Druckschrift D3 erläutern wollte, wurde die Berücksichtigung dieser Druckschrift von der Kammer nach Artikel 114 (2) EPÜ als verspätet abgelehnt, zumal diese prima facie nicht relevant erschien. Die Druckschrift D2 befindet sich nicht im Verfahren. Demnach werden in dieser Entscheidung nur die Druckschriften D4 bis D12 berücksichtigt.
5. Neuheit
5.1. Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ (D5, soweit durch die prioritätsbegründende Druckschrift D5' gedeckt)
Hinsichtlich der Druckschrift D5 sind die zwei Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 9 und 10 (in D5' Figuren 1 und 2) relevant. Es handelt sich in beiden Fällen um ein Motor-Pumpen-Aggregat mit einem Motorgehäuse 1, Pumpengehäuse 2 und Elektronikgehäuse 95.
Zu Merkmal a) des vorliegenden Anspruches 1:
Das Motorgehäuse (1) von D5 liegt mit seiner einen Stirnfläche dicht vor einer Stirnfläche des Pumpengehäuses (2).
Zu Merkmal b) des vorliegenden Anspruches 1:
Gemäß Figur 9 von D5 liegt das Elektronikgehäuse mit einer Stirnfläche dicht vor der anderen Stirnfläche des Pumpengehäuses. Da gemäß D5, Seite 17, Zeilen 17 bis 19, die Steuer- und Regelelektronik 95 die Spulen der elektrohydraulischen Ventile 94 aufnimmt, liegt die Stirnfläche dieses Elektronikgehäuses in der senkrechten Ebene, die durch die durchgezogene Linie unmittelbar rechts von den vorstehenden Teilen der elektrohydraulischen Ventile 94 in Figur 9 gezeigt ist.
Zu Merkmal c) des vorliegenden Anspruches 1:
Die Figur 9 von D5 zeigt klar eine umlaufende Dichtung zwischen den Stirnflächen von Motor- und Pumpengehäuse, im Gegensatz zu Merkmal c) des vorliegenden Patentanspruches 1 aber keine Dichtung zwischen Pumpengehäuse und Elektronikgehäuse. Das Argument der Beschwerdeführerin, daß der Fachmann auch eine Dichtung zwischen Pumpengehäuse und Elektronikgehäuse annehmen würde, da bereits eine Dichtung zwischen Motorgehäuse und Pumpengehäuse vorhanden sei und gemäß Seite 3 von D5 eine externe Verlegung der elektrischen Anschlüsse durch sorgfältige Abdichtung vermieden werden solle, vermag nicht zu überzeugen. Gemäß D5, Seite 17, Zeilen 14 bis 17, ist "die als Kabelstrang dargestellte Anschlußkomponente 90" nämlich "innerhalb einer Durchgangsbohrung 92 im Pumpengehäuse 2 abgedichtet geführt". Eine mehr peripher gelegene Abdichtung ist gemäß der für beide Ausführungsbeispiele geltenden Zusammenfassung auf Seite 19, 2. Abschnitt, also nicht mehr erforderlich. Sie ist ja entbehrlich, wenn der Kabelstrang bereits innerhalb der Durchgangsbohrung im Pumpengehäuse abgedichtet geführt ist. Im ersten Ausführungsbeispiel ist somit eine umlaufende Dichtung zwischen dem Pumpengehäuse und dem Elektronikgehäuse für den Fachmann weder explizit noch implizit offenbart.
Diese Feststellung trifft erst recht für das zweite Ausführungsbeispiel gemäß Figur 10 zu, bei dem die Trägerplatte 54 entweder mit einer angespritzten Dichtung oder Einlegedichtung 97 versehen ist und ein Fortsatz 98 eine dichte und verrastbare Einheit mit dem Stecker 99 bildet.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit gegenüber dem in D5 beschriebenen Motor-Pumpen-Aggregat neu.
5.2. Neuheit des Gegenstandes des Anspruches 1 gegenüber dem Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ
Von den Beschwerdeführerinnen wurde die Neuheit des Gegenstandes des Anspruches 1 auch gegenüber dem aus der Druckschrift D6 bekannten Sachverhalt bezweifelt. Die Druckschrift D6 läßt jedoch nicht erkennen, daß das Motorgehäuse gegenüber dem Pumpengehäuse durch eine umlaufende Dichtung abgedichtet ist, so daß ein klarer Hinweis, daß das Merkmal c) hinsichtlich dieser Stirnfläche erfüllt ist, fehlt.
Die Neuheit des Gegenstandes des Anspruches 1 gegenüber dem übrigen im Verfahren befindlichen Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ wurde im Beschwerdeverfahren nicht bezweifelt und ist offensichtlich gegeben.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruches 1 ist von D6 als nächstliegenden Stand der Technik auszugehen. Daraus ist ein Motor-Pumpen-Aggregat mit einem Motorgehäuse, einem Pumpengehäuse und einem Elektronikgehäuse sowie mit den Merkmalen a) und b) bekannt. Das in D6 beschriebene Aggregat zeigt in Fig. 2 lediglich zwischen einer Stirnfläche des Elektronikgehäuses und einer Stirnfläche des Pumpengehäuses eine zwischenliegende umlaufende Dichtung 28. Eine umlaufende Dichtung zwischen einer Stirnfläche des Pumpengehäuses und dem Motorgehäuse - wie in Merkmal c) des Anspruches 1 gefordert - ist jedoch nicht erkennbar. Diesem Stand der Technik ist nicht zweifelsfrei entnehmbar, wie die Versorgungsleitungen vom Steuerteil 62 in den Motor 18 verlaufen. Auf Seite 12 von D6 ist lediglich ausgesagt, daß auf eine Kontaktbuchse 61 ein Steckerteil 62 aufgeschoben wird, durch welches der elektrische Anschluß für den Elektromotor hergestellt wird. Die Figuren 1 und 2 lassen jedoch auf dem oberen Umfang des Motorgehäuses zwei Bauteile erkennen, von denen das eine in axialer Verlängerung des Steckerteils 62 entlang der Mantelfläche des Elektromotors führt und das andere senkrecht dazu in radialer Richtung zum Motorinneren angeordnet ist. Das Argument der Beschwerdegegnerin, daß Versorgungsleitungen in diesen Bauteilen zunächst außerhalb des Motors geführt und dann vom äußeren Umfang her in das Motorgehäuse eingeführt werden, ist aufgrund der Offenbarung der D6 nicht widerlegbar. Die im vorliegenden Fall beweispflichtigen Beschwerdeführerinnen konnten die Kammer nicht davon überzeugen, daß für den Fachmann erkennbar sei, daß sich das Steckerteil 62 bereits im Inneren des Motors befinde.
6.2. Da Herausführungen und Wiedereinführungen von Verbindungsleitern schwierig abzudichten sind, liegt dem Gegenstand des Anspruches 1 auch gegenüber D6, wie bereits im Abschnitt 3.1 oben diskutiert ist, die Aufgabe zugrunde, ein Motor-Pumpen-Aggregat mit elektrischen Verbindungsleitern zwischen dem Inneren des Motorgehäuses einerseits und dem Inneren des Elektronikgehäuses andererseits zu schaffen, für das mit einfachen fertigungs- und montagetechnischen Mitteln ein voller Schutz gegen das Eindringen von Feuchtigkeit gewährleistet werden kann.
6.3. Die Tatsache, daß bei der Einrichtung gemäß D6 bereits zwischen einer Stirnfläche des Elektronikgehäuses und einer Stirnfläche des Pumpengehäuses eine zwischenliegende umlaufende Dichtung 28 klar erkennbar ist, regt den Fachmann nicht an, eine ähnliche Abdichtung auch auf der anderen Seite des Pumpengehäuses anzubringen und darüber hinaus noch die Verbindungsleiter innerhalb dieser Abdichtung zu führen, zumal die Druckschrift D6 den Eindruck erweckt, daß die Verbindungsleiter erst über die Mantelfläche des Motorgehäuses eingeführt werden.
6.4. Die Druckschrift D4 betrifft ein Motor-Inverter-Ventilator-Aggregat mit einem innenliegenden Kabel 8. Dichtungsprobleme, wie sie bei einem Motor-Pumpen-Aggregat auftreten, werden dort weder angesprochen noch gelöst. Daher vermag dieser Stand der Technik auch keinen Beitrag zur Lösung des beanspruchten Gegenstandes zu liefern.
6.5. Die Druckschrift D7 (bzw. D1) wurde im Einspruchsverfahren lediglich zum Nachweis dafür genannt, daß axiale Distanzstücke für elektrische Verbindungsleiter - wie im erteilten Anspruch 3 angegeben ist - und die Kontaktierung von Bürsten mittels einer Bürstenplatte - wie im erteilten Anspruch 5 angegeben ist - bereits bekannt sind. Eine Anregung in Richtung auf die im vorliegenden Anspruch 1 angegebene Lösung vermag diese Druckschrift nicht zu geben.
6.6. Die Streitpatentschrift geht in der Beschreibungseinleitung (Seite 2, Zeile 5 ff.) von dem aus D8 bekannten Stand der Technik aus. Es handelt sich dabei um einen Kommutatormotor, der zum Aufstecken einer Flanschöffnung einer anzutreibenden Hydraulikpumpe ausgebildet ist. Am Lagerschild des Motorgehäuses befindet sich eine Dichtung, um das Eindringen von Feuchtigkeit auf die Kommutatorlamellen zu verhindern. Von einem zusätzlichen Anschluß eines Elektronikgehäuses ist nicht die Rede. Ein Dichtungsproblem bei einem Motor-Pumpen-Aggregat mit Elektronikgehäuse, also bei einer axialen Anordnung von drei Baugruppen, wird dort nicht gelöst. Die Druckschrift D8 vermag also nichts zur beanspruchten Lösung beizutragen.
6.7. Die Druckschrift D9 beschreibt einen Motor zum Antrieb einer Hydraulikpumpe. Die rechte offene Stirnseite des Motorgehäuses ist durch ein Lagerschild mit einem Dichtring 3 verschlossen. Anschlußleitungen sind mittels einer Isolierstoff-Durchführung von außen durch diesen Dichtring in das Motorgehäuse eingeführt, liegen also nicht generell innerhalb des Dichtrings. Außerdem gibt es kein Elektronikgehäuse. Ein Beitrag zur im vorliegenden Anspruch 1 definierten Lösung ist der Druckschrift D9 daher ebenfalls nicht entnehmbar.
6.8. Die Druckschrift D10 beschreibt die Abdichtung eines radial auf einem Motorgehäuse angeordneten Klemmkastens gegenüber dem Motorgehäuse durch eine zwischen diesen Teilen liegende Dichtung (1, 2). Die Anschlußleitungen verlaufen im wesentlichen radial zur Motorachse. Es handelt sich dabei aber nicht um ein Motor-Pumpen-Aggregat, so daß die Problematik der elektrischen Verbindung zwischen Motorgehäuse und Elektronikgehäuse mit axial dazwischen angeordnetem Pumpengehäuse fehlt. Vielmehr geht es darum, die in den Klemmkasten führenden Leitungen vor einer Berührung mit den rotierenden Teilen des Motors zu schützen. Eine solche Problematik stellt sich beim beanspruchten Gegenstand nicht. Diese Druckschrift vermag daher ebenfalls nicht zur beanspruchten Lösung anzuregen.
6.9. Die Druckschrift D11 offenbart ein Pumpengehäuse in Verbindung mit einem Motorgehäuse. Eine elektrische Verbindungsleitung führt vom Pumpengehäuse zum Motorgehäuse und wird von einer Gummischelle oder einem Gumminiet 173 dicht gehalten. Eine Beschwerdeführerin (Einsprechende 02) räumte selbst ein, daß das Teil 173 keine umlaufende Dichtung im Sinne des vorliegenden Patentanspruches 1 (vgl. Merkmal c)) ist. Damit kann auch die Druckschrift D11, selbst in Verbindung mit Druckschrift D6, die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruches 1 nicht in Frage stellen.
6.10. Entsprechendes gilt für die Druckschrift D12, bei der die Leitung 20 gemäß Figur 1 über das Zwischenteil 16 von außen, aber nicht vom Pumpengehäuse 13 her eingeführt wird. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß das Zwischenteil 16 über eine Dichtung 26 mit dem Motorgehäuse verbunden ist.
6.11. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß sich das im Anspruch 1 angegebene Motor-Pumpen-Aggregat nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Das beanspruchte Motor-Pumpen-Aggregat gilt damit nach Artikel 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend. Der Anspruch 1 ist somit gewährbar.
7. Die Ansprüche 2 bis 4 betreffen besondere Ausführungsformen des Motor-Pumpen-Aggregates nach Anspruch 1 und sind deshalb ebenfalls gewährbar.
8. Nach Meinung der Kammer genügen die geänderten Patentunterlagen den Erfordernissen des EPÜ.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
3. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
- Anspruch 1 und Seite 2a, überreicht während der mündlichen Verhandlung;
- Ansprüche 2 bis 4, Beschreibungsseiten 2, 2b und 3 sowie Zeichnungen, Figuren 1 und 2, wie von der Einspruchsabteilung aufrechterhalten.