T 0934/97 06-06-2001
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Alkalische Batterie und Verfahren zur Herstellung von derselben
I. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin des europäischen Patents Nr. 0 496 704 (Anmeldenummer 89 121 394.4).
II. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) legte gegen das Patent Einspruch ein und beantragte, das Patent wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), unzureichender Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) und Erweiterung des Patents über den Inhalt der ursprünglichen Fassung hinaus (Artikel 100 c) EPÜ) zu widerrufen.
III. Mit am 7. Juli 1997 zur Post gegebener Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent mit der Begründung, daß der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber der Offenbarung von Druckschrift
D1: JP-A-61 153 950 (Übersetzung in die englische Sprache)
nicht neu sei.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 3. September 1997 unter Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein.
Die Beschwerdebegründung wurde am 30. Oktober 1997 eingereicht.
V. Am 6. Juni 2001 fand vor der Kammer eine mündliche Verhandlung statt, an deren Ende die Antragslage wie folgt war:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 4.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
VI. Patentanspruch 1 lautet:
"Geschlossene alkalische Batterie ohne Wasserstoffauslaß oder ohne einen wasserstoffabsorbierenden Mechanismus, in der ein Zinkpulver enthaltend 100 bis 1000 ppm Indium, bis zu 1000 ppm Alkalimetalle und/oder Barium, 100 bis 1000 ppm Wismut, nur weniger als 30 ppm Blei und Rest Zink verwendet wird und wobei der Gehalt an Wismut kleiner oder gleich ist dem Gehalt an Indium."
VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte wie folgt:
Der Disclaimer in Anspruch 1 sei nunmehr präzise auf der Grundlage der Druckschrift D1 formuliert.
Diese Druckschrift D1 betreffe vorwiegend Batterien und Zinkpulver für alkalische Batterien, die zwar wenig, aber trotzdem eine kleine Menge Quecksilber enthielten. Soweit diese Druckschrift geschlossene alkalische Batterien erwähne, werde ausgeführt, daß auf Quecksilber verzichtet werden könne, falls ein Wasserstoffauslaß oder ein wasserstoffabsorbierender Mechanismus vorhanden sei.
Die eigentliche sich aus dem Zusammenhang implizit ergebende Aufgabe des Streitpatents bestehe in der aus der Druckschrift D3 (JP-A-63 040 157 und englische Teilübersetzung) zugrundeliegenden Aufgabe, Quecksilber bei geschlossenen Batterien zu vermeiden. Die Druckschrift D1 spiele bei der Lösung dieser Aufgabe keine Rolle, da es zum damaligen Zeitpunkt unmöglich gewesen sei, geschlossene Batterien ohne Entgasungsmechanismus, ohne Quecksilber und ohne Blei herzustellen. Das Streitpatent und Druckschrift D1 hätten daher keine gemeinsame Aufgabe oder Lösung; Druckschrift D1 sei somit für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht relevant.
VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte wie folgt:
Die Merkmale "ohne Wasserstoffauslaß oder ohne einen wasserstoffabsorbierenden Mechanismus" seien weder explizit noch implizit in den ursprünglichen Unterlagen offenbart.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern verstoße die Aufnahme von Disclaimern nur dann nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ, wenn strenge Voraussetzungen, die in den Entscheidungen T 13/97, T 596/97 und T 863/96 zusammengefaßt sind, erfüllt seien. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht erfüllt:
- Druckschrift D1 enthalte keine zufällige Vorwegnahme, sie sei vielmehr bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht nur hoch relevant, sondern bilde sogar den nächstkommenden Stand der Technik. Diese Druckschrift gehöre zum gleichen Sachgebiet: alkalische Batterien mit Zinkpulver, betreffe die gleiche Aufgabe: nämlich Batterien mit wenig Quecksilber und Blei, die trotzdem wenig gasen, herzustellen, und offenbare fast die gleiche Lösung: Zink mit Indium, Wismut, und Kalium zu legieren anstatt mit Quecksilber und Blei.
- Der Disclaimer sei zu breit gefaßt, da die Druckschrift D1 Batterien mit Zink, Indium, Wismut, und Kalium beschreibe, wogegen der Disclaimer Batterien nur mit Zink, Indium und Wismut betreffe.
Der Disclaimer füge einen technischen Beitrag zur vermeintlichen Erfindung hinzu und sei aufgrund der Entscheidung G 1/93 nicht zulässig.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Änderung
2.1. Anspruch 1 beginnt nunmehr mit dem Merkmal "Geschlossene alkalische Batterie ohne Wasserstoffauslaß oder ohne einen wasserstoffabsorbierenden Mechanismus ... ". Dieses negativ formulierte Merkmal ist unbestritten explizit nicht in den ursprünglichen Unterlagen enthalten.
Dieses Merkmal ist auch implizit nicht den ursprünglichen Unterlagen zu entnehmen. Selbst wenn man der Beschwerdeführerin darin folgen sollte, daß sich aus dem Kontext der ursprünglichen Unterlagen ergibt, daß die Herstellung einer geschlossenen Batterie beabsichtigt war, so ist doch den ursprünglichen Unterlagen nicht entnehmbar, daß die Wasserstoffentwicklung der ursprünglich angegebenen breiten Legierungszusammensetzung so gering war, daß in der geschlossenen Batterie noch nicht einmal ein physikalisch oder chemisch wirkender Speicher für das sich entwickelnde Gas hätte vorhanden sein müssen. Die Beschwerdeführerin bestätigt vielmehr selbst in ihrem Schreiben vom 22. September 1998, daß sie durch nachträgliche Untersuchungen und Vergleichsversuche festgestellt habe, daß Calcium bei quecksilberfreien Zinkpulvern zu keinen guten Ergebnissen führt. Die Kammer deutet diese Aussage so, daß diese calciumhaltigen quecksilberfreien Legierungen eine nicht tolerierbare Gasung aufgewiesen hätten. Da aber Calcium in den ursprünglichen Unterlagen stets als Wahlkomponente mit einem Gehalt bis zu 1000 ppm aufgeführt ist, offenbaren die ursprünglichen Unterlagen nicht, daß die Herstellung einer "geschlossenen Batterie ohne Wasserstoffauslaß oder ohne einen Wasserstoff absorbierenden Mechanismus" beabsichtigt war. Dies gilt erst recht nicht für die im gültigen Anspruch erheblich eingeschränkte Legierungszusammensetzung, da ja zumindest die notwendige Calciumfreiheit nach eigener Einlassung der Beschwerdeführerin eine nachträgliche Erkenntnis war.
Da dieses negativ formulierte Merkmal weder explizit noch implizit in den ursprünglichen Unterlagen enthalten ist, könnte seine Aufnahme in den Anspruch nur dann nicht gegen die Bestimmungen von Artikel 123 EPÜ verstoßen, wenn es die an einen Disclaimer zu stellenden Bedingungen erfüllt.
2.2. Der Disclaimer "ohne Entgasungsmechanismus" wurde während des Prüfungsverfahrens in Anspruch 1 eingeführt und während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer in "ohne Wasserstoffauslaß oder ohne einen wasserstoffabsorbierenden Mechanismus" geändert, um ihn an den Wortlaut der neuheitschädlich entgegengehaltenen Druckschrift D1 genau anzupassen.
2.3. Die Aufnahme von Disclaimern verstößt nur dann nicht gegen die Bestimmungen des Artikels 123 (2) EPÜ, wenn strenge Voraussetzungen, die u. a. in den Entscheidungen T 13/97 (2.3), T 596/97 (2.2), T 863/96 (3.2) und T 893/93 (2.2.1 und 2.2.2) zusammengefaßt sind, erfüllt sind. Die Voraussetzungen sind folgende:
i) Es muß ein neuheitschädlicher Stand der Technik vorhanden sein, und der Disclaimer muß auf der Grundlage dieses Standes der Technik präzise formuliert sein und die Erfindung gegen diesen Stand der Technik abgrenzen,
ii) dieser Stand der Technik muß eine zufällige Vorwegnahme sein,
iii) der Disclaimer ist nur zulässig, wenn der ausgeschlossene Stand der Technik aus dem bei der erfinderischen Tätigkeit in Betracht zu ziehenden Stand der Technik ausscheidet.
Ein zusätzliche Bedingung, die einzuhalten ist, ist in der Entscheidung G 1/93, Punkt 9 der Entscheidungsgründe, angegeben:
iv) "Artikel 123 (2) EPÜ liegt eindeutig der Gedanke zugrunde, daß es einem Anmelder nicht gestattet sein darf, seine Position durch Hinzufügung von in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbarten Gegenständen zu verbessern, weil ihm dies zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhülfe und der Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung verlassen, abträglich sein könnte".
2.4. Es ist daher zu prüfen, ob alle diese Bedingungen für die Zulässigkeit eines Disclaimers erfüllt sind.
2.5. Die Bedingung i) ist aus folgenden Gründen erfüllt:
Das Merkmal "ohne Entgasungsmechanismus" war im Prüfungsverfahren als Disclaimer in die erteilte Fassung des Anspruchs 1 aufgenommen worden, um die Neuheit des Gegenstandes dieses Anspruchs insbesondere gegenüber den Druckschriften D1, D2 und D3 herzustellen. Gleiches gilt für die neue Formulierung des Disclaimers.
Der Disclaimer ist präzise auf der Grundlage dieses Standes der Technik formuliert, da der Wortlaut des Disclaimers dem Wortlaut der Druckschrift D1 ("exhaust capacity or a hydrogen-absorbing capacity") entspricht und die Erfindung gegen Druckschrift D1 abgrenzt.
2.6. Die Bedingungen ii) und iii) sind jedoch nicht erfüllt, weil Druckschrift D1 keine "zufällige Vorwegnahme" ist. Nach der Entscheidung T 161/82 handelt es sich dann um eine in diesem Sinne zufällige Offenbarung, wenn keine mit dem Streitpatent gemeinsame Aufgabe vorliegt. Nach der von Lunzer herausgegebenen englischen Ausgabe des Kommentars von Singer (The European Patent Convention, 1995, Seite 735) bestehen weitere Anzeichen für eine Zulässigkeit darin, daß der auszuschließende Gegenstand des Standes der Technik auf einen anderen Zweck gerichtet ist und sich auf eine andere Aufgabe und Lösung als das Streitpatent gründet.
Im vorliegenden Fall ist das nicht der Fall. Druckschrift D1 betrifft alkalische Batterien mit Zinkpulvern (gleicher Zweck), die trotz möglichst geringem Blei- und Quecksilbergehalt nur eine geringe Gasentwicklung aufweisen sollen (gleiche Aufgabe). Die Lösung besteht darin, dem Zink Indium, Wismut, und Kalium zuzulegieren (ähnliche Lösung). Aus diesen Gründen ist Druckschrift D1 keine zufällige Vorwegnahme.
Aufgrund dieser Ähnlichkeit der Lösung scheidet die Druckschrift D1, nachdem die Neuheit hergestellt ist, auch nicht aus dem bei der erfinderischen Tätigkeit in Betracht zu ziehenden Stand der Technik aus.
2.7. Auch die Bedingung iv) ist nicht erfüllt. Die Beschwerdeführerin argumentiert, daß der Disclaimer keinen technischen Beitrag zur Lösung leiste und daß ihre Position durch die Hinzufügung des Disclaimers nicht verbessert werde. Diese Aussage steht jedoch im Widerspruch zu ihrer Einlassung, die erfinderische Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes sei deshalb gegeben, weil nach dem Stand der Technik nur bei Batterien mit einem Entgasungsmechanismus auf Quecksilber verzichtetet werden könne. Somit ergibt sich zwangsläufig, daß die Beschwerdeführerin durch die Hinzufügung des Disclaimers ihre Position im Hinblick auf die Beurteilung gegenüber dem Stand der Technik in unzulässiger Weise verbessert hat.
3. Da das oben besprochene Merkmal weder explizit noch implizit in dem ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart ist und es auch nicht die an einen Disclaimer zu stellenden Bedingungen erfüllt, genügt Anspruch 1 nicht den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ und ist deshalb nicht gewährbar.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.