T 0859/99 01-10-2003
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Natronwasserglaslösungen mit hohen Orthophosphatgehalten für den Korrosionsschutz im Trinkwasserbereich
Chemische Fabrik Budenheim R.A. Oetker
Aquadosil Wasseraufbereitung GmbH
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende I) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung der Einsprüche gegen das Patent Nr. 0 706 583 Beschwerde eingelegt.
Mit den Einsprüchen der Einsprechenden I und II war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ (erfinderische Tätigkeit) angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der im Artikel 100 a) EPÜ genannte Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegenstünden.
Die Einspruchsabteilung hat hauptsächlich folgende Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D1= EP-A-0 510 989,
D3= EP-A-0 054 083,
D4= Verordnung über Trinkwasser und über Wasser für Lebensmittelbetriebe(Trinkwasserverordnung - TrinkwV) vom 05.12.1990, BGB 1., Teil 1, Seiten 2613-2629,
D5= Prospektblatt AQUADOSIL - T6,
D6= Anlage 3 "Fax von Hr. Marquardt and Hr. Schultheiss vom 12.02.93",
D7= Anlage 4 "Anschreiben von Hr. Marquardt an Hr. Schultheiss vom 12.02.93",
D8= Anlage 5 "Rechnung vom 23.02.1993 an Kreiswerke Olpe",
D9= Anlage 6 "Herstellungsanweisung für AQUADOSIL - T6.2" und
D10= Römpps Chemie-Lexikon, 6. Auflage, 1966, Seite 3127 - 3128.
II. Am 1. Oktober 2003 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt. Die ordnungsgemäß geladene Einsprechende II hat, wie schriftlich vorangekündigt, an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen.
i) Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
ii) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), und hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents mit den Ansprüchen 1 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 17.02.2000.
III. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 7 gemäß Streitpatent lauten wie folgt:
"1. Flüssiges wäßriges Konzentrat in Form einer homogenen Lösung, enthaltend Silicationen und in Form eines Kaliumsalzes eingebrachte Orthophosphationen, zum Einsatz in Verfahren zum Korrosionsschutz von Trinkwasserleitungen aus unlegiertem oder niedriglegiertem Stahl, wobei das Konzentrat mindestens 8. Gew.-% Silicat, berechnet als SiO2, und mindestens 3 Gew.-% Orthophosphat, berechnet als PO4, enthält."
"7. Verfahren zur Korrosionschutzbehandlung von Trinkwasserleitungen aus unlegiertem oder niedrig legiertem Stahl, dadurch gekennzeichnet, daß dem Trinkwasser flüssige wäßrige Konzentrate nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 6 zudosiert werden. "
IV. Die Beschwerdeführerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Das Konzentrat gemäß dem erteilten Anspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich vom aus der Entgegenhaltung D5 bekannte Konzentrat "AQUADOSIL - T6" nur dadurch, dass die Orthophosphationen in Form eines Kaliumsalzes eingebracht worden sind.
Die Aussage im zweiten Absatz auf Seite 2 der Entgegenhaltung D5 führe in ihrer Umkehr zwangsläufig zu der Aufgabenstellung erhöhter Lagerbeständigkeit bei tiefen Temperaturen.
Aus der Entgegenhaltung D1, Seite 4, Absatz 2, sei bekannt, daß der Kationenanteil des Orthophosphates eine Rolle für die Löslichkeit spiele, und aus der Entgegenhaltung D10, Spalte 3128, Absatz 1, sei auch bekannt, daß Kaliumphosphate gegenüber entsprechenden Natriumverbindungen leichter löslich seien. In logischer Konsequenz sei es wegen der im allgemeinen höheren Wasserlöslichkeit von Kaliumsalzen gegenüber Natriumsalzen naheliegend gewesen, Silicat und Phosphat als Kaliumsalz einzusetzen, wie auch auf Seite 2, Zeilen 53 bis 55 des Streitpatents ausgeführt werde. Die Entgegenhaltung D4 zeige auf Seite 2624, daß die Trinkwasserverordnung als Silikatzusätze für Trinkwasser lediglich Natriumsilikate zuließe, während für das Orthophosphat außer Natriumorthophosphat auch Kaliumorthophosphat und das relativ schlechtlösliche Calciumorthophosphat zugelassen seien.
Bei Berücksichtigung dessen, was die Trinkwasserverordnung (Entgegenhaltung D4) vorschreibe und was der Durchschnittsfachmann, etwa aus D10, bezüglich der Löslichkeiten der Phosphate gewusst habe, gebe es eine Einbahnstraßensituation im Sinne der Entscheidung T 192/82 für einen Austausch allein des Natriumorthophosphates gegen Kaliumorthophosphat. Um dabei den größtmöglichen Effekt zu erzielen, lag es auf der Hand, das gesamte schwerer lösliche Natriumorthophosphat gegen das leichter lösliche Kaliumorthophosphat auszutauschen.
Selbst unter der Annahme, der Fachmann habe aufgrund der Trinkwasserverordnung (Entgegenhaltung D4) auch Veranlassung gesehen, das Natriumorthophosphat des Konzentrats "AQUADOSIL- T6" gegen Diphosphate, Triphosphate oder Polyphosphate auszutauschen, wäre der Austausch gegen Kaliumorthophosphat dennoch nur eines von wenigen gleichwertigen Alternativangeboten gewesen, das der Fachmann ohne weiteres in Betracht gezogen hätte.
Auch ausgehend von der Entgegenhaltung D3 als nächstliegendem Stand der Technik würde der Fachmann unter Berücksichtigung der in den Entgegenhaltungen D1, D4 und D10 enthaltenen Informationen ohne erfinderisch tätig zu werden zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents kommen.
Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
V. Die Beschwerdegegnerin hat im schriftlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Es gehe beim Konzentrat gemäß dem erteilten Anspruch 1 des Streitpatents darum, bei tiefen Temperaturen eine Ausfällung von Natriumphosphat aus dem Konzentrat zu verhindern. Die an sich bekannte, leichtere Löslichkeit von Kaliumphosphat gegenüber Natriumphosphat spiele hierfür keine Rolle.
Außer der Entgegenhaltung D5 betreffe keine der in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen ein Konzentrat einer wässrigen Korrosionsschutzlösung oder spreche das Problem der Lagerfähigkeit bei tiefen Temperaturen eines solchen Konzentrats an. Daher könne der Fachmann auch keiner dieser Entgegenhaltungen einen Hinweis darauf entnehmen, eine Ausfällung von Natriumphosphat bei tiefen Temperaturen dadurch zu verhindern, dass in dem durch die Entgegenhaltung D5 bekannten Konzentrat die Phosphationen als Kaliumsalz an Stelle von Natriumsalz eingebracht werden.
Daher beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VI. Die am Beschwerdeverfahren beteiligte Einsprechende II hat zur Sache nicht Stellung genommen.
1. Hauptantrag
1.1. Erfinderische Tätigkeit
1.1.1. Nächstkommender Stand der Technik
Die Parteien sind davon ausgegangen, dass das Produkt "AQUADOSIL-T6", siehe Entgegenhaltungen D5 bis D9, zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPC gehört. Die Kammer sieht keinen Grund, diese Annahme in Frage zu stellen.
Es besteht auch Einvernehmen, dass das in der Entgegenhaltung D5 als flüssiges wässriges Konzentrat zum Korrosionsschutz von Trinkwassersystemen beschriebene "AQUADOSIL-T6" den nächstkommenden Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents bildet.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents unterscheidet sich von diesem bekannten Konzentrat dadurch, dass die Orthophosphationen in Form eines Kaliumsalzes eingebracht sind. Dieses unterscheidende Merkmal bewirkt, dass das Konzentrat eine verbesserte Temperaturstabilität bei der Lagerung bei tiefen Temperaturen von +4°C aufweist, siehe Seite 5, Tabelle 1 des Streitpatents.
1.1.2. Aufgabe
Der Erfindung des Streitpatents liegt daher die Aufgabe zugrunde, das aus der Entgegenhaltung D5 bekannte Korrosionsschutzkonzentrat für Trinkwasserleitungen so zu verbessern, dass es auch bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC lagerstabil ist.
Diese Aufgabe leitet der Fachmann auch ohne weiteres aus der Angabe der Entgegenhaltung D5 ab: "AQUADOSIL - T6 ist zweckmäßig nur in Räumen mit einer Temperatur nicht unter +8°C zu lagern". Denn diese Angabe wird dem Fachmann dann als Einschränkung, d.h. als Problem, auffassen, wenn er beabsichtigt das Konzentrat "AQUADOSIL - T6" bei tiefen Temperaturen von unter +8°C, etwa im Winter im Freien, zu lagern.
1.1.3. Lösung
Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 des Streitpatents dadurch gelöst, dass das Konzentrat "AQUADOSIL - T6" so abgeändert wird, dass die Orthophosphationen in Form eines Kaliumsalzes eingebracht werden.
1.1.4. Zu dieser erfindungsgemäßen Lösung kann aus dem Stand der Technik aus folgenden Gründen keine Anregung entnommen werden:
Außer der Entgegenhaltung D5 betrifft keine der vorliegenden Entgegenhaltungen ein Konzentrat einer wässrigen Korrosionsschutzlösung oder spricht das Problem der Lagerfähigkeit bei tiefen Temperaturen eines solchen Konzentrats an.
Aus der Entgegenhaltung D5 kann zwar die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe abgeleitet werden (vgl. Pkt. 1.1.2), jedoch enthält diese Entgegenhaltung keine Anregung, irgendetwas in dem darin beschriebenen Produkt "AQUADOSIL - T6" zu verändern, um die erfindungsgemäße Aufgabe zu lösen.
Die Entgegenhaltung D1 offenbart die Verwendung einer "synergetischen Kombination" von Natriumsilikat und Orthophosphat in Trinkwassersystemen zur Reduzierung der Korrosion von C-Stahl und der Inhibition der Ausfällung von gelösten Mn und Fe sowie der Reduzierung von gelösten Pb. Das Kation des Orthophosphats kann aus der Gruppe der Alkalimetalle Li, Na, K und NH4 oder Kombinationen davon mit den Erdalkalimetallen Mg, Ca und Ba entnommen werden, siehe Seite 4, Zeilen 15 - 16. Als bevorzugtes Orthophosphat wird Natriumorthophosphat vorgeschlagen, siehe Seite 4, Zeilen 24-29. In der Entgegenhaltung D1 wird nur die Herstellung bzw. Verwendung von zwei Konzentraten angegeben, die dem Trinkwasser getrennt zudosiert werden, siehe Seite 5, Zeilen 16 - 18. Eine einzige wässrige Lösung, welche sowohl Silicationen als auch Orthophosphat in Form von Kaliumorthophosphat enthält, wird an keiner Stelle der Entgegenhaltung D1 erwähnt oder dem Fachmann nahegelegt.
Unter der laufenden Nummer 10a auf Seite 2624 der Entgegenhaltung D4 wird eine Liste von zur Trinkwasseraufbereitung zugelassenen Zusatzstoffen angegeben, welche zur Hemmung der Korrosion geeignet sind. Auf dieser Liste stehen Natrium-, Kalium- bzw. Calcium- ortho-, di- bzw. polyphosphate. Eine Information über die Lagerfähigkeit bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC von wäßrigen Konzentraten dieser Zusatzstoffe in Form einer homogenen, Silicationen und Orthophosphationen enthaltenden Lösung, ist der Entgegenhaltung D4 nicht zu entnehmen.
In der Entgegenhaltung D10 wird die bessere Wasserlöslichkeit der Kaliumphospate gegenüber entsprechenden Natriumphosphaten angesprochen. Die Lagerfähigkeit bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC von wässrigen Konzentraten dieser Phosphate ist in der Entgegenhaltung D10 nicht angesprochen.
Da keine der Entgegenhaltungen D1, D4 oder D10 das Problem der Lagerfähigkeit bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC von wäßrigen Konzentraten in Form einer homogenen, Silicationen und Orthophosphationen enthaltenden Lösung anspricht, können diese Entgegenhaltungen dem Fachmann auch keinen Hinweis zur Lösung dieses Problems geben.
Auch der Entgegenhaltung D3 kann kein Hinweis zur Herstellung eines lagerstabilen Konzentrates gemäß der Erfindung entnommen werden, da sie nur Mischungen in Form von verdünnten Wasserlösungen betrifft, welche als Wärmeübertragungsmittel in Heizungskessel eingefüllt werden, und welche im übrigen kein Kaliumorthophosphat sondern Natriumorthophospat enthalten (vgl. Seite 2 Zeilen 54 - 69).
Der im letzten Absatz der Seite 2 des Streitpatents angegebene Gedankengang, auf den die Beschwerdeführerin u. a. ihre Argumentation bezüglich des Naheliegens der Erfindung stützt, gibt nach Ansicht der Beschwerdegegnerin und der Kammer den Gedankengang des Erfinders wieder. Dieser Gedankengang kann aus dem vorliegenden Stand der Technik nicht ohne Kenntnis der Erfindung hergeleitet werden.
Eine Anregung für den Fachmann, der die Lagerfähigkeit des "AQUADOSIL - T6" bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC verbessern will, dazu, ausgerechnet das Kation des Orthophosphats zu verändern und dieses durch Kalium zu ersetzen, kann dem Stand der Technik nach Ansicht der Kammer nicht entnommen werden. Ein Zusammenhang zwischen der Wasserlöslichkeit von verschiedenen Phospaten als solchen und der Lagerbeständigkeit eines diese Phosphate in Kombination mit Silicationen beinhaltenden wässrigen Konzentrats bei tiefen Temperaturen von unter +8ºC wird in dem vorliegenden Stand der Technik nicht hergestellt.
Was die Entscheidung T 192/82 anbelangt, auf die sich die Beschwerdeführerin bezieht, so ist anzumerken, dass in dieser Entscheidung das Fehlen von alternativen Lösungsmöglichkeiten als das Vorliegen einer "Einbahnstraßen-Situation" bewertet und somit die vorgeschlagene Lösung als naheliegend befunden wurde. Nach Auffassung der Kammer stützt diese Entscheidung das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht, da im vorliegenden Fall, wie es auch durch die Entgegenhaltung D4 dokumentiert wird, dem Fachmann eine Vielzahl von möglichen Lösungsansätzen zur Verfügung stehen.
1.1.5. Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
1.1.6. Ansprüche 2 bis 6
Das gleiche wie für den Anspruch 1 gilt auch für die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 6, welche vorteilhafte Ausgestaltungen des Gegenstands des Anspruchs 1 darstellen.
1.1.7. Die Ansprüche 1 bis 6 haben daher Bestand.
1.1.8. Ansprüche 7 und 8
Die Ansprüche 7 und 8, welche auf die Zudosierung eines Konzentrats gemäß den Ansprüchen 1 bis 6 zum Trinkwasser betreffende Verfahren gerichtet sind, haben ebenfalls Bestand.
2. Da dem Hauptantrag der Beschwerdegegnerin stattgegeben wird, braucht auf den Hilfsantrag der Beschwerdegegnerin nicht eingegangen zu werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.