T 0900/99 13-09-2001
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Verwendung einer Hülse als Drossel zur Reduzierung der Stellgeschwindigkeit eines druckgasbetriebenen Stellantriebes
I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 91 810 884.6 ist am 22. Januar 1997 das europäische Patent Nr. 0 493 311 erteilt worden.
Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Verwendung einer Hülse mit einer kreiszylindrischen Durchlassbohrung (3) und einem Flansch (4) an einer Seite, der an einem einen Anschlag bildenden Ende einer Leitung (6) anliegt, wobei die Hülse in das Ende der Leitung (6) eingesetzt ist und in der Leitung reibschlüssig gehalten wird, zum Drosseln eines Druckgases in einem Leitungssystem, dadurch gekennzeichnet, dass die Hülse (2) als Drossel zur Reduzierung der Stellgeschwindigkeit eines druckgasbetriebenen Stellantriebes in einem Leitungssystem zur Versorgung des Stellantriebes mit Druckgas verwendet wird."
II. Gegen das erteilte Patent hat die Beschwerdeführerin Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents in vollem Umfang beantragt. Sie machte insbesondere geltend, daß der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu gegenüber offenkundig vorbenutzten Rollenoffsetrotationsdruckmaschinen des Typs "KOEBAU COMPACTA S." sei. Zur Stützung dieses Vorbringens wurden folgende Beweismittel eingereicht:
- Auftragskarte "KOEBAU COMPACTA", Maschinen Nr. 681 139 OE, vom 19. Februar 1979;
- Versandanweisung vom 1. Dezember 1980;
- Zeichnung "Pneumatikanlage Schaltplan", Blatt 165, Maschinen Nr. 681 139 OE vom 6. August 1975;
- Zeichnung "Reduzierstück", Blatt 165, Lagerteil Nr. L 442.956.O vom 6. April 1977;
- Stückliste "Pneumatikanlage", Blatt Nr. 165, Auftragsnummer 681 139 OE vom 5. August 1975.
Zudem wurde als Zeuge für die Lieferung und die technische Ausstattung der betreffenden Maschinen Herr Helmut Holm benannt.
III. Mit ihrer am 12. Juli 1999 zur Post gegebenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig verworfen.
Als Begründung wurde insbesondere folgendes ausgeführt:
Als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs müsse die Einspruchsabteilung in der Lage sein, anhand der in der Einspruchsfrist eingereichten Dokumente die Neuheit zu prüfen. Um die fehlende Neuheit feststellen zu können, müsse also aus den vorliegenden Dokumenten ersichtlich sein, daß zumindest alle Merkmale des Anspruchs 1 aus der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung der Maschine KOEBAU COMPACTA S bekannt seien. Die Merkmale des Anspruchs 1, daß der Flansch "an einem einen Anschlag bildenden Ende einer Leitung anliegt, wobei die Hülse in das Ende der Leitung eingesetzt ist und in der Leitung reibschlüssig gehalten wird", seien aber den eingereichten Dokumenten nicht entnehmbar. Darüber hinaus enthalte der Einspruchsschriftsatz keine genauen Angaben über die fraglichen Merkmale.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 17. September 1999 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist auch an diesem Tag eingegangen.
V. Es wurde am 13. September 2001 vor der Kammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Stützung ihres Antrags läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Gründe der angefochtenen Entscheidung ließen ohne weiteres erkennen, daß die Einspruchsabteilung die Kriterien für die Zulässigkeit eines Einspruchs mit denen seiner Begründetheit verwechselt habe. Zudem habe die Einspruchsabteilung nicht gebührend berücksichtigt, daß für die technische Ausstattung der offenkundig vorbenutzten Maschine ein Zeuge genannt worden sei.
VII. Die Beschwerdegegnerin widersprach den Ausführungen der Beschwerdeführerin und machte dabei im wesentlichen folgendes geltend:
Stütze sich ein Einspruch auf den Grund mangelnder Neuheit, so müßten im Einspruchsschriftsatz bezüglich sämtlicher wesentlicher Merkmale des beanspruchten Gegenstandes die entsprechenden Elemente im Stand der Technik identifiziert werden (vgl. z. B. die Entscheidung T 222/85, ABl. EPA 1988, 128). Im vorliegenden Fall sei aber im Einspruchsschriftsatz auf zwei Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Anspruchs 1 nicht eingegangen worden. Die Beschwerdeführerin könne dies nicht mit der angeblichen Einfachheit des Patentgegenstandes rechtfertigen, zumal die betreffenden Merkmale, wie die Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt habe, keine Selbstverständlichkeiten darstellten.
Der grundlegende Mangel in der Substantiierung des einzigen vorgebrachten Einspruchsgrunds der fehlenden Neuheit könne nicht durch das Beweisangebot geheilt werden, da es aus dem Einspruchsschriftsatz nicht hervorgehe, daß der Zeuge detaillierte Auskunft über den Einbau der Hülse geben könne.
1. Die Beschwerde entspricht den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 sowie der Regeln 1 (1) und 64 EPÜ. Sie ist daher zulässig.
2. Gemäß Regel 55 c), letzter Teilsatz EPÜ muß der Einspruchsschriftsatz die Angabe der zur Begründung vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel enthalten. Dieses Erfordernis in Verbindung mit Artikel 99 (1) EPÜ verlangt eine Begründung, die auf den Kern des Einspruchs eingeht. Sie muß sinnvoll auf die vorgebrachten Einspruchsgründe abgestellt und geeignet sein, diese zu stützen. Die Frage, ob ein Einspruchsschriftsatz die sachlichen Mindestanforderungen des Artikels 99 (1) und der Regel 55 c) EPÜ erfüllt, läßt sich nur aus dem Gesamtzusammenhang des betreffenden Falls heraus entscheiden. Hierbei ist die Frage der Zulässigkeit von der der Stichhaltigkeit des Vorbringens zu unterscheiden (vgl. T 222/85 supra).
Wird zur Begründung mangelnder Neuheit - wie im vorliegenden Fall - eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht, so ist das o. g. Erfordernis der Regel 55 c) EPÜ nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, vgl. z. B. T 328/87 (ABl. EPA 1992, 701); T 522/94 (ABl. EPA 1998, 421), dann erfüllt, wenn die Angaben der Tatsachen und Beweismittel objektiv aus der Sicht des Durchschnittsfachmannes soweit verständlich und verwertbar sind, daß sie es erlauben,
a) den Zeitpunkt bzw. Zeitraum der öffentlichen Vorbenutzung dahingehend zu überprüfen, ob eine Benutzung vor dem maßgeblichen Zeitpunkt (Vorbenutzung) vorliegt,
b) den Gegenstand der Benutzung soweit festzustellen, daß seine Wesensgleichheit mit dem Gegenstand des Streitpatents prüfbar ist und
c) die Umstände der Benutzung zur Feststellung der Offenkundigkeit (Zugänglichmachen für die Öffentlichkeit) der benutzten Gegenstände zu überprüfen.
Daß der Einspruchsschriftsatz im vorliegenden Fall die o. a. Kriterien a) und c) erfüllt, ist nicht strittig. Aus den mit dem Einspruchsschriftsatz eingereichten Unterlagen geht hervor, daß im Jahre 1981 eine Rollenoffsetrotationsmaschine von der Beschwerdeführerin an eine Drittfirma verkauft und ausgeliefert und dadurch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Die Maschine gehört somit zum Stand der Technik (Artikel 54 (2) EPÜ).
Somit ist nur das Kriterium b) näher zu untersuchen. Hierbei ist es angebracht, kurz auf den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 einzugehen. Der Anspruch 1 richtet sich auf die Verwendung einer Hülse in einer Leitung zum Drosseln eines Druckgases in einem Leitungssystem. Nach dem Oberbegriff des Anspruchs wird eine solche Verwendung als bekannt vorausgesetzt. Der Oberbegriff enthält auch folgende Angaben über die Form und Anordnung der Hülse: Sie ist mit einer kreiszylindrischen Durchlaßbohrung und einem Flansch an einer Seite versehen, der an einem einen Anschlag bildenden Ende der Leitung anliegt, wobei die Hülse in das Ende der Leitung eingesetzt ist und in der Leitung reibschlüssig gehalten wird. Nach dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs wird die Hülse als Drossel zur Reduzierung der Stellgeschwindigkeit eines druckgasbetriebenen Stellantriebes in einem Leitungssystem zur Versorgung des Stellantriebes mit Druckgas verwendet.
Im Einspruchsschriftsatz wird über die offenkundig vorbenutzte Maschine u. a. folgendes ausgeführt: Die Zeichnung "Pneumatikanlage Schaltplan", Blatt 165, zeige ein Leitungssystem zur Versorgung von druckgasbetriebenen Stellantrieben der Maschine. In den zugeordneten Leitungen seien unmittelbar vor den Pneumatikzylindern mit Position 38 gekennzeichnete Reduzierstücke angeordnet. Diese Position 38 bezeichne gemäß der zugehörigen Stückliste die Reduzierstücke mit der Lagerteilnummer L 442.956.O. Diese Reduzierstücke wiesen eine Drosselbohrung mit einem Durchmesser von 1. mm auf und dienten zur Reduzierung der Stellgeschwindigkeit des der Feuchtauftragwalze zugeordneten Pneumatikzylinders.
Dieser Erläuterung folgt die Feststellung, daß dieses Farbzufuhrsystem der offenkundig vorbenutzten Maschine alle Merkmale des Oberbegriffs und des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1 des angegriffenen Patents beinhalte.
Das in der die Lagerteilnummer L 442.956.O betreffende Zeichnung gezeigte Reduzierstück ist mit der Hülse nach der Figur 1 der Patentschrift im wesentlichen identisch. Es besteht aus einem länglichen kreiszylindrischen Körper (Durchmesser 4 mm) mit einer kreiszylindrischen Durchlaßbohrung (Durchmesser 1 mm), der am einen Ende mit einem Flansch (Durchmesser 5,8 mm) versehen ist.
In der angefochtenen Entscheidung wird die Unzulässigkeit des Einspruchs im wesentlichen damit begründet, daß es aus den mit den Einspruchsschriftsatz eingereichten Unterlagen nicht ersichtlich sei, daß entsprechend den Angaben im erteilten Anspruch 1 der Flansch der Hülse (des Reduzierstücks) an einem einen Anschlag bildenden Ende einer Leitung anliegt, wobei die Hülse in das Ende der Leitung eingesetzt ist un in der Leitung reibschlüssig gehalten wird. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu.
Diese Feststellung der Einspruchsabteilung betrifft aber die Stichhaltigkeit des Vorbringens im Einspruchsschriftsatz und ist ungeeignet, auch unter der Annahme, sie sei sachlich zutreffend, die Unzulässigkeit des Einspruchs zu begründen. Die Beschwerdeführerin macht sich die Argumentationsweise der Einspruchsabteilung ohnehin nicht zu eigen. Sie vertritt vielmehr die Auffassung, die Unzulässigkeit des Einspruchs sei deswegen gegeben, weil im Einspruchsschriftsatz auf die o. a. Merkmale des erteilten Anspruchs 1 nicht eingegangen werde. So sei das Erfordernis, nachvollziehbare Angaben über die Wesensgleichheit des Gegenstands des Anspruchs 1 und des zur mangelnden Neuheit entgegengehaltenen Stands der Technik, nicht erfüllt.
Bei den gegebenen Umständen des vorliegenden Falles kann sich die Kammer dieser Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht anschließen. Angesichts der Einfachheit des technischen Sachverhalts sowie der ohne weiteres ersichtlichen wesentlichen Identität zwischen dem "Reduzierstück" der offenkundig vorbenutzten Maschine und der "Hülse" nach Figur 1 des Patents ist die Feststellung im Einspruchsschriftsatz, daß die Maschine alle Merkmale des Oberbegriffs und des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1 des angegriffenen Patents als zumindest eine implizite Erklärung dahingehend zu verstehen, daß das Reduzierstück in das Ende der Leitung eingesetzt wird, bis sein Flansch zum Anschlag gegen das Ende der Leitung kommt, und daß das Reduzierstück dort reibschlüssig gehalten wird. Eine solche Einsatzweise des Reduzierstücks ist durchaus plausibel und bedurfte daher keiner genaueren Erläuterung. Für die Lieferung und die technische Ausstattung der offenkundig vorbenutzten Maschine wurde zudem ein Zeuge benannt. Dies kann nach Auffassung der Kammer nur so verstanden werden, daß der Zeuge u. a. Auskunft darüber geben sollte, wie die Einsatzweise des Reduzierstücks tatsächlich war.
Der Einspruchsschriftsatz entspricht somit den Erfordernissen der Regel 55 c) in Verbindung mit Artikel 99 (1) EPÜ, weshalb der Einspruch zulässig ist. Damit die Einspruchsabteilung die bisher noch nicht erfolgte substantielle Prüfung des Einspruchs durchführen kann, macht die Kammer von ihrem Ermessen Gebrauch, die Sache an die erste Instanz zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Sache wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.